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Die Flusspiraten des Mississippi 8

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

8. Der Ritt der beiden Botschafter

Die Sonne stand schon anderthalb Stunden hoch am Himmel, als zwei Männer auf schönen kräftigen Pferden durch jene fast unwegsame und größtenteils unter Wasser stehende Niederung ritten, die den Mississippi an beiden Ufern mehrere Meilen breit einschließt. An einen Pfad war dabei gar nicht zu denken. Nicht einmal ein Zeichen an Busch oder Baum ließ erkennen, dass hier die fleißige Hand der Menschen schon je tätig gewesen waren. Nur Rohr und Unterholz gedieh, soweit ihnen das der dichte Schatten der vollbelaubten Stämme erlaubte. Die Schlingpflanzen schienen in dieser Umgebung besonders üppig zu wachsen. Nur an wenigen Stellen vermochten die Strahlen der Sonne durch das Gewirr von Laub und Ästen zu dringen, und wo ihnen das gelang, da spielte auch ein dichter Schwarm Moskitos in dem warmen, die feuchten Schwaden der Nachtluft vertreibenden Licht.

Die Reiter schienen aber an ihre öde Umgebung gewöhnt. Keinen Blick warfen sie, weder rechts noch links, auf die sie umschließende Wildnis. Nur vor sich nieder sahen sie, vor die Hufe ihrer Pferde, um einen einigermaßen gangbaren Weg zu finden.

So gut auch der Ältere und Stärkere von ihnen in diese Umgehung passen mochte, so sehr stach der Jüngere dagegen ab. Ein mit den näheren Verhältnissen nicht Vertrauter hätte auch wahrlich staunen mögen, wenn er die zierliche, schlanke, fast stutzerhaft gekleidete Gestalt auf dem edlen Pferd an einem Ort gefunden, zu dem sich, wie jeder vernünftige Mensch glauben musste, eigentlich nur ein Bärenjäger verirren konnte.

Der junge Mann war ganz nach dem modernsten Schnitt der damaligen Pariser Mode in einen leichten hellbraunen Frack mit weißseidener Weste und braunseidenem Halstuch gekleidet und trug dazu großkarierte Pantalons. Den unteren Teil dieser Hosen hatte er aber, um sie vor Schmutzspritzern zu bewahren, nach Art der Hinterwäldler mit einem breiten Stück grellroten Flanells umwickelt, der sie bis über das Knie hinauf schützte und auch zugleich die Füße völlig umhüllte. Den Kopf bedeckte ein feiner schwarzer Filz, und darunter quollen volle und üppige blonde Locken hervor. Mit den treublauen Augen hätte man ihn fast für ein schönes verkleidetes Mädchen halten können, wäre nicht der keimende Flaum auf der Oberlippe gewesen. Nie aber schlug in einer menschlichen Brust ein Herz, das eines Teufels würdiger gewesen, wie in dieser, nie im Leben trog Auge und Blick mehr als bei diesem Buben, der sich, einer Schlange gleich, von seinem glatten Äußeren begünstigt, in die Herzen derer stahl, die er vernichten wollte und über deren Elend er dann frohlockte.

Auf der Insel hatte er sich als Eduard Sander eingeführt und der Bande durch seine Verstellungskunst und teuflische Bosheit schon unendlichen Nutzen gebracht. Über sein früheres Leben wusste aber niemand etwas Genaueres, und da der größte Teil der Gesellschaft, der er nun angehörte, ebenso wenig Ursache hatte, mit seiner Vergangenheit zu prahlen, fragte ihn niemand danach. Er gab sich für den Sohn eines Pflanzers aus Georgia aus und stellte damit seine Umgebung willig zufrieden.

Sein stets verschlossenes Wesen ließ ihn aber auch unter den Kameraden, wenn er einmal für kurze Zeit auf der Insel weilte, ziemlich allein stehen. Er schloss sich an keinen an und stand nur mit dem Captain und dessen Frau in freundschaftlicher Verbindung, was sich freilich leicht durch den Grad der Bildung erklären ließ, der ihn von seinen Gefährten unterschied.

Der Einzige von allen diesen, mit dem er hin und wieder plauderte und zu dem er sich hielt, war Blackfoot, sein jetziger Begleiter, der das Rauben gewissermaßen als Geschäft betrachtete und oft behauptete, es sei bei ihm so zur Leidenschaft geworden wie beim Jäger das Bärenhetzen. Seinem Captain dabei ergeben, war Blackfoot treu und offen, wenigstens gegenüber den Kameraden. Sander hatte er aber besonders deshalb gern, weil dieser eine ebensolche Aufrichtigkeit gegen ihn heuchelte. In der Tat aber war der weit davon entfernt, ihn mit Dingen bekannt zu machen, die er nicht notgedrungen wissen musste.

Blackfoot war in der Tracht der Hinterwäldler gekleidet. Er trug Büchse und Bowiemesser und gab sich für einen Ansiedler aus, der sich erst kürzlich dicht am Ufer des Mississippi niedergelassen und nun nicht übel Lust habe, einen Teil seines Vermögens in irgendeiner vorteilhaften

Spekulation anzulegen. Beider Ziel war aber für jetzt Helena, wofür Sander seine besonderen, allerdings geheimen Instruktionen hatte.

»Die Pest über solches Reiten«, brach dieser endlich das Schweigen, das sie bis dahin, zu sehr mit der Unebenheit des Bodens beschäftigt, beobachtet hatten. »Hals und Beine könnte man brechen, und das Schlammwasser schlägt einem fast bei jedem Schritt über dem Kopf zusammen. Ich werde schön aussehen, wenn wir nach Helena kommen. Wo zum Teufel mag denn nur die verdammte Straße liegen. Wir sind am Ende in all diesem Gewirr schon drüber hin und ziehen nun nach Westen in irgendeine schöne, noch nicht entdeckte Gegend.«

»Habt keine Angst«, erwiderte Blackfoot lachend, »die Helena-Straße muss noch mindestens eine Meile weiter vor uns liegen. Bedenkt doch nur, Mann, dass wir haben Schritt für Schritt reiten und oft bedeutende Umwege machen müssen, um nur den Seen und Dickichten auszuweichen, die wir unmöglich durchqueren konnten. Tröstet Euch aber, der Boden wird jetzt etwas besser. Wir haben das Schlimmste hinter uns und können nun doch wenigstens nebeneinander hertraben und plaudern.«

Sander schien von diesem Trost keineswegs sehr erbaut, denn er murmelte ein paar unverständliche und verdrießliche Worte, machte aber endlich gute Miene zum bösen Spiel, presste die Flanken seines Tieres ein wenig und sprengte an die Seite seines Kameraden, der ihn mit einem spöttischen Blick betrachtete.

»Ihr seht schön aus«, sagte er, und sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Es geschieht Euch aber recht, warum habt Ihr meinen Rat nicht befolgt und die Decke übergehängt.«

»Dass ich die Fasern nachher eine Woche lang nicht wieder losgeworden wäre, nicht wahr?«, erwiderte mürrisch der andere. »Nein, da bürsten sich die trocken gewordenen Schmutzflecke leichter ab. Aber hol der Böse den Ritt, erzählt mir lieber Genaueres von dem Dampfboot. Wir wollen also eins kaufen?«

»Nun ja, ich habe es Euch ja schon einmal gesagt. Das ist der gescheiteste Gedanke, den Kelly je gehabt hat. Potz Seelöwen und Eisbären, was für einen verdammt guten Spaß das gäbe, wenn unsere Nachbarschaft einmal Wind von uns bekäme und nun plötzlich das ganze Nest mit Dampf abfahren sähe. Nicht mit Gold wäre der Witz zu bezahlen.«

»Nein«, murmelte sein Begleiter, »denn der Einsatz dagegen wären unsere Hälse. Das mit dem Dampfboot ließe sich aber auch noch ausdehnen. Unsere Geschützstücke nähmen wir natürlich mit, und ehe wir die mexikanische Küste erreichten, trieben wir ein wenig Seeräuberei. Jetzt im Sommer, wo im Golf fast stets Windstille ist, müsste die Sache herrlich gehen. Was wir an Schonern und kleineren Fahrzeugen fänden, wäre unser. Ja wer weiß, ob wir nicht auch eins der Vereinigten-Staaten-Dampf-boote entern und eine famose Beute machen könnten. Erst müssen wir freilich das Dampfboot haben.«

»Nun, die Sache soll übermorgen, also am letzten Sonnabend im Juni, in öffentlicher Sitzung vorgetragen und beschlossen werden. Acht Tage später können wir dann ein Dampfboot an Ort und Stelle haben.«

»Es müsste natürlich nur von den Unseren bemannt werden.«

»Das versteht sich, und eben diese Wahl der für die verschiedenen Posten zu Verwendenden muss ebenfalls zu gleicher Zeit stattfinden, sonst gäbe es nachher Mord und Totschlag. Es würde jeder Schiffsführer, keiner aber Feuermann und Deckhand sein wollen.«

»Der Captain muss jetzt wohl viel bares Geld liegen haben«, sagte Sander nachdenklich. »Es sind in letzter Zeit gewaltige Posten eingegangen. Wie viel ist wohl in der Kasse?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Blackfoot, »wahrscheinlich wird er am Sonnabend ebenfalls Rechnung ablegen. Er hat aber wohl viel Geld nach Mexiko geschickt, wo er, wie mir gesagt wurde, eine bedeutende Landstrecke für uns gekauft haben soll.«

»Hat ihm denn die Gesellschaft den Auftrag dazu gegeben?«, fragte Sander und wandte sich plötzlich nach seinem Begleiter um.

»Ich glaube kaum«, sagte dieser, »doch wozu auch? Wenn er es einmal für gut und nötig hielt, so können wir anderen auch damit zufrieden sein. Aufrichtig gesagt ist’s mir, nach der letzten Geschichte am Fourche la fave und nach den keineswegs tröstlich lautenden Nachrichten gar nicht mehr so sicher am Mississippi wie früher. Ich denke immer, es könnte uns einmal über kurz oder lang etwas begegnen, und das mag der Captain wohl auch bedacht haben. Der Plan mit dem Dampfboot und dem angekauften Land ist deshalb ganz gut.«

»Ja«, sagte Sander«, »gewiss – das heißt, wenn es von dem Geld angeschafft wird, das der Captain in seiner Verwahrung hat, sonst nicht. Sonst erschöpfen wir unsere Privatkassen bis auf den letzten Cent und sind dann immer wieder auf die Gesellschaft oder den Captain angewiesen, der uns schon überdies zu sehr unter dem Daumen hält. Nun meinetwegen, ich habe weder Kind noch Kegel, und mein Eigentum ist auch ohne Dampfschiff transportabel. Ich werde deshalb also auch keinen Cent dazugeben, ihr anderen könnt natürlich tun, was euch gefällt. Was mich betrifft, so gehe ich meinen Weg.«

»Und wohin führt er diesmal?«, fragte Blackfoot. »Ihr habt mir noch gar nicht gesagt, was Ihr eigentlich in Helena wollt.«

»Was ich will?«, sagte Sander und zog die Stirn in finstere Falten. »Fragt lieber, was ich soll. Ich wollte noch ein paar Tage auf der Insel bleiben, um mich nach den letzten Strapazen auszuruhen. Alle Wetter, es ist keine Kleinigkeit, ein Boot den Wabash, Ohio und Mississippi hinunter bis hierher zu steuern – und nachher die Szenen. Aber nein, ich durfte nicht einmal ausschlafen heute morgen und muss einen Weg zurücklegen, auf dem mich – Gott soll mich strafen – kein Christenmensch zum zweiten Mal antreffen soll.«

»Aber Euer Zweck in Helena?«

»Ein hübsches junges Mädchen von zu Hause fortlocken.«

»Ein hübsches junges Mädchen? Kelly wird doch unmöglich eines Liebesabenteuers wegen …«

»Schwerlich«, unterbrach ihn Sander, »der Preis wäre erstens zu hoch, den er gesetzt hat, und dann stimmen dazu auch nicht die übrigen Umstände. Eine Erbschaft wäre wahrscheinlicher.«

»Eine Erbschaft? Woher?«

»Ja, da fragt Ihr mich zu viel, darüber habe ich mir selber den Kopf schon zerbrochen. Apropos – in welchem Staat war der Captain neulich, als er solange fortblieb?«

»In Georgia. Glaubt Ihr, dass das mit jener Erbschaft zu tun hat?«

»Warum nicht? Ist doch Simrow ebenfalls in Georgia, und Kelly steht mit dort in sehr lebhafter Korrespondenz.«

»So? Davon hat er mir noch gar nichts gesagt«, meinte Blackfoot und starrte nachdenklich auf seinen Sattelknopf nieder. »Kennt Ihr denn die Dame schon, bei der Ihr Euch in Helena einführen wollt?«

»Ja – von Indiana her«, erwiderte jener noch immer zerstreut.

»So? Eine alte Bekanntschaft also – nun da bedarf es keiner weiteren Empfehlungen. Da ist schon halb gewonnenes Spiel. Wie heißt sie denn?«

»Ich habe trotzdem noch eine Empfehlung an einen Verwandten von ihr, in dessen Haus sie lebt – an einen gewissen Mr. Dayton!«

»Mr. Dayton ist ihr Verwandter?«, rief Blackfoot in lautem Erstaunen und griff so fest in den Zügel seines Pferdes, dass dieses hoch aufbäumte

»Ja, der Brief ist für ihn«, sagte Sander. »Die Dame aber ist ein junges Gänschen vom Lande, doch nicht ohne Mutterwitz. Sie kennt mich übrigens, und die Sache hat nicht die geringste Schwierigkeit.«

»Was kann da nur die Absicht sein?«

»Ei zum Henker, was kümmert es mich. Ich habe nur den Auftrag, sie, wenn möglich in Güte, bis spätestens Sonnabendabend an einen mir genau bezeichneten Ort zu schaffen und das Weitere dann dem Captain zu überlassen. Dafür bekomme ich tausend Dollar aus seiner Privatkasse. Aber was wollt Ihr denn oben in Helena – auch etwa kleine Privatgeschäfte, he? Hört, Blackfoot. Ihr habt Euch heute so stattlich herausgeputzt – ich will doch nicht hoffen …«

»Hoffen? Was?«, brummte der Alte. »Unsinn, Ihr habt weiter nichts als Possen im Kopf. Und dennoch«, sagte er schmunzelnd nach einer kleinen Pause, »gilt mein Auftrag diesmal einer Lady.«

»Hab’ ich’s denn nicht gedacht?«, rief Sander und beugte sich lachend auf den Hals seines Pferdes nieder. »Hab’ ich’s denn nicht gedacht. Blackfoot als galanter Mann in der Stadt, um eine Dame zu besuchen, das ist göttlich – hahaha – das ist kapital!«

»Nun, ich sehe nicht ein, was dabei groß zu grinsen sein könnte, wenn es wirklich der Fall wäre«, brummte Blackfoot. »Übrigens«, fuhr er, nun selber lachend, fort, »werdet Ihr Eure Saiten ein wenig tiefer spannen, wenn Ihr erst einmal erfahrt, wer die Dame eigentlich ist, der ich, nach Eurer Ansicht, den Hof machen soll. Sie heißt Louise Breidelford.«

»Gott sei uns gnädig«, schrie Sander entsetzt, »der Drache existiert auch noch in Helena? Na dann Gnade mir Gott, wenn mich die einmal gewahr wird. Eigentlich ist mir’s fatal, sie hat mir einmal in Vicksburg einen Streich ausführen helfen, den ich in Helena gerade nicht während meines dortigen Aufenthaltes an die große Glocke gehängt haben möchte. Ich war damals noch dazu unter einem falschen Namen in Vicksburg.«

»Habt deshalb keine Angst«, beruhigte ihn Blackfoot, »die schweigt, denn wenn jemand Ursache hätte, von der Vergangenheit zu schweigen, so wäre es gerade sie. Sollte sie Euch aber dennoch jemals drohen – wer weiß denn, ob sie nicht dadurch gerade etwas von Euch zu erpressen hofft. So fragt sie nur ganz freundlich, ob sie noch einen kleinen Vorrat von den langen Nägeln hätte, die ihr Mr. Dawling vor einigen Jahren verschaffte. Hört Ihr? Vergesst den Namen Dawling nicht.«

Sander nahm seine Schreibtafel heraus und notierte sich das Wort.

»Dawling«, wiederholte er sinnend, »Dawling – wo habe ich den Namen schon einmal gehört? Was für eine Bewandtnis hat es denn mit den Nägeln?«

»Das kann Euch gleichgültig sein«, brummte Blackfoot. »Ich gebe Euch die Arznei, fragt nicht, woher sie kommt, und gebraucht sie, wenn Ihr ihrer bedürft. Aber hier ist der Weg, so, nun können wir unsere Pferde einmal ordentlich ausgreifen lassen, wir kommen sonst zu spät nach Helena.« Aus diesem Grunde vielleicht oder auch, um den weiteren Fragen seines Begleiters zu entgehen, drückte er seinem Tier die Hacken in die Seiten und sprengte rasch auf der nach Helena führenden Straße hin, die diesen Ort zu Lande mit der Mündung des White River und dem darüber gelegenen Montgomerys Point verband. Sander folgte ihm. Während er aber seinem Tier den Zügel ließ, bemühte er sich eifrig, mit einer Taschenkleiderbürste seinen Anzug von den Schmutzspritzern zu reinigen, sein langes weiches Haar zu ordnen und die durch den Ritt total zerstörte Frisur so weit wieder herzustellen, wie ihm das bei der schnellen Bewegung eines galoppierenden Pferdes und mithilfe eines kleinen Hohlspiegels möglich war.