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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 4.1

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 4.1
Don Cornelio glaubt seinen Kopf verloren zu haben

Wenn der Leser mit einigem Interesse den Irrfahrten des Hauptmanns Don Cornelio Lantejas gefolgt ist, so wird er sich zuerst nach zwei Dingen fragen, und zwar erstens, ob es wirklich der Kopf Don Cornelios war, der nach der Aussage Gaspachos am Tor der Hazienda del Valle zur Schau ausgestellt, und dann zweitens, wenn es nur der Kopf eines ebenso Genannten, was aus ihm seit seiner Abreise aus dem Lager des Generals Morelos vor Huajapam geworden war.

Wir haben unterlassen, die Anwesenheit Don Cornelios an den Ufern der Ostuta gleichzeitig mit der Don Rafaels, Don Marianos und seiner Tochter anzuführen, und zwar aus dem Grund, weil er, indem er einige Stunden nach den angeführten Personen aufgebrochen war, nicht gut denselben Weg in einer kürzeren Zeit, als sie hatte zurücklegen können.

Der Nachmittag desselben Tages, an dem Don Rafael auf so merkwürdige Weise den Nachstellungen seiner Verfolger entgangen war, und zwar ungefähr um dieselbe Zeit, als dieser eine Zuflucht in dem Bambusdickicht gefunden hatte, kam der Ex-Student der Theologie in Begleitung Costals und Claras auf einem entgegengesetzten Weg an und hielt in geringer Entfernung von der Hazienda del Valle.

Während ihre abgezäumten Pferde grasten, entfernte sich Costal kurz, um Erkundigungen einzuziehen, was in der Umgegend passiere. Clara seinerseits röstete einige noch grüne Maisähren und einige Stücke an der Sonne getrockneten Fleisches, das er aus seinem Reisesack genommen hatte, über einem Feuer. Der Hauptmann war dabei, dem Schwarzen eine gute Regel zu geben, auf die er ganz besonderes Gewicht zu legen schien.

»Hört, Carla«, sagte er, »wir sind mit einer Mission beauftragt, welche die allergrößte Vorsicht erfordert. Ich lasse die ziemlich Gefährliche, dem Hauptmann Arroyo die Drohungen des Generals auszurichten, ganz aus dem Spiel und deute nur die an, uns in Oajaca einzuschmuggeln. Dort machen die Spanier nicht mehr Federlesens mit einem Insurgentenkopf, als mit einer Ähre, wie Ihr sie da röstet. Legt daher, darum bitte ich Euch, diese hässliche Gewohnheit ab, mich bei meinem Namen Lantejas zu nennen, der mir bis jetzt nur zu viel Unglück auf den Hals gezogen hat. Unter dem Namen Lantejas bin ich gerichtet und ich bin von jetzt ab für Euch und Costal nur noch Don Lucas Alacuesta. Dieser letztere Name ist mein Name mütterlicherseits und er hat eben soviel Wert wie jeder andere.«

»Gut, Capitano«, entgegnete Clara, »ich werde Eure Befehle nicht vergessen, selbst wenn ich den Kopf unter dem Beil des Henkers hätte.«

»Ich rechne darauf. Jetzt könnt Ihr mir, während wir die Rückkehr Costals erwarten, einige Stücke Rostbraten vorlegen, der mir gerade gut zu sein scheint, denn ich sterbe vor Hunger.«

»Ich auch«, fügte der Schwarze hinzu.

Clara breitete nun vor dem Hauptmann eine Steppdecke, die gewöhnlich unter den Sattel gelegt wurde, als Tischtuch aus und legte, in die Blätter der Maisähren gewickelt, Stücke eines Rostbratens vor, die das Mittagsessen Don Cornelios ausmachen sollten.

Nachdem dies geschehen war, setzte sich der Dunkelhäutige mit gekreuzten Beinen zur Seite der halb ausgebrannten Holzscheite nieder, aus deren Mitte er mit einem Eifer, welcher der Portion Costals verhängnisvoll zu werden drohte, den Restbestand des Fleisches, der sich noch vorfand, mit seinem Messer herausfischte.

»Wenn Ihr so im Zug bleibt«, sagte der Hauptmann, »hat Euer Kamerad wenig zu speisen.«

»Costal wird vor Morgen nichts essen«, entgegnete Clara ernst.

»Das glaube ich sehr gern, er wird nichts mehr finden«, sagte Don Cornelio.

»Deshalb nicht, Señor Capitano, wir haben heute den dritten Tag nach der Sommersonnenwende und zugleich Vollmond. Das ist der Grund, weshalb Costal nichts essen wird. Er will sich durch Fasten darauf vorbereiten, mit seinen Göttern zu sprechen.«

»Unglücklicher Narr, der du an die Heidenfabeln Costals glaubst!«, rief Lantejas.

»Ich habe gelernt, daran zu glauben«, erwiderte der Neger. »Der Gott der Christen wohnt im Himmel, die Götter Costals im See Ostuta. Jlaloc, der Gott der Berge, wohnt auf dem Gipfel des Monapostiac und Matlacueze, seine Gemahlin, die Göttin dieser Gewässer, badet sich in dem See, der den bezauberten Berg umgibt. Der Vollmond nach der Sommersonnenwende ist die Mondperiode, in der sie alle beide dem Abkömmling der Kaziken von Tehuantepec erscheinen, der das fünfzigste Jahr überschritten hat. Diesen Abend werden Costal und ich hingehen, sie zu beschwören.«

Als der Hauptmann den Mund öffnete, um den Versuch zu machen, Clara auf vernünftigere Gedanken zu bringen, kam Costal, der Zapoteke, der letzte Nachkomme des Kaziken von Tehuantepec, zurück.

»Nun, Costal«, fragte er, »sind unsere Erkundigungen richtig und hat Arroyo wirklich sein Lager an den Ufern der Ostuta aufgeschlagen?«

»Das ist die lautere Wahrheit«, erwiderte der Indianer. »Jemand aus meiner Bekanntschaft und meinem Volk hat mir gesagt, dass Bocadro und er die Furt des Flusses versperren. Ihr könnt also diesen Abend ihm Eure Botschaft überbringen, dann werdet Ihr uns, mir nämlich und Clara, die Erlaubnis geben, die Nacht am Ufer des heiligen Sees zubringen zu dürfen.

»Hm! So nahe sind sie?«, fragte der Hauptmann gedehnt und mit einem gewissen Gefühl der Unbehaglichkeit, das ihn plötzlich behinderte, seine Mittagsmahlzeit zu vollenden.

»Ja und begieriger als jemals, der eine nach Blut, der andere nach Beute«, entgegnete Costal in einem Ton, der wenig geeignet war, Don Cornelio zu beruhigen.

Zum Teufel mit der Mission!, fluchte er zu sich im Grund seines Herzens, laut sprach er: »Wir müssen uns also nach der Furt der Ostuta wenden?«

»Wenn es Euer Gnaden beliebt.«

»Wir haben noch Zeit. Ich hege den Wunsch, mich hier einige Stunden auszuruhen. Was habt Ihr von Eurem früheren Herrn Don Mariano Silva gehört?«

»Er hat schon seit langer Zeit die Hazienda las Palmas verlassen und sich nach Oajaca zurückgezogen. Die Hazienda del Valle hält aber noch eine spanische Garnison besetzt.«

»So sind wir also auf allen Seiten von Feinden umgeben!«, rief der Hauptmann.

»Arroyo und Bocadro können doch keine Feinde sein für einen Offizier, der ihnen Depeschen vom großen Morelos überbringt«, sagte Costal. »Dann sind aber Euer Gnaden, Clara und ich keineswegs die Leute, die sich von Banditen einschüchtern lassen.«

»Das ist richtig – gewiss – inzwischen, mir wäre es lieber – Ah! Wer ist der Reiter, der mit dem Karabiner in der Hand auf uns zu sprengt?«

»Wenn man vom Diener auf den Herrn schließen kann und dieser Reiter in irgendjemandes Dienst steht, muss dieser jemand einer der größten Schurken sein, die ich kenne.«

Mit diesen Worten streckte Costal die Hand nach seinem alten Karabiner aus, den wir schon kennen und der unter fünf Malen nur ein Mal versagte.

Der Reiter, der durch sein Aussehen ein so schlechtes Urteil über seinen Herrn hervorgerufen hatte, war in der Tat kein anderer als Gaspacho, derselbe, der Arroyo die Neuigkeiten der Hazienda del Valle berichten kam.

Der Schurke benahm sich wie im Feindesland und wandte sich an den Hauptmann, den er in seiner Eigenschaft als Weißen für den allein beachtenswerten Mann von den dreien hielt.

»Sagt, Freundchen!«, redete er ihn an, ohne es der Mühe wertzuhalten, die Hand an den Hut zu legen.

»Freund!«, rief Costal, dem die Physiognomie plötzlich noch mehr missfiel, als seine rücksichtslose Anrede, »ein Hauptmann der Armee des Generals Morelos ist nicht der Freund eines solchen Kerls wie du.«

»Was sagt dieses unvernünftige Vieh von einem Indianer?«, erwiderte Gaspacho mit einer Miene der tiefsten Verachtung.

Die vor Zorn flammenden Augen Costals verkündeten Gaspacho eine schreckliche Strafe, als Don Cornelio sich eifrig ins Mittel legte.

»Was wollt Ihr?«, fragte er den Soldaten Arroyos.

»Ich will wissen«, antwortete der Reiter, »um meinem Freund Perico, der die Ebene nach allen Richtungen hin durchsucht, eine Gefälligkeit zu erweisen, ob Ihr nicht irgendwo den Schurken Juan el Zapote in Begleitung seines Gevatters Gaspar gesehen habt?«

»Ich habe weder Juan el Zapote noch seinen Gevatter gesehen.«

»Dann wird Perico, der sie vorbeigelassen hat, anstatt sie festzuhalten, ein schlimmes Viertelstündchen durchzumachen haben, wenn er vor dem Hauptmann Arroyo erscheint.«

»Ah, Ihr steht in seinen Diensten?«

»Ich habe die Ehre.«

»Ihr könnt mir dann auch sagen, und ich bitte Euch darum, wo ich ihn treffen kann«, sagte Don Cornelio.

»Wer weiß? An den Ufern der Furt der Ostuta vielleicht, und wenn er da nicht ist, so ist er anderswo, vielleicht in der Hazienda San Carlos zum Beispiel.«

»Gehört die Hazienda nicht den Spaniern?«, warf der Hauptmann ein.

»Dann irre ich mich vielleicht«, erwiderte Gaspacho ironisch. »Jedenfalls aber, wenn Ihr den Hauptmann sehen wollt, was mich übrigens Wunder nimmt, müsst Ihr die Furt passieren und dann mit dem zufrieden sein, was Euch zustößt. Ei! Ihr habt ja da einen prächtigen gestickten Dolman (Husarenjacke), meiner Treu, ausgezeichnet! Er ist ein wenig zu weit für Euch, für mich würde er gerade passend sein.«

Mit diesen Worten gab der Bandit seinem Pferd die Sporen und sprengte davon, indem er den Hauptmann in dem unangenehmen Eindruck, den seine zweideutigen Antworten und seine Bewunderung für den Dolman hervorgerufen hatten, zurückließ.

»Mir scheint es, dass wir uns hier in einer eben nicht beneidenswerten Lage befinden, mein lieber Costal«, sagte Don Cornelio. »Ihr seht selbst, wie viel Notiz der Schurke von einem Offizier Morelos’ zu nehmen scheint. Sein Dienstherr wird noch weniger davon nehmen. Dann aber, um die Furt zu durchwaten, müssen wir dicht an der Hazienda del Valle vorüber. Wir werden deshalb vorsichtig sein und die Nacht abwarten, ehe wir unseren Steg weiter fortsetzen können.

»Die Vorsicht ist noch nie ein schlechter Lotse des Mutes gewesen«, erwiderte Costal mit salbungsvollem Ton. »Wir tun, was Ihr wünscht, und gehen mit der größten Vorsicht weiter, damit wir weder in die Hände der Spanier fallen, was mich auch einen Tag in meinem Leben verlieren lassen würde, der sich mir nie wieder bietet, noch in die dieser Marodeure Arroyos, ohne vielleicht zu ihm selbst gelangen zu können. Verlasst Euch auf meine Führung. Ihr wisst, dass ich Euch niemals lange in einer üblen Lage gelassen habe.«

»Ihr seid meine Vorsehung!«, rief der Hauptmann. »Ich werde das nie leugnen.«

»Schon gut, schon gut! Das, was ich für Euch getan habe, ist kaum der Rede wert. Wir würden bald gut tun, bis zur Nacht zu schlafen, wenigstens Clara und ich, denn sobald es Abend geworden ist, werden wir beide kein Auge mehr schließen.«

»Ich bin Eurer Ansicht«, fügte Clara hinzu.

Da die Sonne noch sehr heiß brannte, so streckten sich der Indianer und der Schwarze einige Schritte von einem benachbarten Bach unter dem dürftigen Dach einer Gruppe Palmen nieder und beide fielen mit der Gleichgültigkeit gegen die Gefahr, die ein abenteuerliches Leben verleiht, in einen tiefen Schlaf, in dem es Clara gelang, im Traum die Sirene zu fangen, die ihm nun den Fundort unerschöpflicher Perlenbänke anzeigte.

Den Hauptmann Lantejas dagegen hielt seine Besorgnis wegen der Zukunft wach, indessen ahmte er dem Beispiel seiner Reisegefährten nach, obwohl nicht ohne manchen erfolglosen Versuch.

Während diese schlummern, kehren wir zu Don Mariano und seiner Tochter zurück.