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Der goldene Fels – Kapitel 14

Der-goldene-FelsRobert Kohlrausch
Der goldene Fels
Kriminalroman, Alster-Verlag, Hamburg, 1915

Vierzehntes Kapitel

Auf den ersten Lärm im Haus, das Pfeifen und Rufen Brockhofs, die lauten Tritte der fort stürmenden Schutzleute war Martha von oben heruntergekommen. Während sie noch auf der Treppe war, schrie Helbig ihr entgegen: »Dein Mann ist ein Schuft! Er hat mir nach dem Leben getrachtet, mir, deinem guten, alten Vater, der so gern ein paar Jahre noch leben möchte. Dein Mann ist es, der Ebisberg umgebracht hat. Mich hat er ermorden wollen und ihn hat er getroffen!«

Martha taumelte, sie musste sich am Treppengeländer halten. Aber indem sie mit entsetzten Blicken in den Flur hinunterspähte, von wo die grässliche Kunde zu ihr herauf klang, traf ihr Blick auf den Professor de la Motte. Der alte Mann stand bewegungslos in tödlicher Starrheit neben ihrem Vater. Kein Laut kam von seinen Lippen. Er fragte nicht, widersprach nicht, aber in seinen weit aufgerissenen Augen war ein Grausen, als ob er die Welt um sich her zusammenbrechen sähe.

Mit einer schnellen Regung heißen Mitleids ging Martha, sich selbst vergessend, eilig zu ihm hinunter.

Sie legte mit frauenhaft gütiger Bewegung ihren Arm um seine Schultern, zog ihn leise zu sich heran. Sie sprach nicht, aber in ihrer sanften Berührung war alles an Trost und Mitgefühl, was ein Mensch dem anderen in so furchtbarer Stunde geben konnte.

Brockhof, der den Schutzleuten langsamer gefolgt war, kam jetzt wieder zurück. Sein Gesicht war noch ernster geworden und er sagte halblaut: »Er hat gebüßt. Sein Körper liegt zerschmettert unten in der Klamm.«

Der Professor wankte, als wenn ein Baum von der Axt an der Wurzel getroffen wird. Auch durch Marthas Körper ging ein Zucken, fester umschlang sie den alten Mann.

»Wir müssen Leitern haben und Stricke«, sagte Brockhof nun, »um den Toten heraufzuholen. Kann ich ein paar Arbeiter aus der Fabrik bekommen, um zu helfen?«

»Aber natürlich, so viel Sie wollen. Seien Sie nur so gut, mein lieber Herr von Brockhof, und gehen Sie selbst hinüber. Meine Füße tragen mich nicht mehr, ich bin zu schwer heimgesucht worden. Wenden Sie sich an den Herrn Ingenieur Burkhardt, er ist geschickt und ruhig.«

Brockhof eilte davon, Helbig zog sich einen Stuhl her und sank schwer darauf nieder, um sein Gebrochensein deutlich zu zeigen.

An der offen gebliebenen Tür zu der Brücke hin glitten die Gestalten der Arbeiter mit Leitern und Stricken vorüber. Mit ihnen kam Burkhardt. Er suchte mit einem Blick in dem dämmerigen Flur im Vorbeigehen Marthas Gestalt. In ihr aber überwog in diesem Augenblick das Gefühl ihrer Pflichten jedes andere Gefühl. Sie machte sich leise von Professor de la Motte los, nahm den Knaben, der vom Großvater zur Mutter hinübergelaufen war und sich weinend an sie gedrängt hatte, bei der Hand und sagte: »Das Kind will ich hinaufbringen. Und vielleicht, es kann ja doch sein, dass noch Rettung möglich ist, ich will nach Verbandszeug suchen.«

Sie ging hinauf, die beiden Männer blieben allein im Flur.

Nach einer halben Stunde kam Brockhof, berichtete, dass die Leiche geborgen worden sei, und fragte, wohin sie gebracht werden solle. Der Kommerzienrat hob abwehrend seine Hände: »Nicht hierher, nicht in mein Haus! Ich will den Schuft nicht mehr sehen, der mich hat ermorden wollen.«

Der Professor zuckte bei seinen Worten zusammen, doch sprach er auch jetzt noch keine Silbe. Brockhof schien einen Augenblick zu überlegen. Dann trat er nahe zu Helbig heran und sagte leise: »Herr Kommerzienrat, ich möchte doch raten, den Toten hierher bringen zu lassen. Wenn wir alles Aufsehen vermeiden, kann das, was geschehen ist, unter uns bleiben und jeder Skandal vermieden werden. Ich meine, das ist besser für Ihr Haus und Ihr Geschäft. Und auch noch in anderer Hinsicht. Ich habe davon reden hören, dass man beabsichtigt, Ihnen den Adel zu verleihen. Das müsste wohl unterbleiben, wenn der Skandal nicht unterdrückt würde.«

»Haben Sie das gehört, wahrhaftig? Den Adel, ach, das wäre wieder ein wenig Sonnenschein für mich schwer geprüften alten Mann. Ja, ja, Sie haben recht. Bringen Sie den Toten hierher, jetzt kann er mir ja nichts mehr zu leide tun. Aber sehen will ich ihn nicht.«

»Das kann ich verstehen. Und Sie, Herr Professor, Sie müssen sich den traurigen Anblick auch noch ersparen. Kommen Sie, ich führe Sie hinein.«

Willenlos, wie nachtwandelnd, ließ der Professor sich von Brockhof in das Wohnzimmer des Kommerzienrates führen. Helbig rief Brockhof noch zu: »Lassen Sie die Leiche nach oben in den Saal bringen. Dort stört sie mich am wenigsten …«

Eine halbe Stunde später lag die Leiche Karl Georgs in dem großen Festsaal des oberen Geschosses aufgebahrt. Nur ein Teil der elektrischen Lampen war eingeschaltet worden, um zu starke Helle zu meiden, und so lag die gleiche geheimnisvolle Dämmerung über dem Raum wie damals in der Nacht, als der Tote hier vor das große Familienbild hingetreten war, von seinem Hass getrieben, von dem aufkeimenden Mordgedanken erfüllt. Über ihm an der Wand schwebten die halb erkennbaren Gestalten des Bildes und schauten mit ihren gemalten Augen auf sein totes blasses Gesicht. Ein weißes Laken bedeckte den zerschmetterten Körper bis an den Kopf hinauf. Keine Blume war auf das weiße Tuch gestreut, nur einige Kübel mit Palmen, die für gewöhnlich schon den Festsaal schmücken, waren herbeigerückt worden und umgaben den Toten mit nieder geneigten Wedeln. Ein paar Kerzen flackerten ihm zu Häupten und mischten ihr bewegtes Licht in den unbewegten Glanz der elektrischen Lampen. Ein leiser, flimmernder, goldener Schein von den vereinigten Lichtern floss über den Toten hin, und mit mattgoldenem Schimmer leuchtete der aus dem Bild hervorwachsende, von der allegorischen Figur gehaltene Lorbeerkranz hoch über ihm gleich einem höhnenden Symbol des goldenen Preises, um den er sein Leben verspielt hatte.

Martha, Brockhof und Burkhardt hatten mit ein paar Arbeitern zusammen den Raum als passenden Rahmen für das traurige Bild hergerichtet. Es war nichts dabei gesprochen worden, als ab und an ein leises Wort wegen irgendeiner notwendigen Anordnung. Jetzt war alles fertig, Brockhof hatte sich entfernt und auch die helfenden Arbeiter mit sich genommen. Martha war mit Burkhardt allein geblieben. Sie waren ans Fußende vom Totenlager getreten, standen dort lange wortlos nebeneinander und schauten auf das bleiche, mit einer großen Wundspur auf der Stirn gezeichnete Gesicht hinab. Eine lautlose Stille war um sie her. Nichts bewegte sich, als mitunter die Flammen der Kerzen. Dann schien es, als ob das Antlitz des Toten sein gewohntes Lächeln für Sekunden wiederfände.

Zuletzt wendete sich Martha von ihm ab, richtete die Augen auf Burkhardt und schaute tief hinein in die seinen. Dann hob sie die Hand und sagte leise: »Vergib mir, Max.«

Er beugte sich nieder und fasste die dargebotene Hand mit festem, behändem Druck. Worte fand er nicht. Nur sein Händedruck sagte, dass er ihr vergab. Dann riss er sich los und eilte stumm davon.

Unten in des Kommerzienrates Wohnzimmer saß Brockhof dem Professor und Helbig gegenüber.

De la Motte hatte noch immer kein Wort gesprochen, und als Brockhof sein entstelltes, entgeistertes Gesicht erblickte, nahm er leise des alten Mannes Hand und sagte: »Mein lieber, verehrter Herr Professor, glauben Sie mir, es ist mir selten eine Pflichterfüllung so schwer geworden wie heute hier im Gedanken an Sie. Und jetzt, ich bin dem Herrn Kommerzienrat noch Aufklärung schuldig, wie mein Verdacht sich zuerst auf die richtige Spur gelenkt hat, und was ich getan habe, sie zu verfolgen. Wollen Sie sich nicht lieber das Anhören meines traurigen Berichtes ersparen?«

Der Professor sprach auch jetzt nicht, er zog nur seine Hand aus der Brockhofs und hob sie verneinend und abwehrend auf.

»Gut, wenn Sie bleiben wollen, ist es recht. Gewissheit und Klarheit sind ja schließlich auch immer das Beste.«

»Erzählen Sie nur endlich«, mahnte der Kommerzienrat ungeduldig.

»Also hören Sie. Dass ich einer Gaunergesellschaft wegen hierher geschickt worden bin, wissen Sie ja schon von mir, Herr Kommerzienrat. Auch, dass ich mir in Ihrem Haus, das ich von Einbrechern bedroht wusste, deshalb Eingang verschaffte. Der Zutritt ist mir, wie Sie wissen, durch den Verstorbenen vermittelt worden. Ich hatte seine Bekanntschaft im Kurhaus gemacht, ihn dann auch ein paar Mal in der jetzt größtenteils verhafteten Spielergemeinschaft gesehen. Ich hatte von vornherein selbstverständlich keinerlei Verdacht irgendwelcher Art gegen ihn. Es fiel mir nur auf, dass er sich so viel in so zweifelhafter Gesellschaft bewegte, sichtlich auch ein sehr opulentes Leben führte und viel Geld verlor.«

»Mein Geld, jawohl, mein gutes, mühsam verdientes, mir gestohlenes Geld!«, murrte der Industrielle.

»Ich wusste, dass er sich bei diesem Dellwitz in den Händen eines mit allen Wassern gewaschenen, berufsmäßigen Spielers befand. Seine Verluste mussten also beständig zunehmen. Ich dachte mir aber noch nicht mit Bestimmtheit irgendetwas Böses, bis ich durch Zufall darauf zukam, als der Herr Ebisberg im Zimmer hier nebenan seinen Tod gefunden hatte.«

»Das alles wissen wir ja schon«, sagte Helbig mit wachsender Ungeduld. »Sprechen Sie nun endlich deutlich von ihm, von diesem …« Ein Blick auf den Professor ließ ihn das Wort unterdrücken, das ihm auf der Zunge lag.

Brockhof nickte mit langsamer Bewegung. Er sprach auch langsam, seiner sonstigen Art entgegen, offenbar aus der schonenden Rücksicht für de la Motte, um ihm Zeit zu geben, sich in das Furchtbare zu finden.

»Damals ereignete sich zuerst etwas, das mir Ihren Schwiegersohn in sonderbarem Licht erscheinen ließ. Wie Sie sich erinnern werden, ging er in sein Zimmer, um ein Glas Wasser für den vielleicht nur Ohnmächtigen zu holen, das ihm dann, scheinbar durch Ungeschicklichkeit, aus der Hand glitt. Ich stand nahe dabei und sah, wie das Wasser auf der linken Seite des Körpers hinunterfloss. Als ich dann hinterher niederkniete, fand ich aber, dass der Teppich auch auf der anderen Seite des Toten feucht war. Ich kam dadurch auf den Verdacht, er sei schon vorher mit Absicht angefeuchtet worden, das Verschütten des Wassers hätte das nur undeutlich machen sollen. Warum es geschah, war mir allerdings vorläufig noch unklar. Ich konnte ja nur mit größter Vorsicht nachforschen, vermied es natürlich auch, mit irgendjemand darüber zu sprechen. Dass Ihr Schwiegersohn im Nebenzimmer gewesen war, als Ebisberg starb, hielt ich für höchst wahrscheinlich. Weil ich nun aber bereits einen unbestimmten Verdacht gegen ihn hatte, vermied ich es absichtlich, ihn darum zu fragen.«

»Von ihm hätten Sie ja doch nur Lügen zu hören bekommen!«

»Vermutlich. Auch erfuhr ich von anderer Seite, was ich wissen musste. Die während meiner Abwesenheit bei Ihnen eintreffende Meldung vom Kurzschluss in der Fabrik war für mich ein Blitz der Erkenntnis. Das Gleichzeitige der beiden Ereignisse führte mich auf den Gedanken, dass Elektrizität im Spiel sei. Man hat ja häufig Sicherungen gegen Diebstahl mithilfe dieser Kraft eben an Geldschränken. Dass dabei schwächere Ströme verwendet werden, ändert nichts am Prinzip. In gleicher Weise konnte hier auch einmal ein Strom von tödlicher Kraft ins Haus hinein und an den bestimmten Ort geleitet worden sein. Jetzt war mir auch klar, warum ich den Teppich angefeuchtet gefunden hatte. Sie wissen jedenfalls noch genauer als ich, dass feuchte, womöglich mit Salzwasser getränkte Stoffe bessere Leiter für den Strom sind als trockene.«

»Natürlich, natürlich, dieser Satan! Deshalb hat er in den Büchern studiert!«

»Eine Metallplatte, die den Strom aufnahm, konnte ja gut unter dem Teppich verborgen sein, ich habe sie tatsächlich auch später gefunden.«

»Alle Wetter nochmal! Und ich bin ganz harmlos in dem Zimmer herumgelaufen!«

»Nun, die wirkliche Gefahr blieb ja doch auf die bestimmten Zeiten beschränkt, wenn die Leitung eingeschaltet war. Hätte sie ständig funktioniert, so wäre wohl nicht Ebisberg allein das Opfer gewesen. Meine Vermutung, dass er auf solche Weise verunglückt sei, bestätigte sich bald, obwohl ich natürlich sehr vorsichtig bei meiner Untersuchung vorgehen musste. Hier im Haus war sie zunächst fast ganz unmöglich. Aber ich sagte mir, dass der elektrische Strom notwendig von der Kraftleitung hergeführt sein musste, die dort oben aus der Klamm herkommt und in die Fabrik hinunterführt.«

»Mit meiner Leitung, mit meiner eigenen Leitung hat mich der Mensch ermorden wollen! Ein Scheusal, wahrhaftig, ein Scheusal!«

»Ein Gang an der Schlucht hinauf zeigte mir, dass nur an einer einzigen Stelle die Kraftentnahme möglich, das heißt, unbemerkt möglich war. Das ist an dem alten Wachtturm dort oben, an dem die Leitung hinläuft und wo sie dann auch, ausnahmsweise, statt an einem Pfahl, an der Mauer befestigt ist.«

»Natürlich, Sie haben ganz recht gesehen. Sie läuft unter dem einen halb ausgebrochenen Fenster hin, und ich habe deshalb den Turm auch immer verschlossen halten lassen, damit nicht ein Unglück passieren sollte. Denn die alten Treppen sind ja noch im Turm, und so hätte ganz gut einmal irgendwer zufällig an das Fenster kommen und von dort aus die Leitung berühren können.«

»Aber der Schlüssel zum Turm wird vermutlich hier im Haus verwahrt, und Ihr Schwiegersohn konnte mühelos daran kommen, nicht wahr?«

»Selbstverständlich. Auf solche Schändlichkeit im eigenen Haus kann man doch nicht gefasst sein! Den Turm lasse ich aber jetzt abreißen.«

Der Professor legte seine Hände vor das Gesicht und hörte so, ganz in sich zusammengebrochen, auf die Fortsetzung von Brockhofs furchtbarem Bericht.

»Ich sah dort am Turm von außen schon, dass eine Verbindung zur Hauptleitung sehr wohl verborgen herzustellen war. Der Turm ist ja bis oben mit Efeu bewachsen. Als ich aber das erste Mal hinkam, war die Verbindung bereits ausgeschaltet. Ihr Schwiegersohn hatte vermutlich auf den Kurzschluss gerechnet und vorausgesehen, dass die Leitung sofort sorgfältig untersucht werden würde. So war er mir denn schon zuvorgekommen. Ich wusste nun aber, von wo seine beiden Kabel für den doppelten Strom ausgehen mussten, fand sie dann auch bald auf. Das dichte Farn- und Heidekraut am Burghügel verbarg sie ja wundervoll bis an die Brücke hinab, auch waren sie vor der Tür des Turms mit Schutt und Erde sehr geschickt überdeckt. Er muss bei Nacht mit einer Laterne gearbeitet haben, von ihr ist jedenfalls der helle Schein durch das Fenster des Turms auf den gegenüberliegenden Felsen gefallen, von dessen Leuchten ja die Leute so viel geredet haben.«

»Da muss er auch gestern Abend wieder droben gewesen sein, man hat ja doch den goldenen Schein auch gestern gesehen.«

»Diesmal war ich sein Erzeuger. Bei meiner ersten Besichtigung des Turms fand ich ihn fest verschlossen und war mit Nachschlüsseln, die ja die Polizei so nötig hat wie die Gauner, noch nicht versehen. Ich musste darum gestern Abend noch einmal hinauf, und meine Taschenlaterne hat bei der Gelegenheit wohl den Zauber vollführt. Im Turm fand ich alles meiner Vermutung entsprechend. Hinter dem alten Holzwerk der Treppe waren die dunklen Kabel, die vom Fenster innen hinabliefen, kaum zu bemerken, und auf dem Boden lagen Schutt und Erde so hoch wie draußen vor der Tür. Ich hatte schon früher herausgefunden, wie geschickt unter der Brücke hier hinter dem Haus die Kabel befestigt waren. Von dort aus waren mit Steinbohrern ein paar Löcher in Mauer und Fußboden gebohrt worden.«

»Das war das Kratzen in der Wand, das Kratzen über meinem Bett! Darauf hätt’ ich geschworen, dass es über meinem Bett war!«

»So kamen die Kabel, die natürlich an sich isoliert waren, um gefahrlos berührt werden zu können, in das Arbeitszimmer des Herrn de la Motte hinein. Dort wurden sie dann unter Teppichen und hinter einer alten Rüstung wohl verborgen zum Kamin geführt.

In ihm, ich habe das heute Morgen ausgekundschaftet, als ich dort vor Ihnen erschien, im Kamin lief das eine Kabel wieder ein Stück an der Wand vom Schornstein hinauf, in die hier auch ein Loch hinein gebohrt war …«

»Das muss es gewesen sein. Das Kratzen muss ich gehört haben … das war näher bei mir.«

»Durch eine geschickte Vorrichtung konnte das eine Kabel in diesem Loch befestigt und mit seinem glatt geschnittenen Ende gegen den Stahl des Geldschranks gepresst werden. Das andere lief durch ein zweites Loch hinter dem Schrank her zu einer Metallplatte, dicht unter dem Teppich verborgen war. Wenn oben ausgehängt war, dann war die Leitung damit abgestellt, mit einem Griff aber vom Kamin aus war die Verbindung wieder herzustellen. Die Berührung des Geldschranks brachte dann den Tod.«

»Ist jetzt auch wirklich keine Gefahr mehr dabei?«

»Nein, jetzt nicht mehr. Sie haben es ja gesehen. Ich hatte gestern Abend oben am Turm die Leitung ausgehängt gefunden und konnte daher ohne Gefahr im Gebüsch an den Kabeln hinkriechen und sie dort in der Mitte durchschneiden. Damit war jede Gefahr für dieses Haus beseitigt. Er muss aber in der Nacht noch einmal oben gewesen sein. Heute früh fand ich die Leitung am Turm wieder eingehängt. Nur die Kabel in den Büschen hat er nicht noch einmal revidiert.«

»Sie haben sich aber wahrhaftig für mich geopfert, Herr von Brockhof, Sie müssen ja gearbeitet haben wie ein Pferd!«

»Nicht mehr als der Mann, den ich zu verfolgen hatte. Für diesen Plan muss er Nächte durchgearbeitet haben. Er hat sein Leben gewagt, als er im Spargenwerk unter der Brücke herumgeklettert ist über am Wasser, um die Kabel dort am Holzwerk zu befestigen. Er hat Fantasie, Kombinationsgabe, Fleiß und Fertigkeit bis aufs Äußerste angespannt, um sein verborgenes Werk zu vollenden. Er hat auch der Gefahr getrotzt, sein Verbrechen rasch aufgedeckt zu sehen, wenn ein Opfer Brandwunden zeigte. Das konnte ja so gut eintreten wie das Gegenteil. Das alles hat er auf sich genommen. So sehr, Herr Kommerzienrat, hat Ihr Schwiegersohn Sie geliebt!«

Hier am Ende seines Berichtes, den er bis dahin aus Rücksicht auf den unglücklichen Professor de la Motte mit stets gleicher Sachlichkeit und Ruhe vorgetragen hatte, zeigte Brockhof zum ersten Mal eine Spur seiner gewohnten Ironie. Sonderbarerweise weckte diese Veränderung des Tones de la Motte aus der tiefen, verzweifelten Versunkenheit, in der er die ganze Zeit verbracht hatte. Jetzt ließ er die Hände vom Gesicht sinken, das in diesem Augenblick wie das eines Achtzigjährigen erschien, sah wirr umher und fragte ganz leise: »Wo, wo ist er?«

Rasch erhob sich Brockhof, trat neben den alten Mann und legte den einen Arm schützend um seine Schultern. Er fragte zugleich mit freundlicher Stimme: »Wollen Sie sich den traurigen Anblick nicht ersparen?«

De la Motte starrte Brockhof einen Augenblick ins Gesicht, um dann vor sich hinzumurmeln: »Er ist mein Sohn, ich habe ihn lieb gehabt. Sie alle stoßen ihn von sich, ich muss zu ihm gehen.«

Mühsam stand er auf, Brockhof gab ihm den Arm. Im Flur taumelte der Professor und musste sich an der Wand halten, raffte sich dann aber auf und stieg an der Seite Brockhofs die Treppe zum Obergeschoss hinauf.