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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel II, Teil 1

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel II, Teil 1

Michel in den Spielhöllen zu Baden-Baden, Wiesbaden und Homburg – Ein wunderbares Feuerwerk – Abenteuerliches Fest in Homburg vor der Höhe – Ein verhafteter Geist – Rouge in Offenbach und Frankfurt – Michel wohnt einer Beratung der Deutsch-Katholiken bei – Michel züchtigt betrügerische Lotteriekollekteure – Der 18. Oktober zu Frankfurt am Main – Erste Höllenreise

Sie hören nicht, sie sehen nicht, sie fühlen nicht! Was tun sie denn? – Sie spielen! …

Die Saison in Baden-Baden hatte den Zenith ihres Glanzpunktes erreicht. Gesunde und Kranke aus allen Ecken und Enden Europas hatte der romantische Zauber dieses weltberühmten Badeorts und seiner herrlichen Umgegend herbeigelockt. Was Paris und London, St. Petersburg und Berlin Fashionables entbehren konnten, hatte sich hier vereinigt.

Es war gerade am Tag des großherzoglichen Geburtsfestes, und die kirchliche Feier desselben soeben beendet, als zwei kaum angekommene Fremde, nachdem sie Badens stattliche Bürgergarde, aus der Kirche kommend, mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen hatten vorübermarschieren sehen, in den Spielsaal des Kurhauses traten, in einiger Entfernung von dem schon wohlbesetzten Roulettetisch stehen blieben und die finsteren, düsteren, sorgenvollen, angststierenden Physiognomien der meisten Spieler zu beobachten schienen.

»Bemerkst du dort jenes bleifarbige, stumpfsinnige, bittere, Misanthropie ausdrückende Gesicht, das dem nachlässig gekleideten Menschen angehört, der dicht neben dem zahlenden Croupier steht?«, sagte der kleinere der beiden Ankömmlinge zu seinem Gefährten. »Der Mann zählt kaum sechsunddreißig Jahre, obgleich man ihm ebenso viele fünfzig gäbe. Derselbe hat bereits nicht nur sein bedeutendes väterliches Vermögen, sondern auch die noch weit bedeutendere Mitgift seiner Gattin, samt alle deren Kostbarkeiten, Schmuck und Geschmeide den grünen Tischen Benazets zum Opfer gebracht. Jetzt hat er noch fünfzig Louisdors in der Tasche, der Rest von dem Geld, das er von einem Juden gegen sein demselben verpfändetes Mobiliar mit zwölf Prozent Zinsen entlieh. In einer halben Stunde ist er auch damit fertig, dann wird er noch das letzte Kleidungsstück seiner Frau verpfänden und den Erlös der Bank bringen. Frau und Kinder aber werden von mitleidigen Seelen ein versalzenes Gnadenbrot erhalten, und er wird im Spital oder Zuchthaus enden.

Der ihm gegenüberstehende, schon etwas ältliche Mann, dessen kummervolle Mienen und fast an Wahnwitz grenzende Gebärden die unverkennbarste Verzweiflung und Höllenangst verraten, und an dem alle Muskeln in vibrierender Bewegung scheinen, der eben mit zitternder Hand zehn Napoleon auf manque setzt, das ist ein …scher Finanzbeamter, der eine landesherrliche Kasse unter Händen hat, in der bereits ein Manko von zehntausend Gulden vorhanden ist. Heute macht er seine letzten Coups, und Kassation und Korrektionshaus erwarten ihn. Auch er ist ein Familienvater von fünf Kindern, die ins Elend wandern werden. Dort jenes stupid-stiere, hohlwangige Angstgesicht mit den hervorstehenden Backenknochen, dicht neben dem Finanzbeamten, dessen klotzende Blicke wie angepicht auf dem im Spiel stehenden Geld hängen, das ist ein fleißiger Handwerksmann, der heute seinen ganzen Wochenlohn in Benazets bodenlose Tonne wirft. Jetzt steht sein letztes Guldenstück auf Schwarz, und die Kugel rollt in Rot. Jenes hochrote, weisköpfige Vollmondgesicht, das mit sorgloser Gleichgültigkeit Hände voll Gold verliert und gewinnt, ist der Fürst von … Der neben ihm stehende Mann, mit dem militärischen Anstand, ist ein ehemaliger Offener von der weiland großen Armee Napoleons, jetzt fchriftstellert er. Gestern erhielt er hundert Napoleon von seinem Pariser Verleger, die er zum Teil erst noch verdienen muss. Sich im Besitz einer untrüglichen Martingal wähnend, wird er, bevor eine Stunde vergeht, gesprengt sein. Er hatte schon einmal durch ein paar glückliche Coups über 50 000 Franken in Paris gewonnen und verließ ein paar Stunden später das Palais Royal ohne einen Pfennig in der Tasche. Die an seiner Seite sitzende, wie Espenlaub zitternde Dame, deren sonst schöne und edle Züge jetzt bis zur karrikaturartigen Fratze verzerrt waren, deren Nerven in ewigem Zucken, deren Adern bis zum Zerspringen angeschwollen sind, und deren hohlliegende Augen mit habgierigen Geierblicken die rollende Kugel unaufhörlich verfolgen, hat nicht nur den Verlust ihres Geldes und den durch denselben herbeigeführten Ruin ihres Gatten und ihrer Kinder, zweier liebenswürdigen, hoffnungsvollen Mädchen, sondern auch den ihrer Ehre zu beweinen, denn sie spielt jetzt mit dem Verdienst ihrer an einen alten jüdischen Bankier verhandelten Reize, dessen gelbbraunes Faunengesicht ihr jedoch den Geldkorb ziemlich hoch hält. Vor noch einem Jahr war ihr Los das beneidenswerteste und glücklichste, angebetet von allen, die sie kannten, im Schoß ihrer Familie und Verwandten lebend, konnte sie …«

»Genug dieser widerlich ekelhaften Gemälde einer tief gesunkenen Menschheit«, unterbrach jetzt Michel den ihn unterrichtenden Asmodi, denn niemand anderes waren die die Spieler beobachtenden Fremden, wie unsere Leser schon längst vermutet haben werden. »Ich will den Herren der Bank eine kleine Lektion geben und rechne auf deinen Beistand.«

Beide traten nun an den Tisch, an dem sie sich nicht ohne Mühe Plätze verschaffen konnten. Michel pointierte mit Gold, verdoppelte, verdreifachte und vervierfachte jeden Verlust, so lange, bis ihm eine Martingale eingeschlagen war, und hatte bald eine runde Summe von mehr als 20 000 Gulden gewonnen, sodass er ein Gegenstand der Aufmerksamkeit und der Neugierde der Anwesenden wurde. In dem Augenblick, als er wieder einen Haufen Gold einstrich, sah er den ihm gegenüber spielenden Beamten, nachdem dieser abermals einen nicht unbedeutenden Satz verloren hatte, schnell den Spieltisch verlassen und zum Saal hinausstürzen. Stürmer ersuchte seinen Begleiter, seine Rolle fortzuspielen, und eilte dem sich Entfernenden nach. Er sah ihn den nach Lichtenthal führenden Weg einschlagen, den er mit gebeugtem, bis auf die Brust herabsinkendem Haupt mit schnellen, aber wankenden Schritten fortsetzte. Michel folgte ihm in einiger Entfernung.

Beide erreichten um die Mittagsstunde das Kloster, wo der sich unbemerkt glaubende Beamte den Pfad einschlug, der hinter demselben zu dem auf einer Anhöhe liegenden Gehölz führt. An einer einsamen Stelle desselben angekommen, und ohne sich umgesehen zu haben, zog er eine Pistole aus der Tasche, lud sie, fiel sodann auf die Knie, ein kurzes Gebet mit trostlos gegen den Himmel gewandtem Blicke murmelnd. Eben war er im Begriff, die Waffe, den Mund weit aufsperrend, gegen sich zu richten, als ihm der Fremde, den er nicht wahrgenommen und der in einer geringen Entfernung jede Bewegung des Verzweifelten beobachtet hatte, in den Arm fiel und ihm zurief: »Unglücklicher, was haben Sie vor?«

»Mich von einem Leben zu befreien, dessen furchtbare Last mich erdrückt.«

Indem er diese Worte sprach, versuchte er seinen Arm von der ihn kräftig festhaltenden Hand Michels mit Gewalt loszumachen. Es entspann sich so eine Art Kampf um die Pistole, die durch das Ringen zufällig losging. Die Kugel sauste dicht über Michels Kopf dahin und traf einen nahestehenden Eichenstamm.

Dem Kampf, dem der Schuss ein Ende machte, folgte eine augenblickliche tiefe Stille, die Stürmer endlich mit den Worten unterbrach: »Mein Herr, dürfte ich, ohne unbescheiden zu sein, fragen, was Sie zu einem so verzweifelten Entschluss bringen konnte?«

Nach einigem Besinnen erwiderte der andere, fast in den Ton eines heftigen Vorwurfs ausbrechend: »Ich kann meine Schande nicht überleben, und habe es Ihnen wenig Dank, dass Sie mich an meinem Vorhaben verhinderten. Jetzt hätte ich es überstanden und Ruhe, und so habe ich noch einmal die Mühe und …«

»Wenn Sie mir einiges Zutrauen schenken wollten, mein Herr, so könnte ich Ihnen vielleicht dienen. Es gibt keine Lage in der Welt, die so misslich wäre, dass sie nicht gelindert werden könnte. Ich spreche aus Erfahrung. Kann ich etwas für Sie tun, so gebieten Sie über mich.«

»Unmöglich, das Übel ist unheilbar, ich habe alles versucht, was in meinen Kräften stand, ich bin ein verlorener, entehrter Mann. Bevor ich mich zu diesem Schritt entschloss, und als mir noch mit einer geringen Summe zu helfen war, wandte ich mich an bemittelte Freunde und Verwandte, setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Vergeblich, ich fand nur taube Ohren, nur verschlossene Herzen und Kassen, obwohl ich nur um einen kleinen Teil ihres Überflusses leihweise, gegen mögliche allmähliche Abzahlungen begehrte … Ach, die Unglücklichen haben weder Freunde noch Verwandte mehr!«

»Sehr wahr! Doch gestehen Sie mir ohne Rückhalt Ihre Lage. Es ist nicht Neugierde, die mich so zudringlich erscheinen lässt, ich habe den Willen, Ihnen zu helfen, und bin es vielleicht imstande.«

Der Unglückliche schüttelte ungläubig den Kopf. Stürmer nahm ihn beim Arm, führte ihn zu einer sich in der Nähe befindlichen RBank und nötigte ihn, sich zu setzen.

Nachdem er ihn abermals aufgefordert hatte, Vertrauen in ihn zu setzen, entfuhren dem Verzweifelnden endlich folgende Worte: »Mein Herr, ich bin Staatsdiener, morgen wird die mir anvertraute Kasse inspiziert, in welcher zehntausend Gulden fehlen, die ich beim Roulette in Baden verspielte, … an Ersatz ist nicht zu denken, und ich hinterlasse meinen fünf Kindern die Schande meiner Ehrlosigkeit!«

Ohne ein Mort zu sagen, zog Michel sein Portefeuille aus der Tasche, nahm zweiundzwanzig Pariser Bankbillets, jedes á 1000 Franks, aus demselben und übergab sie dem Unglücklichen mit den Worten: »Hier, mein Herr, nehmen Sie und spielen Sie nicht wieder!«

Hierauf wollte er sich schnell entfernen, der Gerettete fiel ihm aber zu Füßen, seine Knie umklammernd, und rief aus: »Nein, Sie sind kein Sterblicher, Sie sind ein rettender Engel des Himmels. Darf ich aber annehmen, was ich vielleicht nie wieder ersetzen kann?«

Stürmer beruhigte den Beamten deshalb und riet ihm, sich ohne Verzug auf den Weg zu machen, um seine Kasse zu ordnen.

»Erlauben Sie mir nur noch vorher, mein großmütiger Retter, Sie mit den Umständen bekanntzumachen, die mich sowohl schuldig als auch unglücklich machten.«

»Dies ist nicht nötig«, versetzte Stürmer, »Ihre Ehre und Ihrr Leben ist gerettet, und dies ist mir genug.«

»Es würde mir aber eine große Beruhigung sein, wenn Sie mir gestatteten, Ihnen, meinem großmütigen Retter, mein Herz auszuschütten.«

»Wenn das so ist, so sprechen Sie, wir können ja den Rückweg zusammen machen.«