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Die Gespenster – Erster Teil – Einunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Einunddreißigste Erzählung

Schreckliches Schicksal eines Studenten, welcher irrigerweise glaubte, dass man jedem Gespenst ohne Vorsicht Trotz bieten dürfe

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fing man bekanntermaßen kaum erst hier und da an, den Glauben an Spukerei für töricht und schädlich zu halten, und die Furcht vor Gespenstern zu bekämpfen und abzulegen. Um diese Zeit studierten zu Wien einige junge Leute, welche freundschaftlich zusammenhielten und viel Lust zeigten, sich von allen den Vorurteilen und abergläubigen Meinungen loszureißen, in welchem sie aufgewachsen waren. Indessen lernten sie bald einzusehen, dass es ihnen nur nach und nach damit gelingen könne. Nur einer von ihnen, namens Joseph Bernhardi, der immer etwas vorlaut war, meinte irrigerweise, dass er mit zweiundzwanzig Jahren schon längst die gröbsten, ihm vormals anklebenden Vorurteile, zum Beispiel die Furcht vor Gespenstern, gänzlich überwunden und abgelegt habe.

»Ja«, sagte darauf einer von den Übrigen, »ich weiß zwar so gut wie du, dass Teufel und Geister keine Macht haben, uns zu schaden. Ich bin so fest wie du überzeugt, dass Gott ein viel zu liebevoller und gütiger Vater ist, als dass er uns der Gewalt böser Geister preisgeben sollte. Aber dessen ungeachtet kann ich das einfältige Geschwätz meiner Kindermuhme über diesen Gegenstand noch immer nicht ganz aus dem Kopf loswerden. Und wenn ich auch an den Popanz, womit sie mich als Kind zu bedrohen und zu stillen pflegte, und an den schwarzen Mann, von welchem sie mir dann vorschwatzte, nicht mehr glaube, sondern dergleichen schädliches Geschwätz als törichte Albernheiten verlache, so ist doch ein dunkles Gefühl von einem unerklärlichen Zusammenhang der Nacht und Dunkelheit mit den Geschäften unsichtbarer Geister in mir zurückgeblieben, dessen ich mich, bei allen besseren Überzeugungen und Überredungeu meines Verstandes kaum erwehren kann. Besonders bin ich überhaupt nicht imstande, des Abends spät zum Beispiel vor dem Beinhaus unseres Kirchhofes ganz kaltblütig und ruhig vorbei zu gehen. Unwillkürlich überfällt mich da allemal ein Schauder, und ich nehme dann größere und geschwindere Schritte, ungeachtet ich fest überzeugt bin, dass die Toten wohl ruhen werden, und dass diejenigen, welchen die Knochen dieses Beinhauses einst angehörten, uns nicht mehr schaden können.«

Der Student Bernhardi lachte bei diesem aufrichtigen Geständnis laut auf und spottete seines Freundes.

»Ich für meinen Teil«, setzte er prahlerisch hinzu, »wollte wohl um Mitternacht in das Gewölbe dicht neben jenem Beinhaus hinabsteigen und der Leiche, die vor wenigen Tagen darin beigesetzt wurde, einen Backenstreich geben, ohne dass es mich kalt überlaufen sollte.«

Seine Freunde hielten ihn wegen dieser Prahlerei beim Wort.

»Von dem Backenstreich«, sagten sie, »wollen wir dich und die arme Leiche gerne freisprechen. Aber du sollst uns in der nächsten Nacht zwischen zwölf und ein Uhr durch die Tat beweisen, was du dir zutraust, oder wir alle wollen dich für einen albernen Großsprecher halten, der das Herz zwar im Munde, aber dafür keines unter dem dritten Knopfloch hat.

Bernhardt nahm es fast übel, dass man seine Versicherung noch zu bezweifeln schien, und zeigte sich zu dem von ihm verlangten Probestück völlig bereit. Einer von den Studenten war in der Familie bekannt, welche in dem bezeichnten Leichengewölbe ihr Erbbegräbnis hatte, und wusste sich dazu den Schlüssel zu verschaffen. Gegen Abend versammelten sie sich sämtlich auf dem Zimmer Bernhardis und erwarteten mit Ungeduld die Ankunft der Mitternachtsstunde. Endlich schallte der Glockenschlag Zwölf. Man gab dem entschlossenen Bernhardi den Schlüssel zum Gewölbe und eine Gabel. Letztere sollte er zum Zeichen, dass er wirklich dagewesen sei, in den Sarg der nämlichen Leiche stechen, welcher er den Backenstreich zugedacht hatte.

Die Studenten waren, der Bequemlichkeit wegen, in ihren Schlafröcken. Auch Bernhardi trat seine Wallfahrt zur Totengruft im Schlafrock an. Seine Freunde glaubten doch einige Veränderung in seinem Gesicht wahrzunehmen, da sie ihm Schlüssel und Gabel überreichten, und er dem Schein nach mit lachendem Mut von ihnen ging. Sie schlossen daraus, dass auch er noch in dem Fall sei, worin sie alle sich befänden. Alle waren nämlich fest überzeugt, dass ihm in dem Gewölbe durch ein wirkliches Gespenst keinerlei Böses widerfahren könne. Aber dennoch konnten sie sich des Schauderns nicht erwehren, so oft sie an seine Stelle mit der Gabel in der Hand neben dem Sarg sich hindachten.

Bernhardi blieb viel länger aus, als man erwarten konnte. Er bedufte zu dem ganzen Geschäft nach ihrer Rechnung kaum eine Viertelstunde, und doch schlug es schon eins, und er war immer noch nicht zurückgekehrt. Sein langes Ausbleiben kam ihnen bitte endlich vor, und sie fingen an, zu fürchten, dass ihm irgendein Unglück zugestoßen sein müsse. Sie wurden darüber einig, samt und sonders mit einer Laterne zu dem Gewölbe zu gehen, um ihren Freund aufzusuchen. Unterwegs hofften sie noch immer, ihm zu begegnen; aber vergebens. Wie sehr erschraken sie, da sie ihm endlich vor der geöffneten Tür des Gewöldes lang hingestreckt und dem Anschein nach tot erblickten! Sie richteten in eiligst in die Höhe und redeten ihn an, bekamen aber keine Antwort. Sie leuchteten ihn an. Totenblässe bedeckte sein Angesicht, sein Mund stand weit auf, als ob er schreien wollte. Seine Augen waren wie gebrochen. Kaum war das erste Entsetzen seiner jungen Freunde vorüber, so trafen sie die schleunigsten Anstalten, um seine Rettung zu versuchen.

Vor allen Dingen band man in der Geschwindigkeit dem Scheintoten die Halsbinde ab, öffnete ihm die Gürtelschnallen und die Weste und löste seine Strumpfbänder, weil alle dergleichen Einpressungen des menschlichen Körpers den ohnehin schon gehemmten Blutkreislauf noch mehr erschweren. Der Stärkste unter den Anwesenden lud ihn sich dann auf den Rücken und schleppte ihn ungesäumt in seine Wohnung zurück. Andere versuchten die schwimmt einen Arzt auf oder dachten sonst als vernünftige Menschen mit vieler Geistesgegenwart auf die Rettung ihres Freundes. Niemand verlor nur einen Augenblick durch unnützes, ängstliches Bedauern oder durch schädliches, zeitverderbendes Geschwätz. Denn alle wussten, dass hier mit einer Viertelstunde Versäumnis vielleicht alles verloren sei.

Kaum hatten sie den Ohnmächtigen auf der Stube, so entkleideten sie ihn vollends, legten ihn auf die rechte Seite der Brust, damit das Blut nicht noch mehr zu der Gegend des Herzens hingeleitet würde, und besprengten in ihm das Gesicht fleißig mit frischem, kaltem Wasser unterhielten ihm ein Fläschchen mit flüchtigem Salz (indessen Ermangelung man gewöhnliches Riechwasser oder auch bloß scharfen Weinessig nehmen kann) unter die Nase.

Der Ohnmächtige gab nach den mancherlei Hilfeleistungen, die man ihm widerfahren ließ, einige schwache Zeichen der zurückkehrenden Lebenskraft. Der Arzt und seine Gehilfen verdoppelten nun ihre Bemühungen und hatten endlich das himmlische Vergnügen, den scheinbar toten Bernhardi unter ihren Händen nach und nach ins Leben zurückkehren zu sehen.

Aber mit diesem Glück des Wiedererwachens war doch für Bernhardi ein großes Unglück verbunden. Man glaubte anfangs, er könne vor Schwäche noch nicht wieder sprechen. Allein das Vermögen zu sprechen, kehrte nie völlig bei ihm zurück. Ein heftiger Schrecken hatte ihm die Zunge gelähmt, und lange konnte er nur unvernehmlich lallen. Bei der Frage, was ihn in jener unglücklichen Nacht in dem Totengewölbe widerfahren sei, fuhr er heftig zusammen. Hierauf ließ er sich Schreibzeug vor seinem Bett bringen und beantwortete seinen Freunden jene Fragen schriftlich mit folgenden Worten.

»Ich bin entsetzlich für meinen Vorwitz und meine Prahlerei gestraft! Glücklich gelangte ich bis an den Sarg, ohne irgendetwas Gespenstähnliches wahrzunehmen. Allein indem ich schaudernd die Gabel in den Sarg stieß und eiligst wieder aus der Gruft fliehen wollte, ergriff mich etwas beim Schlafrock. Ich riss mich mit Gewalt los, stürzte aber vor Entsetzen sinnlos zu Boden und weiß nicht, was danach mit mir vorgegangen ist.«

Bernhardis Freunde machten beim Lesen dieser Zeilen große Augen. An der Wahrheit diese Aussage wollten sie nicht gern zweifeln, und doch hatte ihre Vernunft manches einzuwenden. Sollte ein Geist jemanden beim Schlafrock festhalten können? Woher die Hände zum Festhalten? Lange zerbrachen sie sich vergebens die Köpfe darüber, wie sie die christliche Aussage mit der Stimme der gesunden Vernunft reimen sollten. Endlich beschlossen sie, dem vermeintlichen Gespenst in der Totengruft selbst durch eine Untersuchung an Ort und Stelle nachzuspüren.

Ohne Bernhardi ein Wort davon zu sagen, gingen seine wissbegierigen Freunde in der nächsten Mitternacht zu der Gruft. Sie waren aber so vernünftig vorsichtig, sich auf alle Fälle zu bewaffnen, weil die Erfahrung gelehrt hat, dass man alsdann einem anscheinenden Spuk beherzter entgegen geht. Auch vergaßen sie nicht, sich mit mehreren Laternen zu versehen. Denn das nämliche Gespenst, welches ihren Bernhardi im Finsteren so schrecklich vorkam, konnte, wohlbeleuchtet, vielleicht eine unbedeutende Kleinigkeit sein.

Sie traten mit der gehörigen Vorsicht vor bösen, erstickenden Dünsten in das Gewölbe, suchten in allen Ecken, unter allen Särgen und fanden nichts. Endlich bemerkte einer von ihnen nämliche Gabel, welche ihrer unglücklicher Freund vor vierundzwanzig Stunden hierher getragen hatte. Sie war mit großer Heftigkeit in einen der Särge gestoßen worden, und an derselben hing – ein Stückchen Kattun.

»Gottlob«, schrie er auf, » das Gespenst ist entwischt! Seht hier die Gabel und – ein Stück Kattun aus Bernhardis Schlafrock! Der arme Betrogene heftete, furchtsam eilig, seinen Schlafrock mit der Gabel an den Sarg und meinte dann, die Gabel, die ihn am Schlafrock festhielt, sei ein Gespenst.«

Völlig beruhigt verließen sie nun die kühle Wohnung der Toten und eilten am nächsten Morgen zu ihrem noch kranken Freund, um auch ihm die glückliche Entdeckung des Geheimnisses mitzuteilen. Er griff sogleich nach seinem Schlafrock, und man fand nicht nur das erwartete Loch in demselben, sondern das Stück Karton passte auch auf das Genaueste in das in den Schlafrock gerissene Loch.

Der unglückliche Bernardi freute sich des entdeckten Selbstbetruges ungemein, über dem verlorenen Gebrauch seiner Sprachwerkzeuge gab ihm diese Freude nicht vollkommen wieder.

Nehmen wir an, Bernhardis Freunde hätten weniger kaltblütiger und Unternehmungsgeist mit der Entschlossenheit verbunden, welche allerdings dazugehörte, um in jener Gruft der Beschaffenheit des vermeintlichen Gespenstes, das heißt, der natürlichen Veranlassung jenes Schreckens nachzuspüren. Was meinen Sie, liebe Leser, was alsdann aus dieser Spukgeschichte geworden sein würde? Sicher hätte man den Vorfall für unerklärbar gehalten oder gar für die Wirkung irgendeines bösen Geistes ausgegeben und dafür gesorgt, dass Kinder und Kindeskinder mit Grausen und Entsetzen davon erzählen mussten.

Oder gesetzt, Bernhardi hätte die Gabel, womit er aus Versehen seine Kleidung an den Sarg, nicht tief und fest hineingestoßen, sodass er beim Weggehen sie mit dem Schlafrock wieder herausgezogen hätte, ohne diesen zu zerreißen. Was würde nun aus dieser Geschichte geworden sein?

Bernhardis Freunde hätten dann zwar in der Gruft die an der Erde liegende Gabel vielleicht gefunden, würden aber nicht begriffen haben, wie sie dahin gekommen sei, da doch Bernhardi schrieb, er habe sie in den Sarg gestoßen, da ihnen in dem angenommenen Fall kein Stückchen ais dem Schlafrock das große Geheimnis aufgedeckt haben würde. Gesetzt, sie wären so vernünftig gewesen, zu bedenken, dass man unmöglich allemal die natürlichen Ursachen einer sogenannten Spukgeschichte auffinden könne, so würde sich doch wenigstens Bernhardi dabei nicht beruhigt, sondern gewiss lebenslang standhaft geglaubt haben, dass wirklich ein böser Geist ihn am Sarg festgehalten und zur Strafe für seinen Vorwitz um seine Sprache gebracht habe.

Freilich hatte ihn ein böser Geist unglücklich gemacht: der Geist des Aberglaubens und der Vorurteile nämlich, der durch das verwünschte und unselige Geschwätz jener unverständigen Menschen in ihn gefahren war, die ihn schon in der zartesten Jugend furchtsam und nachtscheu gemacht hatten. Bernhardi selbst gestand seinen Freunden nachher schriftlich, er habe geglaubt, dass er ohne Grausen in das Totengewölbe gehen könne. Allein auch ihm sei es beim Eintritt in die Gruft kalt übergelaufen, wodurch er dann zu spät überzeugt worden wäre, dass auch ihm noch etwas von jener kindlichen Furcht früherer Jahre anhafte.

»Glücklich«, setzte er auf das Papier hinzu, das eine Träne benetzte, »glücklich sind diejenigen, deren Mütter und Wärterinnen gewissenhafter, alles vermeiden, was in die weiche Kinderseele den ersten Keim jener abergläubigen Furcht legt, die nachher durch die Vorstellungen der Vernunft nicht so geschwind wieder auszurotten ist!«