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Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer 10

Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
Zweiter Band

Der große Rubin
Teil 2

Dagobert vergönnte sich am nächsten Tag den Witz, um fünf Uhr nachmittags mit dem Glockenschlag in Begleitung des jungen Barons im Haus Grumbach anzutreten. Frau Violet ihrerseits vergönnte sich wieder den Witz, dass Punkt fünf Uhr die Suppe auf dem Tisch dampfte. Das sollte ein Kompliment für Dagobert sein und das Vertrauen ausdrücken, das sie in seine Worte setzte.

»Um den Sekt erkundige ich mich gar nicht«, sagte Dagobert, als man sich niederließ.

»Er steht im Eis.«

»Selbstverständlich auch um meinen Rüdesheimer nicht.«

»Er wird die richtige Temperatur haben. Überhaupt, Dagobert, habe ich mich auf ein Siegesmahl eingerichtet, und wenn wir uns damit nun blamieren sollten, so wird es nicht meine Schuld sein.«

»Keine Angst, Gnädigste«, rief der junge Baron begeistert, »Sieg auf der ganzen Linie!«

Im Hause Grumbach wusste man, dass Dagobert bei Tisch der aufwartenden Dienerschaft wegen nicht gern vom Geschäft sprach. Man stellte also auch keine Fragen und unterhielt sich über mehr oder minder gleichgültige Dinge. Erst als man wieder im Rauchzimmer in gewohnter Sitzordnung beim kleinen Schwarzen saß, vor jeglicher Störung gesichert, da ließ Frau Violet der lange gebändigten Neugierde die Zügel schießen und verlangte genaueste Berichterstattung.

»Herr Dagobert war einfach großartig!«, rief der junge Baron begeistert. »Unser Triumph war vollständig und die Niederlage der gegnerischen Partei zerschmetternd. Die Sache war so – Sie müssen mich erzählen lassen, Herr Dagobert!«

»Gewiss, Sie sollen das Wort haben, geehrter Freund, nur müssen Sie mich vorerst von der kurzen Vorarbeit berichten lassen, die ja auch Sie noch nicht kennen. Diese Vorgeschichte wird zum Verständnis Ihrer Darstellung notwendig sein. Viel Zeit hatte ich nicht. Die Sache war ja eilig. Für vier Uhr hatte ich die Konferenz bestimmt. Wir mussten rasch fertig werden, zumal auch die Fürstin in kurzer Frist abzureisen gedachte. Den mir zur Verfügung stehenden Vormittag hatte ich gut benutzt. Ich hatte zweierlei zu tun. Erst einmal musste ich auf die Polizei …«

»Sie haben doch um Gottes willen keine Anzeige gemacht?«, fragte erschrocken der junge Baron.

»Das wäre wider die Verabredung gewesen. Ich musste vor allen Dingen erst wissen, mit wem wir es zu tun haben. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass ich an Ihre Fürstin vom ersten Augenblick an nicht geglaubt habe. Ich habe von jeher ein, wie ich glaube, berechtigtes Misstrauen gegen alle durchlauchtigen Varietéprinzessinnen. Es gibt nun zwei behördliche Instanzen, die nicht mit sich spaßen lassen: das Steueramt, das mich in diesem Fall allerdings nichts anging, und die Polizei. Ich habe gute Beziehungen zur Polizei. Oberkommissar Weinlich von der Kriminalabteilung, dem ich ja auch schon manchen Dienst zu leisten in der Lage war, erleichtert mir gern eine diskrete Nachforschung. Ich hob also den Meldezettel der Fürstin und ihres Haushalts aus. Wie ich erwartet hatte: Maria Oblitschew, genannt Fürstin Feodorowna Obolinskaja. Die Polizei ist in dem Punkt nicht engherzig. Wenn eine Artistin sich auf einen schönen Namen für das Programm steift, so lässt sie diese gewähren, sofern nur die Personalakten selbst in Ordnung sind. Auch eine Kaiserin ist schon aufgetreten, allerdings die Kaiserin der Sahara, und Könige gibt es zu Dutzenden, Könige der Jongleure, Könige der Kettensprenger und so fort! Der Meldezettel verriet noch Weiteres: Alter 35 Jahre! Sie machen ein entsetztes Gesicht, lieber Baron?«

»Fünfunddreißig Jahre!«

»Das ist doch hoffentlich noch kein Verbrechen!«, meinte Frau Violet, ein wenig durch das naive Entsetzen des jungen Barons verstimmt.

»Nein, gewiss nicht«, gab dieser sofort mit großer Bereitwilligkeit, aber noch immer sehr konsterniert zu.

»Sie haben sie wohl für erheblich jünger gehalten?«, fragte Dagobert, mit grausamer Beharrlichkeit bei diesem Punkt verweilend.

»Allerdings für ganz beträchtlich jünger!«

»Nun, der Polizei muss man die Wahrheit sagen. Es ist auch das Sicherste. Eine Falschmeldung kostet zwar nicht gleich den Kopf, aber es gibt doch eine öffentliche Verhandlung. Die kommt dann in die Zeitung – und das ist das Schreckliche. Noch einiges andere kündete der Meldezettel. Die ältere Dame ist, woran wir ja auch nicht gezweifelt hatten, wirklich ihre Mutter. Interessanter aber ist schon die Tatsache, dass der Bediente, der auch Sie mit seinem Besuch beehrt hat, ihr Bruder ist!«

»Eine merkwürdige Wirtschaft!«, rief Frau Violet.

»Aber praktisch, wie es sich beinahe wieder gezeigt hatte und sich sicherlich auch schon gezeigt hat«, fuhr Dagobert fort. »Als ich meine Sachen auf der Polizei besorgt hatte, blieb mir noch übrig, das Milieu der fürstlichen Herrschaften zu studieren.«

»Sie wollen doch nicht sagen«, rief der Baron erstaunt, »dass Sie bei ihr oben waren?«

»Genau das wollte ich sagen. Ich war bei ihr oben, und zwar eine volle Stunde.«

»Aber davon hat sie doch nicht ein Sterbenswörtchen erwähnt!«

»Konnte sie auch nicht, weil sie es nicht gewusst hat.«

»Dann war sie vielleicht nicht zu Hause?«

»Sie war zu Hause und noch dazu in einem reizenden Negligé.«

»Das verstehe ich nicht!«

»Wir sind solche Stückl von ihm schon mehr gewöhnt«, ließ sich Frau Violet vernehmen. »Erzählen Sie, Dagobert, wie Sie das wieder angestellt haben.«

»Das Haus, in dem sie wohnt, wird durch die Internationale Elektrizitätsgesellschaft mit elektrischem Licht versorgt. Zu meinen zahlreichen Würden und Bürden gehört auch eine Verwaltungsratsstelle bei dieser Gesellschaft, um die ich mich bisher allerdings recht wenig bekümmert hatte. Immerhin konnte ich mir nun da schon etwas richten. Ich holte mir einen Monteur heraus und gab ihm die nötigen Weisungen. Ich ging mit ihm, angetan mit der blauen Bluse eines Arbeiters, und trug die Leiter. Unkenntlich machte ich mich durch meine fürchterliche Automobilbrille und durch eine unförmliche Chauffeurkappe mit weit ausladendem Schild.«

»Sie müssen schön ausgesehen haben!«, rief Frau Violet lachend.

»Auf Schönheit kam es mir nicht besonders an. Ich dachte mir aber, dass Laien sehr wohl glauben könnten, dass ein Arbeiter der Elektrizitätsgesellschaft so aussehen müsse. Wir gingen also hinauf, und das Wort führte ausschließlich der Monteur, während ich mich in meiner Vermummung und mit der Leiter immer im Hintergrund hielt. Er demonstrierte, dass es im Haus einen Kurzschluss gäbe, und dass wir, da Gefahr im Verzug sei, nun sofort alle Leitungen aufs Genaueste untersuchen müssten. Während er noch sprach, hatte ich schon meine Leiter aufgestellt und war hinaufgeklettert, und nun betrachtete ich mir die Dinge in aller Gemächlichkeit von oben herunter. So studierte ich, selbst unbeachtet, alle Gemächer, und als wir das Haus verließen, hatte ich meinen Zweck erreicht. Ich wusste nun, was ich wissen wollte.«

»Haben Sie wirklich etwas Besonderes ausgekundschaftet, Dagobert?«, fragte Frau Violet.

»Doch leidlich Wichtiges. Die Zimmer der Herrschaft boten zwar gar kein Interesse, um so mehr aber das Dienerzimmer, wo ich mich auch am längsten aufhielt.«

»Was haben Sie dort Interessantes gefunden, Dagobert?«

»Das wird sich ja sofort aus der Erzählung unseres Freundes ergeben, dem ich nun doch nicht länger hinderlich sein möchte.«

»Es ist wahr, Herr Dagobert«, nahm nun der junge Baron das Wort, »der Bericht über Ihre Vorarbeit war nötig. Ich selbst begreife jetzt erst manches, was mir bisher unverständlich war. Nun aber lassen Sie mich der gnädigen Frau und dem verehrten Hausherrn von unserer Verhandlung erzählen. Ich lege Wert darauf, selbst zu erzählen, weil Herr Dagobert wahrscheinlich aus Bescheidenheit seine prachtvolle Leistung nicht ins richtige Licht setzen würde. Also – als wir hinkamen, war alles schon versammelt: Dr. Valerian, der Hof- und Gerichtsadvokat, der Hofjuwelier Friedinger, die Fürstin in Begleitung der Fürstinmutter und sogar der Bediente. Kaum waren wir eingetreten, als der Rechtsanwalt mich auch schon apostrophierte, mir beteuerte, wie außerordentlich peinlich es ihm sei, usw. usw. Es war ein Wortschwall, und in diesen mengten sich die Redefluten der Fürstin und der erlauchten Mutter. Kurz, man konnte dabei förmlich irrsinnig werden. Diesem Chaos machte aber Herr Dagobert ein rasches Ende, indem er erklärte, dass man so nicht verhandeln könne. Dann dankte er für das allgemeine Vertrauen, mit dem man ihn zum Vorsitzenden erwählt habe …«

»Ja, hatte man ihn denn dazu erwählt?«, fragte Frau Violet.

»Keine Idee!«, gab Dagobert zu, »aber ein Vorsitzender war nötig, und in dieser Gesellschaft gab es zufällig keinen besseren.«

»Herr Dagobert übernahm also den Vorsitz«, fuhr der Baron fort, »sagte volle und allseitige Redefreiheit zu, versicherte aber dafür sorgen zu wollen, dass immer nur einer auf einmal rede. Dann forderte er den Anwalt der Fürstin auf, eine Darstellung des Falls zu geben und die Ansprüche zu präzisieren. Der Anwalt wollte ausbiegen. Bei der besonderen Peinlichkeit der Angelegenheit wäre eine vertrauliche und delikate Erledigung wohl am angemessensten. Er schlage vor, dass ich mich mit ihm zurückziehe, um mit ihm in gegenseitigem Einvernehmen die Sache in aller Stille und mit aller gebotenen Diskretion zu erledigen.

Herr Dagobert wies den Vorschlag kurz ab. Für uns hätte die Angelegenheit durchaus nichts Peinliches, und wir hätten nicht die geringste Ursache, auch eine noch viel größere Öffentlichkeit zu scheuen. Er solle also nur ruhig loslegen und ungescheut heraussagen, was er auf dem Herzen habe.

›Wenn Sie es selbst wünschen‹, erwiderte Dr. Valerian, ›dann muss ich mich wohl fügen.‹ Und dann gab er seine Darstellung, wie ich sie Ihnen gegeben hatte. Er schloss mit den Worten: ›Und nun fordere ich den Herrn Baron Friese auf, sich endlich zu diesem Gegenstand zu äußern!‹

Herr Dagobert schnitt mir sofort das Wort ab, mit der Erklärung, dass der Herr Baron sich selbstverständlich nicht äußern werde. Er werde überhaupt nicht ein Wort sagen, da es – wieder ganz selbstverständlich – durchaus unter seiner Würde sei, auf solche Albernheiten auch nur mit einem Wort einzugehen. Er bitte um Entschuldigung, wenn der Ausdruck Albernheiten vielleicht nicht ganz parlamentarisch sei. Er habe ihn nur gebraucht, weil er den treffenderen nicht anwenden wollte – Infamien! Er habe übrigens keinen Anlass, sein tiefes Erstaunen zu verhehlen, dass ein Anwalt vom Rang des Dr. Valerian es nicht verschmäht habe, sich in eine so schmutzige Sache einzulassen.

Nun stieg Dr. Valerian: ›Ich lehne es ab, mir von gegnerischer Seite derlei Vorhalte machen zu lassen. Ich weiß schon selbst sehr wohl, was ich zu tun und zu lassen habe. Wenn das eine schmutzige Sache ist, was ich ohne Weiteres zugebe, so sind wir daran unschuldig, und wir werden in der Verfolgung unseres Rechts nicht aufhören, weil es zufällig ein hochgestellter und in der Gesellschaft angesehener Herr ist, gegen dessen Scherze oder Sinnesverwirrungen einzuschreiten wir gezwungen sind.‹

›Sie haben sehr schön gesprochen, Herr Doktor‹, erwiderte Herr Dagobert ruhig, ›aber Sie werden – aufhören. Das gebe ich Ihnen schriftlich, wenn Sie wollen. Wir werden den Tatbestand ja sehr bald aufgehellt haben. Fräulein Oblitschew, haben Sie zu diesem Gegenstand noch etwas zu bemerken?‹

Bei dieser Anrede machten der Advokat und der Hofjuwelier erstaunte Gesichter, in den schönen Augen der Fürstin flammte aber ein Zornesblitz auf. ›Wenn ich etwas zu bemerken hätte‹, antwortete sie mit fliegendem Atem, ›so wäre es das, dass ich nicht da bin, mich insultieren zu lassen.‹

›Kein Mensch denkt daran, Sie zu insultieren. Ich wollte nur andeuten, dass wir hier nicht im Varieté sind und hier nicht Theater spielen. Für uns sind Sie hier Fräulein Oblitschew und sonst nichts.‹

›Es ist mir gleichgültig, was ich für den Herrn bin oder nicht bin. Ich verlange nur, dass mir der Herr Baron meinen Ring zurückgibt.‹

›Das ist begreiflich. Wenn der Herr Baron den Ring genommen hat, dann muss er ihn auch wieder zurückgeben.‹

›Jawohl, und zwar den Echten, nicht aber eine Fälschung! Ich lasse mich nicht betrügen.‹

›Schön.‹

›Der Herr Hofjuwelier Friedinger wird mir bestätigen …‹

›Den Herrn Hofjuwelier werden wir ja gleich selbst hören. Vorerst gestatten Sie mir aber wohl, einige Fragen an Ihren Diener zu richten.‹

›Bitte.‹

Der Diener trat vor.

›Sie heißen?‹

›Simon.‹

›Schön. Also, Simon, Sie haben es auch gesehen, dass der Herr Baron vorgestern beim Abschied von Ihrer Herrin den fraglichen Ring in das äußere Seitentäschchen seines Überziehers gesteckt hat?‹

›Jawohl, das habe ich gesehen.‹ Simon spricht ebenso wie seine Herrin fließend Deutsch.

›Das wäre nun allerdings ein vollgültiger Beweis. Freilich ist es fraglich, ob man Sie überall als klassischen Zeugen wird gelten lassen wollen. Doch davon später. Jetzt möchte ich von Ihnen nur einiges aufgeklärt haben. Sie haben gestern um halb zehn vormittags dem Herrn Baron eine Botschaft gebracht. Stimmt das?‹

›Jawohl!‹

›Sie haben dann den Ring mitgenommen, haben ihn nach Haus getragen. Ihre Gnädige hat dann einen Brief geschrieben. Den haben Sie übernommen, und um zehn Uhr waren Sie dann wieder bei dem Herrn Baron. Stimmt auch das?‹

›Jawohl, das stimmt!‹

›Mir stimmt es aber mit der Zeit nicht. Ich habe die Strecke vom Ende des Kolowratringes bis zum Anfang des Kärntnerringes in gutem Tempo abgeschritten. Unter fünfzehn Minuten ist das nicht zu machen. Hin und zurück – macht dreißig Minuten, da fehlt mir also die Zeit zur Abfassung des Briefes, der durchaus nicht in Eile, sondern sehr bedachtsam und sorgfältig geschrieben worden zu sein scheint.‹

›Dann wird es wohl länger als eine halbe Stunde gedauert haben, bis ich wieder zurück war.‹

›Der Herr Baron ist gegenteiliger Ansicht, aber Ihre Antwort ist gut, Simon. Unsere Schwäche besteht nämlich darin, dass wir die Zeit Ihrer Abwesenheit nicht mit der Uhr in der Hand abgestoppt haben. Es wurde uns aber dadurch doch der Gedanke nahegelegt, dass es eine abgekartete Sache war, dass Sie gar nicht erst wieder nach Hause gingen, sondern den vorbereiteten Brief schon in der Tasche hatten. Regen Sie sich nur nicht unnötig auf. Wir können Ihnen das nicht beweisen.‹

›Ich weiß nichts von abgekarteten Sachen und nichts von einem vorbereiteten Brief.‹

›Sie wissen nichts davon – gut. Aber Sie wissen doch mehr, als Sie zeigen möchten. Sehen Sie mal, als ich Sie vorhin fragte, wie Sie heißen, sagten Sie: Simon. Warum sagten Sie nicht gleich: Simon Oblitschew?‹

Valerian und der Hofjuwelier machten wieder erstaunte Gesichter, Herr Dagobert fuhr aber ruhig fort: ›Warum sagten Sie weiter nicht gleich zur Vereinfachung der Situation, dass Sie der Bruder von Fräulein Oblitschew sind?‹

Nun fuhr aber die Oblitschew wieder mit zornfunkelnden Augen los. ›Ich sehe, man hat es hier nur darauf abgesehen, mich zu demütigen. Wenn das ein Mittel sein soll, meine Ansprüche herabzudrücken, so ist es recht unglücklich gewählt.‹

›Wir denken nicht daran, mein Fräulein, aber Sie werden doch nun selbst zugeben, dass jeder Richter sich bedenken würde, einen solchen Zeugen ohne Weiteres gelten zu lassen. Doch wir wollen nun Ihrem Wunsch entsprechen und endlich auf den Ring zu sprechen kommen. Herr Hofjuwelier, darf ich bitten! Sehen Sie sich, bitte, den Ring recht genau an.‹

›Das habe ich bereits getan.‹

›Ist er bei Ihnen gekauft wurden?‹

›Ja, allerdings waren die Steine, die ich verkauft habe, echt. Diese sind falsch.‹

›Selbstverständlich waren sie echt. Überhaupt, Herr Friedinger, möchte ich von vornherein nachdrücklich betonen, dass wir weit davon entfernt sind, gegen Sie auch nur das geringste Misstrauen zu hegen. Im Gegenteil. Sie sind gerichtlicher Sachverständiger. Das ist uns sehr angenehm und sehr wertvoll, und wir geben hiermit die bindende Erklärung ab, dass wir uns Ihrem Urteil und Ihrer Schätzung unbedingt unterwerfen werden. Über den Preis brauchen wir nicht erst viel zu reden.‹

›Der Ring hat sechstausend Kronen gekostet, und der Preis war angemessen.‹

›Ihre Firma ist als zuverlässig bekannt. Wir erheben keine Einsprache gegen die Wertbestimmung. Wir wissen nun, dass die Fälschung vorgenommen wurde, nachdem der Ring von Ihnen verkauft war.‹

›Selbstverständlich.‹

›Sie haben, wie Sie sagten, den gefälschten Ring genau angesehen. Ist die Fälschung gut oder stümperhaft?‹

›Die Fälschung ist sehr gut.‹

›Könnten Sie uns, Herr Sachverständiger, einige Auskünfte über das Wesen der guten und schlechten Fälschungen geben?‹

›Das ist sehr einfach. Eine Fälschung ist schlecht, wenn sie auf den ersten Anblick zu erkennen ist, und sie ist gut, wenn auch das Auge des Kenners einige Mühe hat, sie zu entdecken.‹

›Fräulein Oblitschew hat die Fälschung sofort erkannt.‹

›Allerdings, aber das Fräulein – die Fürstin Obolinskaja ist, wie ich mich überzeugt habe, eine sehr genaue Kennerin von Edelsteinen.‹

›Auch das wollen wir keineswegs bezweifeln. Nun noch eins, Herr Friedinger. Es würde uns außerordentlich interessieren, wenn Sie uns einige Aufschlüsse über die Methode oder die Methoden der Fälschungen geben wollten.‹

›Das ist eine ganze Wissenschaft. Es gibt zwei Methoden. Die Erste besteht darin, dass wertvolle Steine durch andere Steine, die immer noch Edelsteine, aber minderwertiger Art sind, ersetzt werden.‹

›Ist das hier der Fall gewesen?‹

›Nein. Hier ist Strass zur Verwendung gelangt.‹

›Was ist das eigentlich – Strass?‹

›Strass ist eine Glassorte, die sehr viel Blei enthält, mehr noch als Flintglas. Es wird aus Kieselerde oder sehr fein zerstoßenem Bergkristall, aus Kalisalpeter, reinem Bleioxyd und aus Borsäure hergestellt. Diese Bestandteile, zu denen dann auch noch die entsprechenden Färbemittel hinzugefügt werden müssen, werden in sogenannten hessischen Tiegeln …‹

›In Tiegeln!‹

›Jawohl, in Tiegeln, durch vierundzwanzig Stunden geglüht und im Schmelzfluss erhalten. Zeigt der Guss dann vielleicht Luftblasen, dann muss er wieder eingestampft und die Arbeit wiederholt werden.‹

›Das ist ja sehr belehrend. Dann folgt noch der Schliff, also eine recht umständliche Geschichte.‹

›Allerdings, Geduld muss man bei der Arbeit haben.‹

›Sie sagten, Herr Sachverständiger, dass die vorliegende Fälschung gut sei. Womit begründen Sie diese Ansicht?‹

›Der Guss ist rein und tadellos, die Farbennuance des Rubins vorzüglich getroffen. Besonders beachtenswert ist endlich der Schliff. Die Fassettierung der Originalsteine ist mit großem Geschick aufs Allergenaueste nachgeahmt.‹

›Mit einem Wort: Der Fälscher ist ein sehr tüchtiger Mann, dem man sein Kompliment machen darf. Und nun noch eine Kleinigkeit, Herr Friedinger, eine Frage, die Sie uns als Sachverständiger beantworten sollen: Was glauben Sie, wieviel Zeit braucht selbst ein geschickter und erfahrener Arbeiter, um mit dem ganzen umständlichen und, wie wir gehört haben, sehr komplizierten Verfahren zustande zu kommen?‹

›Doch mindestens vierzehn Tage.‹

›Doch mindestens vierzehn Tage. Wenn es aber sehr, sehr eilig sein sollte?‹

›Dann wohl auch acht Tage, vielleicht sechs.‹

›Ich danke Ihnen, Herr Sachverständiger. Ich habe keine Frage mehr zu stellen. Und nun zu Ihnen, Herr Dr. Valerian! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einige Umstände lenken. Vorgestern, eigentlich war es schon gestern, es war ja zwei Uhr nach Mitternacht, soll der Ring mitgenommen worden sein, früher konnte es nicht geschehen sein. Denn man hat ja gesehen, wie er eingesteckt wurde. Nicht ganz acht Stunden später wurde der Ring wieder abgeholt, und da war die kunstvolle und schwierige Fälschung schon vollendet. Ich frage Sie nun, Herr Dr. Valerian, als einen unserer angesehensten Advokaten, ob Sie uns noch immer keine Erklärung abzugeben haben?‹

›Allerdings habe ich eine Erklärung und eine Entschuldigung zu bieten. Die Entschuldigung für den Herrn Baron, dessen Verzeihung ich noch zu erlangen hoffe. Die Erklärung für die ganze Gesellschaft: Ich sehe mich veranlasst, hiermit die Vertretung der – Fürstin Obolinskaja niederzulegen.‹

›Somit wären wir eigentlich fertig‹, nahm Herr Dagobert darauf wieder das Wort. ›Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass wir das ausnehmende Vergnügen haben, jenen talentvollen Mitarbeiter in unserer Mitte zu sehen. Sie, lieber Simon, Sie haben uns noch etwas Interessantes verschwiegen, dass Sie nämlich auch ein gelernter Goldarbeiter sind.‹

›Wer sagt das?‹

›Das sage ich, und wenn ich es sage, können Sie es glauben. Ihre feinen Werkzeuge und die hübschen hessischen Tiegel haben Sie wunderschön in Ordnung, nur sollten Sie sie etwas sorgfältiger verschließen, wenn Sie aus Ihrer Kunst schon durchaus ein Geheimnis machen wollen.‹

Sie werden mir zugeben, gnädigste Frau«, schloss der Baron seinen Bericht, »dass Herr Dagobert da wirklich eine Meisterleistung geboten hat.«

»Ich weiß, dass man von Dagobert überhaupt nur Meisterleistungen zu erwarten hat. Eine Mitteilung sind Sie uns aber noch schuldig, lieber Baron. Die – Fürstin haben Sie doch nicht so ohne Weiteres laufen lassen?«

»Herr Dagobert hat sie gnädig behandelt. Er sagte, dass nun auch er mit einem vorbereiteten Brief operieren wolle. Er zog ihn auch sofort aus der Tasche und ließ ihn erst von der – Fürstin und sodann von allen Anwesenden als Zeugen unterschreiben. In dem Brief bekannte sie sich eines unsauberen Betrugs- und Erpressungsversuchs schuldig, dankte für die besondere Gnade, dass man sie nicht dem Strafgericht übergeben habe, und gab die bündige Erklärung ab, dass sie keine wie immer geartete Forderung an Baron Eugen Friese zu stellen habe.«

»Das ist alles ganz schön«, meinte Frau Violet, »aber ich finde diese Lösung doch unmoralisch. Die Betrügerin durfte so leichten Kaufs nicht davonkommen!«

»Sie vergessen nur eins, gnädigste Frau«, verteidigte sich Dagobert, »dass eine andere Lösung mit Ausschluss der Öffentlichkeit nicht gut möglich war. Diese aber musste nun einmal ausgeschlossen bleiben.«

»Das sehe ich ein. Hoffentlich lässt sich aber unser junger Freund die Geschichte zur Warnung dienen. Man soll sich in gar nichts einlassen, was nicht auch die Frau wissen darf!«