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Die Gespenster – Erster Teil – Siebenundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Siebenundzwanzigste Erzählung

Von der Bedeutsamkeit mancher Träume und dem Unerklärbaren mancher Ahndungen

Ein wackerer junger Mann, den wir einstweilen Gustav nennen wollen, verliebte sich sterblich in Eleonore – eine Schöne, die ihn in der Weise ihrer eigensinnigen Schwestern lange vergeblich nach der erwünschten Gegenliebe schmachten ließ. Er schöpfte ohne sichtbaren Erfolg alle die gewöhnlichen Mittel aus, womit spröde Herzen sonst wohl schon erweicht worden sind, und liebte zu ernsthaft, als dass er nun nicht auch zu dem Ungewöhnlichen seine Zuflucht hätte nehmen sollen.

Die Mutter der Verschlagenheit und des Unternehmungsgeistes – Liebe, gab ihm einen Anschlag ein, dessen Ausführung zwar mit großen Schwierigkeiten verbunden war, in welchen er sich aber fast ebenso sehr wie in seine Angebetete selbst verliebte. Er setzte daher jede Bedenklichkeit beiseite und dachte von Früh bis in den Abend an nichts so sehr, als an die Art und Weise, wie er seine abenteuerliche Idee zur Ausführung bringen wollte.

Vor allen Dingen suchte er sich einen Weg zum Schlafgemach seiner Geliebten zu bahnen, um sie darin einmal schlafen und träumen zu sehen. Aber dies musste nicht bloß der Welt auf immer ein Geheimnis bleiben, sondern auch selbst Eleonore durfte es nicht einmal ahnen, dass er jemals in ihrer Schlafkammer dergleichen Beobachtungen über sie anzustellen die Dreistigkeit gehabt habe. Man sieht schon hieraus, dass seine Liebe zu ihr tugendhafter Art und über die niedrigen Kunstgriffe jenes bloß sinnlichen Wüstlings weit erhaben war, dessen Sache es allenfalls sein würde, um des augenblicklichen, unreinen Genusses willen, selbst einen halb gewaltsamen Sturm zu wagen, und dem dabei auch das Heiligste und Unverletzlichste nicht mehr wichtig und heilig zu sein pflegt.

Mit einem Wort, Gustav versuchte ein ihm über alles kostbares Herz zu erobern. Wenn er sich den Weg zu demselben auf die unerhörteste Weise durch das Schlafgemach seiner tugendhaften Geliebten bahnen zu müssen glaubte, so sollte ihn doch der Weg zu ihrem Schlafgemach in einem anderen Sinn nur durch die Kirche führen.

Bei der äußersten Behutsamkeit und Vorsicht, die er anwandte, gelang es ihm zwar erst spät, aber doch vollkommen, einst bald nach Mitternacht seine einsam und fest schlafende Geliebte, ihr selbst unbewusst, im Bett zu erblicken. Vor allen Dingen beobachtete er nun unter Begünstigung des Mondlichtes, das auf ihr Bett fiel, aufmerksam den Grad ihres Schlafes.

Nach Maßgabe der Festigkeit desselben, sprach er nun ihren und seinen Namen anfangs leise, zuletzt stärker aus, um sie dadurch zur Hälfte zu wecken oder aus dem tiefen Mitternachtsschlaf in den sogenannten Morgenschlummer zu versetzen, in welchem allein der Mensch so zu träumen pflegt, dass er sich des Traums nach dem Erwachen noch deutlich bewusst ist. Dann flüsterte er der Träumenden von Zeit zu Zeit mit der erforderlichen Behutsamkeit einzelne Worte zu, die sämtlich die Absicht hatten, in Eleonores Seele eine ihm erwünschte Gedankenreihe anzuspinnen oder zu veranlassen, dass sie von ihm und seiner grenzenlosen treuen Liebe zu ihr träumen möchte.

Lange versuchte er sie in dem Zustand des leichten Schlummers zu erhalten und hütete sich wohl, sie gänzlich munter zu machen. Endlich, da sie sich dem Augenblick des Erwachens immer mehr zu nähern schien, versäumte er den rechten Zeitpunkt nicht, sich aus dem Schlafgemach zu stehlen. Damit sie indessen aus dem traumreichen Schlummer auch nicht sogleich wieder in den Zustand des festen Schlafes übergehen und darüber den Traum vielleicht ganz vergessen möchte. So verursachte er unmittelbar nach seiner Entfernung aus dem Schlafzimmer einiges Geräusch, um die Schlummernde dadurch völlig zu wecken. Seine Absicht dabei war, teils zu veranlassen, dass Eleonore dem Traum auf frischer Tat nachdenken und einen desto bleibenderen Eindruck davon aufbewahren möchte, teils ihren Glauben an Ahndungen mit in sein Spiel zu ziehen.

Beides gelang ihm vollkommen, und er hatte das Glück, für seine nach psychologischen Gesetzen berechneten Bemühungen mit dem besten Erfolg belohnt zu werden.

Bei seinem nächsten Morgenbesuch erzählte er, äußerst vergnügt, Eleonore, der er dieses Mal willkommener als je zuvor zu sein schien, dass ihn in der vergangenen Nacht ein unbeschreiblich angenehmer Traum von ihr zu dem glücklichsten Sterblichen gemacht habe. Sie stutzte, und eine unwillkürliche Röte überzog das Gesicht der Nachdenkenden.

»Sie? … Von mir? … In dieser Nacht?«, stotterte sie forschend, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Er nahm das billig für eine gute Vorbedeutung, und wirklich irrte er nicht. Er wusste, dass sie wie so manche ihres Geschlechts viel auf Träume hielt und ihnen nicht weniger traute als dem lieben Mütterchen. So spann sich nun bald eine erbauliche Unterhaltung über die Bedeutsamkeit mancher Träume an. Überhaupt war sie heute weniger zurückhaltend als je gegen ihn. Ja, sie gestand ihm freimütig, ihre Seelen müssten sich in der letzten verflossenen Nacht einander begegnet sein. Sie habe nicht nur anhaltend von ihm geträumt, sondern unmittelbar darauf auch das ihr unerklärbare Geräusch einer Ahndung gehört, wovon sie aufgeweckt sei.

Wer war froher als Gustav über ein Geständnis, dem mit der Zeit noch viel erwünschtere gegenseitige Erklärungen folgten! Es schmeichelte ihm ungemein, deren erste Veranlassung in jenem künstlich erregten Traum aufsuchen zu müssen. Gern gestand nun die besiegte Eleonore ihrem Freund, dass sie in Absicht ihrer Zuneigung zu ihm noch vor jener Ahndungsnacht sich selbst ein vollkommenes Rätsel gewesen sein und dass erst das innige Vergnügen, womit sie damals so lange von ihm geträumt, sie selbst auf das Geheimnis ihres Herzens recht aufmerksam gemacht habe.

Dem schlauen Liebhaber lohnte innige Gegenliebe und bald auch das volle Maß ihrer tugendhaften Freuden. Jetzt erst, da er Eleonore ganz die seine nannte, wagte er es, sie, die seit jenem Ereignis eifriger als je zuvor, der Bedeutsamkeit mancher Ahndungen und Träume das Wort redete, mit dem wahren Zusammenhang der verliebten Traumnacht bekannt zu machen. Ihre eheliche Zärtlichkeit war zu groß, und ihre Liebe hatte bereits zu reelle Vollkommenheit gegenseitig ineinander entdeckt, als dass das Geständnis von der psychologischen Spekulation des liebenden Waghalses etwas anderes als Misstrauen gegen alle künftige Ahndungen und Träume, in der Seele des guten Weibes hätte zurücklassen sollen.