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Die Gespenster – Erster Teil – Neunundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Neunundzwanzigste Erzählung

Von einem verstorbenen Kaufmann zu Marseille, der noch im Tod sein Gesinde zum Besten hatte

In Marseille in Frankreich starb im Jahre 1776 ein reicher Kaufmann, alt und lebenssatt. Seine hinterbliebene Witwe ließ die Leiche bis zur Ankunft des Paradesarges auf der nämlichen Stube, die er lange bewohnt hatte, und in demselben Bett liegen, worin er gestorben war. Das Kopfende dieses Bettes stand dicht an der Wand, an welcher Quaste und Schnur der nämlichen Wandklingel herunterhing, die der Verstorbene im Leben oft gezogen hatte, um seiner Dienerschaft ein Zeichen zu geben. Hatte der erkaltete Tote im Bett seinen Arm nach jener Klingelschnur ausstrecken können, so würde es ihm ein leichtes gewesen sein, sie zu erreichen. Aber wie hätte ein Ohnmächtiger, der schon Totengeruch um sich her verbreitete, jetzt noch Kraft haben sollen, diese Klingel zu ziehen? Und doch! Was geschah, nachdem man kaum das Zimmer verlassen und die Leiche allein gelassen hatte? Es klingelte! Und zwar, wie man deutlich hörte, mit der nämlichen Klingel des Zimmers, worin der selige Herr lag. Julie, die Kammerjungfer der Frau vom Hause, die das Klingeln hörte, glaubte Madame sei noch einmal zu dem Leichnam ihres Gemahls zurückgekehrt, steckte daher bescheiden bloß den Kopf zur Tür hinein und fragte: »Befehlen Sie etwas, Madame?«

Madame konnte ihr keine Antwort geben, denn sie war nicht da. Das Mädchen wartete einige Augenblicke, weil sie glaubte, dass die betrübte Hausfrau vor Weinen nicht gleich antworten könne. Allein die Antwort blieb aus. Julie machte daher die Tür ganz auf, trat in das Sterbezimmer hinein, blickte suchend um sich her, und sah außer dem Leichnam im Bett keinen Menschen im ganzen Zimmer. Sie wollte sich einreden, dass ihr Gehör sie doch wohl nur betrogen und niemand geklingelt haben konnte. Doch lief es ihr kalt über, indem sie das spukende Zimmer eilfertig wieder verließ.

Kaum war sie einige Schritte von der Tür entfernt, so klingelte es schon wieder. Indem kam Johann, ein Diener des Verstorbenen, die Treppe heraufgerannt, und fragte, wer denn da oben nun schon zum zweiten Male klingele, da doch Madame mit allen ihren Kindern unten in ihrem Kabinett wäre.

Dies fiel Julie zentnerschwer aufs Herz, doch antwortete sie, schlau und ruhig: »Ich weiß nicht, wer gerade den seligen Herrn bewacht, und etwa geklingelt haben mag. Sehe Er selbst einmal nach.«

Der Bediente ging, trat ganz unbefangen ins Totenzimmer, suchte um sich her und fand ebenfalls keinen lebenden Menschen darin. Beim Herausgehen aus der Stube sagte er zu Julie, die seiner Wiederkunft erwartungsvoll harrte: »Das begreife ich nicht, wer geklingelt haben muss. Es ist ja kein Mensch bei der Leiche.«

Kaum hatte er das ausgesprochen, so klingelte es zum dritten Male, und zwar viel stärker, als vorher. Beide fuhren erschrocken zusammen und zitterten wie Espenlaub. Aber es war ja heller Mittag, und man fing billig an, sich dieser Furchtsamkeit und Unentschlossenheit zu schämen. Johann, der zwar ein Mann, aber dabei äußerst furchtsam war, ergriff endlich die Hand der zitternden Julie und bat sie, ihn zu begleiten. Sie weigerte sich anfangs, doch schritten endlich beide, Hand in Hand und mit klopfendem Herzen, zur Untersuchung. Vorsichtig und schüchtern stießen sie die Tür des Spukzimmers erst vor sich auf, um schon von außen zu sehen, ob auch wohl der Tote noch wirklich tot im Bett liege. Er lag nicht nur darin, sondern beiden fuhr auch, beim raschen Aufstoßen der Stubentür, der unverkennbare Totengeruch entgegen.

Sie wagten sich endlich in das Zimmer hinein, blickten wild in demselben um sich her und überzeugten sich vollkommen, dass niemand anders als ein Gespenst die Klingel dieses menschenleeren Zimmers gezogen haben könne. Mit kaltem Schauder entfernten sie sich, indem sie die Stubentür wieder hinter sich zuschlugen, und eilten gemeinschaftlich in das Kabinett der verwitweten Hausfrau, um ihr diese neue Mähr sogleich zu hinterbringen.

Madame war eine vernünftige Frau, die sich keineswegs durch die zitternden Erzähler mit furchtsam machen ließ, sondern meinte, dass man wohl entweder die Ohren oder die Augen nicht recht aufgetan haben würde. Sie ging nun selbst auf das Sterbezimmer ihres Gemahls, um mit eigenen Sinnen zu untersuchen, und befahl, dass man ihr folgen möchte.

Sie hatten sich dem Zimmer des Verstorbenen kaum genähert, da klingelte es abermals. Man riss schnell die Tür auf. Die Leiche lag ruhig und mit der Farbe des Todes bedeckt auf dem Bett. Man sah im Hereintreten ins Zimmer ganz deutlich, dass die Schnur der Wandklingel und die unterhalb befindliche Quaste sich noch bewegten. Und doch war kein Mensch im ganzen Zimmer.

Das Erstaunen der Hausfrau und derer, die sie begleiteten, stieg nun auf das Höchste. Alle begafften sich einander mit großen Augen. Madame befahl, zu bleiben, sich ganz ruhig zu verhalten und abzuwarten, ob es auch in ihrer Gegenwart klingeln würde. Indem sie noch wie versteinert da standen – siehe, da klingelte es wiederum!

Und wer war es, der diesmal die herabhängende Schnur zog? Ein Mensch freilich nicht, und der erstarrte Leichnam noch viel weniger. Es war … eine junge Katze, die jedes Mal vom Stuhl hinabgesprungen war und sich unter das Bett der Leiche verkrochen hatte, so oft die Stubentür geöffnet worden war. Nun, da sich die Anwesenden ganz ruhig verhielten, hörte das Kätzchen auf, sich zu fürchten, sprang auf den Stuhl neben dem Bett und spielte nach wie vor mit der Quaste der Klingelschnur.

Julie hatte, da sie auf das erste Klingeln in das Zimmer gegangen war, das Kätzchen wohl bemerkt, aber nicht darauf geachtet, weil sie ihre Madame und keine Katze daselbst zu finden hoffte. Auch war es ihr in der Bestürzung nicht eingefallen, dass vielleicht dieses spielende Tierchen geklingelt haben mochte.

Das Herz wurde nun allen Anwesenden mit einem Mal wieder leicht. Doch blieben sie noch eine Weile da, um zu wiederholten Malen der so ganz natürlichen Ursache dieses Spukens zuzusehen.

Das Kätzchen spielte weiter und klingelte noch verschiedene Male. Alle lächelten schweigend, wurden vollkommen überzeugt, dass dies kleine Wesen allein ihnen den Schreck eingejagt habe, und freuten sich inniglich, dass es nicht der selige Herr sei, der die Lebenden beunruhigen wolle.

Lassen Sie uns, meine Leser, einmal den in der Tat leicht möglichen Fall annehmen, dass das Kätzchen seine Spielerei mit der Quaste der Klingelschnur in Gegenwart der Untersuchenden nicht fortgesetzt, sondern statt dessen sich vielmehr unbemerkt aus der aufstehenden Stubentür hinausgeschlichen hätte. Wie hätte man, um des Himmels willen, alsdann jemals den wahren Täter jenes nicht erklärbaren Klingelns entdecken sollen? Sicher würde dann der eine von den Hausbewohnern immer noch zuversichtlicher als die anderen behauptet haben, dass der selige Herr spuke, und dass niemand anderes als er jene Klingel gerührt haben könne, die er im Leben so oft gezogen hatte.

War dann etwa der Verstorbene ein besonders guter Wirt, der das seine zurate hielt? So hätte man ihm dann verleumderisch nachgesagt, er könne sich auch im Tod noch nicht von seinen hinterlassenen irdischen Schätzen trennen. Oder war er als alter Mann schon etwas mürrisch, eigensinnig und polternd gegen das Gesinde, so hieß es dann, er quält und erschreckt dasselbe auch noch im Tode. Oder führte er einst gar als Geizhals einen ungerechten und gottlosen Lebenswandel? Nun, was war dann wohl natürlicher, als dass man ihm würde nachgesagt haben, seine Seele, die im Tod keine Ruhe finde, tobe noch immer im Haus umher.

Mein Rat ist daher: Lassen Sie sich bei dergleichen und ähnlichen spukhaften Ereignissen nie vom ersten Anschein trügen, sondern forschen Sie kaltblütig und unbefangen bei jedem wunderbar scheinenden Vorfall solange nach dessen natürlichem Zusammenhang mit der wahren Ursache, bis Sie ihn glücklich aufgefunden haben. Fast jedes Mal werden Sie ihn, über lang oder kurz, entdecken. Aber es muss Ihnen auch mit dem Suchen und Prüfen ernst sein. Wäre die furchtsame, grauliche Julie gleich anfangs, da es zum ersten Mal klingelte, eine Weile ruhig im Zimmer der Leiche geblieben und hätte dem spielenden Kätzchen zugesehen, so würde sie die ganz natürliche Ursache des spukenden Klingelns sogleich entdeckt haben. Und es schläft und lebt sich ja viel ruhiger, viel zufriedener bei einer guten Herrschaft, wo eine Katze klingelt, als da, wo man glaubt, der verstorbene Hausherr habe das Gesinde im Tode noch zum Besten.