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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 4.3

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 4.3
Don Cornelio glaubt seinen Kopf verloren zu haben

Wenden wir uns jetzt wieder zu dem Ort zurück, an dem der Hauptmann Don Cornelio, Costal und Clara ihr Mittagsschläfchen ungefähr mit Untergang der Sonne beendeten.

Noch herrschte das kurze Zwielicht, das den Tropengegenden eigen ist, als die drei Reisegefährten sich in den Sattel schwangen, um die Furt des Flusses zu erreichen. Das Schwierige dabei blieb, die Hazienda del Valle zu passieren, ohne von den Schildwachen bemerkt zu werden.

»Versuchen wir während der Nacht vorbeizuschlüpfen, so erregen wir mehr Verdacht, als am Tag«, sagte Costal. »Clara kann vorangehen. Wird er von einer Schildwache angehalten, so kann er für einen Kaufmann und seine Diener freie Passage verlangen. Bemerkt er niemand, so verfolgen wir unseren Weg ohne alle Umstände.«

Diese Ansicht fand der Hauptmann nach seinem Geschmack und als sie eine Viertelstunde danach vor der langen und geraden Allee aus Eschenbäumen, an deren Ende sich die Hazienda erhob, angelangt waren, blieben Costal und Don Cornelio zurück, obgleich sie ohne Furcht hätten weiterschreiten können, da sie ganz öde war. Um unterdessen jeder Überraschung zu entgehen und vorzüglich, um jeden Argwohn von sich fernzuhalten, betrat der Schwarze allein die Allee.

Scheinbar war hier alles, wie auch im Gebäude, still und leer, genau wie vor zwei Jahren, als Don Rafael dort nur Verwüstung und Tod fand. Kaum hatte der Farbige hundert Schritte gemacht, als hinter der Schießscharte der Ringmauer sich ein Soldat zeigte. Clara ging geradewegs auf das Tor zu.

Die Entfernung war zu bedeutend, um die Worte, die zwischen beiden gewechselt wurden, zu verstehen, aber Don Cornelio und Costal bemerkten, dass der Soldat ihm einen Gegenstand zeigte, der ihnen bis jetzt noch unsichtbar war.

Dieser Gegenstand schien den höchsten Grad von Lustigkeit bei dem dunklen Menschen zu erzeugen, und der Soldat war schon verschwunden, nachdem er ihm ohne Zweifel die Erlaubnis, um die er ihn angegangen war, bewilligt hatte, als Clara immer noch fortfuhr, sich seiner ausgelassenen Freude hinzugeben. Das schien dem Hauptmann eine höchst günstige Vorbedeutung, dennoch zögerte er, ihm zu folgen, bis der Schwarze endlich ein Zeichen machte, zu ihm zu kommen. Die beiden Gefährten beeilten sich nun, der Aufforderung Claras Folge zu leisten, der ihnen unter schallendem Gelächter mit dem Finger einen Gegenstand zeigte, der seine Lustigkeit in so hohem Grade erregt hatte.

Der Hauptmann erblickte ihn sogleich, glaubte sich aber gröblich getäuscht zu haben. Und in der Tat war das Schauspiel, welches sich seinen Augen darbot, keineswegs geeignet, die Ausbrüche der ausgelassenen Freude Claras zu rechtfertigen.

Anstatt der Köpfe von Wölfen oder anderen schädlichen Tieren, die man zuweilen an die Tür einer Hazienda nagelt, waren hier drei Menschenköpfe, die noch nicht ausgedörrt waren, sondern eben erst frisch abgeschnitten zu sein schienen, angebracht. Don Cornelio, der glaubte, dass sie der Schwarze ohne Zweifel nicht bemerkt hatte, zeigte sie ihm mit entsetzter Miene.

Clara lachte nun aus vollem Halse.

»Elender«, rief Don Cornelio, »ist denn dieses Schauspiel geeignet, eine solche Heiterkeit zu erregen?«

»Hm!«, machte dieser, ohne sich stören zu lassen, »wenigstens muss man lachen.«

Dann fügte er ganz leise hinzu, um nicht von der spanischen Schildwache verstanden zu werden:

»Das ist ja Euer Kopf!«

»Mein Kopf!«, erwiderte der Ex-Student erbleichend.

Da er denselben bei näherer Untersuchung noch auf seinen Schultern sitzen fand, glaubte er, der Schwarze rede ungereimtes Zeug.

»Wenigstens hat man es mir soeben gesagt«, entgegnete Clara mit einem Luftsprung. »Seht, wenn Ihr lesen könnt.«

Der Hauptmann konnte wirklich trotz der zunehmenden Dunkelheit folgende große Umschrift um einen der Köpfe lesen: Dies ist der Kopf des Insurgenten Lantejas.

Der Leser erinnert sich, dass Gaspacho seinem Hauptmann Arroyo angezeigt hatte, dass einer seiner Leutnants, welcher denselben Namen wie der Hauptmann trug, getötet worden und dass sein Kopf den Blicken der Vorübergehenden ausgestellt sei.

Don Cornelio wendete die Augen von dem scheußlichen Schauspiel ab und beeilte sich von Neuem, seinen unglücklichen Namen Lantejas verwünschend, freies Feld zu gewinnen. In dem Ausmaß, wie die Entfernung zwischen der Hazienda und ihm zunahm, in demselben Umfang verringerte sich sein Schreck, und endlich lächelte er traurig über diesen unglücklichen Namensvetter, während Clara sich noch immer nichts Komischeres denken konnte.

Indessen war die Nacht angebrochen und die tiefe Stille, in der die Reisenden ihren Weg fortsetzten, verbunden mit der Aussicht, in weniger als einer Stunde dem blutdürstigen Arroyo gegenüberzustehen, bestürmte die Seele des Hauptmanns mit düsteren Gefühlen.

Hätte ihn die Furcht nicht abgehalten, dass Costal die beängstigenden Gefühle, die ihn bestürmten, argwöhnen könnte, so würde er seine Zusammenkunft mit dem so sehr gefürchteten Freischärler gern bis zum nächsten Tag verschoben haben. Der Indianer und der Schwarze beobachteten eine so unbekümmerte Haltung, dass er sich schämte, weniger mutig als seine beiden Gefährten in diesem Abenteuer zu erscheinen. Die Ereignisse sollten übrigens bald genug seinem Schwanken ein Ziel setzen. Am Ende eines Fußweges, auf dem sie sich befanden, breitete sich der Fluss vor den Augen der drei Reiter aus.

Ein so belebtes Schauspiel die Furt der Ostuta am Morgen selbst dargeboten hatte, eben so still und verlassen war sie jetzt am Abend.

Von dem Lager Arroyos waren weiter keine Spuren mehr vorhanden als die Überreste der Ballen, die auf dem von den Hufen der Pferde aufgescharrten Erdboden umherlagen.

»Wenn ich die Wahrheit aus den Worten des Schurken, der Euren Dolman so nach seinem Geschmack fand, habe enträtseln können«, sagte Costal, »so sind wir jetzt auf dem Weg, der uns zu dem Mann führt, den wir suchen. Er muss mit seiner Bande in der Hazienda San Carlos sein, obgleich der Schurke, von dem ich spreche, sich das Ansehen gab, als wollte er daraus ein Geheimnis machen.«

»Und wenn nun die Hazienda San Carlos eine spanische Besatzung hat?«, warf der Hauptmann ein.

»Gehen wir zuerst durch die Furt, dann werde ich, indessen Ihr mich mit Clara erwartet, eine weiter ausgedehnte Erkundung vornehmen.«

Der Vorschlag Costals wurde angenommen, die drei Reiter setzten durch die Furt und der Indianer schickte sich an, Nachforschungen einzuziehen.

»Seid ja vorsichtig, Costal«, sagte der Hauptmann, »die Gefahr bedroht uns von allen Seiten.«

»Costal und mich vielleicht, das bestreite ich nicht, der Hauptmann hat nicht das Geringste zu fürchten, namentlich jetzt, wo man ihm den Kopf abgeschnitten hat«, fügte der Schwarze hinzu.

Costal sprengte im scharfen Trab fort und der Hauptmann und Clara blieben zurück.

Bald darauf ließen hinter ihnen sich Tritte von Pferden im Wasser vernehmen und zwei Reiter kamen auf sie zu. Der eine von ihnen trug ein großes in Leinwand eingeschlagenes Bündel, das er hinter sich geschnallt hatte. Ein kurzer Gruß wurde mit den Reitern gewechselt, die weiter ritten, als der Hauptmanno, in der Hoffnung, von ihnen einige Nachrichten zu erhalten, ihnen zurief: »Ist die Hazienda San Carlos weit von hier?«

»Etwa eine Viertelstunde«, antwortete eine Stimme.

»Werden wir da freundlich aufgenommen werden?«

»Das ist so«, erwiderte der andere Reiter in einem Ton, dessen Ironie der Hauptmann trotz der Entfernung nicht verkennen konnte.

Dann rief jener mit starker Stimme vier Worte in das Schweigen der Nacht hinein, von denen Lantejas nur die beiden letzten Worte verstand: »Mejico é independencia (Mexiko und Freiheit)!

»Nicht wahr, er hat zuerst: Viva (es lebe)! gerufen?«, fragte der Hauptmann.

»Er hat: Muera (nieder)! gerufen«, entgegnete der Schwarze.

»Ihr täuscht Euch.«

»Ich bleibe dabei, dass er Muera! gerufen hat.«

Der Hauptmann blieb, da er nicht gewagt hatte, ganz bestimmt zu fragen, ob San Carlos sich in den Händen der Spanier befinde oder nicht, darüber noch so im Unklaren wie vorher.

Die Zeit verrann und Costal kehrte nicht zurück.

»Ich werde in dieselbe Richtung mich auf den Weg machen und sehen, ob ich ihm nicht begegne«, sagte der Schwarze.

Der Hauptmann war über das verlängerte Ausbleiben Costals beunruhigt und gab daher zu, dass Clara sich entfernte. Er band ihm aber auf die Seele, so schnell wie möglich zurückzukommen, wenn er den Indianer, auf dessen Gewandtheit und erprobten Mut er zählte, um sich im Notfall selbst aus der Verlegenheit ziehen zu können, binnen einer Viertelstunde nicht gefunden hätte.

Don Cornelio begann die Minuten zu zählen, die seit dem Zeitpunkt, als die letzten Hufschläge von Claras Pferd in der Ferne erstarben, vergangen waren. Die Viertelstunde war vollständig vorüber, der Schwarze kam nicht zurück. Dem Hauptmann wurde es unbehaglich in der Einsamkeit, die ihn umgab. Um sich die Zeit bis zur Rückkehr seines zweiten Kundschafters zu verkürzen, ritt er langsam auf dem Weg entlang, den derselbe eingeschlagen hatte.

Eine zweite Viertelstunde verfloss gleich der ersten und der Hauptmann wollte diesmal, viel ernstlicher beunruhigt, anhalten, als es ihm schien, durch die Gipfel der Bäume Lichter kommen und gehen zu sehen, deren matte Strahlen er bei der Biegung der Straße plötzlich entdeckt hatte. Das Terrain stieg einige Schritte vor Don Cornelio steil an. Nachdem er auf der Erhöhung angelangt war, erkannte er auf dem Grund eines Tales umfangreiche Gebäude, deren Fenster so hell erleuchtet waren, dass das Innere in vollen Flammen zu stehen schien. Auf dem flachen Dach des Gebäudes bewegten sich Fackeln und Lichter hin und her und von ihnen stammten die Lichtstrahlen, die dem Hauptmann von Weitem aufgefallen waren.

Es lag etwas ganz Besonderes in diesen Lichtern, die man, sozusagen, in der Luft sich hin und her bewegen sah, und die in ihrem Zusammenhang mit den feurigen Flammen, welche, wie man durch die Glasfenster bemerken konnte, in verschiedenen Farben brannten, indem sie bald vom dunklen bis zum hellsten Blau oder zum verschiedenartigsten Violett übergingen und in jedem Moment ihre Farben wechselten, einen so sonderbaren Anblick darboten, dass Don Cornelio wie angewurzelt stehen blieb.

Die abergläubischen Ansichten, mit denen der Indianer ihn während der ganzen Reise unterhalten hatte, tauchten plötzlich in seinem Gedächtnis wieder auf, und auch der blitzende Bannstrahl, den der Bischof von Oajaca gegen die Insurgenten geschleudert hatte, die sein berühmter Hirtenbrief als Geister der Finsternis darstellte, fand in seiner von ihm so emsig genährten Einbildungskraft vollkommen Glauben. Der Schrecken des Hauptmanns änderte jedoch plötzlich seine Natur.

Die so merkwürdig gefärbten Flammenzungen, die er hinter den Fenstern hatte abwechselnd sich bald vergrößern und wieder abnehmen sehen, ohne dass sie sich einen Ausweg nach außen bahnten, wie dies bei einer gewöhnlichen Feuerbrunst geschehen wäre, ließen ihn einen Augenblick fürchten, an den Ort der Verdammten geraten zu sein.

Das Schweigen, das bei dem Anblick der Schreckensszene um ihn herrschte, bestärkte noch die Vermutungen Don Cornelios, als er plötzlich durch die Baumstämme hindurch ein weißes Gespenst über die Ebene huschen und fast in derselben Sekunde verschwinden sah.

Der Hauptmann schlug, um für jeden Fall gerüstet zu sein, ein Kreuz und blieb unbeweglich im Sattel, ungewiss, ob er fliehen und sich an die Ufer der Ostuta zurückbegeben sollte oder nicht.