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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Kommandant des Tower 17

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Neuntes Kapitel

Wie Mauger, der Henker, prophezeit, dass gewisse Lords von seiner Hand sterben werden

Als die königliche Gesellschaft an den breiten und tiefen Torweg des Bloody Tower kam, der damals an beiden Ausgängen mit starken Toren und schweren Fallgattern versehen war, wurde einen Augenblick haltgemacht. Edward betrachtete die schönen Skulpturarbeiten der Wölbung. Nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, führte Sir John Gage den jungen Monarchen an ein Pförtchen an der Ostseite des Torwegs, welches in ein kleines, finsteres Steingemach oder vielmehr in ein Gewölbe führte, in welchem, wie es hieß, die Opfer der Grausamkeit des ruchlosen Gloucester begraben worden waren.

Der Kommandant hätte gern den jungen König abgehalten, dieses unheimliche Gewölbe zu betreten. Der Torwächter, der sie begleitete, schien die Tür nur mit dem höchsten Widerwillen zu öffnen. Aber Edward hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, den Ort zu sehen, und war entschlossen, einzutreten. Was das Gemach betraf, so war an diesem selbst durchaus nichts zu sehen, was die Neugier hätte beseitigen können. Es war aus Quadern gebaut, roh getäfelt, eng und finster, und nur durch zwei dicht vergitterte Öffnungen matt erleuchtet. Aber es hatte einen seltsamen Bewohner, und als Edward ihn sah, begriff er sofort, warum man ihn nicht gern hatte eintreten lassen wollen.

Das Äußere dieser Person war abstoßend und widerwärtig. Sogar die Gegenwart des Königs schien ihm nicht sonderlich zu imponieren, obschon er aufstand und eine linkische Verbeugung zu machen versuchte. Der obere Teil seines Körpers war kräftig, obwohl nicht gerade breit gebaut, die Arme waren außerordentlich muskulös, aber die unteren Glieder schienen schwächlich und das rechte Bein gelähmt. Seine Physiognomie war auffallend abschreckend, die Nase breit und glatt, die Augen tierisch und blutunterlaufen, der Vorderkopf und die Haut erdfarben. Seine Wangen bedeckte ein struppiger, schwarzer Bart, und das dunkle Haar an beiden Seiten des Kopfes war struppig und ungekämmt. Gekleidet war er in rote Serge, aber über dem Rock trug er ein ledernes Wams, auf dem dunkle Flecke zu sehen waren, und wie es schien, von geronnenem Blut. An der rechten Hüfte trug er ein breites, zweischneidiges Schwert in der Scheide. Aber das eigentliche Werkzeug, welches sein schreckliches Amt verkündete, war ein Henkerbeil. Er geruhte nicht, dieses beiseitezulegen, sondern stützte sich auf dasselbe, während er vor dem König stand. Ein anderes Beil von gleicher Form und Größe lehnte an der Wand, und daneben stand ein zweihändiges Schwert, welches zuweilen, aber selten, in Extrafällen gebraucht wurde. Als der Henker aufstand, sah man sofort, dass der Sitz, den er eingenommen hatte, der Block war, und zwar ein viel gebrauchter Block.

Während Edward halb mit Ekel, halb mit Grauen den Henker beobachtete, fiel ihm Lady Jane Greys Beschreibung des schrecklichen Menschen ein, und musste sich eingestehen, dass sie richtig war. Sir John Gage gab unterdessen dem Pförtner einen scharfen Verweis, weil er es nicht verhindert hatte, dass Seine Majestät durch solch einen Anblick beleidigt wurde.

»Nein, die Schuld ist mein, guter Sir John«, warf Edward ein, »der Mann versuchte mich abzuhalten, aber ich wollte hinein. Ist es wahr, dass die beiden unglücklichen Prinzen hier begraben sind?«

»Hier, wo ich stehe, Sire«, antwortete Mauger, indem er mit der Axt auf die Fliesen stieß. »Unter diesen Stein wurden die kleinen Leichen gelegt.«

»Schweig, Bursche, bis Seine Majestät dich anredet!«, rief der Kommandant ärgerlich.

»Na, ich meinte es nicht böse«, murmelte der Scharfrichter. »Seiner Majestät königlicher Vater pflegte mit mir zu plaudern, und ich dachte, ich könne das auch mit König Heinrichs erlauchtem Sprössling. Ich gab Seiner höchst seligen Majestät einmal einen Beweis meiner Fähigkeit, der im höchsten Grade sein Erstaunen erregte, und ich will dasselbe für Seine gegenwärtige Majestät tun, wenn er es zu befehlen geruht.«

»Ich sage dir noch einmal, schweig«, sprach der Kommandant streng. »Hat Eure Majestät genug an diesem unheimlichen Ort gesehen?«

»Ja; jedoch bevor ich weggehe, möchte ich wissen, was für eine Probe seiner Fähigkeiten das ist, die dieser Mann mir zeigen möchte«, erwiderte Edward, dessen Neugier erregt war.

»Irgendein Possenstreich wahrscheinlich, Eure Majestät«, sagte Gage.

»Doch nicht, Sir John«, entgegnete Mauger. »Ich bin kein Wahrsager, aber eine lange Praxis hat mir eine gewisse Gabe verliehen, und ich kann in dem Blick eines Menschen lesen, ob er von meiner Hand sterben wird.«

Edward blickte erstaunt drein und sah den Kommandanten an, der ungläubig mit dem Kopf schüttelte.

»Will Eure Majestät geruhen, mich auf die Probe zu stellen?«, fragte Mauger. »Aber ich muss die Erlaubnis haben, frei zu sprechen, ohne Rücksicht auf die Person, sonst mag ich es nicht.«

»Ist jemand hier bereit, sich der Probe zu unterwerfen?«, fragte Edward, indem er sich an seine Begleiter wandte, die alle eingetreten waren.

Mehrere Stimmen antworteten bejahend.

»Und ich bin vor allen Folgen sicher, wenn ich die Wahrheit sage?«, fragte Mauger.

»Mein königliches Wort darauf«, antwortete Edward. »Dann trete vor, wer will, setze seinen Fuß auf den Block und sehe mich fest an«, sprach Mauger.

»Ich will den Anfang machen, denn ich habe weder Furcht noch Glauben an deinen Schnickschnack«, sagte der Kommandant. Und er tat, wie Mauger angegeben hatte. Nachdem ihn der Scharfrichter eine Weile fixiert hatte, sprach er mit widrigem Lächeln: »Mir wird Euer Haupt nicht verfallen, Sir John.«

»Hab’s auch nicht gefürchtet, du unmenschlicher Hund«, erwiderte der Kommandant, sich abwendend.

»Ich will den nächsten Versuch machen«, sprach Sir Thomas Seymour, trat leichten Schrittes heran und setzte seinen Fuß graziös auf den Block.

Der Henker sah ihn einen Augenblick starr an und stieß dann mit der Axt auf den Fußboden.

Der Stein gab einen hohlen und unheimlichen Ton zurück, als ob die Toten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt worden wären. »Das soll heißen, dass du mich auf dem Schafott unter deine Hände kriegen wirst, du gemeiner Schuft – he?«, rief Seymour mit verächtlichem Lachen. »Meine Nerven sind nicht erschüttert. Zögert Eure Hoheit?«, wandte er sich an den Lordprotektor.

»Nein, wahrhaftig nicht«, entgegnete Hertford, indem er den Platz einnahm, »ich bin nicht abergläubischer als du.«

»Lasst ab, ich bitte Eure Hoheit. Ich mag es nicht!«, rief Edward.

»Nein, ich muss Eurer Majestät durchaus ungehorsam sein, sonst würde mein Bruder sagen, ich fürchte mich«, entgegnete Hertford.

»Ich werde das sagen und denken!«, rief Seymour.

Und als der Lordprotektor willfahrte, stieß der Henker abermals mit der Axt auf den Stein, und abermals hallte es dumpf wider.

»So! Eure Hoheit sind ebenfalls gerichtet!«, rief Seymour lachend.

»Es scheint so«, entgegnete Hertford mit erzwungenem Lächeln.

»Sehen wir, was mein Schicksal ist«, sagte jetzt Lord Lisle, vortretend.

Und indem er seinen Fuß auf den Block setzte, blickte er den Henker so fest wie möglich an, indem er hoffte, ihn auf diese Weise einzuschüchtern. Mauger aber zuckte nicht vor seinem Blick, sondern, nachdem er ihn eine Weile prüfend betrachtet hatte, stieß er wiederum mit der verhängnisvollen Axt auf den Stein. Diesmal war der Ton, den er von sich gab, noch dumpfer und unheimlicher als die vorigen Male.

»Der Schurke sollte mit seinen Ohren für seine Unverschämtheit büßen!«, rief Sir John Gage ärgerlich.

»Ich habe Seiner Majestät Wort, dass ich ungestraft ausgehe«, entgegnete Mauger. »Ich kann den Ausspruch des Schicksals nicht ändern und bin für den Ausgang nicht mehr verantwortlich als wie das fühllose Schwert, das ich schwinge.

Aber zuweilen habe ich Mitleid. Und so betrübt mich der Gedanke, dass ein schönes und edles, junges Geschöpf, das ich erst vor drei Tagen zum ersten Mal im Tower sah, höchst wahrscheinlich meine Dienste in Anspruch nehmen wird.«

Edward schauderte, als er dies hörte, denn er konnte sich der Furcht nicht erwehren, dass der entsetzliche Mann auf Lady Jane Grey hindeute. Aber er scheute sich zu fragen.

»Will noch jemand mehr das Experiment machen?«, fragte Mauger.

»Na, ich möchte wohl wissen, ob ich infolge des Köpfens sterben werde«, rief Xit und lief auf den Block zu, indem er den Henker mit komischem Ernst anschaute.

»Weg da!«, rief Mauger, indem er ihn mit dem Stiel des Beiles zur Seite schob, sodass Xit in größter Eile retirieren musste. »Dir ist kein so ehrenvoller Tod bestimmt.«

Dieser Zwischenfall erregte eine Heiterkeit und verwischte einigermaßen die unangenehme Wirkung des Vorhergegangenen. Der König befahl, Mauger ein halbes Dutzend Rosenobel zu geben und verließ samt seinen Begleitern das Gewölbe.