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Schwäbische Sagen 38

Schwäbische-Sagen

Achtes Kapitel

Pflanzen, Kräuter, Bäume

Wegwart

1.
Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen und Derendingen

Die Wurzel einer weißblühenden Wegwart (wilde Eichorie) hat die Kraft, Dornen, abgebrochene Nadeln oder was sonst in der Haut stecken mag, herauszutreiben. Sie ist aber sehr selten, denn die gewöhnliche blüht blau. Findet man nun aber eine weißblühende, so muss man sie sogleich anbinden, »sonst geht sie durch« und ist am anderen Morgen verschwunden. Sodann muss sie am Jakobifeiertag (am 25. Juli), vormittags zwischen 11 und 12 Uhr unbeschrien mit einem Goldstück abgeschnitten werden. Genießt man dann nur ein paar kleine Stückchen davon, so wird ein Dorn oder dergleichen sogleich ausgestoßen.

In Pfullingen versteht eine alte Frau das Abschneiden dieser Wurzel und besorgt es, so oft man eine findet. Wer so glücklich ist, steckt auf der Stelle einen Stock dabei, bindet sie daran und meldet die Stelle dann der Frau. An dem bestimmten Tag schneidet sodann jemand mit einem Messer die Wurzel fast ab, und die Frau löst sie mit einem Goldstück vollends los. Während dieses Aktes gehen andere in die Umgegend und warnen die Menschen, jene Frau doch nicht anzureden und die Wirksamkeit der Wurzel nicht zu stören.

2.
Eine mündliche Überlieferung aus Mössingen

Die weißblühende Wegwartwurzel, die in der zwölften Stunde nachts oder auch mittags am Jakobitag mit einem Goldstück geschnitten werden muss, hat nicht bloß die Kraft, Dornen und dergleichen aus dem Fleisch zu treiben, sondern macht auch unsichtbar und stich- und kugelfest, wenn man ein Stück davon in der rechten Westentasche trägt. Ferner öffnet sie wie die Springwurzel alle Türen und Schlösser, wenn man sie dagegen hält. Es gehört aber Mut dazu, diese Wurzel abzuschneiden. Spricht man ein einziges Wort dabei, so ist man verloren. So sah einst ein Mann, als er eben die Wurzel einer solchen Wegwart schneiden wollte, einen Mühlstein über seinem Haupt herumlaufen, dass er schier sich entsetzte und davonlief, ohne die Zauberwurzel zu nehmen. Hätte er nur einen Laut von sich gegeben, so würde der Mühlstein ihn zerdrückt haben.

3.
Eine mündliche Überlieferung aus Pfullingen

Die Wegwarte sollen eigentlich verzauberte Menschen sein. Die blaublühenden, die sehr häufig sind, waren böse Leute. Die weißblühenden aber gute. Gewöhnlich stehen zwei weiße in der Nähe beisammen.

4.

Die männliche Wurzel des Wegwart, die man an der weißen Blume erkennt, ist eine Zauberwurzel, die man gegen Hexen bei sich trägt. Sieht man einen solchen weißblühenden Wegwart, so muss man ihn sogleich mitnehmen, weil er sonst schon im nächsten Augenblick nicht mehr sichtbar ist.


Springwurzel

1.
Eine mündliche Überlieferung aus Derendingen

Kein Mensch weiß, wo die Springwurzel wächst. Man kann sie sich aber verschaffen durch einen Wiedehopf; nämlich so: Findet man das Nest dieses Vogels in einem hohlen Baum, so muss man den Eingang mit einem Brett vernageln. Dann holt der Wiederhopf die Springwurzel und hält sie vor das vernagelte Nest, worauf sofort das Brett abspringt. Alsdann bringt der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, in ein Wasser oder lässt sie, wenn er unterwegs ein Feuer findet, da hineinfallen. Deshalb muss man in der Nähe des Nestes entweder eine Gelte mit Wasser aufstellen oder ein Feuer anmachen und die Springwurzel auffangen, wenn er sie fallen lässt. Statt des Feuers darf man aber auch nur ein rotes Tuch oder Kleid ausbreiten, so hält der Wiedehopf dasselbe für Feuer und lässt die Wurzel fahren.

Vor einer solchen Springwurzel springen alle Türen und Schlösser auf. Auch macht sie sicher gegen Stich und Kugeln, wenn man sie in der rechten Tasche bei sich trägt.

Wenn man einen kühnen Dieb nicht ertappen kann, so sagt man wohl: »Der muss eine Springwurzel haben.«

2.
Eine mündliche Überlieferung aus Owen

In Owen sagt man, der Specht hole die Springwurzel in der eben beschriebenen Weise. Ferner glaubt man hier, dass auf dem Beurer Berge bei Owen sich eine solche Springwurzel befinde, die jedes Mal ein Gewitter teile und abhalte.

3.
Eine schriftliche Überlieferung aus Alfdorf

Auf dem Welzheimer Walde vermuten die Leute, dann an sogenannten Wetterscheiden gegen die Talzüge hin sich eine »Wetterwurzel« befinde, die das Gewitter anziehe.


Die Jerichorose
Eine mündliche Überlieferung aus Rotenburg a. N.
Die Jerichorose findet sich in Palästina, Ägypten und am Roten Meer.

Die Rose von Jericho, insgemein die »Jerichorose« genannt, entstand, als Maria während ihrer Schwangerschaft aufs Gebirge ging, um ihre Freundin, die Elisabeth zu besucheu. (Lukas, Kap. 1, 39 – 40) An jeder Stelle, die ihr Fuß betreten hatte, wuchs und blühte eine solche Rose auf.

Die abgestorbene Pflanze, woran die Stengel mit den Ästen ganz zusammendorren und sich zusammenziehen, bewahrt noch die Schötchen und kleinen Blumen. Eine solche vertrocknete Jerichorose hat aber die Eigenschaft, dass sie alle Jahre am Josefstag, d. i. am 19. März wieder blüht und dann die Schachtel, in der man sie aufbewahrt, voneinander drückt, wenn man sie nicht öffnet. Außerdem kann man sie nur noch an zwei Tagen zum Blühen bringen, in der Christnacht und in der Neujahrsnacht. Gewöhnlich tut man es aber am Weihnachtsabend. Man stellt sie dann in geweihtes Wasser, worauf die versammelten Freunde und Bekannten so lange beten, bis die zusammengezogenen Äste sich ausdehnen und die Rose blüht. Sie sieht dann, vors Licht gehalten, rot wie Granatäpfel aus. Unter allgemeiner Freude, dass das Gebet so wunderbar gesegnet worden ist, wird aus der Gestalt, welche die Rose jetzt angenommen hat, allerlei Gutes für das kommende Jahr geweissagt, zum Beispiel ob der Wein, die Gerste, der Dinkel, das Obst usw. gdeihen werden. Dehnen sich sämtliche zusammengeschlungene Ästchen wieder aus, so wird alles wohl geraten.