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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Achtundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Achtundzwanzigste Erzählung

Von dem spukenden Geist eines Selbstmörders, der sich im Dorf Jerchel des Abends sehen ließ

Der im Jahre 1779 verstorbene preußische General von Schenkendorf verlebte seine letzten Jahre, wo er außer königlichen Diensten war, abwechselnd zu Brandenburg und auf seinem drei Meilen davon gelegenen Gut Jerchel an der Havel. Im Siebenjährigen Krieg hatte er auf königlichen Befehl unter anderen im Bambergischen brandschatzen müssen. Aber die Rückerinnerung daran war ihm immer höchst unangenehm. Die kriegerische Art und Weise, wie er diesen Befehl vollzogen hatte, zog ihm zuletzt eine Gemütskrankheit zu, welche alle Bemühungen der Ärzte fruchtlos machte, und in welcher er zuletzt auch starb. Eines Tages nämlich, da er vorzüglich schwermütig war, ließ er sich durch seinen treuen Kammerdiener, der ihm schon einige Male das Leben erhalten hatte, plötzlich zu Bett bringen und verlangte Tee. Während ihn der Diener wenige Augenblicke allein ließ, um den verlangten Tee zu holen, war der Kranke in seiner qualvollen Schwermut wieder aus dem Bett gesprungen und hatte sich, unstreitig ohne deutliches Bewusstsein dessen, was er tat, aus dem Fenster in die Tiefe hinabgestürzt. Sein schwerfälliger Körper war durch diesen gefährlichen Fall so sehr beschädigt, dass er bald darauf seinen Geist aufgab.

Viele nannten nun den armen General einen Selbstmörder. Einige vergaßen bei dieser Gelegenheit so ganz den Zuruf der Schrift Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet! und beurteilten den nunmehrigen Seelenzustand des Verunglückten überaus lieblos und unchristlich. Es fiel, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, nur wenigen ein, dass die meisten Selbstmörder von denen, welche eines natürlichen Todes sterben, hauptsächlich nur darin unterschieden sind, dass die Letzten an einer Krankheit des Leibes, jene aber an einer Krankheit der Seele sterben.

Der schwermütige Selbstmörder ist das, was der Rasende im Irrenhaus ist. Beide werden durch ihren kranken Geist zu unerlaubten tollen Handlungen hingerissen. Beide können in einem gleich hohen Grad unseres herzlichen Bedauerns wert sein, und so, wie überhaupt jeder Gemütskranke, unser inniges Mitleid verdienen.

Wer als ganz sichtlicher Mensch durch das Übermaß irgendeines Genusses seine Gesundheit zerrüttet und so sein Leben verkürzt, ist der viel weniger ein Selbstmörder, wie es diejenigen sind, welche in ihrer Gemütskrankheit nur gewaltsamer und plötzlicher ihr Lebensziel verrücken?

Warum sagt man also nichtsdestoweniger, hauptsächlich nur von den eigentlich sogenannten Selbstmördern, dass sie die Macht und Freiheit haben, aus dem Tod zu uns Lebenden zurückzukehren und uns durch ihre Wiedererscheinung allerlei unnütze Angst und gefährlichen Schrecken einzujagen? Wird nicht ihr ohnmächtiger Leichnam so gut von Würmern verzehrt, wie jeder andere?

Zu diesen Fragen veranlasst mich unter anderen auch der vorhin genannte General, den viele auf seinem ehemaligen Gut Jerchel zu einer Zeit noch wollten gesehen haben, da seine irdische Hütte schon zu Staub und Asche vermodert war.

Herr Prediger Löwel zu Jerchel, ein entschlossener Mann und verdienstvoller Volkslehrer -hatte kaum von den spukhaften Erscheinungen des verstorbenen Generals gehört, so forschte er genau nach, was etwa scheinbar Wahres an diesem Vorgeben sei und wie dieses Gerede entstanden sein konnte. Das Jerchelsche adlige Gut, welches ein General von Knobelsdorf, der nicht hier wohnte, geerbt hatte, wurde damals von einem Verwalter namens Kolberg bewirtschaftet. Dieser bewohnte eine, dem nachher abgebrannten Hauptgebäude gegenüber gelegene Wohnung und erzählte dem Prediger umständlich, dass man innerhalb des einen Zimmers im Hauptgebäude den General von Schenkendorf unverrückt am Fenster habe stehen sehen, und dass sich diese Erscheinung schon oft und jedes Mal des Abends da habe sehen lassen. Man wollte den General deutlich erkannt haben. Jedoch waren alle, die ihn zu sehen glaubten, in einer gewissen Entfernung von dem spukenden Fenster furchtsam stehen geblieben. Herr Prediger L. bestellte, dass man ihn geschwind rufen möchte, sobald sich der General wieder sehen lassen würde. Er hatte bei sich beschlossen, dem Gespenst bei dessen nächster Wiedererscheinung näher ins Auge zu schauen.

Schon am nächstfolgenden Abend rief man ihn. Er kam, sah und stutzte. Auch er erblickte innerhalb des einen Zimmers an dem nicht geöffneten Fenster jenes Etwas, welches die Leute bisher in Furcht gesetzt hatte. Er ging entschlossen, jedoch mit der in solchen Fällen allemal nötigen Vorsicht auf die Erscheinung zu. Je näher er dem Fenster kam, um so undeutlicher wurde die Erscheinung. Es war, als ob sie sich vom Fenster tiefer in das Zimmer zurückzöge, um sich den Untersuchungen des Predigers zu entziehen. Als dieser endlich bis dicht an das Fenster vorgedrungen war, verschwand die Erscheinung gänzlich. Er bemühte sich, durch die Fenster im Spukzimmer vielleicht irgendeinen Betrüger zu entdecken, der im Namen des Verstorbenen die leichtgläubigen Lebenden zum Besten habe. Allein das Zimmer war ohne Licht, und daher zu finster, als dass er dergleichen hatte gewahr werden können.

Er ging nun zurück zu den furchtsamen Gespenstersehern, welche in einiger Entfernung erwartungsvoll dastanden und ihm entgegenriefen: »Nun, Herr Prediger, jetzt sind Sie doch gewiss mit eigenen Augen, und noch dazu so ganz in der Nähe überzeugt worden, dass er es ist?«

Der Prediger antwortete, dass er noch nicht so genau in Erfahrung gebracht habe, wer dieser eigentlich sei, weil sich der wahrscheinliche Betrüger nach und nach vom Fenster in das finstere Zimmer zurückgezogen habe und zuletzt ganz unsichtbar geworden sei.

Die Zuschauer wollten diesen letzten Umstand genauer wissen und meinten, das sei nicht möglich, denn sie hätten deutlich gesehen, dass der General länger als einer Viertelstunde nicht von der Stelle gewichen sei.

»Sehen Sie doch nur«, riefen alle, »da steht er ja noch immer unverrückt, und gerade so stand er auch da, wie Sie den Kopf dicht an das Fenster hielten. Wir dachten, wäre das Glas nicht dazwischen gewesen, Sie müssten ihn berührt haben.«

Der Prediger sah jetzt wirklich die vorige Erscheinung wieder ganz deutlich. Er ging nun abermals mit raschen Schritten auf sie zu. Sie verschwand wiederum vor seinen Augen, und dieses Mal in eben dem Maße schneller, in welchem er sich schneller dem Fenster näherte. Jetzt fing er schon an, die wahre Ursache der Erscheinung zu ahnden. Er rief deshalb mehrere Zuschauer jedoch nicht alle – zu sich an das Fenster heran, um auch sie zu überzeugen, dass man die Erscheinung wirklich nicht bemerke, wenn man ganz nahe am Fenster stehe. Hierauf ging er mit ihnen zu den übrigen entfernten Zuschauern zurück, welche abermals aussagten, wie vorhin, dass der General die ganze Zeit über nicht vom Fenster gewichen sei.

»Gut«, sagte der Prediger, »so will ich nun versuchen, ob ich ihn werde zum Verschwinden bringen können. Einige von euch mögen mich in die Verwalterstube begleiten, die Übrigen können hier unverrückt stehen bleiben, um die Erscheinung ferner zu beobachten. Merket wohl auf, ob sie nicht verschwinden wird, sobald ich in dem Zimmer des Verwalters werde angekommen sein.«

So wie er mit seinen Begleitern in dieses Zimmer getreten war, nahm er das darin brennende Licht vom Tisch weg und setzte es hinter den Ofen, sodass es seine Strahlen nicht mehr zu dem Spukfenster hinwerfen konnte, und – weg war das vermeinte Gespenst.

Er fragte darauf die auf dem Hof stehenden, höchst verwunderten Zuschauer, ob er den sogenannten General wieder herzitieren solle. Sie bejahten es schüchtern. Er ging in die Verwalterstube zurück, setzte das hinter dem Ofen stehende Licht genau wieder auf den Fleck des nämlichen Tisches, worauf es vorhin gestanden hatte – und siehe, die Erscheinung am Fenster des Spukzimmers war wieder sichtbar. Alle gingen nun mit dem Prediger auf die Erscheinung los, und alle sahen, dass sie nach und nach verschwand, je näher sie dem Fenster kamen.

Der Prediger wiederholte nun die Versuche mit dem Wegnehmen und Wiederhinsetzen des Lichts in Gegenwart aller, welche sich bisher vor dem bloßen Blendwerk dieses Lichts und der Fensterscheiben gefürchtet hatten, und belehrte sie über den wahren Zusammenhang der Sache.

»Die Erscheinung«, sagte er, »welche ihr bisher für den verstorbenen General gehalten habt, rührt weder von diesem noch von irgendeinem in dem Spukzimmer verborgenen Betrüger her, obwohl ich das Letzte am Anfang selbst glaubte. Es ist das, was die Gelehrten einen optischen Betrug zu nennen pflegen. Das heißt, ein Blendwerk, welches die sich brechenden Strahlen irgendeines Lichtes veranlassen. Hier fallen die Strahlen von dem Licht in des Verwalters Stube zu dem Spukfenster, wo sie, gebrochen, gerade in die Gegend hin zurückgeworfen werden, wo ihr standet und die Gestalt eines Menschen zu sehen glaubtet. Diese Scheingestalt rührt von der ungewöhnlichen Beschaffenheit des Glases her, welches den Lichtschimmer zurückwirft. Dass nicht alle Glasscheiben, auf welchen sich die Lichtstrahlen brechen, jene betrügerische Gestalt zurückwerfen, die ihr den General nennt, kommt daher, weil zufälligerweise nicht alles Glas die eigentümliche Beschaffenheit hat, welche dazu erforderlich ist.«

Die Leute sahen nun wohl, dass es mit der Erscheinung der Truggestalt ganz natürlich zuging, und waren froh, dass ihr guter Prediger sie von der eitlen Furcht vor dem vermoderten General befreit hatte.

Indessen warf einer von ihnen nachdenkend noch die Frage auf: »Aber warum hat denn keiner von uns schon vor dem Tod des Generals die Erscheinung am Fenster bemerkt, ungeachtet auch damals schon oft Licht in des Verwalters Stube brannte?«

»Ich will es euch sagen«, antwortete ihm der Prediger, »weil ihr damals noch nicht daran dachtet, dass der General wegen der Art und Weise, wie er gestorben ist, spuken würde.«

Der Zweifelnde schien anfangs mit dieser treffenden Antwort zufrieden zu sein. Indessen veranlasste sie doch bald ein neues Aber.

»Aber dann müssten wir«, fuhr er fort, »wenigstens von der Zeit an, wo wir die Todesart des Generals erfuhren, seine Erscheinung alle Abende bemerkt haben?«

»Auch diesen Zweifel will ich euch lösen«, erwiderte der Prediger. »Jener betrügerische Widerschein des Lichtes kann nur dann sichtbar werden, wenn das brennende Licht gerade auf diesem Fleck hier steht, wo es jedes Mal stand, so oft wir es spuken sahen. Jetzt will ich dasselbe einmal dort auf den Tisch im Winkel oder hier, auf den kleinen Tisch der Spiegelwand setzen, und ihr werdet in beiden Fällen keine Erscheinung am Fenster gewahr werden.«

Sie gingen, prüften und fanden, dass sich alles genau so verhielt, wie ihnen der Prediger vorhergesagt hatte. Jetzt dankten sie ihm aufrichtig für seine Bemühungen, denn sie waren gründlich überzeugt und vollkommen beruhigt.