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Die Flusspiraten des Mississippi 9.2

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

9. Alte Bekannte treffen sich
Teil 2

Indessen waren die Wabash-Männer langsam in die Stadt hinaufgeschlendert. Während aber die Bootsleute eine der Schenken betraten, die durstigen Kehlen zu erfrischen, suchte Edgeworth sich nach den gegenwärtigen Preisen der Produkte zu erkundigen und erfuhr bald, dass er hier eigentlich weniger Nutzen zu erwarten habe, als er vielleicht gehofft hatte. Die Kaufleute schienen auch nicht einmal zum Kaufen geneigt. Mit dem Inneren des Landes standen sie, eine reitende Briefpost abgerechnet, in keiner Verbindung, und das, was sie an eigenen Bedürfnissen in der Stadt brauchten, lieferte ihnen zu den niedrigsten Preisen Mrs. Breidelford. An diese wurde er denn auch, wenn er seine Waren hier abzusetzen gedenke, verwiesen.

»Höre, Tom«, sagte jetzt der Alte, als sie nun zum Boot zurückgingen. »Ich habe mir doch Helena anders vorgestellt. Wir werden hier nichts ausrichten können. Dem Burschen, dem Bill, trau ich aber auch nicht recht. Weiß der liebe Gott, was ich gegen den Menschen habe, aber ich kann ihn nicht ansehen, ohne mich zu ärgern, und fühle doch, dass ich ihm unrecht tue, denn er hat uns bis hierher ganz gut und trefflich geführt. Der schwatzt mir da immer soviel von Montgomerys Point vor. Am Ende hat er da Freunde oder Verwandte oder gar ein eigenes Geschäft, für das er billig zu kaufen gedenkt. Dem möchte ich auf den Grund kommen. Von hier aus soll es nun bloß fünfzig Meilen bis nach Montgomerys Point und ein wenig weiter bis zur Mündung des White River sein. Bis dahin möchte ich aber, wenn das irgend möglich ist, meine Ladung verkauft haben. So setze du dich also in unsere kleine Jolle und fahre langsam voraus, am Ufer entlang. Proviant kannst du dir ja mitnehmen. Am Mississippi liegen mehrere kleine Städtchen, wo du anlegen und dich erkundigen kannst. Findest du aber nichts, bis du nach Montgomerys Point kommst, nun, so hast du dort wenigstens Gelegenheit, an Ort und Stelle vorher genau die Verhältnisse und Preise zu erfragen, ehe ich mit dem Boot hinkomme. Ich will indessen bis morgen früh hierbleiben, denn ich muss mir meine Büchse wieder instandsetzen lassen, in der – weiß der Himmel, wie das geschehen konnte – plötzlich die kleine Feder gebrochen ist. Man kann hier auf dem Mississippi manchmal nicht wissen, wie man die Waffe braucht, und ich möchte überhaupt nicht gern mit einem nutzlosen Schießeisen in der Welt umherfahren.«

»Die Feder gesprungen?«, fragte Tom verwundert, »nun da möchte ich doch wahrhaftig wissen, wie das geschehen konnte. Ihr habt ja noch oben an der Ironsbank den Truthahn von der Uferbank heruntergeschossen.«

»Ja – und bei dem Schuss muss sie gebrochen sein, anders kann ich es mir nicht erklären«, erwiderte der Alte. »Doch das macht nichts, es ist ein Büchsenschmied hier im Ort und der kann mir eine neue Feder einsetzen. Also halte dich dazu, mein Junge, und siehe, dass du gute Geschäfte machst. Soll ich dir aber nicht lieber ein paar von den Leuten mitgeben? Besser wär’s überhaupt, du nähmst einen zum Rudern mit, dass ihr abwechseln könntet.«

»Ei bewahre«, wehrte Tom lachend ab, »die Sonne meint’s wohl gut, aber ich brauche mich auch nicht zu übereilen. Schickt mir nur Bob, den Tennesseer, herunter, der mir ein bisschen hilft, die Jolle mit all dem auszurüsten, was ich unterwegs brauchen könnte. Die kleine Whiskykruke nicht zu vergessen, und bleibt nicht zu lange, dass ich doch wenigstens noch vor dem Dunkelwerden ein tüchtiges Stück stromab komme. Halt, noch eins!« rief er, als er sich schon zum Gehen gewandt hatte. »Oberhalb Montgomerys Point, wo nach der Flußkarte hier Nummer Siebenundsechzig liegen soll, gebt mir ein Zeichen, dass ihr kommt. Ihr könnt entweder schießen oder hängt doch besser eins von Euren roten Flanellhemden als Fahne auf, dass ich Euch nicht etwa vergebens ein paar Meilen entgegenfahre.«

Und leichten Schrittes wanderte der junge Mann zum Ufer hinunter, wo er mithilfe der beiden dort zurückgebliebenen Bootsleute die Jolle herrichtete. Dann spannte er ein schmales Sonnensegel darüber, stieß bald darauf, Edgeworth noch einen freundlichen Gruß hinüberwinkend, vom Ufer ab und steuerte in die Strömung hinaus.

Der alte Mann stand noch eine Weile am Ufer und sah dem kleiner und kleiner werdenden Boot sinnend nach, als er dicht hinter sich Schritte hörte. Wie er sich umwandte, erkannte er aber seinen Steuermann, der die Uferbank herunterkam und jetzt neben ihm stehenblieb.

»War denn das nicht Tom?«, fragte er, während er die Augen nicht von dem kleinen Fahrzeug abwandte. »Ich dächte doch, es hätte von oben so ausgesehen.«

»Ja, das war Tom«, erwiderte Edgeworth kurz und schickte sich an, in die Stadt zurückzugehen.

»Nun, was zum Teufel fährt denn der voraus?«, rief der Steuermann erstaunt, »ist ihm unsere Gesellschaft nicht mehr gut genug? Und er nimmt auch noch die Jolle vom Boot mit. Wenn wir sie nun brauchen?«

»Dann werden wir uns ohne sie behelfen müssen«, erwiderte der Farmer ruhig. »Wenn’s Euch übrigens interessiert; er fährt nach Montgomerys Point voraus, um die Preise für meine Ladung kennenzulernen. Morgen früh werden wir ihm folgen.«

Ein höhnisches Lächeln überflog das Gesicht Bills, als er die willkommene Kunde hörte, und Edgeworth würde, hätte er dessen triumphierenden Blick gesehen, sicherlich aufmerksam geworden sein. So aber achtete er nicht auf den ihm verhassten Steuermann, der ihn jedoch noch einmal mit den Worten aufhielt: »Es ist ein Kaufmann von Victoria oben im Unionhotel, der von Eurer Ladung gehört hat. Er fragte mich, ob Ihr auf dem Boot wäret oder vielleicht einmal hinaufkommen könntet. Er hat Lust zu kaufen.«

»Wo liegt Victoria?«, fragte Edgeworth und blieb stehen.

»Victoria? Ein bisschen oberhalb der White-River-Mündung, auf dem anderen Ufer drüben«, erwiderte Bill. »Von Montgomerys Point aus kann man’s sehen.«

»Und wie heißt der Mann?«

»Ich weiß nicht. Ich habe ihn nicht gefragt. Er sieht auch eigentlich nicht recht aus wie ein ordentlicher Kaufmann. Ihr könnt ja selber mit ihm sprechen.«

Edgeworth schritt langsam dem Unionhotel zu.

Bill murmelte, während er weiter am Ufer entlangging:

»Geh nur, du alter Narr, und sieh zu, ob sich deine Gebeine im Mississippi ebenso gut halten werden wie die deines Sohnes am Wabash. Geh und handle noch einmal – es ist der letzte Handel, den du auf dieser Welt abschließen kannst.«