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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 3.2

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 3.2
Die Flüchtlinge

Kehren wir jetzt zum Oberst Tres-Villas zurück.

Allein geblieben fasste Don Rafael seine Lage mit ruhigem Blut ins Auge. Er verheimlichte sich nicht, dass seine Aussichten auf Rettung sehr zweifelhaft waren, und dass er, wenn ihm nicht irgendeine unerwartete Hilfe, auf die er sich aber nicht Rechnung machen konnte, zukam, kaum Hoffnung habe, dem Schicksal, das ihm drohte, zu entgehen.

Die Sonne strahlte mit Brillanz über das Gehölz, in dem er sich befand und das ihm zum Asyl diente. Ihre fast senkrechten Strahlen drangen bis in das Herz des Waldes.

Don Rafael bedauerte es schmerzlich, sich dem Schlaf überlassen zu haben, anstatt einen Teil der Nacht dazu anzuwenden, einen geringen Versuch zu seiner Rettung zu unternehmen. Nicht weniger bedauerte er es, seinen beiden Gefährten, mochte daraus entstehen, was da wolle, seinen Namen verheimlicht zu haben. Vielleicht hätte sie die Hoffnung auf eine sehr ansehnliche Belohnung vermocht, den Versuch zu machen, bis zur Hazienda del Valle zu gelangen und den Leutnant Veraegui über die Gefahr, in der sein Vorgesetzter schwebte, zu unterrichten.

Er war weit entfernt, zu vermuten, dass ein Zufall, wie sie die Vorsicht bisweilen geschehen lässt, es übernommen hatte, das für ihn zu tun, was eine zu spät gekommene Überlegung ihm jetzt eingab.

Trotz der Gefahr, in der er sich befand, empfand Don Rafael, der seit langer Zeit nichts gegessen hatte, die Mahnungen des Hungers, die ihm aber nicht schwerfielen, zu befriedigen.

In den Wäldern, die sich unter dem heißen Gürtel Amerikas ausbreiten, tragen eine ungeheure Anzahl von Bäumen freiwillig, ohne jede Kultur, saftreiche Früchte, die dem Menschen als Nahrung dienen.

Sobald diese Überlegungen an seinem Denkvermögen vorübergezogen waren, beschloss der Oberst zu handeln, denn er war nicht der Mann, sich in unnützen Klagen zu ergehen.

Einen Moment war er noch unschlüssig, was er mit seinem Pferd anfangen sollte. Fast war er entschlossen, es aufzugeben, bald jedoch leuchtete ihm der Nutzen, den es ihm verschaffen konnte, indem er sich desselben auf seinen Schleichwegen durch die Wälder als einer lebendigen und beweglichen Wand bediente, hinter der er im Notfall eine Zuflucht vor den Kugeln seiner Verfolger fand, ein. Denn wenn er mit heiler Haut bis zum Saum des Waldes gelangen wollte, blieb ihm noch das Mittel, sich auf seinen Rücken zu schwingen und so den Verfolgungen seiner Feinde zu entgehen, wie er es am Tag vorher gemacht hatte. Er beschloss nun, es aufzusuchen.

Das Gestrüpp, in dem er den Roncador angebunden hatte, war nicht weit von dem Baum entfernt, auf dem er die Nacht zugebracht hatte. Die Stille, die im Wald herrschte, den man ohne die Rufe, welche eine Viertelstunde vorher erschallt waren, für ganz menschenleer hätte hatten können, ließen ihn die Notwendigkeit einsehen, mit Vorsicht vorzudringen. Das geringste Geräusch eines Strauches konnte seine Gegenwart verraten.

Der Oberst schlich, ängstlich jedes Geräusch vermeidend, vorwärts, als ein schwacher Klang an sein Ohr drang. Er lauschte einige Zeit, ohne dass dasselbe sich merklich genähert hatte. Er setzte seinen Weg wieder fort.

Endlich erreichte er das Unterholz, in dem er sein Pferd wieder fand. Das arme Tier hatte, obgleich von Hunger und Durst fast aufgerieben, nicht den geringsten Versuch gemacht, sich loszureißen. Bei der Annäherung seines Herrn stieß es ein freudiges Gewieher aus, das weithin erschallte.

Ungeachtet dieses Lärms, der ihn verraten und ihm so verhängnisvoll werden konnte, empfand der Oberst ein Gefühl der Freude mit Traurigkeit gemischt, indem er seinen edlen Gefährten in seinen Gefahren streichelte, und eine Zeit lang konnte er sogar die Gewissensbisse über die Rolle, zu der er es verwenden wollte, nicht zurückdrängen.

Dennoch war dies einer der Fälle, in denen der Instinkt der Selbsterhaltung den Menschen oft veranlasst, das zu tun, was sein Herz missbilligt.

Um seinen Bewegungen in den von Bäumen und Lianen gebildeten Labyrinthen mehr Leichtigkeit zu verleihen, schnallte der Oberst den Sattel ab und ließ seinem Pferd nur den Zaum, um es mit der Hand führen zu können. Er ging dann entschlossen vorwärts, sich nach der Sonne richtend, um den südlichen Punkt des Gehölzes zu erreichen, der an die Furt der Ostuta grenzte.

Es schien ihm gut, dem Rat Juans zu folgen. Er dachte, dass, wenn es ihm tatsächlich gelänge, sich den Rest des Tages über in dem Bambusgebüsch am Fluss zu verbergen, es leicht sein würde, während der Nacht die Hauptstraße von Oajaca zu gewinnen und dann die Hazienda del Valle zu erreichen.

Unterwegs warf Don Rafael noch die Säbelscheide und seinen Gürtel weg, die ihm eher hinderlich als förderlich waren, und setzte dann, in einer Hand die blanke Klinge, in der anderen den Zügel seines Pferdes, seinen Weg so geräuschlos wie nur möglich fort, fest entschlossen, sich seiner Pistolen nur im äußersten Notfall zu bedienen.

Derweil nahte der Zeitpunkt, wo er gezwungen werden sollte, einen Umweg zu machen, denn bei der herrschenden tiefen Stille hörte er in der Richtung, die er eingeschlagen hatte, menschliche Stimmen, die sich anriefen und antworteten und einander aufforderten, in derselben Linie vorzurücken und ihre Entfernung beizubehalten, um einen größeren Kreis zu bilden.

Einzeln hätte ihm keiner seiner Verfolger mehr ernstliche Besorgnis eingeflößt, als ein vereinzelter Jäger einem Löwen, der sich vor der Übermacht seiner Feinde verborgen hat. Er wusste wohl, dass die ganze Meute der Banditen Arroyos sich auf einmal auf ihn stürzen würde und dass er dann unfehlbar unterliegen musste.

Der Oberst verzichtete auf seinen verzweifelten Gedanken, den er einen Augenblick lang gefasst hatte, seinen Gegnern die Spitze zu bieten und den, der sich ihm zunächst befinden würde, ohne das geringste Geräusch niederzuhauen.

Er dachte mit Recht, dass ein entschlossener Mann in einem so dichten Wald, wie der war, in dem er sich befand, einige Vorteile über seine Feinde habe, die genötigt sind, sich durch Rufe gegenseitig zu benachrichtigen, um zusammen vorzugehen und ihre Entfernung beizubehalten.

Während sie den Ort, an dem sie sich befanden, anzeigten, konnte er ihnen, indem er kein Zeichen seines Daseins von sich gab, seinen Zufluchtsort verheimlichen.

Die Stimmen näherten sich kontinuierlich und Don Rafael horchte mit Beklemmung, ob sich nicht auch Stimmen von einer entgegengesetzten Seite vernehmen ließen. Es war zu befürchten, den einen nicht entfliehen zu können, ohne in den Hinterhalt der anderen zu fallen.

Der Oberst kannte kaum die Zahl seiner Feinde, so groß sie auch sein mochte, setzte er doch voraus, dass der um ihn gezogene Sperrgürtel weniger eng sein könne, um doch noch eine Lücke zu finden, durch die er wie ein Vogel entschlüpfte, der durch eine Masche des Netzes, das der Vogelsteller ausgebreitet hat, entweicht.

Während so Don Rafael wie ein Mensch, dessen Leben von der Feinheit seines Gehörs abhängt, horchte, vernahm er einige Schritte vor sich das laute, tönende Picken eines Grünspechts an einem abgestorbenen Baum. Dieses Geräusch vernimmt man häufig in den unermesslichen Wäldern Amerikas. Der scheue Vogel ist, um seine Nahrung zu suchen, fortwährend nach Würmern auf der Jagd, die sich hinter der Rinde der abgestorbenen oder ungesunden Bäume aufhalten und die er aus ihrem Schlupfwinkel lockt, indem er mit verdoppelten Schlägen seines Schnabels auf den Stamm hämmert.

Dieses Geräusch, das der Oberst hörte, kam ihm wie die Stimme eines Freundes vor, die ihm sagte, dass auf der Seite, von der sie herkam, kein menschliches Wesen die Einsamkeit des Waldes störe.

Don Rafael wandte sich nun, von dem taktmäßigen Klopfen des Vogels geleitet, in diese Richtung. Er war noch eine ziemliche Strecke von dem Baum entfernt, auf dem der Grünspecht saß, als dieser, durch seine Gegenwart erschreckt, schwirrend davonflog.

Der Flüchtling blieb stehen und lauschte. Zu seiner unaussprechlichen Freude hörte er die Stimmen seiner Feinde ganz aus der Ferne zu sich herübertönen, er war an ihnen vorübergegangen, und wenn sie nicht wieder zurückkamen, was kaum anzunehmen war, so suchten sie ihn im Herzen des Waldes, woher er eben kam.

Um sie noch mehr zu täuschen und seine Sicherheit zu erhöhen, erinnerte er sich einer indianischen Kriegslist. Er raffte zwei dürre Zweige auf und ahmte, indem er sie gegeneinander schlug, täuschend das taktmäßige Picken des Grünspechts nach.

Da es ihm jetzt freistand, die Richtung wieder einzuschlagen, die er zu verlassen gezwungen worden war, eilte Don Rafael schnellen Schrittes zur Furt der Ostuta, ohne die Vorsicht zu versäumen, von Zeit zu Zeit seine erwähnte List zu wiederholen.

Nach etwa einer Stunde hielt der Obrist an, um einige wilde Früchte zu pflücken, was er sich bis jetzt aus Furcht, kostbare Zeit zu seiner Rettung unnütz zu vergeuden, noch nicht vergönnt hatte. Während er so seinen Hunger und Durst mit einer Anzahl Früchte wenigstens für den Moment befriedigte, lauschte er mit Entzücken auf das tausendfache Summen der Insekten, das kaum die Totenstille, die um ihn herrschte, unterbrach.

Der Mittag war schon vorüber und die Sonne begann ihre Strahlen in schrägerer Richtung der Erde zu senden, als Don Rafael sich erhob und seinen Weg weiter fortsetzte. Bald sah er durch die letzten Bäume des Waldes den ruhigen Spiegel der Ostuta, die geräuschlos zwischen hohen Bambusgebüsch, die an ihren Ufern wuchsen, dahinfloss.

Der Wind bewegte leise die schlanken Rohre und die beweglichen Blätter dieser grünen Dickichte, in denen sich am Tag die Kaimane im Schlamm des Flusses wälzten, die Kühle der Nacht erwartend. Und hier sollte auch Don Rafael sich ein Asyl bis zu der Zeit suchen, in dem die Dunkelheit ihm gestattete, seinen Weg wieder anzutreten.

Der Oberst dachte keineswegs daran, die Rückkehr seiner Verfolger im Wald abzuwarten, und einmal am Ufer des Flusses angelangt, suchte er sich Rechenschaft abzulegen, was darin vorging.

Die gelbliche Farbe der Ufergewässer, die kleinen Schaumwirbel, die der Fluss bildete, indem er in seinem Lauf zahlreiche Wasserpflanzen umschmeichelte, deren Blumen und breite Blätter sich behaglich auf seiner Oberfläche wiegten. Die wellenförmigen Aufstauungen seiner Strudel, die an einigen hier und da verstreut liegenden kleinen und großen Steinen stattfanden, alles dieses belehrte Don Rafael, dass er wohl nahe der Furt sei, wohin ihn zwei Jahre früher seine Verfolgungen auf Arroyo so oft geführt und von der Juan heute Morgen gesprochen hatte.

Durch die langen Ruten des gigantischen Bambus vollständig geschützt, konnte er von Weitem das Zelt des Banditenchefs erkennen und seine Reiter auf dem entgegengesetzten Flussufer hin sprengen sehen. Bei diesem Anblick erwachten seine wilden Leidenschaften und er streckte mit drohender Gebärde seine geballte Faust zu dem Ort hinaus, wo der Guerillero, welcher der Gegenstand seines glühenden Hasses war, sein Lager aufgeschlagen, hatte.

Plötzlich hörte er Rufe und Pferdegetrappel aus dem Wald zu sich herübertönen. Es waren die Leute Arroyos, die in das Lager zurückkehrten und zwar im höchsten Grad missmutig, anstatt des Obersten und der beiden anderen Flüchtlinge nur Suarez und Pacheco zwar ganz verblüfft, aber wohl und munter gefunden zu haben.

Es war keine Minute zu verlieren und Don Rafael zog sich, mit der Hand die Bambusstängel auseinanderbiegend, in das verworrene Dickicht des feuchten Schilfes, das sich sogleich wieder über seinem Kopf schloss. Als kurz darauf die Reiter im Galopp in geringer Entfernung an seinem Versteck vorübersprengten, bewegte der Wind ruhig die grünen Kolben des Bambus, ohne auch dem schärfsten Auge die Gegenwart des Flüchtlings, den sie unter ihrem undurchdringlichen Mantel verbargen, zu verraten.

Don Rafael hörte bald darauf die Pferde der Banditen den Fluss durchwaten, dann erstarb jedes Geräusch und machte tiefer Stille Platz.

Jetzt verstrich in tödlicher Langeweile eine Stunde nach der anderen mit bleiernem Schritt bis zu dem Augenblick, in dem die Sonne wie zu einem letzten Lebewohl ihre langen Strahlen blitzend wie feurige Schwerter auf das Schilf des Flusses warf. Nachdem das Wasser einige Momente hindurch die letzten Lichtstrahlen des scheidenden Tagesgestirns reflektierten, verfinsterte sich der Fluss und sein Spiegel warf die Herrlichkeit der Myriaden Sterne, die am Himmelsgewölbe strahlten, zurück.