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Der Marone – Ein Onkel in Gefahr

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 15

Ein Onkel in Gefahr

»Sie scheinen große Eile zu haben, Hauptmann Cubina«, fragte Herbert, schnell zu diesem herantretend.

»Was gibt es denn Besonderes? Etwas nicht in Ordnung?«

»In Ordnung, Herr Vaughan! Viel mehr als das! Aber wir können hier nicht stehen und schwatzen, wir müssen sofort nach Savanna, so schnell wir können.«

»Was, ich soll mit nach Savanna gehen? Ich gehe schon mit Ihnen in jeder vernünftigen Angelegenheit, aber ich bin leider nicht vollkommen Herr meiner Zeit, und da müsste ich für solch eine Reise doch erst deren Grund und Absicht kennen.«

»Ein guter Grund, Herr Vaughan. Ihr Onkel der Custos, ist in Gefahr!«

»Ah!«, sagte der junge Engländer und schien etwas enttäuscht zu sein. »Das ist kein gar so wichtiger Grund, wie Sie wohl glauben, Hauptmann. Haben Sie ihn gemeint, als Sie vor Kurzem sagten, einer, der mir teuer sein sollte, sei in Gefahr?«

»Ja, ihn meinte ich«, antwortete Cubina.

»Hauptmann Cubina«, sagte Herbert in einem sehr gleichgültigen Ton, »dieser mein Onkel verdient meine Einmischung gar nicht.«

»Aber sein Leben ist in höchster Gefahr?«, unterbrach der Marone Herbert in seiner weiteren Auseinandersetzung.

»Ja«, rief der Neffe mit gehobener Stimme aus. »Wenn das der Fall, wenn wirklich sein Leben in Gefahr wäre, dann …«

»Gewiss«, unterbrach der Marone ihn abermals. »Und andere mögen auch noch in Gefahr durch denselben Feind sein, Sie selbst vielleicht sogar, Herr Vaughan. Aber ganz sicher die, die ihnen das Liebste auf der Welt sind.«

»Ha!«, sprach Herbert mit großer Verwunderung. »Sie haben sehr schlechte Nachrichten. Erzählen Sie mir nur alles auf einmal!«

»Nicht hier, Herr Vaughan, nicht jetzt hier. Kein Augenblick ist mit Reden zu verlieren, wir müssen sofort aufbrechen. Unterwegs will ich Ihnen alles erzählen.«

»Dann nur zu«, rief Herbert, »wenn es sich um Leben oder Tod handelt, gehe ich mit Ihnen, selbst nach Savanna! Nun, Herr Jessuron, heute wird mal kein Buch geführt, und« – (den Namen sprach er nur ganz leise und für sich aus) »Judith kann mich auch einmal einen Tag entbehren, besonders wenn es die Rettung von Menschenleben gilt. Nun wohl an, ich ziehe mit Ihnen, Hauptmann Cubina!«

»Vamos!«, rief der Marone und brach hastig auf. »Da wir keine Pferde haben, so müssen wir unsere Beine wohl noch stärker anspannen, denn diese lauernden Schufte haben uns schon einen großen Vorsprung abgewonnen.«

So redend schlug Cubina den zu den Hügeln aufwärts führenden Pfad ein, gefolgt von Herbert als auch von dem schweigsamen Quaco, der nun, nicht länger mehr von seinem Pack bedrückt, ihnen dicht nachfolgte.

Der von Cubina verfolgte Weg schien gerade auf Willkommenberg hinzuführen. Deshalb hielt Herbert einen Augenblick still, wandte sich an seinen Führer und fragte bedeutsam: »Sie gehen doch da nicht hin?«

»Nein!«, antwortete der Marone, »wir brauchen jetzt nicht mehr zu dem großen Haus zu gehen, da der Custos es nun doch schon längst verlassen hat. Da könnten wir auch nicht mehr erfahren, als ich bereits weiß. Übrigens gingen wir auch bedeutend um. Zeit dürfen wir durchaus nicht verlieren, das ist das Wichtigste. Gleich werden wir uns etwas drehen und einen Weg einschlagen, der gerade über den Berg neben den Jumbéfelsen führt. Das ist der kürzeste Weg, um auf die große Landstraße nach Savanna zu gelangen. Vamos!« Damit eilte der Marone wieder vorwärts und Herbert schritt rüstig und schweigend hinter ihm her.

Bis dahin hatte der junge Engländer noch gar keine Aufklärung über den eigentlichen Zweck der jetzt unternommenen Reise erhalten, noch hatte er deshalb gefragt. Die frühere Angabe, dass ihm teure Menschen in Gefahr seien, war ihm hinlänglicher Grund gewesen, um dem Maronen vertrauensvoll zu folgen. Indes fiel es ihm nun doch ein, dass er jetzt wohl über die Art und Weise der Gefahr, wem sie eigentlich drohe und welche Maßregel sie zur Abwehr derselben in diesem Augenblick ergriffen, sich zu unterrichten berechtigt sei. Deshalb stellte er jetzt an seinen Führer, während sie eilig ohne Aufenthalt vorwärts schritten, hierüber verschiedene Fragen.

Mit kurzen Worten machte der Marone ihn nun mit dem meisten, wenn auch nicht mit allem bekannt, was er selbst wusste, besonders mit der Gefahr, in welcher der Custos sich zu befinden schien. Er erzählte ihm von seinem Abstieg in das Teufelsloch, von der dort belauschten Unterredung. Obwohl er die Beweggründe nicht kannte, sagte er ihm doch von dem offenbaren Mordanschlag, an dem Herberts eigener Brotherr einen so hervorragenden Anteil nahm.

Der junge Engländer war bei diesen Enthüllungen begreiflicherweise aufs Äußerste erstaunt und empört.

Vielleicht wäre er dies noch mehr gewesen, allein diese Aufdeckung niederträchtiger Handlungen war lediglich die Bestätigung einer ganzen Reihe höchst verdächtiger Anzeichen, die ihm schon seit einigen Tagen bekannt geworden war und für die er bisher vergeblich nach genügender Aufklärung gesucht hatte.

Alle Gedanken auf eine Rückkehr unter das Dach des Jakob Jessuron gab er jetzt auf. Die Gastfreundschaft eines solchen Mannes, eines Mörders, mindestens der Absicht nach, länger genießen zu wollen, konnte bei ihm gar nicht in Frage kommen. Ohne Weiteres begriff er vollkommen, dass er seine schöne angenehme und mühelose Stelle sofort aufgeben müsse, und dass er, abgesehen von dem durch seine plötzliche Entfernung vom Glücklichen Tal vielleicht veranlassten Ärgernis, jetzt seinen Aufenthalt nicht wieder daselbst nehmen könne. Selbst die Bezauberungen der schönen Judith waren sicher nicht kräftig genug, um ihn je wieder dahin zurückzuführen.

Cubina vernahm diese Entschließungen offenbar mit größter Genugtuung. Dennoch hatte der Marone Herbert bisher nicht mit verschiedenen anderen ihm ganz kürzlich erst zur Kunde gekommenen Geheimnissen bekannt gemacht, von denen einige für den jungen Engländer sicher von hohem Interesse sein durften. Die Mitteilung dieser wollte er auf eine künftige passende Gelegenheit verschieben, wenn die Zeit nicht so sehr drängte.

Herbert Vaughan, jetzt von der seinen Onkel bedrohenden Gefahr vollständig unterrichtet, vergaß für den Augenblick alles Übrige und dachte einzig nur daran, ihm sobald wie möglich zu Hilfe zu kommen. Alle früheren Beleidigungen und Beschimpfungen waren vollständig von ihm vergessen und vergeben, selbst sogar jene, die ihn am meisten geärgert und verwundet hatten, die kalte frostige Verbeugung auf dem großen Smythjeball!

Jenseits über den Jumbéfelsen hinaus und nicht sehr weit entfernt von dem Nebenweg, den sie jetzt folgten, lag das eigentliche Land der Maronen.

Der Schall eines Hornes musste hier immer von einigen gehört werden, die in ihrer gewöhnlichen Weise, der Jagd des wilden Ebers, beschäftigt waren. Cubina wusste dies ganz wohl und machte deshalb, als er an dem zunächst zu seiner Stadt hinführenden Pfad kam, halt, um einen Augenblick zu überlegen.

Dann aber schien er sich selbst in Begleitung des kräftigen jungen Engländers sowie seines mutigen Leutnants für hinreichend stark zu halten, um den Gedanken, noch einige von seinen Leuten zu Hilfe zu rufen, aufzugeben. So setzte er mit seinen Begleitern den Weg zu der großen nach Savanna führenden Hauptstraße ungesäumt in größter Eile fort.