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Die Tauscher 11

die-tauscherDr. Uwe Krause
Die Tauscher Teil 11

Florian verließ das Taxi genau dort, wo er eingestiegen war.

Im Café herrschte noch immer dieselbe ruhige, duftgeschwängerte Atmosphäre, als hätte Florian einen anderen Planeten betreten. Fräulein Levinsohn saß am Tisch, als wäre gerade eine halbe Minute vergangen. Sie blätterte in einer Illustrierten. Sie sah seltsam zart und verletzlich aus, wie sie sich über die Hochglanzseiten beugte – mit ihrer immer noch zu großen, aber irgendwie doch hübschen Nase und diesem niedlichen kleinen Strohhut auf dem Kopf. Als er auf sie zuging, empfand Silwester Hammerstain Freude darüber, dass sie auf ihn gewartet hatte und noch mehr Freude, dass er sich jetzt zu ihr setzen konnte.

»Schön, dass Sie noch hier sind«, lächelte Florian Fräulein Levinsohn an.

»Schön, dass Sie wieder da sind, dann können Sie ja den Kellner rufen, damit er mir die Wurzeln abschneidet, die ich inzwischen geschlagen habe.«

Die Levinsohn sagte es mit einem Blick auf die Illustrierte. Dann erst schaute sie auf und erhaschte den Rest des Lächelns, den Hammerstain aus seinem Gesicht entfernte.

Ihre Augen wurden groß.

»Sie haben das wirklich so gemeint«, staunte sie, um dann zu stottern. »Sie waren nett.«

»Es war ein Versuch.«

»Und ich habe es vermasselt.« Fräulein Levinsohn bis sich auf die Unterlippe und wandte sich zum Fenster.

»Eindeutig«, bestätigte Florian und schaffte es, nicht boshaft zu grinsen. Fräulein Levinsohn starrte aus dem Fenster, während sich Florian noch einen weiteren Kakao mit einer Extraportion Schlagsahne genehmigte.

»Können wir?«, fragte er dann.

Sara Levinsohn fuhr herum und winkte der Bedienung. Als sie aufstand, sagte sie: »Ich arbeite auch dran.«

Sie klemmte sich ihre Tasche unter den Arm. »Ich bin nämlich lernfähig«, erklärte sie mit Würde, »das unterscheidet Frauen von Männern und ganz bestimmt mich von Ihnen.«

Sie rauschte an ihm vorbei, eindeutig in übelster Stimmung. Nach einigen Schritten blieb sie stehen und kam wieder zurück. Florian starrte auf das Bild der Illustrierten, die Fräulein Levinsohn aufgeschlagen auf dem Tisch zurückgelassen hatte.

Das Foto hatte auf ihn die Wirkung von Eiswasser. Dieses Gesicht, das die ganze Seite einnahm. Diese schmale Gesicht mit der spitzen Nase, diese Haarsträhne in der Stirn, dieser komische kleine Bart über dem weit aufgerissenen Mund, diese fanatisch glitzernden Augen … für einen Augenblick überkam Florian das Bedürfnis zu schreien und auf den Boden zu stampfen, aus Ärger, weil er nicht wusste, wer dieser Mann war.

Der Titel auf der anderen Seite lautete Abgeführt.

Fräulein Levinsohn stellte sich neben ihn, ihre Schulter berührte seine.

»Wer ist das?«

Sara Levinsohn kicherte vergnügt.

»Den kennen Sie nicht?«

»Würde ich sonst fragen?«

»Verzeihung, die Droge«, murmelte die Levinsohn entschuldigend. Dann fuhr sie fort: »Adolf Hüttner. Der Schriftsteller. Der mit der Schimmernder Stahl-Trilogie.«

»Scheint eine große Nummer zu sein.«

»Zumindest kann er sich verkaufen«, sagte Fräulein Levinsohn etwas verächtlich, »aber er ist ein Doofmann. Wie hießen die Schinken noch mal? Genau – Schimmernder Stahl des Menschen, Schimmernder Stahl des Reiches, Schimmernder Stahl der Zukunft. So war´s. Die SS-Trilogie, wie seine Anhänger immer sagen«, resümierte Sara Levinsohn zufrieden.

Florian riss sich von dem Foto los, weil andere Gäste an den Tisch wollten und die Bedienung dezent hüstelte.

»Klingt alles ziemlich schwülstig«, sagte Florian, als er neben Fräulein Levinsohn die Treppe hinunterstieg.

»Übelster Schund. Schwülstiger Stil, hirnloser Inhalt, ziemlich frauenfeindlich sowieso, aber enorm erfolgreich. Es gibt inzwischen Vereine von Hüttner-Freunden und manche schneidern sich Uniformen, wie sie in den Schwarten beschrieben werden und stolzieren damit auf Treffen herum.«

Fräulein Levinsohn bewegte abwägend den Kopf. »Obwohl man sagen muss, diese schwarzen Uniformen haben tatsächlich was. Nicht dieser bunte Kram, den das Militär hat. Einfaches edles Schwarz, hat was.«

Florian hielt Fräulein Levinsohn die Tür auf. Er bemerkte, dass ihr zwei oder drei Männer mit den Blicken gefolgt waren.

»Was schreibt er denn nun wirklich?«, fragte er ungeduldig, als er sich im Strom der Passanten wieder an die Seite seiner Begleiterin geschoben hatte.

»Glauben Sie etwa, ich würde diesen Krampf lesen? Hüttner hat genügend Leser, da muss ich nicht dabei sein«, antwortete sie pikiert, als wäre die Frage unanständig. Dann rieb sie sich überlegend die Nase. »Also nach allem, was man so hört, ist es phantastische Literatur, Zukunftsromane. Alles durcheinander und ein bisschen Wissenschaft und ein Hauch Philosophie, damit die werten Leser nicht merken, dass sie doof sind, wenn sie ihre Zeit mit diesem Kram verplempern. Es gab sogar einige Prozesse. Meistens haben Frauenrechtlerinnen geklagt, die Sorte, die nur auf eine Gelegenheit lauert, um sich beleidigt zu fühlen.«

»Haben sie Anlass dafür?«

»Nun ja, in Hüttners Romanwelt sind Frauen dazu da, um dem Volk Helden zu schenken und wenn es dazu nicht langt, dann wenigstens ein paar Gebärautomaten. Und die Helden ziehen in den Krieg oder erobern fremde Welten im All, denn sie brauchen Platz und außerdem ist Frieden sowieso dekadent und langweilig und verantwortlich dafür, dass es viel zu viele Krüppel und Feiglinge im Reich gibt.«

»Ziemlich starker Tobak«, meine Florian.

»Nun ja, er schmückt die Dinge hübsch aus. Er ist halt ein Poet im Reich der Groschenromane. Abenteuer, männliche Bewährung, Kampf, Technik, Krieg und Sieg,«, sagte die Levinsohn, »ich glaube, einen Prozess gab es, weil er allzu lebendig beschrieben hat, wie Eltern ihre schwächlichen Kinder umbringen und es gibt irgendein Forum, das bestimmt, ob Kinder weiterleben dürfen. Und am Ende des Romans stirbt die Hauptperson immer, aber es ist ein Heldentod und bevor er abtritt, sagt er noch irgendwelche heldenhaften Sätze, die die anderen zum heldenhaften Weiterkämpfen animieren. Ein kranker Spinner eben.«

»Und trotzdem hat er Erfolg.«

»Ja, er ist der König der Wirrköpfe. Er füllt jede Halle mit seinen Lesungen, seine Anhänger nennen ihn Führer.«

»Moment mal, er macht Lesungen?«

Fräulein Levinsohn schaute Florian erstaunt an. »Natürlich, das machen doch alle Autoren. Aber bei Hüttner muss das wohl ein Ereignis sein. Er zieht dann alle Register und gestikuliert und schreit und brüllt. Ein echter Knaller. Außerdem kommt er aus dem Altreich. Er muss so ein komisches rollendes R haben. In jedem Kabarett in der Stadt wird das nachgemacht.«

»Und was bedeutete diese Überschrift. Ich meine Abgeführt?«, hakte Florian nach.

»Nun, zur größten Begeisterung aller Menschen mit so etwas wie Geschmack und Verstand hat Hüttner jetzt vollends durchgedreht. Es gab da irgendeinen Selbstmord einer Frau, mit der er zusammenlebte, dann hat er sich mit Leuten aus seinem Poetenzirkel gekeilt, dass die Polizei einschreiten musste. Und zuletzt stürmte er mit einem Hammer bewaffnet gegen das Rathaus an, um es abzureißen, weil es ein Symbol der Dekadenz, der Schwäche und des Niedergangs ist. Als man ihn von seiner Abrissarbeit abhalten wollte, wurde er gewalttätig und dann hatte er einen Nervenzusammenbruch. Und so verschwand Adolf Hüttner aus der Öffentlichkeit«, schloss die Levinsohn ihren Bericht und kicherte vergnügt in sich hinein.

Florian schwieg und konzentrierte sich darauf, den entgegenkommenden Passanten auszuweichen.

»Einen Groschen für Ihre Gedanken«, versprach Fräulein Levinsohn.

»Nun ja«, erklärte Florian, »nehmen wir mal an, Hüttner ist dasselbe passiert wie dem Boxer Kuszinsky. Nur mal als Hypothese – da ist einer, der hat Erfolg. Dann sorgt er selbst dafür, dass er nach unten durchrauscht. Und verschwindet von der Bildfläche.«

»Sie meinen doch nicht ernsthaft, dass dieser elende Schreiberling und dieser Faustkämpfer in dasselbe Institut eingeliefert werden?«

»Warum nicht? Möglich wäre es doch.« Florian war nun selbst von der Möglichkeit überzeugt. Er räusperte sich. »Sie haben doch eine gute Bekannte in der Verlagsbranche.«

Fräulein Levinsohn nickte überrascht. »Woher wissen Sie das?«, fragte sie kritisch.

»Sie haben es mir selbst gesagt.«

»Ich soll Ihnen solche Dinge aus meinem Privatleben erzählt haben«, sagte Fräulein Levinsohn erschrocken, »schlimm. Und Sie können sich außerdem an etwas erinnern, was ich Ihnen gesagt habe, das kommt sonst fast nie vor.«

»Vielleicht eine Nebenwirkung der Droge. Oder nachlassende Wirkung, ich weiß es doch auch nicht.«

»Wie dem auch sei«, unterbrach ihn Fräulein Levinsohn energisch, »Sie glauben also, dass Hüttners Verleger weiß, wo er sich aufhält und dass ich über meine Freundin in dem anderen Verlag …kann sein. Wenn Hüttner seine Schmachtfetzen vor Publikum vorträgt und Eintritt nimmt, dann hat sein Verleger sicherlich auch was damit zu tun.«

Nach einer Weile verkündete sie: »Ich kümmere mich drum.«

Sie wandte sich wieder Hammerstain zu. »Und was hat Sie in die Nachbarschaft der Kupferhütte geführt?«

Florian wollte erstaunt eine Frage stellen, aber sie kam ihm zuvor und deutete nach unten. Die ehemals weißen Kappen seiner braun-weißen Lederschuhe waren unübersehbar kupferrot.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Florian, »es sieht so aus, als wäre diese ganze Einbruchsserie nur eine Finte gewesen, um den Einbruch bei Hassel als Teil eben dieser Serie erscheinen zu lassen. Und dann sollte es so aussehen, als ob die Täter, nachdem es einen Toten gegeben hat, fluchtartig die Stadt verlassen hätten.«

»Aber so war es nicht?«

»So könnte es gewesen sein. Aber ich glaube, es ging die ganze Zeit nur um einen einzigen Gegenstand. Offensichtlich brachten sie Hassel dazu, ihnen zu sagen, wo der gesuchte Gegenstand zu finden war. Sie fanden ihn, erst dann, bevor sie flohen, töteten sie Hassel.«

»Warum?«

»Weiß ich ´s«, grunzte Florian, »aber die nächstliegende Erklärung ist, sie wollten die Spur zwischen sich und diesem Gegenstand verwischen. Die gesamte Beute war uninteressant, es sollte nur schwerer sein, festzustellen, was fehlte. Es kam nur auf diese eine Sache an und Hassel wurde getötet, damit er niemandem erzählen konnte, dass sie hinter diesem Ding her waren und es mitnahmen!«

»Und was war es?«

»Keine Ahnung. Sie trugen es in einem Behälter, viereckig und flach, mehr wusste mein Informant nicht.«

»Ein Gemälde. Oder ein Buch. Oder Dokumente. Es könnten auch Aktien gewesen sein«, überlegte Fräulein Levinsohn. Dann druckste sie herum.

»Was ist?«, fragte Florian ungeduldig.

»Nun, es ist nur so, dass meine Frage eben rhetorisch war.«

»Wie bitte?«, schnappte Florian, »welche Frage?«

»Nach Ihren Ergebnissen. Sie haben mich nie irgendetwas von Ihren Fällen wissen lassen. Und jetzt … aber bitte«, Fräulein Levinsohn hob abwehrend die Hände, »ich beklage mich nicht. Ich finde es gut. Es ist nur etwas verwirrend. Genau wie Ihr Verzicht auf Drogen, Flüche und Unhöflichkeit.«

»Noch was?«, raunzte Florian.

»Ich weiß nicht, was die Ihnen in das Glas geschüttet haben, aber wenn ich es wüsste, würde ich es in Massen produzieren und an geplagte Mädchen und Frauen verkaufen. Womit ich mich endlich in die stolze Tradition der Levinsohn einreihen und Geld scheffeln könnte.«

Kurz darauf bog Fräulein Levinsohn in eine enge Straße ein, die zwischen Bürohochhäuser geklemmt war. Hier befand sich der Verlag, in dem ihre Freundin arbeitete. Florian wurde dazu verdonnert, sich zum Hotel zu begeben und auf dem Bahnhofsvorplatz auf sie zu warten. In dem Gewühl von Passanten war es äußerst unwahrscheinlich, dass ihn einer von Zuckers Leuten erkannte. Und wenn doch, dann hatte er seinen Urlaub kurz unterbrochen und wollte mit dem nächsten Zug wieder verschwinden.

Florian lief zum Bahnhof, kaufte sich eine Bahnsteigkarte und drückte sich zwischen den Reisenden herum. Irgendwann einmal wunderte er sich über die fremdsprachigen Ansagen, die er nicht verstehen konnte und vergaß die Sache dann wieder. Das beständige Dröhnen der Lautsprecherdurchsagen, das Gewimmel der Ankommenden und Abfahrenden, Gepäckträger mit ihren hochbepackten zweirädrigen Karren, dahinter die Prozession von Reisenden und Verwandten und Freunden, die schon versuchsweise heulten und die Taschentücher bereithielten. Das Zischen, Stampfen und Schnaufen der Loks, die in denselben Farben lackiert waren wie die Wagen, die sie zogen. Oder das Dröhnen der schweren Maschinen, das die Luft vibrieren ließ, wenn sie einliefen und ihre Last an Waggons bis zum Haltepunkt zerrten, wo die Leute schon aus den Fenstern hingen und Ausschau hielten oder hinter den Bastionen ihrer Koffer auf den Plattformen vor den Türen warteten. Und noch während die Bremsen quietschten, die Motoren in den Leerlauf verfielen oder Dampf heulend aus Sicherheitsventilen gegen die Hallendecke schoss, begann das Rufen, Kreischen, Schreien, Winken und Weinen. Umarmungen, Kofferschleppen, Reden, alles gegen den Lärm angebrüllt und nach drei Minuten war der Bahnsteig leer, die Schaffner knallten die Türen zu, die Rangierer sprangen auf, der Zug setzte rückwärts aus der Halle und verschwand über dem Gleisfeld und ein Lautsprecher schepperte los und verkündete die Ankunft des nächsten Zuges und schon hetzten die ersten Gepäckträger und brachten Koffergebirge in Position.

Für eine ganze Weile wirkte das Getümmel und Getöse anregend auf Florian. Dann merkte er, dass sein Kopf zu dröhnen begann und er verließ den Bahnhof und suchte sich eine freie Bank mit Blick auf die Zufahrt. Die Unruhe und Hektik des Bahnhofs schien sich auf ihn übertragen zu haben. Er merkte es geradezu körperlich. Da war das Bedürfnis zu rennen, durch die Stadt zu laufen und irgendetwas zu erledigen. Aber was? Er kannte seine nächsten Aufgaben, aber dahinter war noch etwas. Es lag verborgen und ließ sich nicht berühren, aber es war da. Und es quälte ihn und bohrte in seinem Kopf, genauso wie die unverständlichen russischen Lautsprecherdurchsagen aus der Bahnhofshalle Hammerstain wie Stromstöße schmerzten.

Zur Ablenkung schlenderte er zu einem Schuhputzerjungen hinüber, der seine Bürsten und Schachteln auf einer Treppe ausgebreitet hatte. Florian bekam ein Sitzkissen und nahm auf einer Stufe Platz. Der Junge stürzte sich auf die Arbeit, nachdem er erklärt hatte, dass diese Verschmutzung eine Sonderzulage notwendig mache.

Florian grunzte Zustimmung und beobachtete den Vorplatz. Eine Doppelstreife Polizei mit einem Hund schlenderte vorbei, die Daumen hinter das Koppel geklemmt. An der einen Seite hing ein Säbel neben einem Schlagstock, auf der anderen war die Tasche mit einer schweren Pistole zu erkennen. Die Beamten grüßten hier und da, halfen einem Mütterchen, den schweren Koffer zu tragen, scheuchten einen Betrunkenen von einer Bank auf und verschwanden hinter dem Seitenflügel. Von Zeit zu Zeit glitt der Schatten eines Luftschiffes oder eines Flugzeugs über die Umgebung, versetzte die Tauben in aufflatternde Panik und war im nächsten Moment verschwunden, während der Taubenschwarm noch über dem Hotel kreiste.

Ein heiseres Röhren mischte sich in das Tosen des Verkehrs. Es war ein Motorengeräusch, aber anders als das Knattern, Heulen, Wummern und Dröhnen, das sonst den Klang der vorbeijagenden Fahrzeuge bestimmte. Das Geräusch kam näher.

Der Junge beendete seine Putzaktion und betrachte zuerst befriedigt sein Werk, dann ebenso befriedigt die Münze, die ihm Florian zuwarf.

Ein offener Wagen bog von der Straße in die Zufahrt zum Vorplatz ein und entpuppte sich als Verursacher des charakteristischen Röhrens.

»Oh Mann, ein Düsenthal, dass ich das noch erleben darf«, sagte der Junge neben Florian verzückt.

Florian wollte antworten, aber dann kniff er die Augen zusammen, weil ihm die Gestalt hinter dem Lenkrad so seltsam bekannt vorkam. Fräulein Sara Levinsohn.

Florian eilte über den Platz, während die Levinsohn beim Zurückschalten den Motor röhren ließ und langsam in die gerade verlassene Haltebucht der Busse einrollte.

Ihr Wagen passte von den Abmessungen her gerade so in diese Haltebucht. Er hatte nicht allein die Größe einer Segeljacht, ein Teil der Karosserie glänzte tatsächlich im satten Braun von Tropenholz. Obwohl er riesig war, wirkte der Wagen schnittig, eine wie vom Fahrtwind geschaffene Komposition aus geschwungenen Kotflügeln, gewölbter Motorhaube und elegant auslaufendem Heck. Der Wagen bestand zu vier Fünfteln aus der Motorhaube, der Innenraum mit zwei Sitzen wirkte zwar höchst nobel, aber dennoch winzig und wie eingeklemmt. Aus der Motorhaube ragten acht armdicke, chromblitzende Rohre, die sich hinter dem Kotflügel zu vier Rohren vereinten, die wiederum unter dem Trittbrett entlang liefen, sich dem eleganten Schwung des hinteren Kotflügels anschmiegten und über dem Heck endeten, wo sie eine Wolke von blauem Rauch in die Luft bliesen.

Fräulein Levinsohn hatte ihn gesehen und winkte ihm zu. Von der Straße her bog der nächste Doppeldeckerbus ein. Florian rannte, bis er rasselnde Geräusche aus seiner Lunge vernahm. Aber da sprang er schon auf das Trittbrett und schwang sich auf den Beifahrersitz. Sara Levinsohn fuhr an, während hinter ihr der Bus mit Zentimeterabstand in die Haltestelle rauschte.

Fräulein Levinsohn raste durch die enge Abfahrt, warf einen kurzen Blick über die Schulter und jagte dann mit röhrendem Vollgas auf die Straße. Sie saß stocksteif hinter dem großen Lenkrad und umklammerte mit behandschuhten Fingern das Holz. Zwischendurch riss sie am Ganghebel, gab dröhnendes Zwischengas, rammte den Ganghebel nach vorne und der Wagen machte jedes Mal einen Sprung in die nächste Beschleunigung.

Ungeduldig wechselte sie immer wieder die Spur, beschleunigte kurzzeitig und schaltete dann zurück. Schließlich bog sie auf eine Schnellstraße ab. Florian klammerte sich an die Tür, während der Fahrtwind über die Scheibe fauchte und ihm von hinten in den Nacken sprang. Fräulein Levinsohn musste den Hals recken, um über die meterlange Motorhaube mit den vier tellergroßen Scheinwerfern die heranstürmende Straße zu erkennen. Sie schaltete weiter, der Motor steigerte sein Röhren zu einem Brüllen und Florian wünschte sich, niemals diesen Wagen gesehen zu haben. An ihm sausten die Rückseiten von Häusern vorbei, er hätte mit dem Arm die Fenster berühren können, dann kamen Gleisanlagen, Kohlenlager, Fabrikhallen.

Schließlich bog der Wagen ab und glitt gemächlich durch eine fast ländliche Gegend. Zwar standen hier die Häuser dicht an dicht, aber es waren einzelne Gebäude, die in ihrer Bauweise noch etwas Dörfliches zu haben schienen und in den Gärten wuchsen Bohnen, Erbsen und Kohl.

Fräulein Levinsohn entspannte sich ein wenig und ließ sich in ihren Sitz zurücksinken.

»Wenn Sie sich so ein Geschoss leisten können, dann haben Sie wohl doch Ihr Gehalt bekommen«, konnte sich Florian nicht zurückhalten.

Fräulein Levinsohn winkte mit ihrem schweren Lederhandschuh, der ihr bis zum Ellbogen reichte und absolut nicht zu dem Sommerkleid passte, ab. »Der Wagen gehört meinem Bruder. Ich hätte einen anderen genommen, aber nur der war frei. Außerdem ist es nicht schlecht, wenn wir uns einen guten Auftritt verschaffen in Heilenwald.«

»Heilenwald?«

Sara Levinsohn ließ ihren Zeigefinger über die Umgebung kreisen.

»Folgendes«, erklärte sie, »wir fahren zum Sanatorium Seelensonne, das unter der Leitung eines gewissen Dr. Stefan Spellberg steht. Hüttner wurde hierhin gebracht. Über das Sanatorium ist wenig bekannt, aber es wird von Prominenten gerne besucht, die Erschöpfungserscheinungen haben, Depressionen, was weiß ich. Die halt für eine Weile verschwinden, sich eventuell eine kleine Operation beim Psychochirurgen gönnen, so eine psychische Verjüngung.«

Florian merkte erst jetzt, dass sich seine Hand noch immer um einen Griff krallte. Mit Mühe löste er seine Finger und bewegte sie, um das Blut zirkulieren zu lassen.

»Das klingt, als ob diese Adresse interessant sein könnte«, bestätigte er.

»Danke, dass Sie mir sagen, was ich schon weiß«, konterte Fräulein Levinsohn spitz, »wir sind übrigens telefonisch vom Büro meines Bruders her angekündigt, weil wir sehen wollen, ob eine Tante dort untergebracht werden könnte.«