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Die Flusspiraten des Mississippi 7

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

7. Georgine

Ein kleines, seltsames Gemach ist es, in das ich jetzt den Leser einzuführen wünsche.

Alle Länder, alle Künste schienen sich hier vereinigt zu haben, einen Raum zu schmücken, den sie mit dem zehnten Teil der Sachen, die er enthielt, in ein Prachtzimmer verwandelt hätten, der aber so, durch Schmuck und Zierrat überladen, eher dem Warenlager einer der größeren Städte als dem stillen Aufenthaltsort häuslicher Zurückgezogenheit glich.

Drei Wände des Zimmers waren von einer prachtvollen seidenen Tapete bedeckt, aber nur an wenigen Stellen ließen sich die glühenden Farben ihrer silber- und azurdurchwirkten Arabesken erkennen. Mächtige Spiegel, prachtvolle Ölgemälde, Bronze- und Elfenbeinfiguren, schwere silberne Leuchter und kostbare Waffen bedeckten fast die ganze Fläche.

Ebenso eigentümlich, ebenso mit Zierrat überladen, zeigte sich die vierte Wand, die, nach alledem, was man von ihr sehen konnte, in dem Stil einer Schiffskajüte hergerichtet war. Kleine viereckige, mit Messingplatten eingefasste Fenster wechselten mit schmalen Mahagonistreifen ab. Allerlei indianische Kostbarkeiten, wie Waffenschmuck und Kleidungsstücke, bedeckten die übrigbleibenden Flächen der Wand. Große Tropengewächse streckten ihr Kronen bis zur Decke hinauf und überschatteten die Fenster, während das blasse Licht einer unter der reichverzierten Decke angebrachten Ampel seinen dämmernden Schein über den Raum warf.

Es war ein Reichtum der Ausstattung, der nicht wohl tat, eine Überladung von Schmuck und Pracht, die das Auge, das vergebens einen Ruhepunkt suchte, eher verwirrte als erfreute.

Mitten in all dieser Herrlichkeit nun lag ein junges Weib in weißen, losen Gewändern auf dem Diwan ausgestreckt, der, in morgenländischer Pracht und mit weichen schwellenden Kissen bedeckt, im Zimmer stand. Vor ihr aber, auf einem niedrigen Taburett, kauerte ein Mädchen, das Antlitz in den Händen verborgen und in tiefem Schmerz fast aufgelöst.

»Er wird wiederkommen, Kind«, tröstete die Frau und legte die feingeformte Hand leicht auf den Scheitel der Weinenden. »Er wird wiederkommen, beruhige dich nur, du liebes, wunderliches Kind. Sieh, vielleicht sucht er dich in diesem Augenblick.«

»Wiederkommen?«, rief zitternd das junge Mädchen und hob das Tränen überströmte Gesicht. »Wiederkommen? Niemals! Tief unten im Strom liegt er, von tückischer Kugel getroffen, ich sah ihn stürzen, ich hörte den Fall ins Wasser, und dann – dann vergingen mir die Sinne. Großer Gott, ich muss wahnsinnig sein, denn wäre das Wahrheit, was mir nachher ein fürchterlicher Traum vorgespiegelt – mein armes Hirn hätte es ja nicht ertragen!«

Georgine richtete sich halb in Ungeduld von ihrem Lager auf.

»Komm«, sagte sie und hob sanft den Kopf des Mädchens, »komm, Marie, erzähl mir alles, was dir begegnet ist. Bis jetzt habe ich nur, und selbst dies nach vielem Fragen, deinen Namen erfahren. Seit ich dich aus den Händen jenes rohen Gesellen befreite, hast du fast nichts getan als geweint. Ich interessiere mich für dich. Willst du aber, dass ich dir weiterhelfen soll, so sei auch aufrichtig. Wie kamst du in – in ihre Gewalt?«

»So soll ich denn den noch frischen Schmerz erneuern?«, fragte mit leiser, fast tonloser Stimme die Unglückliche. »Doch es sei, du schütztest mich vor der rohen Faust jenes Menschen, du sollst in wenigen Worten alles hören, was mich betrifft. Noch weiß ich nicht, wo ich bin«, flüsterte sie nach kurzer Pause, während ihre Blicke wirr und staunend ihre Umgebung überflogen. »Noch ist es mir, als ob ein Zauber mich gefangen, ein fürchterlicher Traum mich umnachtet halte. Doch ich fühle, dass ich lebe und wache, ich sehe das dämmerige Licht jener Lampe, ich kann den warmen Atem deines Mundes an meiner Wange fühlen, ich bin erwacht, das Erwachen selbst war nur grässlich. Sich aber im vollen Besitz jedes Glücks zu wissen, dass uns diese Erde nur zu bieten vermag, und dann auf einmal alles zu verlieren, das tut weh. Doch du wirst ungeduldig, oh, du kannst die kurze Zeit nicht erwarten, die ich brauche, dir meine Leiden zu erzählen, und ich – ich soll sie ein ganzes Leben lang ertragen. Aber du hast recht. Ich bin töricht. Ich klage über mein Elend und denke nicht daran, dass er meinetwegen starb.

Es sind jetzt wohl sechs Monate her, dass er zuerst meines Vaters Haus betrat. Soll ich dir sagen, wie wir uns kennen und lieben lernten? Nein, du würdest mich nicht verstehen, du schaust so ernst und stolz auf mich nieder. Du würdest meiner vielleicht gar spotten. Genug – wir liebten uns. Auch die Eltern achteten ihn, sie segneten unsere Verbindung, ich wurde seine Frau. Indessen hatte er meinem Vater von dem schönen und herrlichen Süden erzählt, von dem Plantagenleben in Louisiana. Sie fuhren beide hinunter, das Land zu sehen und zu prüfen, und Eduard erstand am Atchafalaya die Pflanzung eines alten Kreolen, der gesonnen war, den Abend seines Lebens in Philadelphia bei Kindern und Verwandten zuzubringen. Vor wenigen Wochen kehrten die Männer zurück – unsere Farm wurde verkauft, ja selbst unsere zahlreichen Herden machte mein Vater zu barem Geld. Auf einem selbsterbauten Flatboot, wozu ihn Eduard beredete, schifften wir all unser übriges Eigentum ein, mit der Strömung des Mississippi unserer neuen, schönen Heimat zuzuschwimmen. Mein Vater wollte einen Mann annehmen, der unser Boot den Fluss hinuntersteuern sollte. Eduard bestand aber darauf, das selbst zu tun, er war, wie er sagte, mit jeder Sandbank, mit jedem Snag bekannt, und glücklich führte er uns auch den Wabash, den Ghio und den Mississippi hinunter. Hier aber mochte ihn das tiefer und gefahrloser werdende Wasser zu unvorsichtig gemacht haben: Vorgestern Abend, gerade gegenüber einer Insel, lief unser Fahrzeug auf Sand und hier – großer Gott, ich würde wahnsinnig, wenn ich das alles noch einmal überdenken sollte!«

»Und Eduard?«, fragte die Frau, während sie von ihrem Lager aufsprang und unruhig im Zimmer auf und ab schritt, »dein Vater, deine Mutter?«

»Tot – alle tot!«, flüsterte die Unglückliche. Sie neigte den Kopf.

»Du sollst bei mir bleiben, Marie«, sagte die junge Frau. »Sie sollen dich nicht von mir fortreißen – er darf es nicht. Er darf mir die Bitte nicht versagen«, flüsterte sie leise. »Und wenn er’s tut, wenn er wirklich schon alles vergessen haben sollte, was er mir in früheren Zeiten gelobt hatte? Gut – der Versuch sei wenigstens gemacht.«

»Ich will schlafen gehen«, murmelte das Mädchen und strich sich die Locken aus der Stirn, »ich will schlafen gehen – mein Kopf schmerzt. Gute Nacht, Georgine.«

Marie erhob sich und schritt der Tür zu. Georgine aber umfasste das arme Wesen, das sich kaum aufrecht halten konnte, und führte es durch eine von einem prachtvollen Vorhang bedeckte Tür in ein kleines Gemach, das schon in dem Speicher lag und nur durch eine dünne Bretterwand von den vielen, hier zeitweilig untergebrachten Waren getrennt wurde. Kaum hatte sich dort die Arme auf ein Lager niedergelassen und mit weichen Decken gegen die kühle Nachtluft geschützt, als auch die Tür des Wohnzimmers sich öffnete und Kelly, den Hut in die Stirn gedrückt, eintrat.

Georgine ließ den Vorhang sinken und stand im nächsten Augenblick vor dem Gatten.

»Wo ist die Fremde?«, war das erste Wort, das er sprach, und seine Blicke durchflogen schnell den kleinen Raum.

»Ist das der Gruß, den Richard heute Abend seiner Georgine bringt?«, fragte diese halb scherzend, halb vorwurfsvoll. »Suchen meines Richards Augen heute zum ersten Mal ein fremdes Wesen und fliehen den Blick der Gattin?«

»Nein, Georgine«, sagte Kelly, und die ernsten Züge milderte ein leichtes Lächeln, »die Augen sind deine Sklaven wie immer. Die Frage galt nur der Fremden«, und er zog die Frau an sich. »Guten Abend, meine Georgine«, flüsterte er dann und drückte einen Kuss auf ihre Lippen. »Aber – wo ist das fremde Mädchen – du hast nicht recht getan, sie bei dir aufzunehmen.«

»Richard, lass mir das unglückliche Geschöpf«, bat Georgine und schlang die Arme um seinen Nacken, »lass sie mir hier. Du weißt, die Mädchen, die auf der Insel hausen, sind nicht für mich, sie hassen mich, weil ich nicht ihre wilden Freuden teile. Maries ganzes Wesen verrät dagegen einen höheren Grad von Bildung, als man ihn sonst bei solch einfachen Farmerkindern vermuten sollte. Ich will sie bei mir behalten, vielleicht kann ich ihr ein wenig das wieder vergüten, was – andere ihr genommen haben.«

»Liebes Kind«, erwiderte Kelly und warf sich lässig auf den Diwan, »das sind Geschäftssachen, und du kennst unsere Gesetze. So sehr ich das schöne Geschlecht ehre, so muss ich doch auch dagegen protestieren, dass es sich da beteiligt, wo es um Hals und Kragen gehen könnte.«

»Richard«, sagte die schöne Frau, »du tust mir nie etwas zuliebe, ich mag dich bitten, um was ich will, du hast immer eine Ausrede. Nicht einmal nach Helena willst du mich führen.«

»Ich habe dir schon gesagt, dass ich mich selbst dort nicht blicken lassen darf«, erwiderte lächelnd der Mann.

»Gut – so gestatte mir wenigstens die Gesellschaft eines einzigen menschlichen Wesens, das ich – ohne Abscheu ansehen kann.«

»Eine große Schmeichelei für mich.«

»Du bist unausstehlich heute.«

»Du bist ärgerlich, Georgine«, sagte der Captain freundlicher als vorher, »aber sei vernünftig. Die Fremde kann nicht hier bleiben, wo ihr Sander gar nicht auszuweichen vermöchte.«

»Also er war jener Bube …«

»Ruhig – du wirst vorsichtiger und milder in deinen Ausdrücken werden, wenn du erfährst, dass gerade er es ist, der die Ausführung unserer Pläne beschleunigt. Das zuletzt eingebrachte Boot enthielt ein so bedeutendes Kapital an barem Geld, an Gold und Silber, dass ich jetzt entschlossen bin, deinen bisherigen Bitten nachzugeben. Ich sehe ein, unsere Lage hier muss mit jedem Tag gefährlicher werden. Das Geheimnis ist kaum noch ein Geheimnis, und mir selbst erscheint es rätselhaft, wie es so lange verborgen bleiben konnte. Wir wollen nach Houston und von dort aus in das Innere von Mexiko. Halte dich also zu einem schnellen Aufbruch bereit«

»Und die Insel?«

»Mag unter anderer Leitung meinethalben fortbestehen.«

»Werden sie dich aber aus deinem Führeramt entlassen?«

»Vielleicht gehen sie mit«, sagte der Captain, augenscheinlich zerstreut, »doch – wie dem auch sei: Die Dirne darf nicht hierbleiben. Verrat vor der Zeit könnte uns alle verderben.«

»Was wollt ihr mit ihr tun?«, fragte Georgine besorgt.

»Bolivar soll sie nach Natchez begleiten. Bist du dann zufrieden?«

»Du musst deinen Willen durchsetzen«, murmelte die Frau und zog ärgerlich die schönen, kühn geschnittenen Brauen zusammen. »Früher war deine Liebe anders. Du kanntest kein Glück, das ausgenommen, das du an meiner Seite fandest. Ich fürchtete einen Wunsch auszusprechen, denn du achtetest selbst nicht Todesgefahr, ihn zu erfüllen. Jetzt aber …«

»Georgine, sei vernünftig«, bat Kelly und zog sie, ihre Hand erfassend, sanft auf den Diwan nieder. »Du wirst doch begreifen, dass ich nicht unser aller Sicherheit, unser aller Leben einer halb wahnwitzigen Dirne wegen aufs Spiel setzen darf. Könnte ich immer hier sein, gern wollte ich dann deinem Wunsch willfahren, ich würde selbst über unsere Sicherheit wachen, aber so …«

»Du willst wieder fort?«

»Ich muss, dringende Geschäfte rufen mich morgen in früher Stunde nach Montgomerys Point, vielleicht nach Vicksburg.«

Georgine legte ihre Hand auf seine Schulter und blickte ihm lange und forschend in die Augen.

»Und weshalb willst du immer fort von mir? Weshalb kannst da jetzt nicht, wie früher, hierbleiben? Richard, Richard – wenn ich dich falsch wüsste …«

»Aber Kind, du phantasierst wahrhaftig. Die Wahnsinnige hat dich angesteckt.«

»Wahnsinnige?«, murmelte Georgine, »der Mann, der ihr Liebe leg –Richard, wenn ich ahnen könnte, dass du falsch wärst – du, dem ich mein Leben, das Leben meiner Eltern geopfert habe …«

»Georgine«, flüsterte der Mann und legte seinen Arm beruhigend am sie, »du bist töricht und eifersüchtig. Wem zuliebe schaffe und arbeite ich denn jetzt? Wem zuliebe habe ich mein Leben dem Gesetz verfemt, was war die Ursache, dass ich das erste Blut vergoss? Sieh, deine Eifersucht verzeihe ich dir. Sie ist ein Zeichen dieser Liebe, aber du bist auch ungerecht. Du darfst mich nicht nach den anderen Menschen beurteilen, wie sie dir täglich im Leben begegnen. Du weißt, ich bin nicht wie sie, du wärst mir sonst nicht gefolgt. Aber du musst mir auch vertrauen.«

»Gut«, rief Georgine und sprang von dem Lager auf, »ich will dir vertrauen, aber lass mich einmal hinaus in die Welt, einmal lass mich mit den Menschen sprechen, mit denen du verkehrst. Dann will ich dir folgen als deine treue Frau, wohin du nur immer begehrst. Aber das – das erfülle mir!«

»Und gerade das«, entgegnete der Captain lächelnd, »ist etwas, das mehr Schwierigkeiten bereitet, als du dir wohl träumen lässt.«

»So willst du nicht?«, rief Georgine schnell.

»Wer sagt das?«, fragte Kelly und heftete seinen Blick fest und prüfend auf sie. »Georgine«, fuhr er nach kurzer Pause leise fort, »du bist misstrauisch gegen mich geworden. Es ist jemand zwischen uns und unsere Liebe getreten.«

»Richard!«, rief Georgine.

»Und wenn es nur ein Schatten wäre«, fuhr der Captain, ohne die Unterbrechung zu beachten, fort, »auch du bist nicht mehr wie sonst. Was sollte der Mestize neulich am Ufer? Ich begegnete ihm gerade, als er das Land betrat, und schickte ihn zurück. War er bestimmt, mich zu bewachen?«

»Und wenn es so wäre?«, rief Georgine stolz und heftig.

»Ich dachte es mir«, erwiderte der Captain. »Armes Kind – also traust du wirklich deinem Richard nicht mehr? Nun gut, der Gegenbeweis soll dir werden. Schicke den Knaben, wann du willst, an Land, er soll freien Aus- und Eingang haben und mag dir berichten, wie er mich dort gesehen hat. Bist du damit zufrieden?«

»Und die Fremde?«

»Sander begleitet mich«, sagte Kelly sinnend vor sich hin. »Nun gut, sie mag bei dir bleiben, bis Blackfoot zurückkehrt. Dann aber widersetze dich auch nicht länger einer Maßregel, die nur zu deinem wie zu unser aller Besten gegeben wurde. Zürnt Georgine nun noch ihrem Richard?«

Die junge Frau schlang ihren Arm um seinen Nacken. »Wer kann dir zürnen, wenn du so freundlich bist?«

»So lass denn«, flüsterte lächelnd der Captain, dass jeden bösen, jeden unfreundlichen Gedanken schwinden. Wir haben von außen drohenden Gefahren zu begegnen, lass uns wenigstens hier in Frieden leben und Kräfte sammeln zu dem letzten entscheidenden Schritt, zu Sicherheit und Ruhe!«

Vor der Wohnung des Captain standen indessen, in ihre warmen Matrosenjacken gehüllt, Blackfoot und Bolivar, der Neger.

»Alle Wetter«, sagte Bolivar, während er sich der lästig werdenden Moskitos zu erwehren suchte, »ich möchte wissen, ob Massa Kelly noch was besorgt haben will heute Abend oder nicht.«

»Hab Geduld, Bursche«, brummte der alte Bootsmann und knöpfte sich fester in seine Überjacke ein, »wirst doch warten können. Mit Frauenzimmern wird man nicht so schnell fertig wie mit Männern. Aber, ‘s ist wahr, es dauert verdammt lange – wenn ich nur wüsste, was er eigentlich wollte, dann könnte ich mir schon selbst ein bisschen meine Berechnungen machen.«

Der Neger lachte vor sich hin. »Captain Kelly lässt Euch auch gerade wissen, was er will. Bolivar kennt ihn besser. Wenn er sagt, er geht stromauf – dann wette ich meinen Hals darauf, dass er stromab geht. Und wenn er sagt Arkansas, so wäre Arkansas der letzte Platz, wo ihn Bolivar suchte.«

Blackfoot sah den Neger von der Seite an, schob die Hände in die Taschen und ging langsam auf und ab.

»Bist du schon einmal mit dem Captain in Helena gewesen?«, fragte er nach kurzer Pause.

Bolivar nickte.

»Und weißt du«, fragte der Bootsmann, einen Schritt näher tretend, »weißt du, was …«

»Pst, um Himmels willen«, flüsterte der Schwarze und streckte abwehrend die Hand gegen den Redenden aus, während er einen scheuen Seitenblick zur Tür warf. »Bolivar will lieber, dass er mit gebundenen Händen vor dem Staatsanwalt stände und Massa Blackfoot als Zeugen gegen sich hätte als hier von Sachen reden, die den Captain betreffen. Großer Golly, wie er neulich einmal den Spanier bezahlt hat: Ohren ab, Nase ab und nackend in den Sumpf gestellt, Brrr, der weiße Mann ist doch viel grausamer als Neger.«

Oben aus der Eiche, unter der sie standen, tönte ein schriller Pfiff, wie ihn der Nachtfalke ausstößt, wenn er seine Beute zu erfassen glaubt, und nun enttäuscht wieder hinauf in sein luftiges Reich muss.

»Pest und Donner«, fluchte der Neger, »das fehlt uns auch noch: Jetzt kommen bei Gott die verdammten Pferde von Arkansas – nun gibt’s Nachtarbeit. Ei, so wollt’ ich denn doch …«

»Der Captain hat sie lange erwartet«, unterbrach ihn Blackfoot. »Arbeit haben wir auch weiter nicht damit, unsere Leute sind schon drüben seit Sonnenuntergang.«

»Schaffen wir sie denn gleich nach Mississippi hinüber?«, fragte Bolivar.

»Nein – das dürfen wir nicht riskieren. So wie das Land jetzt mit den verdammten Regulatoren in Aufruhr ist, hieße das die Schufte da oben mit der Nase auf unsere Fährte stoßen. Nur die beiden Pferde, die wir notwendig drüben haben müssen, nehmen wir durch den Sumpf, dass die Spuren aus dem Land heraus in die Stadt führen. Das besorgt Mowes, der ist in Melville bekannt wie ein bunter Hund und erregt keinen Verdacht mehr. Die anderen Pferde führen wir zu Wasser nach Vicksburg.«

»Wenn ich nur wüsste, was mit dem fremden Frauenzimmer da drinnen geschehen soll«, brummte der Neger. »Erst wird man hierherbestellt, und nachher ist nichts.«

»Drinnen ist alles dunkel geworden«, sagte Blackfoot. »Vor morgen Früh wirst du auf keinen Fall gebraucht. Geh also bis dahin zu den Snags, und wenn wir die Tiere glücklich gelandet haben, wollen wir uns ein Stündchen hinlegen. Morgen wird’s wahrscheinlich verdammt viel Arbeit setzen.«

Von dem rechten Ufer der Insel schallten jetzt regelmäßige, aber schnelle Ruderschläge herüber. Deutlich konnten die lauschenden Männer hören, wie das Boot mit aller Macht gegen die dort ziemlich starke Strömung ankämpfte.

»Aha« Bolivar nickte grinsend. »In den Booten steuert wieder Mr. Klugrabe, will immer gescheiter sein als andere Leute und hält jedes Mal von Anfang an zu viel über. Denkt’s immer zu erzwingen und muss sich nachher wieder von der Sandbank heraufleiern.«

»Sie! müssen ziemlich oben an der Spitze sein«, meinte Blackfoot.

»Ja, aber mit welcher Arbeit, soviel weiß ich – doch wahrhaftig, da kommen sie schon. Wetter noch einmal, müssen die in den Riemen gelegen haben!«

Blackfoot hatte indessen die Tür von »Bachelors Hall« geöffnet und die auf Fellen und Decken liegenden Zecher geweckt. Nur murrend und höchst unzufrieden mit der Störung gehorchten sie dem Ruf und taumelten von ihren harten Lagern auf, um beim Landen der Pferde behilflich zu sein.

Dies ging auch trotz des ungewissen Mondlichts schnell vonstatten. Die Insulaner schienen mit solcher Arbeit vertraut, und nach kaum einer Stunde lag das breite Boot wieder wohlverwahrt und gut versteckt neben den übrigen Kähnen, während die Pferde in den Ställen untergebracht und dort von einem Mestizenknaben versorgt und mit Nahrung versehen

wurden. Bolivar bereitete ihnen indessen die Streu von weichem Laub. Die armen Tiere aber, so hungrig sie auch sein mochten, waren zu erschöpft, um auch nur einen Blick auf das Futter zu werfen, und völlig ermattet fielen sie nieder.

»Hört einmal, Jones«, sagte Blackfoot, als er in die Stalltür trat und die erschöpften Tiere betrachtete. »Ich glaube, Ihr habt die armen Dinger zu Tode gejagt. Sie schwitzen ja wie die Braten, und der kalte Luftzug auf dem Mississippi wird ihnen wohl den Rest gegeben haben.«

»Ei, und wenn sie alle der Teufel geholt hätte«, brummte der Angeredete, »besser die als ich. Pest und Donner – das sind die Letzten, die ich aus Arkansas herausgeschafft habe.«

»Sie sollen Euch drüben vor ein paar Wochen die Jacke tüchtig ausgeklopft haben«, meinte Blackfoot lachend.

»Ja – und der, der es getan hat, liegt wohl nicht am Eleven Point River mit zerschmettertem Schädel?«, zischte der kleine Mann. »Seine Pferde stehen wohl nicht jetzt hier auf der Insel im Stall?«

»Alle Wetter. Dieselben Pferde?«, rief der Bootsmann verwundert, »da habt Ihr mehr Courage, als ich Euch zugetraut hätte – doch wer war denn hinter Euch her?«

»Wer? Der ganze Staat schien auf den Beinen zu sein. Ich gab mich auch schon verloren, nur ein Wunder kann mich gerettet haben. Einmal sah ich meine Verfolger schon, doch glücklich erreichte ich diesen Sumpf, und hier mit allen Schlichen bekannt, gelang es mir, die Feinde irrezuführen. Wäre Euer Boot aber nicht schon drüben gewesen, ich hätte bei Gott die Pferde im Stich gelassen und meine eigene Haut in Sicherheit gebracht. Denen falle ich nicht noch einmal in die Hände, soviel weiß ich.«

»Schade, dass Rowson abgefangen wurde«, sagte Blackfoot, »der war ein trefflicher Lieferant. Mordelement, ich weiß keinen Menschen in ganz Amerika, den ich lieber bei irgendeinem pfiffigem Unternehmen gehabt hätte als den.«

»Geht mir mit dem Schuft«, brummte Jones. »Wäre der Captain nicht noch zur rechten Zeit dazugekommen, die Kanaille hätte uns alle miteinander verraten. Pfui Teufel, ich hatte immer geglaubt, Rowson sei ein Mann. aber wie ein altes heulendes Weib hat er sich betragen. Das sollte mir einmal passieren! Pest noch einmal, die Zunge wollt’ ich mir eher aus dem Halse reißen, ehe ich ein Wort gestände.«

»Kelly war unter einem fremden Namen oben, nicht wahr?«

»Wharton nannte er sich«, erwiderte Jones grinsend, »und Ihr hättet nur einmal sehen sollen, wie schlau er es zu verhindern wusste, dass der meineidige Prediger zu Wort kam. Mit dem Indianer war übrigens nicht zu spaßen. – Wer kommt denn dort?«

Die beiden Männer blickten sich rasch nach der von dem Pferdedieb bezeichneten Richtung um und sahen eine dunkel verhüllte Gestalt auf sich zukommen. Es war der Captain, der, ohne den anderen eines Wortes oder Blickes zu würdigen, Blackfoot am Arm ergriff und eine kleine Strecke mit sich fortzog. Dann, als er sich vorher durch einen flüchtig umhergeworfenen Blick überzeugt hatte, dass er unbelauscht sei, flüsterte er leise: »Georgine besteht darauf, den Mestizen ans Ufer zu senden. Bolivar soll ihn also, wenn sie es verlangt, hinüberrudern – er darf aber den festen Boden nicht wieder betreten. Verstehst du mich?«

»Der Mestize?«, fragte Blackfoot erstaunt.

Der Captain nickte nur und fuhr dann fort: »Sanders Verhaltungsmaßregeln sind in diesem Brief enthalten, alles Übrige ist dir bekannt.«

»Was schreibt denn Teufels-Bill, wann er hier eintreffen kann?«, fragte der Bootsmann.

»Jeden Tag«, erwiderte Kelly, »nach seiner Rechnung hätte er eigentlich schon gestern Helena erreichen müssen. Ihr wisst doch noch sein Zeichen?«

»Ja – er fährt stets an der Insel vorbei und schießt, wenn er gerade neben den Snags ist. Das Boot lässt er unterhalb auflaufen.«

»Gut – ist mein Pferd gestern Abend hinübergeschafft und gefüttert worden?«

»Ei, versteht sich«, versicherte der Alte, »das muss tüchtig ausgreifen können. Es hat jetzt zwei Tage ruhig gestanden. Was soll aber mit dem Mädchen da drin geschehen?«

»Dies – werde ich der Sorgfalt des Negers anvertrauen«, murmelte der Captain. »Ich will ihm morgen Früh selbst die nötigen Anweisungen geben. Doch für jetzt gute Nacht, legt Euch auch ein wenig schlafen und — habt gut acht auf den Burschen da.«

»Auf Jones?«

»Ja, er darf ohne Schwur die Insel nicht verlassen.«

»Der ist treu«, sagte Blackfoot.

»Gut für ihn«, erwiderte der Captain und verschwand gleich darauf wieder im Haus.