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Der Kommandant des Towers 18

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Zehntes Kapitel

Wie König Edward den Herzog von Norfolk im Beauchamp Tower besucht

Sir John Gage ging nun voran und Edward mit den Übrigen folgte ihm eine kleine steinerne Wendeltreppe hinauf, die zu einem der oberen Gemächer des Bloody Tower führte. Hier war die blutige Tat geschehen, die dem Gebäude eine so entsetzliche Berühmtheit gegeben hat. Edward betrachtete das geheimnisvolle Zimmer, lauschte den detaillierten Mitteilungen des Kommandanten über das tragische Ereignis und betrat dann einen engen gemauerten Durchgang, der zu dem Quartier des Lieutenants führte. Er wurde sehr zeremoniell von Sir John Markham empfangen und in dem Gebäude herumgeführt.

Auf seiner Wanderung ließ sich der junge Monarch durchaus nichts entgehen, was ein historisches oder anderweitiges Interesse hatte, und legte dabei einen Scharfsinn, einen Schatz von Kenntnissen an den Tag, der bei seiner großen Jugend in Erstaunen setzen musste. Da der König sich bei dem Kommandanten nach den Staatsgefangenen erkundigt hatte, welche um diese Zeit im Tower saßen, so nahm Sir John Gage die Gelegenheit wahr und fragte, ob es Seiner Majestät gefalle, einen derselben, namentlich den Herzog von Norfolk, zu besuchen. Wie sich leicht denken lässt, wurde der Vorschlag nicht ohne einen Hintergedanken vonseiten des würdigen Kommandanten gemacht, denn er war dem Herzog innig ergeben und hoffte, dass der Anblick des berühmten Gefangenen Edwards Mitleid erregen und er ihm vollen Pardon gewähren werde. Auch der Lordprotektor dachte augenscheinlich an eine solche Möglichkeit, nur nicht mit Hoffnung, sondern mit Furcht, und seine Besorgnis, dass sein königlicher Neffe den unglücklichen Edelmann begnadigen möge, war so groß, dass er sich dem Besuch widersetzt haben würde, wenn er nicht gefürchtet hätte, Sir John Gage, mit dem er aus mancherlei Gründen auf gutem Fuß zu bleiben wünschte, zu reizen. Deshalb erhob er keine Einwendungen, als Edward sofort zustimmte, zum Beauchamp Tower zu gehen, wo der Herzog von Norfolk gefangen saß, sondern verbeugte sich ernst zum Zeichen der Zustimmung und bemerkte nur: »Majestät, Ihr müsst Euer Herz stählen. Man wird voraussichtlich versuchen, es zu rühren. Aber Ihr dürft nicht vergessen, dass der Herzog von Norfolk als Hochverräter kondemniert ist und dass das Todesurteil noch über seinem Haupt schwebt.«

»Ich werde es nicht vergessen«, antwortete Edward.

Die Gesellschaft brauchte nicht weit zu gehen, um den in Rede stehenden Turm zu erreichen, weil zwischen ihm und der Wohnung des Lieutenants ein über den inneren Wall führender, gepflasterter Verbindungsweg existierte, vermittels dessen der erste Beamte der Festung die Gefangenen unbemerkt besuchen konnte.

Der Gefangene war nicht von des Königs Ankunft in Kenntnis gesetzt worden. Tombs, der Kerkermeister, schloss die Tür auf, und Edward und sein Gefolge traten ein.

Das Zimmer, welches sie betraten, war geräumig und ganz dem Zweck entsprechend, welchem es diente. Damit in Verbindung standen zwei Zellen, die nachts geschlossen werden konnten, die Mauern waren von Quadersteinen ausgeführt und waren ungeheuer dick. In ihnen befanden sich vier tiefe Nischen mit schmalen Öffnungen, die von Außen dicht vergittert waren. Dass das Zimmer schon viel frühere Insassen gehabt hatte, erkannte man leicht an den zahlreichen Inschriften melancholischen Inhalts, womit die Wände bedeckt waren. Der jetzige unglückliche Bewohner hatte sich in ähnlicher Weise die Zeit zu vertreiben gesucht und war in dem Augenblick, als die königliche Gesellschaft eintrat, gerade damit beschäftigt, ein großes Kruzifix in den Stein zu meißeln.

Trotz des schweren Missgeschicks, das ihn betroffen hatte, und trotz seiner Jahre – er war damals weit über siebzig – war der Herzog von Norfolk immer noch eine edle Erscheinung. Obwohl seiner Würden und seines Vermögens beraubt und des Hochverrats angeklagt, besaß er Seelengröße genug, sein unverdientes Schicksal mit Mut und Würde zu tragen. Seine hohe und stattliche Gestalt war noch stolz und aufrecht wie zur Blütezeit seines Glückes. Es waren böse Tage für ihn gekommen, aber das Missgeschick war nicht imstande gewesen, ihn zu erschüttern. Sein Blick war immer stolz gewesen, seine Haltung majestätisch, im Bewusstsein, der erste Pair des Reiches zu sein. Weder Blick noch Haltung waren anders geworden unter dem Druck der Verhältnisse. Es ist wahr, dass auf seiner bleichen Stirn die Spuren des Kummers zu lesen waren und dass eine tiefe Melancholie aus seinen Zügen sprach, aber diese Veränderung erhöhte nur den interessanten Ausdruck seines edlen Antlitzes. Sein grauer Bart hatte eine ungewöhnliche Länge erreicht und an die silbernen Locken war keine Schere gekommen. Auf dem Kopf trug er eine glatte Samtmütze ohne Agraffe, Juwel oder Feder. Weder der Hosenbandorden, den ihm sein eigener Souverän, noch den St.-Michael-Orden, den ihn Franz der Erste, König von Frankreich, verliehen hatte, hing an seinem Hals. Sein Anzug war schmucklos und bestand in einem langen, losen, mit Zobel besetzten Samtrock mit hohem Kragen und weiten herabhängenden Ärmeln, unter denen die eng anliegenden Ärmel eines rötlichen Wamses hervorblickten.

Als er die Gesellschaft eintreten hörte, hielt er in seiner Beschäftigung inne, und als er den König gewahr ward, legte er Hammer und Meißel hin, entblößte sein Haupt und kniete vor Edward nieder.

Es war ein rührendes Schauspiel, diesen würdigen, edlen Gefangenen zu Füßen des jugendlichen Monarchen zu sehen, aber außer Sir John Gage war niemand davon bewegt. Selbst Edward schien nach seines Oheims Rat sein Herz gegen das Mitleid mit dem unglücklichen Gefangenen gewappnet zu haben.

Norfolk versuchte zu reden, aber seine Gemütsbewegung war zu groß, als dass sie ihm gestattet hätte, ein Wort zu sagen, nur ein krampfhaftes Lachen entrang sich seiner Brust.

»Steht auf, Mylord Herzog«, sprach Edward kalt, »und ich bitte Euch, Euren Gefühlen einigen Zwang anzutun.«

»Will Eure Majestät einen Handkuss erlauben und meine Huldigung gestatten?«, entgegnete der Herzog, in seiner demütigen Stellung verharrend.

»Des Hochverrats angeklagt, wie du bist, Thomas Howard, bist du unfähig, die Huldigung zu leisten, und Seine Majestät kann sie nicht von dir entgegennehmen«, warf der Lordprotektor strengen Tons dazwischen. »Das solltest du wissen. Steh auf, wie dir geheißen ward.« Durch die barsche Art und Weise zu sich selbst gebracht, erhob sich Norfolk und sprach traurigen Tones: »Das also ist das Ende der langen Dienste, die ich dem König, meinem Herrn, geleistet habe! Himmel schenke mir Geduld – ich bedarf ihrer!«

Edward konnte sich der Rührung nicht erwehren, indem er den Schmerz des Herzogs sah, und er würde zu ihm geredet haben, wenn ihm nicht abermals der Lordprotektor zuvorgekommen wäre.

»Du vergaßt der schändlichen Verbrechen, deren du dich schuldig gemacht hast, Thomas Howard, Verbrechen, die du selbst in deinem Gnadengesuch, das du an den verstorbenen König richtetest, eingestanden hast. Diese Verbrechen haben mit Recht den Zorn des königlichen Herrn hervorgerufen und das Andenken an deine ehemaligen Dienste ausgetilgt. Hätte Heinrich VIII. nur einen Tag länger gelebt, so wärst du nicht mehr.«

»Ich weiß es«, erwiderte der Herzog, »aber eine andere und mächtigere Hand als die deine, Edward Seymour, war tätig zu meinem Schutz. Auf dein Anstiften war mein Todesurteil ausgefertigt, aber es stand nicht bei dir, dein Werk zu vollenden – vielleicht zu deinem guten Zweck. Du, der du meiner spottest in meiner Trübsal, kannst vor mir sterben.«

»Eure Hoheit hat sich das selbst zuzuschreiben, muss ich sagen«, bemerkte Sir John Gage, gegen den Lordprotektor gewandt.

»Und was mein Gnadengesuch betrifft, so weiß niemand besser als du, Edward Seymour, durch welche Vorspiegelungen es mir abgelockt worden ist. Wenn Seine Majestät der König mich zu fragen geruht, so werde ich sagen, warum ich gedrängt ward, Verbrechen einzugestehen, an denen ich schuldlos war, warum mir unter die Hand gegeben wurde, um Gnade zu bitten, da, wo ich ehrenvoll hätte freigesprochen werden sollen. Fehler mag ich begangen haben – wer unter uns ist frei davon? Aber des Mangels an Treue und Ehrerbietung gegen meinen königlichen Herrn, dessen Seele sich Jesus erbarmen möge,habe ich mich nie schuldig gemacht. Zeugen für mich sind die Siege, die ich für ihn über die Schotten und Franzosen gewonnen habe, Zeugen meine Wunden, die ich bei der Belagerung von Jedworth und bei dem Sturm auf Montdidier erhielt, Zeugnis legt für mich ab meine Expedition nach Irland vor jetzt fünfundzwanzig Jahren, zur Zeit, als Ihr, Mylord Protektor, noch demütig genug ward und stolz auf ein Lächeln von mir, Zeugnis, sage ich, jene Expedition, auf welcher ich das Glück hatte, O’Moore zur Unterwerfung und die Insurgenten zur Ruhe zu bringen, wofür mir meines Königs Dank zuteilward. Zeugnis für mich meine Missionen an Franz den Ersten, um den vollständigen Bruch mit Seiner Heiligkeit dem Papst zu verhindern. Mein königlicher Herr war beide Male zufrieden mit mir, und auch der König von Frankreich, darf ich annehmen, denn er schmückte mich mit dem St.-Michael-Orden. Der Orden ist hin, aber Ihr könnt nicht sagen, dass ich ihn nicht besaß. Zeugnis ferner ist für mich die Unterdrückung des gefährlichen Aufstandes im Norden und die Zerstreuung der sogenannten Gnadenpilgerschaft. Meinen energischen Maßregeln war es zu verdanken, dass ein zweiter Aufstand niedergehalten wurde. Damals dankte mir mein königlicher Herr und nannte mich ›seine rechte Hand.‹ Zeugnis für mich sind die fünfunddreißig Jahre, die ich unausgesetzt in meines Herrn Dienst verbrachte, Zeugnis volle vierzehn Jahre, die ich dem Vater jenes Herrn diente. Und wenn es mir gestattet worden wäre, so hätte ich den Rest meiner Tage dem Sohne meines Herrn, den Gott erhalten möge, gedient.«

»Ich danke Euer Gnaden von Herzen«, sprach Edward.

»Ich gab Eurem erhabenen Vater immer meines Kopfes besten Rat, Sire«, fuhr Norfolk fort, »und ich gab ihn uneigennützig. Bei mehr als einer Gelegenheit habe ich mein bestes Blut für ihn vergossen und freudig würde ich es für Euch vergießen.«

»Was sagt Eure Hoheit dazu?«, fragte Edward den Lordprotektor.

»Beim Aufzählen der Dienste, die er seinem Herrscher geleistet«, antwortete Hertford, »hat der Herzog von Norfolk sorgfältig die Erwähnung der bösen Ratschläge ausgelassen, die er gegen die Bekenner des reformierten Glaubens gegeben hat, und die geheimen Anstrengungen, die er gemacht, um die Kirche wieder unter das Joch des römischen Stuhls zu bringen. Er hat vergessen zu sagen, dass er der Haupturheber jenes blutigen Statuts der ›Sechs Artikel‹ ist und dass er der große Verfolger aller derjenige war, welche den neuen Glauben bekannten. Auch hat er nicht gesagt, dass 1542 bei seiner letzten Expedition nach Schottland, wie er als Generallieutenant an der Spitze von zwanzigtausend Mann hinzog, die Kampagne ohne Resultat blieb und dass der König höchlich unzufrieden damit war. Ebenso ruhmlos würde die Expedition nach Frankreich gewesen sein, wenn der König sie nicht in eigener Person angeführt hätte.«

»Meine Feinde waren damals gegen mich tätig«, sprach Norfolk. »Sie missgönnten mir meines Herrn Gunst und waren entschlossen, mich derselben zu berauben. Du, o Edward Seymour, bist immer der Vorderste unter meinen Feinden und Verleumdern gewesen. Du hast die Axt an die Wurzel eines der besten Bäume gelegt, die je auf englischem Boden wuchsen, und hast ihn gewissenlos niedergehauen. Hüte du dich selbst vor der Axt. Du hast mich meines tapferen und ritterlichen Sohnes Surrey beraubt! Ihn kann mir nichts ersetzen! Nimmer wird des jungen Königs Majestät einen Gleichen finden, suche er, wo er mag! Ich weine um meinen Sohn«, fuhr er mit gebrochener Stimme fort, »nicht um mich. Eines Vaters Fluch treffe dich, Edward Seymour!«

»Eure Majestät wird bemerken, welche rachsüchtigen Gefühle der Erzverräter nährt«, bemerkte der Lordprotektor.

»Man muss den Gefühlen eines Vaters etwas nachsehen«, sprach Sir John Gage. »Der Verlust eines solchen Sohnes, wie der Graf von Surrey war, entschuldigt sehr den leidenschaftlichen Schmerz des Herzogs.«

»Ich danke Euch, guter Sir John«, sprach Norfolk. »Es gehört viel Mut dazu, dem freundlosen Gefangenen ein Fürsprecher zu sein. Noch ein Wort, Edward Seymour, und ich bin fertig. Du gedachtest in den Besitz meiner Güter zu treten. Aber du hast dich in deiner Habgier betrogen. Mein königlicher Herr gewährte meine Bitte und gestattete mir, die Besitzungen dem Prinzen, seinem Sohn, zu übermachen, – und es war ein Geschenk, das selbst ein König nicht zu verschmähen brauchte.«

»Wir danken Euch sehr für die Berücksichtigung, Mylord Herzog«, sagte Edward, »obwohl wir wünschen möchten, dass Euch andere Motive bewogen hätten, als dem Anschein nach der Fall ist. Indes, wir sind Euer Schuldner, und um unsere Dankbarkeit zu bezeugen, bieten wir Euch hiermit vollen Pardon an.«

»Sire!«, rief Hertford bestürzt.

»Unterbrecht uns nicht, wir bitten Eure Hoheit«, fuhr der König mit großer Würde fort. »Wir bieten Euer Gnaden vollen Pardon«, fuhr er, gegen den Herzog gewendet, fort, der den Schluss seiner Rede mit sichtlicher Spannung erwartete. »Aber wir müssen die Bedingung daran knüpfen, dass Ihr Euren Irrtümern entsagt und den protestantischen Glauben annehmt.«

»Eure Majestät hat wohl gesprochen«, bemerkte der Lordprotektor zustimmend.

»Wie antwortet Euer Gnaden?«, fragte Edward.

»Euer Majestät Pardon kann mir wenig nützen«, entgegnete Norfolk, den Kopf schüttelnd. »Ich schreibe die schweren Prüfungen, mit denen es dem Himmel gefallen hat, mich heimzusuchen, dem zu, dass ich in manches eingewilligt habe, was meinem Gewissen zuwiderlief, aber ich will in dieser Art nicht ferner mehr sündigen. Ich will nicht dem Glauben entsagen, in dem ich aufgewachsen bin, selbst nicht um den Preis meiner Freiheit und der Wiedereinsetzung in meine Würden und Ämter.«

»Euer Gnaden sind sehr hartnäckig«, bemerkte Edward mit dem Ausdruck des Missvergnügens.

»Es ist ein eitles Bemühen, mit ihm zu verhandeln, Sire«, sagte der Lordprotektor. »Strengere Maßregeln würden ihn vielleicht bekehren und sie sollen angewandt werden, wenn Eure Majestät es will.«

»Versuche sie!«, rief Norfolk. »Bringt den Folterknecht her und lasst ihn seine Zangen an mir probieren, aber er soll mir nicht den Glauben entreißen, zu dem ich mich bekenne. Das Kreuz ist ebenso tief in mein Herz eingegraben, wie auf jene Mauer dort, und kann nur mit dem Leben ausgelöscht werden!«

Bei dieser Wendung des Gespräches fand Sir John Gage es angemessen, für den unglücklichen Herzog eine Bitte einzulegen.

»Wenn Eure Majestät einem Gehör schenken will, der immer frei mit Eurem erhabenen Vater reden durfte«, sagte der würdige Kommandant, »einem, dessen Aufrichtigkeit nie bezweifelt wurde, obschon seine Derbheit manchmal beleidigt haben mag, so gebt jeden Gedanken an die Bekehrung des Herzogs von Norfolk auf. Weder Güte noch Strenge wird ihn zum Proselyten machen.«

»Ihr habt recht, guter Sir John!«, rief der Herzog. »Ich will sterben für meinen Glauben, wenn es sein muss, aber ich will ihn nicht verleugnen!«

»Es wird also eine vergebliche Mühe sein«, fuhr der Kommandant fort, »Bekehrungsversuche mit ihm zu machen. Ja, mehr noch, ich bin überzeugt, dass ein strenges Verfahren zu Beginn Eurer Regierung von den umfänglichsten Folgen sein würde. Die Anhänger des alten Glaubens – auch ich gehöre zu ihnen – würden jede ungebührliche Maßregel gegen ihr Haupt, als welches sie Seine Gnaden, den Herzog von Norfolk, immer noch betrachten, wie einen Streich empfinden, der sie selbst träfe, als ein Beispiel dessen, was sie ihrerseits zu erwarten hätten. Infolgedessen würden Euch die Herzen der Hälfte, nein, mehr als der Hälfte Eurer jetzt getreuen und loyalen Untertanen entfremdet werden. Missvergnügen würde laut werden und Unruhen entstehen, die nicht so leicht unterdrückt werden möchten und der Regierung große Ungelegenheiten bereiten könnten. Und indem ich die Sache von dieser Seite ansehe, rate ich Euer Majestät untertänigst, sich nicht in die Religionsangelegenheiten Seiner Gnaden zu mischen. Macht Ihr ihn zum Märtyrer, so werdet Ihr nur der Sache dienen, die Ihr unterdrücken möchtet.«

»Wenn Eurer Majestät daran gelegen ist, aus dem Herzog einen Proselyten zu machen, so versucht, was Vernunftgründe und Überzeugung vermögen, bevor Ihr zum Äußersten schreitet«, bemerkte Sir Thomas Seymour. »Schickt Seine Gnaden von Canterbury zu ihm.«

»Ich will Cranmer nicht sehen«, rief Norfolk. »Ich verabscheue ihn. Und wenn man ihn mir aufdrängt, so werde ich meine Ohren vor seinen Worten verschließen und mit keiner Silbe antworten.«

»Was ist mit einem so halsstarrigen, bigotten Menschen anzufangen?«, rief der Lordprotektor achselzuckend aus. »Mitleid wäre hier weggeworfen!«

»Wenn des Herzogs lange Dienste nicht imstande sind, eine Milderung seines Urteils zu bewirken«, sprach der Kommandant, »so lasst ihm wenigstens Religionsfreiheit. Hier im Kerker kann sie niemanden schaden.«

»Seine Gnaden von Norfolk stehen mir zu nahe«, antwortete Edward, »als dass mir sein Seelenheil nicht am Herzen liegen sollte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er seine Irrtümer erkennen und in der letzten Stunde noch vom Verderben errettet werde. Der Abfall eines so hochstehenden Mannes von der Gemeinschaft mit Rom wäre ein großer Triumph für die reformierte Kirche, und ich habe meinen Kopf darauf gesetzt, ihn zu bewirken. Je größer die Schwierigkeit, desto größer das Verdienst.«

»Ich freue mich, so lobenswerte Absichten von Eurer Majestät zu vernehmen«, sprach Hertford, »die meisten Eurer Untertanen werden sie mit Beifall aufnehmen.«

»Noch einmal bitte ich Eure Majestät, lasst ab!«, rief Gage. »Ihr seid übel beraten, wenn man Euch heißt, Eure Regierung mit Verfolgungen zu beginnen.«

»Was, Sir John!«, schrie der Lordprotektor. »Ihr wagt es, meinen Rat anzufechten?«

»Ja!«, entgegnete der Kommandant fest. »Und ich wage noch mehr. Nehmt Euch in acht, sage ich, dass Ihr Euch das kaum gebaute Haus nicht selbst wieder einreißt. Bei meiner Seele! Ich durfte meine Meinung vor König Heinrich sagen, vor dem ich einigen Respekt hatte, und Ihr meint, ich solle nicht wagen, sie Eurer Hoheit zu sagen, vor der ich gar keinen Respekt habe! Beim Himmel! Ich tue es doch!«

»Sir John, guter Sir John! Ich bitte, mäßigt Euch!«, rief Norfolk. »Wenn ich unglücklicherweise der Anlass sein sollte, Euch mit in die Grube zu ziehen, in die ich gestürzt bin, so würde dies nur mein Leid vergrößern. Lasst meine Feinde gegen mich tun, was sie wollen. Ich kann alles ohne Murren ertragen, nur nicht den Gedanken, einen Freund mit unglücklich gemacht zu haben.«

»Meine Bitten vereinigen sich mit denen Sir John Gages«, sagte Sir Thomas Seymour, »dass Eure Majestät diese Sache für jetzt nicht weiter verfolgen möge. Und vor allen Dingen lasst die zornige Aufwallung des Kommandanten Euch nicht gegen ihn einnehmen.«

»Nein, wenn mein weiser Vater Sir Johns Heftigkeit in Anerkennung seines Wertes übersehen konnte, so will auch ich es nicht genauer nehmen«, erwiderte Edward, »aber er sollte bedenken, dass übergroßer Eifer seiner eigenen Sache schadet.«

»Ein so gerechter und doch so milder Tadel aus so jungem Mund beweist, welche Einsicht von Eurer Majestät reiferen Jahren zu erwarten steht«, antwortete der Kommandant. »Ich danke Euch für die Lehre und will sie mir zu Herzen nehmen.«

»Ich erkenne ebenfalls an«, nahm der Lordprotektor das Wort, »dass ich infolge von Sir Johns Heftigkeit zu heftig war, und darum trifft Euer Majestät Tadel ebenso wohl mich wie ihn. Ich bitte um Verzeihung, guter Sir John.«

»Nein, Eure Hoheit macht mehr von der Geschichte, als nötig ist«, sagte der Kommandant in herzlichem Ton.

»Da sie sich alle versöhnen, wird die wahre Ursache des Streites vergessen«, flüsterte Xit, der sich noch immer bei der königlichen Gesellschaft befand, Sir Thomas Seymour zu.

»Schweig, Bursche!«, sagte Letzterer barsch.

»Ich hoffe, meine ungeziemende Rede hat des Herzogs Sache nicht in Euer Majestät Augen verschlimmert«, sprach Sir John Gage. »Wenn das der Fall wäre, so würde ich es aufs Tiefste beklagen.«

»Beruhigt Euch deshalb, guter Sir John«, entgegnete Edward. »Der zweite Gedanke, sagt man, ist besser als der Erste. Ich habe mich besonnen, dem Herzog von Norfolk soll freie Religionsübung gestattet sein, so sehr ich auch seine Ansichten für irrig und verwerflich halte. Wenn er seine Meinungen ändert, so werde ich das mit der lebhaftesten Genugtuung annehmen – mit der Freude des Schäfers über das verlorene und wiedergefundene Schaf. Es soll nicht an Mitteln zu diesem Zweck fehlen und gute Bücher soll er haben. Es tut mir leid, dass ich Seiner Gnaden keine Aussicht auf Begnadigung geben kann. Solange er in seinen Irrtümern verharrt, muss er gefangen bleiben. Es wäre gegen das Interesse unserer Kirche, einem so mächtigen Gegner die Freiheit zu schenken!«

»Ich bin zufrieden und danke Euer Majestät untertänigst «, sprach der Herzog, indem er resigniert sein Haupt neigte.

»Ich muss wiederholen«, sagte Edward, indem er sich anschickte, hinauszugehen, »dass es Euer Gnaden eigene Schuld sein wird, wenn Ihr nicht bald wieder zu Freiheit und Ehren gelangt.«

Norfolk schüttelte traurig sein Haupt und verbeugte sich dann tief, als der König mit seinem Gefolge sich entfernte. Gleich darauf ward die Tür von Außen wieder verschlossen. Als der unglückliche Gefangene hörte, wie die Riegel vorgeschoben wurden, seufzte er tief und nahm dann Hammer und Meißel wieder zur Hand.

»Die Herzen der Menschen sind härter als dieser Stein«, sagte er vor sich hin, indem er in seiner Arbeit fortfuhr. »Eine geheime Stimme sagt mir, dass die Regierung dieses Knaben nur von kurzer Dauer sein wird. Wenn es dem Himmel gefällt, mich am Leben zu lassen, bis die rechte Thronfolge in der Person von Maria wieder hergestellt und der alte Glaube wieder herrschen wird, so werde ich fröhlich sterben.«