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Die Totenhand – Teil 52

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand

Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Dritter Band
Kapitel 12 – Das Landhaus der Familie Morel

In der Nähe von Rom stand ein hübsches bürgerliches Haus in der Mitte eines schönen Gartens. Davor zog sich ein eisernes Gitter hin.

Dieses Haus, welches nach einem ausgezeichnet architektonischen Plan angelegt war, besaß im Inneren alle Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten, die für ein Landhaus notwendig sind, um Hühner, Tauben, Kaninchen usw. zu ziehen. Die Sorgfalt, die man auf den Garten verwendete, die Kultur der anliegenden Ländereien, die Menge der reich belaubten Bäume, der glatt geschnittene Buchsbaum, alles schien anzudeuten, dass dies der gewöhnliche Aufenthaltsort einer glücklichen Familie sei, und nicht bloß ein einfaches Lusthaus für den Sommer, wo man, alles wohl erwogen, nicht immer eine glückliche Vereinigung des Nützlichen mit dem Angenehmen findet.

Hier hatten Maximilian Morel und seine Gattin Valentine ihren Aufenthalt gewählt, nachdem sie einige Monate zuvor Venedig verlassen hatten.

Ganz den Genüssen eines stillen häuslichen und heiligen Lebens hingegeben, welches durch kein Geräusch der äußeren Welt gestört wurde, hatten sie sich eine eigene kleine Welt der Glückseligkeit geschaffen. Sie genossen ihres mittelmäßigen Vermögens und gewährten den Armen viel Almosen und Wohltaten, welche diese ihnen dadurch vergalten, dass sie aufrichtigen Herzens auf die kleine Familie den Segen des Himmels herabflehten.

Das Innere des Hauses war mit jener einfachen Eleganz möbliert, welche einem Geist, wie der Valentines, eigentümlich ist.

Man sah darin nicht jene barbarische Anhäufung wie in großen Häusern, aber man litt auch nicht die geringste Entbehrung, und jedermann hielt sich hier für glücklich. Die Herren achteten ihre Dienstboten und diese verehrten die Ersteren mit einem gewissen Eifer und einem geistigen Interesse, das man bei den gewöhnlichen Dienern selten findet.

Das kam daher, weil der Eifer und die Ergebenheit der Dienstboten sehr oft von der Art und Weise abhängen, wie sie von ihren Herren behandelt werden.

Valentine erteilte alle ihre Befehle mit einer solchen Sanftmut, dass ihre Leute darin wetteiferten, ihr zu gehorchen. Sie stand für gewöhnlich sehr früh auf und durchschritt dann sogleich den Garten, in welchem sie die Pflege der Blumen übernommen hatte, denen sie verschiedene symbolische Benennungen beilegte, sodass sie sämtlich in ihren Augen sowie in denen Maximilians das vollständige Bild tausend angenehmer Erinnerungen gewährten. Dann ging sie zum Hühnerhof und streute mit eigener Hand dem Völkchen, das sich hier um sie sammelte, die Nahrung hin. Die Tauben kamen geflogen, um sich auf ihre Schultern zu setzen. Andere, die noch dreister waren, raubten selbst zwischen ihren Lippen die Maiskörner, die sie zwischen die Zähne nahm. Die Kaninchen richteten sich auf den Hinterpfoten in die Höhe, stützten sich an ihr Kleid und empfingen zum Lohn für ihr Vertrauen ein Blatt vom besten Gemüse. Valentine hatte sich so das Recht erworben, die Nester zu besichtigen, in welchen die Kleinen mit den Flügeln schlugen, während die Mütter fraßen, sowie die Behältnisse, in denen ein Satz kleiner Kaninchen eingesperrt war, und endlich auch den Korb, in dem die Eier einer brütenden Henne lagen. Das alles geschah, ohne dass die Väter sich darüber verletzt zeigten oder die Mütter ihre Brut verließen.

Nachdem Valentine diese angenehmen Pflichten erfüllt hatte, entfernte sie sich von diesem Ort, entzückt von allem, was sie gesehen hatte, und ging, um die frische Lust in dem Obstgarten einzuatmen oder dem Melken der Kühe beizuwohnen. Dann trug sie selbst die Milch, die Blumen und die Eier zum Haus und bereitete frisch und leicht den Frühstückstisch, indem sie darauf wartete, dass Max von seiner Stube herunterkomme. Dieser stellte sich dann auch bald ein, küsste sie und frühstückte mit ihr gemeinschaftlich.

Der Tag verging ohne die geringste Unannehmlichkeit. Valentine stickte und Max las beinahe immer.

Abends stiegen beide in ein elegantes Cabriolet, welches Max selbst fuhr, und machten eine kleine Spazierfahrt. Begann die Sonne an dem Horizont zu sinken, so kehrten sie zu ihrer Wohnung zurück und der Abend verfloss für sie in derselben Harmonie.

So brachten sie mehrere Monate hin, als während einer Nacht ein unerwartetes Ereignis für einige Augenblicke den häuslichen Frieden störte, den sie genossen.

Es war zwischen 10 und 11 Uhr, als die Dienstboten bemerkten, dass ein Wagen vor dem eisernen Gitter des Gartens halten blieb. Unmittelbar darauf hörte man die Glocke am Tor hastig ziehen.

Valentine und Max wollten sich eben nach der Ursache einer so barschen Art, einen Besuch anzumelden, erkundigen, als eine Dienerin in den Saal trat, um ihnen mitzuteilen, was sich zugetragen hatte.

»Madame,« sagte sie, »an der Tür hält der Wagen einer Person, die ohne Zeitverlust Herrn Maximilian zu sprechen wünscht, obgleich sie diesen Namen nicht genannt hat.«

»Wieso das?«

»Sie sagte bloß, sie wünschte die Ehre zu haben, den Herrn oder die Herrin dieses Hauses um einen Dienst zu bitten, und erflehte es wie eine Gnade, dass man sie nicht lange warten ließe.«

»Wer mag das sein?« fragte Valentine.

»Ich kann es mir durchaus nicht denken,« erwiderte Morel. »Dass um diese Stunde des Abends ein Mensch mit dem Herrn oder der Herrin des Hauses zu sprechen wünscht und es als eine Gnade erfleht, ihn nicht lange warten zu lassen, kommt mir höchst sonderbar vor! Was für eine Art Mensch ist es denn?«

»Ich habe ihn nicht gesehen, Herr Morel,« sagte die Magd. »Pietro aber, der mit ihm gesprochen hat, versichert, die Stimme gleiche mehr der einer Frau als der eines Mannes, und sein zartes Gesicht schiene zu verraten, dass er einer höheren Klasse angehöre.«

»Auf jeden Fall muss ich wissen, wer er ist.«

»Aber wolltest du ihn heraufkommen lassen, ohne seinen Namen zu kennen?«

»Ich werde mit ihm am Gitter sprechen,« entgegnete Morel. »Pietro soll mich begleiten, und währenddessen lass du, Valentine, Licht in das Gesellschaftszimmer bringen.«

Mit diesen Worten ging Max zum Garten hinab, und indem er sich zu dem eisernen Gitter begab, welches den Garten von der Straße trennte, unterschied er bei dem Schein einer Laterne die zarte und gewandte Gestalt eines jungen Mannes, der unruhig neben dem Wagen auf- und niederging, welcher einige Schritte neben der Tür entfernt war.

»Guten Abend«, sagte Max. »Wem erzeigen Sie die Ehre, ihn hier zu suchen?«

»Sie selbst, mein Herr, wenn Sie der Herr dieses Hauses sind oder Einfluss auf seine häuslichen Angelegenheiten haben«, erwiderte der junge Mann mit einem silberhellen Ton der Stimme, aber mit einem Anklang der Traurigkeit, der Morel nicht entging.

»Wissen Sie aber nicht wenigstens meinen Namen oder den der Person, die Sie suchen?« fragte Max.

»Gott steh mir bei! Ich weiß nicht nur nicht, wer Sie sind, sondern es ist sogar sehr leicht möglich, dass ich nie das Vergnügen gehabt habe, Ihnen zu begegnen. Wenn Sie indes eine edle Seele besitzen, wenn Sie ein gutes Herz haben, wenn Sie wünschen, uns Beistand zu leisten …«

»So sind Sie also nicht allein?«, fragte Max überrascht.

»Nein, mein Herr, und ich erbitte Ihren Beistand auch nicht für mich. Meine Frau begleitet mich – sie ist sehr leidend.«

»Ihr Name?«, fragte Max, indem er ihn mit dem Wesen der Teilnahme unterbrach, denn der Ton des jungen Mannes machte auf ihn einen lebhaften Eindruck.

»Ich nenne mich Léon d’Armilly.«

»Öffnen Sie das Gitter«, sagte Max zu seinem Bedienten.

»Es ist gut, mein Herr Léon d’Armilly«, fuhr er dann gegen den Fremden gewendet fort. »Ich heiße Maximilian Morel. Sprechen Sie, und wenn ich Ihnen in irgendetwas nützlich sein kann, so wird es mit Vergnügen geschehen.«

»Ach, Herr Morel, ich nehme Ihr Anerbieten mit Dank an. Vernehmen Sie denn, meine Frau und ich verließen Rom und zogen es vor, während der Nacht zu reisen, um uns der Hitze des Tages zu entziehen, aber meine Frau befindet sich im achten Monat ihrer Schwangerschaft und ist leidend, und das Schaukeln des Wagens scheint ihre Niederkunft beschleunigt zu haben. Was kann ich in diesem Fall tun – so weit von der Stadt entfernt – und mitten in der Nacht!«

»Beruhigen Sie sich, mein Herr, in meinem Haus sind Frauen, und Sie werden sich bemühen, die Dame mit aller nötigen Sorgfalt zu behandeln.«

Léon d’Armilly eilte sogleich zum Wagen, und nachdem er einige Augenblicke in das Innere hineingesprochen hatte, kehrte er zu Max zurück, welcher Pietro bereits vorausgeschickt hatte.

»Herr Morel!«, sagte der Fremde.

»Sprechen Sie!«

»Sie sind so gut und gefällig, und ich möchte Sie noch um einen Dienst ersuchen.«

»Ich höre Sie.«

»Sie sind ein Mann höheren Standes und ich will Ihre Gefälligkeit nicht missbrauchen, indem ich Ihnen ein Geheimnis verberge.«

»Ich bin bereit, zu vernehmen, was Sie mir sagen wollen.«

»Ich bin kompromittiert und ebenso auch die Dame, welche mich begleitet.«

»Ich glaube, Sie zu verstehen, Herr d’Armilly«, sagte Max lächelnd.

»Ich sagte Ihnen, dass sie meine Frau sei – indes …«

»Sprechen Sie sich aus.«

»Es fehlt uns die priesterliche Weihe«, sagte d’Armilly.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie gehört einer guten römischen Familie an. Sie hat eine ausgezeichnete Erziehung empfangen, gleich allen Damen ihres Geschlechts, und schämt sich ihres Fehltrittes außerordentlich!«

»Aber, mein Herr, was kann ich dabei tun? Sie muss sich jetzt in das Unvermeidliche fügen. Wir vermögen dabei weiter nichts, als Ihnen sowie ihr beizustehen.«

»Gut, aber gestatten Sie ihr, das Inkognito beizubehalten.«

»Ich glaube, dass dies in ihrer Lage sehr schwer ist; indes …«

»Sie hat ihr Gesicht hinter einer Seidenmaske verborgen«, erwiderte d’Armilly.

»In diesem Fall kann ich Ihnen die Versicherung geben, dass jedermann hier das Geheimnis ehren wird, in welches die Dame sich hüllt.«

»Ich danke Ihnen tausendmal, mein Herr!«, sagte d’Armilly, indem er die Hand Maximilians drückte und dann zum Wagen zurückeilte.

Einige Augenblicke darauf stieg eine Dame mit einiger Schwierigkeit aus dem Wagen, der umbog und unter einer Remise untergebracht wurde, wo ein Diener Maximilians ihn auf Befehl seines Herrn erwartete.

Valentine war schon benachrichtigt und hatte Befehl gegeben, Licht zu einem Zimmer zu bringen, alle für einen solchen Fall nötigen Vorbereitungen zu treffen und die geheimnisvolle Dame zu empfangen.

Valentine und ihre beiden Dienerinnen leisteten ihr voll Aufmerksamkeit die eifrigsten Dienste.

Die Dame behielt ihre Maske vor, und ihr Zustand war derart, dass er an ihre nahe bevorstehende Niederkunft glauben ließ.

Während man im Inneren des Zimmers alles zu diesem kritischen Moment vorbereitete und instand setzte, beobachtete Max mit großer Teilnahme den jungen d’Armilly, der aufgeregt im Saal auf- und niederging, oft an der Tür des Zimmers stehen blieb und sein Ohr an das Schlüsselloch legte, um zu lauschen. Das Gesicht dieses jungen Mannes war so zart, wie man es nur irgend bei einem Mann finden kann. Seine blonden Haare schienen außerordentlich fein zu sein und waren mit beinahe zu viel Eleganz aus der Stirn zurückgestrichen. Der Ausdruck seiner schönen blauen Augen, die Weiße seiner Hände, die Kleinheit seiner Füße, alles trug dazu bei, die Aufmerksamkeit Maximilians zu erregen. Übrigens zeigte der junge d’Armilly die ganze Leichtigkeit und Gewandtheit jedes anderen jungen Mannes seines Alters. Er rauchte voll Anmut, legte die Beine über einen Stuhl, als ritte er auf einem Pferd, streckte sich auf einem Sofa aus, kreuzte die Beine übereinander, und das alles rasch und mit dem augenscheinlichen Wesen der Gewohnheit.

Max ließ ihm eine gute Mahlzeit vorsetzen, und er langte ohne alle Umstände zu. Dann plauderte er einige Augenblicke mit Max von Frauen und Pferden. Das Gespräch kam dann auf Feuerwaffen. Er nannte die besten Fabrikanten derselben und sprach von allem mit einer solchen Leichtigkeit und solchen Lebhaftigkeit, dass man ihn für einen jener jungen Leute halten musste, welche als Söhne reicher Familien ihre Jugend darauf verwenden, zu reisen und von einer Torheit zur anderen zu eilen, bis sie zu einem frühzeitigen und oft sehr kränklichen Alter gelangen.

Zwei Stunden darauf hörte man in dem anstoßenden Zimmer ein schmerzliches Seufzen. Diesem folgte sehr bald ein unterdrückter Schrei und endlich das erste Weinen eines neugeborenen Kindes.

Léon d’Armilly machte einen heftigen Sprung gegen die Tür, und Maximilian, der sich ihm näherte, reichte ihm die Hand, in welche jener beinahe maschinenmäßig die seine sinken ließ.

»Empfangen Sie meine Glückwünsche«, sagte Max.

»Oh, großen Dank!«, erwiderte Léon d’Armilly mit einem beinahe einfältigen Wesen, welches Max für den Ausdruck des Vatergefühls nahm, das durch die ersten Tränen eines Kindes erweckt wurde.

Einen Augenblick später meldete eine Dienerin mit Lächeln auf den Lippen und mit heiterem Wesen, die Dame hätte einem starken kräftigen Mädchen, dem ganzen Ebenbild ihres Vaters, das Leben geschenkt.

Max gab diesen gewöhnlichen Worten ihren richtigen Wert, und d’Armilly antwortete: »Ja, es ist möglich, dass Sie recht haben. Indes möchte ich doch darauf wetten, dass das Kind mehr seiner Mutter gleicht als mir.«

Die Tür des Zimmers wurde geöffnet und d’Armilly ging, um die geheimnisvolle Dame zu umarmen.

Nach wenigen Tagen hatte die Dame ihren gewöhnlichen Zustand wiedergewonnen, sodass sie ohne die geringste Besorgnis für ihre Gesundheit abreisen konnte. Nachdem Léon d’Armilly insgeheim die beiden Dienerinnen belohnt hatte, welche bei der Niederkunft seiner Geliebten hilfreiche Hand leisteten, dankte er mit dem Ausdruck des reinsten und innigsten Gefühls Valentine und Max für den Beistand, den sie ihm gewährt hatten, und er vermehrte seine Schuld der Dankbarkeit noch dadurch, dass er sie um einen neuen Dienst bat.

Valentine gewährte ohne Zögern die Bitte, das Kind in ihrem Haus durch eine Amme stillen zu lassen, bis es so weit sein würde, dass die Mutter es zu sich nehmen könnte.

Valentine hatte selbst keine Kinder, liebte sie aber sehr, wie sie auch Blumen und Vögel liebte. Deshalb gewährte sie die neue Bitte Léon d’Armillys mit der größten Bereitwilligkeit von der Welt. Am Tag darauf lüftete die Mutter den vorderen Teil ihrer Seidenmaske, um einen Kuss auf die Wangen ihrer Tochter zu drücken, dankte Valentine nochmals für den Dienst, welchen sie von ihr empfangen hatte, und reiste in Begleitung ihres jungen Geliebten ab.

»Und nun, Luise?«, sagte sie, indem sie die Maske Abriss, sobald der Wagen in Bewegung war.

»Was willst du, meine teure Eugenie? Ich habe noch einmal die Rolle Léon d’Armillys erfüllt, aber ich hoffe, dass es zum letzten Mal gewesen sein wird.«

»Aber meine Tochter?«

»Sie befindet sich in guten Händen, und einst wirst du das Glück haben, sie zu umarmen. Für den Augenblick, teure Eugenie, lass uns an dich denken. Vergiss die unglücklichen Umstände, welche dich zur Mutter gemacht haben, und nimm an, ich sei in der Tat der Vater deines Kindes.«

»Stets lustig,« murmelte Eugenie, indem sie lächelte und eine Träne trocknete. »Wie sehr beneide ich in diesem Augenblick deinen Charakter!«

»Eugenie, die Welt und das Theater erwarten uns. Lass uns zu unserem Traum des Glückes zurückkehren, und wenn die nötige Kraft dir mangelt, erinnere dich, dass du für die Zukunft deines unschuldigen Kindes zu sorgen hast.«

»Ach ja, Luise, und Gott möge mir die Kraft verleihen, diese Pflicht zu erfüllen, wie ich es muss!«