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Aëlita – Teil 17

Alexej-Tolstoi-AelitaAlexej Tolstoi
Aëlita
Ein utopischer Roman

Rast

Die Gäste wurden in helle, kleine, fast leere Zimmer geführt, deren schmale Fenster in den Park hinausgingen. Die Wände des Essraumes und der Schlafzimmer waren mit weißen geflochtenen Matten bespannt. In den Ecken standen Kübel mit blühenden Bäumchen. Gussew fand die Unterkunft befriedigend: »So was wie ein Reisekorb, sehr nett.«

Der Dicke in dem gestreiften Kittel war der Hausmeister. Geschäftig rollte er von einer Tür zur anderen, schwatzte, wischte sich mit einem braunen Tuch den Schädel ab und erstarrte von Zeit zu Zeit zur Salzsäule, wobei er die entzündeten Augen vorwölbte und lautlos und hastig, wahrscheinlich etwas Beschwörendes, flüsterte.

Er führte Losj und Gussew jeden zu einem eigenen Bad und ließ Wasser in das Bassin laufen. Vom Boden des Bassins stiegen dichte Dampfwolken auf. Die Berührung des über alle Maßen ermüdeten Körpers mit dem heißen, sprudelnden und leichten Wasser war so süß, dass Losj in dem Bassin beinahe einschlief. Der Hausmeister zog ihn an der Hand heraus.

Losj schleppte sich nur mit Anstrengung ins Esszimmer, wo der Tisch mit einer Unzahl von Tellerchen gedeckt war, auf denen Gemüse, Pasteten, winzige Eier und Früchte lagen. Die knusprigen Brotkugeln von der Größe einer Nuss zergingen im Mund. Es gab weder Messer noch Gabeln, in jeder Schüssel steckte nur ein ganz kleines Schäufelchen. Der Hausmeister erstarrte wiederum zur Salzsäure, als er sah, wie die Menschen von der Erde die Schüsseln mit den delikatesten Leckerbissen verschlangen. Gussew kam auf den Geschmack. Besonders gut schmeckte ihm der Wein mit seinem feuchten Blumenduft. Er verflüchtigte sich im Mund und floss wärmend und aufmunternd durch die Adern.

Die Gäste wurden in ihre Schlafräume geführt, und der Hausmeister war noch lange damit beschäftigt, ihnen die kleinen Kissen zurechtzuschieben und die Decken unterzustecken. Aber ein fester und langer Schlaf hatte sich bereits der »Weißen Giganten« bemächtigt. Sie atmeten und schnarchten so laut, dass die Scheiben zitterten, die Pflanzen in den Ecken erbebten und die Betten unter ihren mächtigen, so gar nicht marsianischen Körpern knarrten.

Losj öffnete die Augen. Bläuliches künstliches Licht flutete durch den Deckenschacht hernieder. Es war warm und angenehm zu liegen. Was ist geschehen? Wo liege ich? Er konnte es durchaus nicht begreifen und schloss mit Vergnügen von Neuem die Augen.

Leuchtende Flecke schwebten an ihm vorbei, es war, als kräuselte sich Wasser hinter himmelblauem Laub. Das Vorgefühl einer unerhörten Freude, die Erwartung, dass jetzt gleich von diesen leuchtenden Flecken etwas in seinen Schlaf übergehen musste, erfüllte ihn mit einer wundersamen Unruhe.

Im Halbschlaf lächelte er, runzelte die Brauen in dem Bemühen, diesen dünnen Schleier gleitender Sonnenflecke zu durchdringen. Aber ein noch tieferer Schlaf deckte ihn wie eine Wolke zu.

Losj setzte sich im Bett auf. Blieb eine Weile so sitzen, mit gesenktem Kopf. Dann erhob er sich und zog die Vorhänge beiseite. Hinter dem schmalen Fenster funkelten in eisigem Licht ungeheure Sterne, ihre Konturen waren merkwürdig und fremd.

»Ja, ja, ja«, sagte Losj, »ich bin nicht auf der Erde. Eisige Wüstenei, endloser Raum. Ich bin in einer anderen Welt. Nun ja, ich bin doch tot. Das Leben ist dort zurückgeblieben …«

Er krallte die Fingernägel in die Brust, da, wo das Herz ist. »Das ist kein Leben und kein Tod. Ein lebendes Hirn, ein lebender Körper. Aber das Leben ist dort geblieben …«

Er konnte selbst nicht begreifen, warum ihn bereits die zweite Nacht eine so unerträgliche Sehnsucht nach der Erde quälte, nach sich selbst, nach dem, was dort, hinter den Sternen lebte. Ihm war, als wäre ein lebendiger Faden abgerissen, und seine Seele wollte in der eisigen schwarzen Leere vergehen. Er ließ sich wiederum auf die Kissen sinken.

»Wer ist da?« Losj sprang auf. Durch das Fenster drang ein Strahl des Morgenlichts. Das strohumflochtene kleine Zimmer war blendend sauber. Blätter rauschten, und Vögel zwitscherten hinter dem Fenster. Losj fuhr sich mit der Hand über die Augen und holte tief Luft.

Wieder klopfte jemand leicht an die Tür. Losj öffnete sie. Dahinter stand der gestreifte Dicke und hielt über dem Bauch mit beiden Armen einen Strauß mit Tau betropfter himmelblauer Blumen.

»Aiu utara Aëlita«, flüsterte er und hielt Losj die Blumen hin.