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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 5.2

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 5.2
Der Oberst der Obersten

Als der Mann mit dem schielenden Auge bei ihm war, sagte er in schmeichlerischem Ton: »Mein guter Freund, Euer Kostüm scheint mir sehr leicht, um Euch Leuten von Stand vorzustellen.«

Lantejas hatte in der Tat, dank der Fürsorge der Banditen, weiter nichts behalten, als sein Hemd und seine durch ihre Brutalitäten ziemlich arg zugerichteten Kniehosen. Obgleich der heuchlerische Ton dieses Mannes anfing, ihm ebenso viel Schrecken einzuflößen, als der empörende Anblick des anderen Anführers, so fühlte er doch, dass die Zeit zu kostbar sei, um länger zu zittern, ohne seine Erklärung abzugeben.

»Herr Capitano …«, begann er.

Der Anführer mit dem Schakalsgesicht unterbrach ihn.

»Nennt mich Herr Oberst der Obersten, dies ist ein Titel, auf den ich um so mehr Recht habe, da ich ihn mir aus eigener Machtvollkommenheit zugelegt und niemand das Recht hat, ihn mir zu verweigern.«

»Herr Oberst der Obersten«, begann der Hauptmann darauf, »wenn Eure Leute nicht Sorge getragen hätten, mich auszuplündern und mir meinen gestickten Dolman und meinen mit goldenen Borten besetzten Hut zu nehmen, so hättet Ihr mich weniger leicht gekleidet gefunden, doch darum handelt es sich jetzt nicht, ich habe ernstere Beschwerde zu führen.«

»Teufel, mein Freund, ein gestickter Dolman und ein goldbetresster Hut, das ist wichtig. Die Sachen müssen sich wiederfinden. Das sind zwei Dinge, die mir gerade fehlen.«

»Ich habe mich über eine unverzeihliche Gewalttätigkeit zu beklagen. Ich heiße Lantejas und diene der Junta von Zittacuaro, unter den Befehlen des berühmten Morelos, und ich bin Capitano, als welchen mich mein Auftrag ausweist …«

Ein plötzlicher und schrecklicher Gedanke unterbrach Don Cornelio. Zum ersten Mal erinnerte er sich seines Auftrages, seiner Depeschen und seiner Beglaubigungsbriefe, und alles dieses befand sich im Futter seines Dolmans, der ihm genommen war.

»Ihr nennt Euch Lantejas, mein guter Freund!«, rief der Oberst der Obersten entzückt aus. »Das ist ein herrliches Zusammentreffen« Der Hauptmann atmete leichter. »Das ist ein prächtiges Zusammentreffen – für uns, und Ihr könnt Euch sogleich davon überzeugen.«

Dieses Gespräch hatte an einem mit einer leinenen Decke behangenen Tisch stattgefunden, die der Banditenchef jetzt aufhob. Don Cornelio schauderte beim Anblick der drei auf diesem Tisch ausgestellten Köpfe.

»Hier, mein Freund, ist der Kopf unseres Freundes Lantejas, den unsere Leute soeben mit den zwei anderen vom Tor der Hazienda del Valle herabgenommen haben. Begreift Ihr nun, wie glücklich es sich für uns trifft, an die Stelle des Kopfes des Insurgenten Lantejas den des Royalisten Lantejas aufstecken zu können?«

»Aber das ist ein Missverständnis!«, rief der Hauptmann, indem er sich mit dem Rücken der Hand den kalten Schweiß abwischte, der von seiner Stirn rann. »Ich habe die Ehre, der Sache der Unabhängigkeit zu dienen.«

»Bah! So pfeift jeder, mein guter Freund, und ohne handgreifliche Beweise …«

»Die Beweise sind im Futter des Dolmans, den man mir gestohlen hat.«

»Wer hat den Dolman gestohlen?«, fragte der Chef.

»Gaspacho«, erwiderte der Hauptmann, vom Namen dessen, der ihn genommen hatte, in Kenntnis gesehen.

»Das ist ein schreckliches Unglück!«, rief der Oberst der Obersten. »Gaspacho hat soeben den Befehl erhalten, in aller Eile nach Las Cruces abzugeben, wer weiß, ob er in acht Tagen zurück sein wird. Bis dahin werdet Ihr Euren Kopf und ich meinen Dolman los sein, der mir so gut gepasst haben würde, denn wir haben denselben Wuchs. Geht, mein guter Freund, ich verliere dabei mehr als Ihr!«

Ein fürchterlicher Schrei ertönte in dem geräumigen Saal. Es war der Letzte des Unglücklichen, den man so grausam marterte, er konnte die Schmerzen nicht mehr ertragen und sank in Ohnmacht. Zugleich verbreitete das brennende Branntweinfass einen letzten blendenden Schein, dann erlosch die Flamme. Bei dem roten Schein der Fackeln, die noch fortbrannten, sah der Hauptmann nur unbestimmte Schatten, denen von ebenso vielen Teufeln ähnlich, als Anwesende da waren. Mitten in einer von dem verbrannten Alkohol erhitzten Atmosphäre und unter den Schatten erblickte er den des wilden Hauptmanns, der zu seiner Seite schritt, wie ein Jaguar, der seine blutigen Lippen leckt, und eine raue Stimme ließ sich vernehmen.

»Bringt den Spion her«, herrschte er, »unterdessen wird der andere wohl wieder zu sich kommen.«

»Hier ist er, Companero«, erwiderte Bocadro, und beide schritten aufeinander zu, indem sie sich beim Namen riefen.

»Vorwärts, mein guter Freund, jetzt ist die Reihe an Euch. Die Peitsche wird Euch natürlich zum Geständnis bringen, dass Ihr ein Spion des Vizekönigs seid, und infolgedessen ist es noch natürlicher, dass man Euch einen Kopf kürzer machen wird. Ich rate Euch daher gleich, es von vornherein einzugestehen.« Während Bocadro diese entsetzliche Sprache führte, starrte Arroyo mit einem durch das teuflische Vergnügen, das er sich soeben verschafft hatte, erhitztem Gesicht und mit funkelnden Augen den Hauptmann an.

»Gesicht sogleich«, sagte er, »damit das ein Ende nimmt. Ich bin müde.«

»Señor Arroyo«, rief Don Cornelio, »ich bin Hauptmann und von Morelos abgesandt, um Euch zu sagen …«

Der Hauptmann wagte nicht, den Teil seiner Botschaft, der auf die strenge Drohung Bezug hatte, auszusprechen, die er den beiden blutdürstigen Banditen überbringen sollte

»Die Beweise?«, fragte Arroyo.

»Man hat mir meine Papiere gestohlen.«

»Desto schlimmer für Euch. Heda, Frau«, fuhr der Chef fort, »komm hierher. Du kannst es übernehmen, diesen Spion mit der Peitsche das Geständnis der frevelhaften Absichten, die ihn hierher führten, zu entlocken.«

»Sogleich«, erwiderte das Scheusal, das Don Cornelio bei seinem Eintritt bemerkt hatte und das die Frau Arroyos war. »Der Schakal kommt zu sich und beichtet.«

»Bringe ihn hierher«, befahl der Guerillero.

Man beeilte sich, seinen Befehl auszuführen und band das unglückliche Schlachtopfer los, das man zu tragen genötigt war, denn er konnte sich nicht aus den Beinen halten. Es war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, dessen edles Gesicht ein grausamer Schmerz entstellte.

»Wo sind deine Schätze?«, fragte das entmenschte Weib.

»Wo ist deine Frau?«, brüllte der Mann.

Bei diesen Worten schleuderte seine scheußliche Ehehälfte einen Blick eifersüchtigen Hasses auf ihn, worauf er fortfuhr: »Die Frau wird mir von ihrem Vater reiches Lösegeld einbringen und deshalb will ich sie.«

Der junge Mann bezeichnete in fast unartikulierten Lauten ein versteckt gelegenes Zimmer der Hazienda, das bisher den Nachforschungen der Fackelträger, welche die Terrasse und den Korridor durchstöberten, entgangen war. Man bekümmerte sich nun nicht mehr um den Hauptmann, sondern alles stürzte zu dem bezeichneten Zimmer. Einige Augenblicke darauf war Bocadro zurückgekehrt und kündigte den Fund eines Fasses mit Piastern an, aber die Frau war verschwunden.

Bei dieser Nachricht zuckte ein Blitz unendlicher Freude über das krampfhaft verzerrte Gesicht des jungen Mannes, der sich um seine Schätze wenig zu kümmern schien, wenn nur seine Frau den Brutalitäten der Banditen entging. Die Aufregung machte ihn von Neuem ohnmächtig.

Cornelio erinnerte sich des weißen Gespenstes, das er durch die Bäume hindurch hatte fliehen sehen, und zweifelte nicht, dass dies die Beute sei, der man vergebens nachspüre. Seit einigen Augenblicken ging indessen mit ihm eine Veränderung vor. Verwirrten die starken Ausdünstungen des Branntweins, die den Saal erfüllten, ihm, der niemals in seinem Leben geistige Getränke genossen hatte, oder der beißende Geruch der Harzfackeln den Kopf? Wir wissen es nicht. Er fühlte sich plötzlich von einem Funken des Feuers belebt, das ihm sonst die flammenden Augen Galeanas mitzuteilen pflegten, wenn er an seiner Seite und unter der Ägide seiner furchtbaren Lanze kämpfte.

»Señor Arroyo!«, rief Don Cornelio mit einer Stimme, deren Klang ihn selbst in Erstaunen setzte. »Ihr, der Ihr Euch den Oberst der Obersten nennen lasst, Ihr werdet den Gesandten Morelos’ respektieren, der den Auftrag hat, Euch zu sagen, dass, wenn Ihr fortfahrt, durch unnütze Grausamkeiten die heilige Sache, für die wir als Christen ohne Furcht und nicht als Räuber kämpfen, zu entehren, er Euch in vier Teile zerhauen lassen wird, die an den vier Himmelsgegenden ausgestellt werden sollen.«

Bei dieser fürchterlichen und beleidigenden Drohung funkelten die Augen Arroyos vor Zorn und Mut. Bocadro aber zitterte und erbleichte beim Namen Morelos’.

Der Hauptmann, zwar von seiner eigenen Kühnheit erschreckt, jedoch von dem festen Vorsatz beseelt, so viel wie möglich davon zu profitieren, ehe sie ihm verging, fuhr fort:

»Lasst den Schwarzen und den Indianer hierherkommen, die Ihr ebenfalls gefangen genommen habt, und wenn sie mich nicht als Don Cornelio Lantejas anerkennen, willige ich ein …«

Arroyo stürzte auf den Hauptmann zu und brüllte ihn mit vor Wut erstickter Stimme an:

»Verderben über dich, wenn deine Zunge gelogen hat! Ich reiße sie heraus, um die Wange eines Lügners damit zu ohrfeigen.«

Der Hauptmann schwebte mit seinem Mut in unbekannten Regionen, er antwortete auf diese Drohung nur mit einem stolzen Lächeln.

Eine Minute später trat Clara in den Saal.

»Wer ist dieser Mann, schwarzer Hund?«, brüllte der wütende Arroyo.

Der Schwarze lächelte über die Schlauheit, mit der er zu Werke gehen würde, und fletschte seine weißen Zähne mit dumm zufriedener Miene.

»Zum Teufel, es ist der Señor Don Lucas Alacuesta«, erwiderte er.

Arroyo brach in ein wahrhaftes Freudengebrüll aus, als Clara, der diesmal, zu pünktlich den Befehlen des Hauptmanns gefolgt war, den Namen ausgesprochen hatte, welchen Don Cornelio anstelle des für ihn immer verhängnisvollen ›Lantejas‹ angenommen hatte.

»Ich führe aber noch einen anderen Namen«, sagte er, ohne den Stolz in seiner Haltung zu verlieren.

»Don Cornelio Lantejas«, sagte Clara bestätigend.

»Die Beweise! Die Beweise!«, schrie der Guerillero, im Saal auf und ab gehend wie ein Tiger im Käfig beim Anblick des Zuschauers, den er nicht zerfleischen kann. »Ich will sie auf der Stelle!«

Ein heftiger Lärm ließ sich vor der Tür hören und durch verworrenes Geschrei ertönte die Donnerstimme Costals, die Tür öffnete sich und der Indianer stürzte bis in die Mitte des Saals, ein blutiges Messer in der Hand, während er sich ein Kleidungsstück, dessen Form man nicht unterscheiden konnte, wie eine Art Schild um den linken Arm gewickelt hatte.

Costal wandte sich, um seinen Gegnern die Stirn zu bieten, diese aber blieben unbeweglich vor ihrem Chef stehen und einer von ihnen meldete, dass der Indianer soeben einen der ihren erdolcht habe.

»Ich habe es getan, um wieder zu meinem Eigentum zu gelangen«, entgegnete Costal, »oder zu dem des Hauptmanns Lantejas, hier ist es.«

Mit diesen Worten wickelte er von seinem Arm den Dolman ab, dessen Verlust die Behauptungen Don Cornelios wenigstens zweifelhaft gemacht hatte, und dieser empfing diese unerwartete Gunst des Schicksals mit einer Freude, die man ihm wohl gönnen konnte.

»Hier sind meine Beweise!«, rief er und beeilte sich, seine Depesche aus einem klaffenden Riss seines Dolmans herauszuziehen, den der Dolch Costals gemacht hatte, ehe er den Körper Gaspachos erreichten. Der Dolch war durch die Depeschen hindurchgedrungen und sie waren noch ganz frisch von dem Blut des Räubers besudelt, aber sie trugen zu viele Beweise der Identität des Hauptmanns und der Wahrheit seiner Behauptungen, als dass man sie hätte misskennen können.

Die Namen Galeana und Morelos sprachen für ihn in der Höhle der Banditen, wie der Hauch Gottes für Daniel in der Löwengrube.

Die beiden wilden Guerillero verbeugten sich vor diesen gefürchteten und geachteten Namen.

»Zieht in Frieden«, sagte Arroyo. »Ich rate Euch, rühmt Euch niemals gegen irgendjemand, mir gegenüber die anmaßende Sprache geführt zu haben, die Euer Mund hier ausgesprochen hat. Was den General Morelos angeht, so sagt ihm nur, dass jeder kämpft, wie ihn seine Natur treibt, und dass ich trotz seiner Drohung die meine nicht werde ändern können.«

»Ihr könnt doch mit diesem Dolman nichts mehr anfangen«, fügte Bocadro hinzu. »Ich werde aber ein Mittel finden, ihn ausbessern zu lassen.«

Arroyo schleuderte einen Blick der tiefsten Verachtung auf seinen Gefährten und gab nach diesem Abschied, der den Charakter der beiden Banditen unverhüllt zur Schau treten ließ, den Befehl, den drei Gefangenen die Waffen und Pferde, die man ihnen abgenommen hatte, zurückzugeben. Dann fügte er hinzu: »Sechs Reiter sollen aufsitzen und die Flüchtige aufsuchen. Mein Pferd soll ebenfalls gesattelt werden, denn ich will selbst dabei sein. Auch Bocadro kann uns begleiten.

Bocadro rührte keine Lippe, nicht so aber die Frau Arroyos.

»Was hast du mit dieser Landstreicherin zu schaffen?«, fragte sie in gereiztem Ton. »Haben wir nicht das Fass mit den Piastern?«

»Ich habe dir schon gesagt, weshalb ich sie haben muss«, entgegnete Arroyo mit vor Zorn und Begierde flammenden Augen. »Um ein Lösegeld von ihrem Vater zu erpressen. Du bleibst hier, den Schatz zu bewachen. Ich werde gehen«, fügte er mit einem grässlichen Fluch hinzu, »und du wirst es gut heißen, wenn nicht …«

Der Bandit zog den Dolch mit einer so drohenden Gebärde, dass das Weib es nicht wagte, sich seinem Willen zu widersetzen.

Unterdessen beeilten sich Don Cornelio und seine beiden Gefährten, die Hazienda zu verlassen, um den See Ostuta zu erreichen, denn es war zehn Uhr abends und der Mond ging um Mitternacht auf.

Was den unglücklichen Don Fernando betrifft, so dachte niemand daran, ihm die Sorgfalt zu widmen, die sein entsetzlicher Zustand erheischte.

Kehren wir jetzt, ehe wir Don Cornelio zu dem geheimnisvollen See und dem bezauberten Hügel geleiten, zu Gaspar, dem Boten Gertrudis’, seinem Gevatter Juan und dem Obersten Tres-Villas, den wir im Bambusdickicht des Flusses verlassen haben, zurück.