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Die Tauscher 10

die-tauscherDr. Uwe Krause
Die Tauscher Teil 10

Hammerstain überquerte die Straße und fluchte, weil seine weißen Schuhe den metallisch glitzernden Straßenstaub aufzusaugen schienen. Er betrat einen Durchgang und erreichte das Treppenhaus. Aus der offenen Kellertür stieg feuchter muffiger Dunst. Hammerstain lief die Treppe hoch. Die Holzstufen waren durchgetreten und glatt wie Eis. Auf den Treppenabsätzen waren die Toiletten. Entweder sie waren gerade alle in heftigem Gebrauch oder die sanitären Anlagen stanken hier schon wie ein Abwasserkanal. Hinter den schäbigen Türen klangen Stimmen in vielen Sprachen, mehr als einmal wurde eine Tür geöffnet und neugierige Blicke folgten Hammerstain, der die knarrende Treppe bis zur letzten Stufe hochstieg. Hier oben vermischte sich die Sommerhitze mit dem Gestank von Taubendreck.

Die normale Vorgehensweise wäre gewesen, die Tür einzutreten. Hammerstain setzte an, aber Florian bremste sich. Nur kein unnötiges Aufsehen, außerdem würde eine geborstene Tür Zeugnis für seinen Besuch ablegen, ohne dass irgendjemand ein Wort sagte.

Innen wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt. Bevor er gedreht werden konnte, hatte Florian die Klinke nach unten gedrückt und warf sich mit Wucht gegen die Tür. Sie schwang auf, dann drückte jemand sie wieder zu, aber Florian hielt dagegen, schob sich in den Raum und gab die Tür frei. Sie fiel scheppernd ins Schloss.

»Pfeifen-Harry, welch glücklicher Zufall«, grinste Hammerstain.

Der hagere Mann, der an der Tür klebte, rappelte sich auf. Er war unrasiert und ungekämmt. Ein schmieriges Unterhemd und eine gestreifte Pyjamahose bildeten seine einzige Kleidung. Verwirrt schaute er Hammerstain an, der sich mit einem Seitschritt vor die geschlossene Tür stellte und so den Raum im Blick hatte, den Ausgang blockierte und sich zugleich den Rückzug freihielt.

»Was wollen Sie?«, krächzte Pfeifen-Harry. Er begann zu husten, beugte sich nach vorn und keuchte, schlurfte schließlich zum Waschbecken neben der Tür und spuckte lautstark räuspernd hinein. Dann drehte er den Hahn auf und trank gierig.

»Nur ein bisschen reden«, sagte Florian, »ab und an hat man halt den Wunsch, mit einem alten Bekannten einen Plausch zu halten.«

»Wüsste nicht, was wir zu bereden hätten.«

Aus der Tür des Nebenzimmers kam eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Sie trug nur einen Kittel, ihre mageren bleichen Beine steckten in abgetretenen Pantoffeln. Sie wirkte verhärmt und erschöpft wie eine alte Frau, aber tatsächlich war sie noch jung. Ihre farblosen Haare waren straff nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gebunden, sodass Florian die zu großen Ohren erkennen konnte. Ihr Hals war dünn und mager, bei jeder Drehung des Kopfes zeichneten sich die Sehnen darunter ab. Die Frau starrte ihn zugleich hasserfüllt und ängstlich an. Das Kind wimmerte und die Frau machte einige seltsame Hüpfer, um es zu beruhigen. Die Holzdielen knarrten und der Schrank an der Wand begann zu zittern, sodass innen das Geschirr klingelte.

Florian näherte sich Pfeifen-Harry. Er war anderthalb Köpfe größer als der Mann. Es war in etwa dasselbe Verhältnis wie bei Kuszinsky und Jungbeck. Er tippte Harry auf die Brust. Der Stoff des Unterhemdes war nass von Schweiß.

»Reden wir doch mal über die Einbruchsserie der letzten Wochen. Besonders der letzte Bruch würde mich interessieren. Weißt du, diese Sache, bei der es einen Toten gab.«

Harry öffnete den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Seine Blicke jagten hin und her, wie Ratten, die in die Ecke getrieben wurden.

»Hab ich nüscht zu tun damit«, quetschte er heraus.

»Tatsächlich?«, sagte Hammerstain trocken, »Pfeifen-Harry die Nummer eins unter den Schmierestehern, der Mann, der was ausbaldowern kann, der Mann, der den magischen Blick für Eingänge und Schlupflöcher hat – der hat damit nichts zu tun und nichts gehört.«

Hammerstain machte einen Schritt vorwärts, Harry wich zurück, und so durchquerten sie den halben Raum, bis Harry an den Tisch stieß.

»Warum ich?«, jammerte Harry.

Florian bemerkte aus den Augenwinkeln eine Bewegung der Frau. Sie hatte nach einer großen Fleischgabel gegriffen und versuchte, sich unauffällig in seinen Rücken zu schieben. Er nagelte sie mit seinem Blick fest und schickte sie mit einer Kopfbewegung zum Fenster, wo sie mit verbissener Miene erstarrte. Durch die schmutzige Scheibe konnte man sehen, wie eine weitere rotbraune Wolke über die Dächer kroch. Das Kind hatte ein faltiges Gesicht, wie ein Greis und starrte aus übergroßen fiebrigen Augen auf den bedrohlichen Besuch. Die Frau zitterte jetzt am ganzen Körper, das gefiel dem Kind und es schmatzte zufrieden.

»Zwei Varianten zur Auswahl«, sagte Florian. »Variante Eins, die harte, ich prügele es aus dir heraus. Das tut dir weh und wird schmutzig. Variante Zwei, du erzählst mir alles freiwillig. Denn ich weiß, dass du zumindest bei dem letzten Bruch Schmiere gestanden hast. Hat mir ein Vögelchen gesungen …« Für einen Moment horchte Florian verwirrt der eigenen Stimme nach. Woher wusste er … aber er wusste es, das war klar. Oder war dies eine Finte, um Pfeifen-Harry aus der Reserve zu locken?

»Ich hatte deinen Besuch erwartet«, heulte Harry unterdrückt. Er hob die nikotingelben Finger und rieb sich über das Gesicht. Es gab wegen der Bartstoppeln ein kratzendes Geräusch.

»Hast du?«

Florian trat etwas näher an den Mann heran, eindeutig hinein in dessen persönliche Wohlfühlzone. Er sah sein Spiegelbild in den wässrigen Augen des anderen – eine verzerrte Gestalt im Anzug und Krawatte, mit Hut, einem Schnurrbart und einem deutlich wachsenden kleinen Kinnbart. Das bin ich, dachte Florian. Ich, Silwester Hammerstain.

In diesem Moment schien sich in seiner Erinnerung eine Klappe zu öffnen und alles stürzte wieder in das Licht des Bewusstseins. Alles? Zumindest das, was mit dem Mord an Werner Hassel zu tun hatte.

Hammerstain trat wieder einen Schritt zurück, zog einen Stuhl heran und rammte ihn Harry in die Kniekehlen. Als der auf den Sitz plumpste, deutete ein Fingerzeig der Frau an, sich auch zu setzen. Zuletzt schnappte sich Florian den letzten Stuhl und setzte sich, die Arme auf die Lehne gestützt.

»Machen wir es uns gemütlich«, sagte er locker, »du hast also mit meinem Besuch gerechnet, weil es mich interessiert, wenn mein Kumpel ermordet wird.«

Harry nickte und begann in seinen Taschen zu wühlen.

»Hol dir deine Kippe, aber mach keine schnellen Bewegungen in Richtung Tür«, erklärte Hammerstain. Harry tastete fahrig in der Tischschublade, holte mit zitternden Fingern ein Papierchen heraus und suchte in den Ecken die Tabakreste. Es reichte für eine halbe selbstgedrehte Zigarette. Harry suchte nach einem Streichholz, die Frau hob die Schultern, aber Hammerstain hielt ihm sein Feuerzeug hin.

Harry ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Er schien sich zu entspannen, aber er traute dem Frieden nicht. Die Frau wollte aufstehen, aber ein Blick Florians wirkte wie ein Gewicht auf ihren Schultern und klebte sie am Sitz fest.

Florian wartete, während der andere den stinkenden Tabakrauch einsaugte und ausstieß.

»Ich erzähle jetzt mal eine Geschichte«, begann Florian. »Es ist die Geschichte von fröhlichen Einbrechern, echten professionellen Knackern, die in die Villen der Reichen einsteigen. Immer ganz elegant, wissen immer, was zu finden ist und wo sich eine Schwachstelle befindet.«

Er schwieg. Harry ließ die letzten Millimeter seiner Zigarette verglühen und sog gierig den Qualm ein. Er wirkte so, als hätte man ihn gelobt.

»Der ganze Kram«, fuhr Hammerstain fort, »taucht umgehend im Antiquitätenhandel wieder auf. Eigentlich zu schnell. Als wollte man die Beute loswerden, ohne auf bessere Angebote zu warten. Oder als ginge es gar nicht um die alten Töpfe. Sondern um Tarnung und darum, ein einziges Mal völlig aus der bisherigen Linie ausscherend, Werner Hassel zu bestehlen. Der hatte zwar einen Ruf als Hehler, aber das waren eher Gelegenheitskäufe und nicht seine Haupttätigkeit. Der hatte garantiert nichts in seiner Bude, was diese Porzellandiebe interessieren konnte. Und jetzt bist du dran.«

Florians Hand deutete auf Pfeifen-Harry. Er bemerkte den Ring und vergaß ihn wieder.

Ein Faden tabakbraunen Speichels floss Harry aus dem Mundwinkel. Er saugte ihn geräuschvoll zwischen die Lippen. Seine Blicke hetzten wieder wie Käfigratten.

»Ich war nur draußen. Schmiere gestanden. Wie immer. Aber da waren jetzt zwei Neue dabei. Hab sie nicht gesehen, hochgeschlagener Mantelkragen, Hut mit breiter Krempe, Schal um den Kopf. Sah gerade mal die Augen. Der eine war eine Frau. Könnte ich mir wenigstens vorstellen. War irgendwie in den Bewegungen anders, ansonsten flache Straßenschuhe wie alle.«

Harry stockte, er glotzte für eine Weile starr auf irgendeinen Punkt auf dem Linoleumboden, dann pendelten seine Pupillen wieder hektisch.

»Was noch?«, fragte Hammerstain.

»Nichts.«

Er log. Florian hatte keinen Zweifel. Aber er log so, dass er sich lieber totschlagen ließ, als auszupacken. Harry machte sich inzwischen selbst vor Angst in die Hosen. Florian griff in die Anzugtasche. In seiner Hand war ein kleiner Stab, aber sowohl Harry als auch die Frau erkannten sofort den zusammengerollten Geldschein. In ihren Augen blitzte es.

Harry schaute zu der Frau hinüber. Dann schob er die Hände unter die Schenkel. »Na ja, wenn ich nachdenke, dann kommt vielleicht noch was.«

Florian schnippte den Schein auf den Tisch, aber das Röllchen war eindeutig noch in seiner Reichweite.

»Hassel wurde erschlagen. Wann?«

»Wie soll ich die Zeit, ich habe doch nicht auf die Uhr …«, jammerte Harry.

»Sofort, nachdem die Leute eingestiegen sind, später?«

»Da war ein Schrei und dann kamen sie sofort.«

»Wegen dem Schrei?«

»Nein, alles blieb ruhig. Ich hätte gepfiffen, aber sie kamen auch so.«

»Was hatten sie dabei?«, bohrte Florian.

»Nichts?«

»Verarsch mich nicht Harry, das kann mich richtig wütend machen.«

Pfeifen-Harry riss die Hände unter seinen Schenkeln hervor und wedelte abwehrend.

»Ist so, ich schwöre. Der eine, wo ich glaube, der war eine Frau, der hatte so einen Behälter, aber das war alles.«

»Wie lange waren die in der Bude?«

»Länger als sonst. Die brachten säckeweise Beute aus dem Eingang und in die Wagen. Aber die beiden Neuen, die kamen und kamen nicht raus. Ich schätze …«

»Egal«, schnitt Florian ihm das Wort ab, »was für ein Behälter? Beschreibung?«

»Keine Ahnung.«

Florians Finger spielten mit dem Röllchen, ließen es vor und zurück rollen.

Harry zappelte auf seinem Stuhl und riss sich am schlaffen Kinn.

»Es könnte ein Bild drin gewesen sein. Kleines Gemälde. Es war nur so ein viereckiger, flacher Kasten, aber sie behandelten ihn, als wäre Sprengstoff drin.«

»Und dann?«

»In die Wagen und weg und ich machte auch, dass ich wegkam.«

»Hat sich ´s gelohnt?«

Harry zuckte die Schultern und deutete um sich.

Florian stand auf und beugte sich über den sitzenden Mann. »Lass niemanden, ich wiederhole niemanden, erfahren, dass ich hier war und dass du mit mir gesprochen hast. Denn dann bist du tot«, flüsterte er.

»Ich weiß«, jaulte Harry, »dafür sorgst du schon.«

Florian stand schon an der Tür. Er tippte sich an den Hut.

»Brauche ich gar nicht. Es würde andere geben, die schneller sind. Und sicherlich schmutziger. Also …« Er legte den Finger auf die Lippen.

Bevor er leise die Tür schloss, sah er, wie sich die Frau, das Kind im Arm, über den Tisch warf und den Geldschein griff.

Florian rutschte auf dem Handlauf nach unten. So kam er blitzschnell und ohne Geräusch ins Erdgeschoss.

Er lief aus der Toreinfahrt. Die Jungen standen inzwischen in der Nähe des Taxis, einer hatte einen Schraubenschlüssel in der Hand.

Florian eilte zu dem Taxi, dessen Fahrer nervös mit dem Gas spielte.

»Könnt ihr blind und taub sein?«, fragte Florian im Vorbeigehen die Jungs. In seiner Hosentasche klimperte er mit Kleingeld und die Jungen reckten die schmutzigen Hälse.

»Kommt drauf an, der Herr«, sagte derjenige, der wohl der Anführer war.

Florian machte die Pantomime der drei Affen – Hand vor den Augen, Finger in den Ohren, Finger auf dem Mund.

Er holte das klimpernde Münzgeld aus der Tasche und wog es in der Hand. Die Jungen starrten ihn mit offenen Mündern an.

»Sonst …«, sagte Florian und sein Zeigefinger fuhr quer über seine Kehle. Dann warf er die Münzen und die Jungen stürzten sich darauf wie hungrige Möwen auf Brotstücke.

»Der Handel gilt, mein Herr«, schallte es hinter Florian, als der sich in den Wagen warf. Der Fahrer gab sofort Vollgas, der Straßenstaub wirbelte auf, aber die Jungen knieten ungerührt wie ein Schwarm pickender Tauben und suchten die Münzen zusammen.

»Irgendwas gesehen?«, fragte Hammerstain.

»Nur diese kleinen Mistkerle. Bei denen habe ich einen verdammten Schraubenschlüssel gesehen. Ich wäre in der nächsten Sekunde weg gewesen. Und wer will schon zur Kupferhütte?«

Florian entspannte sich und auch der Fahrer wechselte aus der verkrampften Haltung und schob den Ellbogen aus dem Fenster.