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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer 4

Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
Erster Band
Der Falschspieler
Teil 2

Einige Tage später befand sich Dagobert wieder im Grumbachschen Haus. Sie waren nur zu dritt bei Tisch gewesen, dann begaben sie sich ins Rauchzimmer, wo Frau Violet es sich auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Kamin bequem machte, während die beiden Herren sich am Rauchtisch einrichteten. Man saß erst eine Weile schweigend, und dann begann Dagobert mit ganz harmloser Miene, als spreche er von der natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt: »Weißt du übrigens, mein lieber Grumbach, dass in deinem Klub falsch gespielt wird?«

»Um Gottes willen!«, rief Grumbach und fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Er war ganz blass geworden. »Das ist ja entsetzlich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«

»Ich weiß es selber erst seit heute Vormittag, und ich wollte dir nicht vor Tisch den Appetit verderben.«

»Ich danke ab!«

»Das heißt, du willst dich um nichts kümmern. Dein Nachfolger soll dann sehen, wie er mit der Geschichte fertig wird.«

»Jedenfalls will ich mit solchen Geschichten nichts zu tun haben.«

»Von dir aus soll also dann ruhig weiter falsch gespielt werden?«

»Aber Dagobert, siehst du denn nicht, dass meine Lage furchtbar ist?«

»Angenehm ist sie allerdings nicht, Herr Präsident!«

»Da wird sich ein namenloser Skandal entwickeln!«

»Das ist wohl anzunehmen.«

»Und der Klub wird dabei zugrunde gehen! Was haben wir uns nicht alles auf unsere bürgerliche Ehrbarkeit zugutegetan! Mit welcher Beruhigung haben nicht unsere alten Herren uns ihre Söhne zugeführt, – und nun das, das Allerschrecklichste. Ich gehe!«

»Ich denke, dass du gerade bleiben musst, um den Klub zu retten.«

»Ich danke dir! Wessen Name wird mit der schmutzigen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden? Der meine! Das Regime Grumbach! Unter seinem Vorgänger war derlei doch nicht möglich! Den Klub retten? Der ist so wie so verloren. Es braucht nur ein Wort davon in die Öffentlichkeit zu dringen, – und wie willst du das verhindern? – und jeder, der nur etwas auf seine Reputation hält, wird sich zurückziehen. Mit Recht. Polizei, Staatsanwalt, ein Skandal, wie er noch nicht da war, – und mitten drin throne ich als Präsident!«

»Es ist eine böse Geschichte, Grumbach, aber eben deshalb müssen wir trachten, den Kopf nicht zu verlieren.«

»Da lässt sich nichts mehr machen, wenn die Sache einmal ins Rollen gekommen ist. Soll ich es vielleicht auf mich nehmen, solche Geschichten zu vertuschen?! Es ist meine Pflicht, die Anzeige zu machen, und damit reiße ich den Klub zusammen.«

»Ja – ehrlich gestanden, bin ich mir in diesem Fall selber nicht klug genug.«

»Was weißt du, Dagobert?«

»Ich weiß zunächst nur, dass falsch gespielt wird, mehr nicht.«

»Hast du Beweise?«

»Ich habe sie in der Tasche.«

Er griff in die Rocktasche und brachte ein Spiel Karten zum Vorschein, das er Grumbach überreichte. Frau Violet, die schon still vor sich hinzuweinen begonnen hatte, weil sie nicht ohne Grund ihre glücklich errungene gesellschaftliche Stellung ernstlich bedroht sah, wenn Grumbach wirklich abdankte, gesellte sich nun zu den beiden Herren und begann mit ihrem Gatten das verhängnisvolle Spiel zu prüfen. Beide waren aber außerstande, irgendetwas Verdächtiges zu entdecken.

»Die Sache ist ja nicht schlecht gemacht«, gab Dagobert zu, »aber es ist doch die einfachste Form der Maquillage. Es gibt noch bessere Methoden. Diese ist nur die Bequemste und für ein Publikum, das nicht argwöhnisch ist, vollkommen ausreichend.«

»So zeigen Sie uns doch«, drängte Frau Violet, »wie und wo diese Karten gezeichnet sind!«

»Aber mit Vergnügen, meine Gnädigste. Zuerst will ich Ihnen aber beweisen, dass sie wirklich markiert sind. Wollen Sie so freundlich sein und das Spiel mischen. Nur noch mehr! So! Haben Sie gut gemischt?«

»Gewiss!«

»Gut, und nun, Grumbach, hebe du ab. Noch einmal! Man kann nicht vorsichtig genug sein. Und nun werde ich Blatt geben. Wie viele Karten soll ich Ihnen geben, Gnädigste?«

»Sagen wir vier.«

»Gut, da haben Sie vier Karten. Halten Sie sie nur recht vorsichtig, damit ich sie nur ja nicht sehe. Hier auch für dich vier Karten, Grumbach. Glauben Sie, dass ich sehen konnte, was ich Ihnen gab?«

»Unmöglich!«

»Natürlich ganz unmöglich, aber Sie, meine Gnädigste, haben Herz Dame, Karo König, Herz acht und Pik Dame, und du, Grumbach: Pik König, Herz Buben, Treff As und Karo As. Stimmt es?«

Es stimmte.

»Und glauben Sie nun«, fuhr Dagobert fort, »dass mir diese Wissenschaft einen recht erheblichen Vorteil über meine Mitspieler sichert?«

»Ob ich das glaube!«, rief Frau Violet. »Hören Sie, Dagobert, Sie sind mir unheimlich. Sie sind ja förmlich selber ein vollendeter Falschspieler!«

»Ich könnte es wenigstens sein, meine Gnädigste. Denn alles, was dazugehört, weiß und beherrsche ich vollkommen. Mein Gott, man macht seine Studien. Es gibt nämlich auch dafür eine Literatur. Ein sehr belehrendes Buch über das Falschspiel hat der hervorragende französische Polizist Mr. Cavaillé geschrieben. Unterhaltend ist auch das Buch des Prestidigitateurs Houdin über denselben Gegenstand. Das gründlichste Buch darüber schrieb aber natürlich ein Deutscher, der unter dem Pseudonym Signor Domino sich nur notdürftig verbarg. Sogar eine eigene Zeitschrift war dieser noble Disziplin gewidmet. Sie erschien knapp vor Ausbruch der großen Revolution und führte den Titel Diogène à Paris. Das Falschspiel dringt auch in weitere Kreise und höher hinauf, als man gemeiniglich annimmt. Von Kardinal Mazarin wird mit aller Bestimmtheit behauptet, dass er ein Falschspieler gewesen sei. Vielleicht ist das ein Mythos, sicher aber und beglaubigt ist es, dass im Jahre 1885 Graf Callado, der Gesandte des Kaisers von Brasilien, in Rom beim Falschspielen gefasst worden ist.«

»Hören Sie, Dagobert, Sie wissen aber auch alles!«

»An mir ist, vielleicht nicht nur meiner Überzeugung nach, ein Detektiv verloren gegangen, und eine was für klägliche Rolle müsste ein solcher gegebenenfalls spielen, wenn er das alles nicht wüsste und könnte.«

»Jedenfalls mochte ich mit Ihnen nicht spielen«, sagte Frau Violet lachend.

»Ich danke für das ehrende Vertrauen, aber ich möchte es Ihnen selbst nicht anraten. Ich bin nämlich ein starker Spieler und in allen Sätteln gerecht. Ich habe das Spieltalent. Viel tue ich mir darauf nicht zugute, aber es ist einmal da. Ich wäre also auch ohne Mogelei für jeden, geschweige denn für Ihr kindliches Gemüt, meine Gnädigste, ein sehr gefährlicher Gegner. Weil dem aber so ist, und weil ich alles weiß und kenne, spiele ich selbst niemals, grundsätzlich nicht. Ich bin nur ein sehr geachteter Kiebitz, der im Zuschauen keine Fehler macht, und gelte bei allen Streitfragen als oberste und inappellable Instanz.«

Grumbach war viel zu erregt und bekümmert, um jetzt den Plaudereien Dagoberts den richtigen Geschmack abgewinnen zu können. Er wollte wissen, wie Dagobert darauf gekommen sei, dass im Klub mit gezeichneten Karten gespielt werde.

»Das war sehr einfach«, entgegnete Dagobert. »Als Ausschussmitglied habe ich die Pflicht, mich um die Verwaltung zu kümmern. Was Küche und Keller betrifft, habe ich mich schon umgetan. Es ist alles in bester Ordnung, und – tröste dich – das Defizit aus diesen Betrieben wird uns ungeschmälert erhalten bleiben. Dann wollte ich mich auch für das Kartendepartement interessieren. Von einem Amateurdetektiv wird dich das nicht wundern. Auch da, was die Verrechnung betrifft, ist alles in Ordnung.«

»Ich danke für eine solche Ordnung!«, rief Grumbach mit Bitterkeit dazwischen.

»Da kam mir die Idee«, fuhr Dagobert fort, »die einem anderen vielleicht nicht gekommen wäre. Ich wollte einmal die überspielten Karten überprüfen. Ich ließ mir also alle Kartenspiele, die während der abgelaufenen Woche zur Verwendung gelangt waren, ins Vorstandszimmer bringen, sperrte die Tür ab und nahm dann die Überprüfung vor.«

»Wie viele Spiele hat man Ihnen denn hingeschleppt?«, fragte Frau Violet.

»Vierhundertundfünfzehn Spiele, meine Gnädigste.«

»Herrgott, da haben Sie ja eine furchtbare Arbeit gehabt!«

»Es war nicht so arg. Sie müssen nicht glauben, dass ich jede einzelne Karte unter die Lupe genommen habe, sonst säße ich ja noch dort. Ich nahm aus jedem Spiel nur eine Karte, allerdings ein Honneur. Wenn nämlich die wichtigen Karten nicht gezeichnet waren, dann waren es die übrigen sicher auch nicht. War aber ein Spiel markiert, dann mussten es in erster Linie jene Blätter sein, auf die es in der Partie hauptsächlich ankommt. So konnte ich doch in drei Stunden fertig werden.«

»Und was hast du gefunden?«, fragte Grumbach.

»Wie ich bereits bemerkt habe, dass im Klub falsch gespielt wird. Ich habe sechs gezeichnete Spiele beseitigt und unter Verschluss genommen. Eines davon ist das hier.«

»Sie haben uns noch immer nicht gezeigt, wie sie markiert sind.«

»Ich glaube es doch schon gesagt zu haben, – Maquillage, einfache Maquillage!«

»Wir sind nicht vom Fach, lieber Dagobert. Mit uns müssen Sie schon etwas deutlicher reden.«

»Wohlan, hören Sie mir zu, Gnädigste Frau. Sie werden enttäuscht sein, wie einfach die Geschichte ist. Sehen Sie sich diese Rückseite der Karten an. Sie ist bedruckt und weist ein einfaches, mit Absicht so gewähltes Muster auf, dass es dem Auge keine besonderen Anhaltspunkte biete. Wir haben hier zahllose Punkte und kleine, nicht ganz geschlossene Kreislinien. Der Falschspieler hat nun folgende Methode gewählt: Er nahm eine feine Nähnadel, tauchte ihre Spitze in reines, farbloses und durch Erhitzung flüssig gemachtes Wachs. Dann stach er leicht an bestimmter Stelle in die Rückseite, natürlich nicht so stark, dass die Spitze durch das Blatt durchgedrungen wäre. So leicht er auch stach, die Spitze hat doch eine kleine Vertiefung verursacht, und in dieser setzte sich ein Atom von Wachs fest.«

»Das kann man aber doch unmöglich mit den Fingerspitzen spüren!«, bemerkte Frau Violet, indem sie gleich die Probe zu machen versuchte.

»Wenn er sich auf seinen Tastsinn hätte verlassen wollen, hätte er eine andere Methode versucht. Es gibt solche, sie sind aber gefährlicher und darum weniger empfehlenswert.«

»Aber sehen kann er diese Pünktchen doch auch nicht!«, fuhr Frau Violet fort, wieder bemüht, dem Geheimnis auf den Grund zu kommen.

»Man kann sie sehr gut sehen. Lassen Sie nur das Licht auf der Rückseite spielen!«

»Ja, wahrhaftig!«, rief Frau Violet erfreut. »Hier sieht man es ganz deutlich, ein matter Punkt!«

»Das ist der ganze Witz. Das Kartenpapier glänzt, und in den Lichtreflexen macht sich ein toter Punkt leicht bemerkbar, allerdings nur für den Wissenden. Alles Übrige ergibt sich von selbst. Sie sehen, da stehen acht kleine Kreislinien in einer Reihe, und es gibt zwölf Reihen. Ein Spiel könnte also aus sechsundneunzig Blatt bestehen, und der Künstler käme noch immer nicht in Verlegenheit, wo er für jedes Blatt seinen Punkt hinsetzen soll, wenn er sein System einmal festgestellt hat. Seinem Gedächtnis ist dabei gar nicht viel zugemutet. Die erste Reihe gilt für Herz, die zweite für Karo und so weiter. Angefangen wird mit dem König, dann kommt die Dame, – die ganze Sache, so frech sie ist, ist beinahe kindisch.«

Grumbach hatte bei Weitem nicht das Interesse für die Details wie seine Frau. Ihn peinigte die kritische Lage, in die nun er und mit ihm der ganze Klub geraten war. Seine Gedanken bewegten sich nach ganz anderer Richtung.

»Ich bin nur glücklich, Dagobert«, begann er, »dass ich dich jetzt zur Hand habe. Du bist der Mann, dem Schwindel ein Ende zu machen.«

»Ich schmeichle mir allerdings, der richtige Mann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Ich verbürge mich dafür, dass ich dir den Gauner in wenigen Tagen stelle!«

»Du bist zu gütig, Dagobert, aber dafür danke ich ganz entschieden!«

»Habe ich mir so gedacht.«

»Wenn ich ihn kenne, muss ich ihn dem Gericht ausliefern. Muss ich, geht gar nicht anders. Und dann haben wir den öffentlichen Skandal mit all seinen Konsequenzen.«

»Das glaube ich auch. Was soll ich aber sonst tun?«

»Bringe mir den Schurken in aller Stille weg. Er soll sich seinen Strick anderswo suchen. Kein Mensch darf von der Geschichte auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren, und was mich betrifft, so will ich nie mehr etwas von ihr hören.«

»Bon! Soll besorgt werden.«

 

Vier Tage später saßen sie wieder zu dritt im Grumbachschen Haus. Bei Tisch, wo die Dienerschaft ab und zu ging, wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen, von den Soireen bei Eichstedts, von dem nächsten Damenabend, der im Klub veranstaltet werden sollte, und dergleichen mehr. Als sie aber dann im Rauchzimmer saßen, sicher vor Störungen durch die Dienerschaft, und Dagobert sich anschickte, harmlos über die alltäglichen Ereignisse weiterzuplaudern, da konnte Grumbach doch nicht länger an sich halten und brach mit der spannungsvollen Frage los: »Nun, Dagobert, wie steht’s?«

»Womit?«

»So sei doch nicht so, du kannst dir ja denken!«

»Du meinst doch nicht die – die gewisse Affäre?«

»Natürlich meine ich die! Was sollte ich sonst meinen?!«

»Ich dachte, damit dürfe man dir überhaupt nicht mehr kommen!«

»Sei nicht kindisch, Dagobert, ich muss doch wissen, was vorgeht!«

»Ich habe selbstverständlich deinen Auftrag erfüllt. Die Sache ist erledigt. Du kannst ruhig sein: Es ist all right.«

»Gott sei Dank!«, rief Grumbach aufatmend. »Ich kann also wirklich wieder ruhig schlafen?«

»Wie ein Murmeltier. Kein Mensch wird je etwas davon erfahren. Es müsste denn sein, wofür ich mich natürlich nicht verbürgen kann, dass der betreffende Herr selber plaudert, aber ich glaube, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist.«

»Sie müssen erzählen!«, drängte nun Frau Violet.

»Aber der Herr Gemahl erlaubt es ja nicht!«

»Unsinn, Dagobert, – erzähle!«

»Es gibt nicht viel zu erzählen, wenigstens nichts Dramatisches, da ich mich natürlich an deine Befehle halten musste. Ich hatte zu erreichen, dass nicht mehr falsch gespielt werde. Das ist erreicht.«

»Ich bin furchtbar neugierig, wie Sie das gemacht haben«, warf Frau Violet ein.

»Die Sache war von Haus aus nicht schwer, und sie ist noch leichter gegangen, als ich mir es vorgestellt hatte. Zunächst also, meine Gnädigste, musste ich mir klarmachen, wie der Betrug ins Werk gesetzt wurde. Die Karten waren selbstverständlich vorher präpariert. Wie aber wurden sie auf den Spieltisch geschmuggelt? Am einfachsten ließ sich das machen, wenn einer von den Dienern, die mit den Karten zu tun haben, mit im Einverständnis war. Bei uns ist die Einrichtung so, dass zu jedem Spieltisch eine silberne Tasse mit drei Päckchen Karten auf ein niedriges Taburett gestellt wird. Die Herren lieben es, wenn sie eine Stunde mit einem Spiel gespielt haben, ein frisches Päckchen zu nehmen. Der Diener hätte also zu dem betreffenden Spieltisch und der betreffenden Gesellschaft …«

»Welche Spielgesellschaft war es?«, fragte Grumbach.

»Keine Ahnung! – unter den drei Spielen nur das gezeichnete mit zu servieren gehabt. So hätte sich die Sache ganz unauffällig gemacht.«

»Und ist es so gemacht worden?«, forschte Frau Violet.

»Nein, meine Gnädigste. Unser Künstler arbeitet ohne Gehilfen. Das ist sicherer und billiger. En Mitwisser ist immer eine Gefahr, und zu große Spesen will man sich bei dem Geschäft doch auch nicht machen.«

»Ich begreife überhaupt nicht recht«, bemerkte Grumbach dazwischen, »wie einer bei uns auf diese Idee verfallen konnte, wo ich doch grundsätzlich und mit aller Strenge darauf halte, dass im Klub kein Hasardspiel gespielt werde. Das dulde ich absolut nicht!«

»Ein sehr schöner Grundsatz – zweifelsohne, und du hast sehr recht damit, mein lieber Grumbach, aber in der Praxis gibt es auch da einen Haken. Das Verbot muss bestehen – natürlich. Der Staat erlässt es ja auch, obwohl mir da die Bevormundung weniger gefällt. Wenn ein paar Tagediebe dumm genug sind, sich auch auf solche Scherze einzulassen, so weiß ich nicht, ob man das Recht oder die Pflicht hat, sie gerade da beim Zipfel zu nehmen. Lässt man sie da nicht, so wissen sie sich sicher irgendeine andere, nicht minder ausgiebige Dummheit zu finden.«

»Man muss die Leute vor sich selber schützen«, bemerkte der Herr Präsident.

»Vielleicht die wirtschaftlich Schwachen. Für die Schwachen im Geist und Charakter gibt es keinen Schutz.«

»Nur jetzt keine Philosophie, lieber Dagobert!« flehte Frau Violet. »Erzählen Sie lieber weiter; so neugierig war ich noch nie!«

»Sofort, meine Gnädigste – nur noch eine Bemerkung. Der Trieb, Hasard zu spielen, besteht einmal, ist vielleicht in der menschlichen Natur begründet, und da kann er, wenn er sich betätigt, leicht gefährlicher werden, wenn das gezwungenermaßen im geheimen geschieht, als im Licht und unter der Kontrolle der Gesellschaft. Aber das nur nebenbei. Das Verbot muss natürlich schon anstandshalber doch aufrechtbleiben. In unserem Fall bedurfte es des Hasardspiels gar nicht. Gespielt wird mit Marken. Wie hoch sich die Herren diese bewerten, das ist ganz ihre Sache, und kein anderer braucht es zu erfahren. Unser Künstler konnte sich da auch bei dem harmlosesten und erlaubten Spiel ganz ohne alles Aufsehen täglich seine drei- oder fünfhundert Gulden verdienen. Das ist, meine ich, auch schon etwas!«

»Hinrichten müsste man einen solchen Menschen!«, meinte Frau Violet so nebenbei.

»Ich habe also die Klubdiener aufs Korn genommen. Es wird dir angenehm sein, zu hören, Grumbach, dass sie mit dieser Sache absolut nichts zu tun haben. Ich habe sie, ohne dass sie es merkten, besonders scharf examiniert. Sie sind vollkommen ahnungslos.«

»Das ist mir auch angenehm«, bestätigte Grumbach.

»Nun musste ich also weiter kombinieren. Ich hatte sechs Spiele säsiert, und zwar drei Tarock- und drei französische Spiele, und alle waren nach demselben System gezeichnet. Durchgesehen hatte ich das Material von einer Woche. Nun war ich zu folgenden Schlüssen berechtigt: erstens: Es gibt da nur einen Falschspieler. Zweitens: Der Falschspieler hat täglich nur ein gezeichnetes Spiel in Verwendung gebracht. Das ist auch erklärlich. Denn drittens: Er musste das vorbereitete Spiel selber auf das Taburett praktizieren und dafür ein anderes Spiel in seiner Tasche verschwinden lassen. Kein ganz leichtes Problem, ich gebe es zu, aber doch immerhin lösbar. Die jungen Herren erscheinen meist im Frack. Denn gewöhnlich haben sie entweder ein Diner hinter sich oder irgendeine andere gesellschaftliche Verpflichtung noch vor sich. Mit Hilfe eines Claque und eines seidenen Taschentuches, die unauffällig auf die Kartentasse gelegt und von dort wieder ebenso unauffällig weggenommen werden können, ist das Problem schon zu lösen. Bei drei Spielern hatte der Fälscher immer zwei Chancen, neben dem Taburett zu sitzen. Bei einiger liebenswürdigen Beflissenheit hatte er überhaupt alle Chancen für sich. Auf die Wahl der Plätze wird ja nicht geachtet. Es kommt auch nicht darauf an. Er konnte sogar noch einem der Partner gegenüber zuvorkommend sein und brauchte dann nur dem anderen wirklich zuvorzukommen.«

»Du warst von vornherein überzeugt«, fragte Grumbach, »dass es ein junger Mann sein müsse?«

»Ja. Einer von unseren alten gediegenen Firmenträgern lässt sich auf solche Dinge nicht ein. Da wäre doch zu viel auf dem Spiel gestanden. Nein, das musste ein leichtsinniges Früchtchen, irgendein verlorener Sohn sein.«

»So rücken Sie doch endlich mit Ihrer Enthüllung heraus, Dagobert!«, mahnte die Hausfrau ungeduldig.

»Gleich, meine Gnädigste«, erwiderte Dagobert ruhig und sah auf die Uhr. »Ich habe absichtlich ein wenig gezögert, weil ich jetzt eine Störung, einen kleinen Zwischenfall erwarte. Punkt sieben Uhr! Es sollte mich doch wundern – ich muss sagen, eine Unpünktlichkeit würde ich in diesem Fall doch sehr übel nehmen.«

»Ja, was erwarten Sie denn?«, forschte Frau Violet neugierig.

»Ein kleines Lebenszeichen von dem Falschspieler.«

»Sie meinen doch hoffentlich nicht, dass er so freundlich sein wird, uns mit seinem Besuch zu beehren?«

»Das habe ich nicht verlangt.«

»Was sonst?«

»Ich habe ihm befohlen, heute Punkt sieben Uhr abends an den Herrn Präsidenten eine Buße von fünftausend Kronen zu senden. Ah, er scheint wirklich pünktlich gewesen zu sein. Was gibt es Neues, Peter?«

Die letzten Worte galten dem Diener, der eben eingetreten war. Es sei ein Dienstmann draußen mit einem Brief, den er Herrn Grumbach persönlich übergeben müsse. Der Mann wurde hereingelassen. Grumbach schnitt das ihm überreichte große und starke Kuvert auf. Es enthielt fünf Stück Tausendkronennoten und sonst keinerlei schriftliche Mitteilung, auch eine Adresse war auf dem Umschlag nicht.

»Wer schickt Sie?«, fragte Grumbach den Mann.

»Verzeih, lieber Freund«, fiel da Dagobert ein und wandte sich dann an den Boten. »Bezahlt sind Sie doch?«

»Jawohl, Euer Gnaden.«

»Dann können Sie gehen. Richten Sie aus: ›Es ist gut.‹ Sonst nichts. Adieu!«

 

Als der Dienstmann wieder draußen war, fuhr er fort: »Du musst schon entschuldigen, Grumbach, dass ich dir da dazwischengefahren bin, aber es ging nicht anders. Dabei bin nämlich auch ich beteiligt, und wenn das der Fall ist, muss ich wenigstens auf Fair Play halten. Ich habe dem Mann einige Verpflichtungen auferlegt. Die hat er erfüllt, zum Teil wird er sie noch erfüllen. Damit habe ich stillschweigend als Gegenleistung übernommen, ihn nicht zu verraten.«

»Mit Gaunern paktiert man nicht!«

»Das ist richtig. Dann hätte ich ihn aber kurzerhand der Polizei übergeben müssen. Das wolltest du nicht. Da musste also ein Ausweg gefunden werden. Jedenfalls geht es nicht an, einen Menschen, und sei es auch ein Verbrecher, für eine Sache doppelt zu strafen, ihn erst privatim zu brandschatzen und ihn dann auch noch dem Gericht auszuliefern. Das wäre nicht fair.«

»Wer ist denn nun aber der Unglücksmensch?«, fragte Grumbach erregt.

»Ja, wie soll ich das wissen?!«, antwortete Dagobert mit sehr unschuldiger Miene.

»Da hört doch alles auf – wer sonst?!«, rief Grumbach.

»Ich gebe dir mein Ehrenwort, Grumbach, dass ich es nicht weiß.«

Frau Violet sah mit offenem Mund zu Dagobert auf.

»Sie wissen es nicht, Sie geben Ihr Ehrenwort – und das soll ein Mensch glauben?! Und hier liegen die fünftausend Kronen! Ja, Dagobert Trostler, sind Sie von Sinnen?«

»Ach, die fünftausend Kronen, – die sollten nur eine sinnige Überraschung für Sie sein, meine Gnädigste. Sie sehen, ich denke immer an Sie. Im Übrigen bin ich wirklich kein Hexenmeister. Es geht alles sehr natürlich zu. Grumbach wollte den Übeltäter nicht kennen. Mir war es auch lieber, wenn ich seine persönliche Bekanntschaft nicht machen musste und wenn ich eine persönliche Begegnung vermeiden konnte. Ich hätte ihn doch wenigstens ohrfeigen müssen. Das wäre das Mindeste gewesen, was mir geblüht hätte. Und – Sie begreifen – man regt sich nicht gern ohne Grund auf. Da habe ich es doch vorgezogen, an unserem Programm festzuhalten, den Mann nicht zu entlarven, den Skandal zu vermeiden und nur seinen weiteren Betrügereien einen Riegel vorzuschieben.«

»Und wie haben Sie das angestellt?«

»Es war kein besonderes Kunststück. Ich wusste, dass der Gauner die präparierten Spiele selber mitbringen müsse, und zwar zwei Spiele, da er gerüstet sein musste sowohl für französische Karten als auch für Tarock. Zur Verwendung bringen konnte er nur ein Spiel, und im Vornhinein konnte er nicht wissen, welches. Es schien mir nicht wahrscheinlich, dass er zwei Spiele bei sich am Leib tragen werde. In einem knappen, eleganten Salonanzug hätte das doch leicht auffallen können. Ich begab mich also, als alles beim Spiel an der Arbeit war, in die Garderobe. Indem ich tat, als suchte ich meinen Überzieher, fuhr ich mit beiden Händen an allen dort hängenden Röcken herunter. Einen Diener, der mich hilfsbereit fragte, ob ich etwas suche, schnauzte ich so furchtbar grob an, dass er sofort spurlos verduftete. Dann fand ich auch, was ich suchte.«

»Ein Kartenspiel?«

»Ich fühlte es von außen, dass es ein Kartenspiel sei. Ich griff in die Tasche. Die Karten waren unter ein seidenes Taschentuch gesteckt, damit sie nicht etwa von außen gesehen werden konnten. Ich nahm die Karten an mich. Eine kurze Prüfung im Vorstandszimmer überzeugte mich, dass ich an den richtigen Mann, beziehungsweise an den richtigen Rock geraten war. Nun war die große Frage: Was tun? In Anbetracht aller Umstände entschied ich mich für folgenden Ausweg. Ich schrieb hastig einen Brief, den ich nun anstelle der Karten in jene Tasche steckte.«

»Was schrieben Sie in dem Brief, Dagobert?«, fragte Frau Violet gespannt.

»Ich kann ihn wörtlich zitieren: ›Die Beweise habe ich in der Hand. Zwei Bedingungen: 1. Sie werden den Klub nicht mehr betreten. 2. Der Präsident wird von Ihnen am nächsten Dienstag um sieben Uhr abends, pünktlich Fünftausend Kronen als wohltätige Spende für den Verein für entlassene Sträflinge zugeschickt erhalten.‹«

»Der Verein für entlassene Sträflinge!«, rief Frau Violet erfreut.

»Eine Buße musste ich ihm auferlegen, und ich entschied mich auf gut Glück für die genannte Summe, obwohl ich natürlich nicht wissen kann, wie viel er seinen Opfern abgenommen hat. Drei Tage ließ ich ihm Zeit, weil ich annahm, dass es ganz gut möglich sei, dass ein Spieler momentan kein Geld hat, dass er es sich aber in drei Tagen beschaffen kann, wenn es unbedingt sein muss. Daraus kann man sich bei Spielern schon verlassen.«

»Dagobert, Sie denken aber auch an alles!«

»Ich bin noch nicht fertig, Gnädigste. Unangenehme Folgen wollten wir ja vermeiden. Ich durfte also auch nicht nach den Opfern forschen, um ihnen etwa den Verlust ganz oder teilweise zu ersetzen. Dabei hätte ja die ganze Geschichte aufkommen müssen. Ich entschloss mich also, den Verein für entlassene Sträflinge zu bedenken. Aus zwei Gründen: erstens, um Ihnen eine Freude zu machen, da Sie doch eine der eifrigsten Vorstandsdamen des Vereines sind, und zweitens, weil ich es nur für recht und billig hielt. Ich dachte mir nämlich, wenn der Mann schon das Geld hergibt, soll er wenigstens die Möglichkeit haben, einmal auch etwas davon zu haben.«

»Dagobert, Sie sind ein Humorist!«

»Indem ich ihm aber die Bedingungen stellte, habe ich einen Vertrag mit ihm geschlossen und mich meinerseits stillschweigend verpflichtet, ihn nicht, wenigstens nicht gleich zu verraten. Du siehst also, Grumbach, es wäre nicht loyal gewesen, den Dienstmann über den Absender auszuholen. Übrigens – verlass dich darauf – hätte es auch nichts genutzt. So klug war er jedenfalls, dass er nicht selber den Boten abgefertigt, sondern dass er sich einer unverfänglichen Mittelsperson bedient hat, deren Personalbeschreibung uns gar nichts nutzen würde.«

Grumbach hätte nun doch gern erfahren, wer der Betrüger sei, der den Klub geschändet hatte. Aber er wusste, dass Dagobert einen harten Schädel hatte und sich nicht nach Belieben weiter treiben ließ, als er gehen wollte. Im Innern war er doch sehr zufrieden über diese Art der Lösung, weil sie dem öffentlichen Skandal vorbeugte, der sonst unvermeidlich gewesen wäre.

 

Dagobert ließ sich einige Tage nicht blicken und kam erst wieder, um verabredetermaßen Frau Violet zu einer Soiree bei Eichstedt abzuholen. Grumbach, geschäftlich aufgehalten, wollte erst eine Stunde später nachkommen. Während der Fahrt kam Frau Violet wieder auf den Falschspieler zurück. Der Fall interessierte sie doch sehr.

»Dagobert«, begann sie, »ich glaube es nicht, dass Sie es nicht herausgebracht haben, wer es ist. Das kann Ihnen doch keine Ruhe gelassen haben!«

»Ich habe es auch herausgebracht, meine Gnädigste, aber verraten Sie mich Ihrem Mann nicht.«

»Das ist lieb von Ihnen, Dagobert, dass Sie es mir sagen wollen.«

»Das habe ich nicht gesagt, und das werde ich auch nicht tun.«

»Ja, was soll ich denn nicht verraten?«

»Dass ich es weiß. Sonst setzt er mir doch zu, und es wäre nutzlos.«

»Warum wollen Sie es mir aber nun nicht sagen?«

»Es gibt ernste Gründe dafür, dass Sie es nicht erfahren.«

»Das verstehe ich nicht, Dagobert.«

»Ist auch gar nicht nötig, meine Gnädigste.«

»Aber wie Sie es herausgebracht haben, können Sie mir doch sagen.«

»O ja, schon damit Sie sich keine übertriebenen Vorstellungen von meiner Detektivkunst machen. Dazu bedurfte es keiner besonderen Schlauheit. Ich wusste, dass die Diener in der Garderobe den Mitgliedern und den ständigen Gästen immer dieselbe Nummer anweisen. Das ist ja sehr praktisch. Ich brauchte mich also nur zu erkundigen, wem die betreffende Nummer gehörte, an welcher der bewusste Überzieher hing.«

»So einfach?«, sagte Frau Violet ein wenig enttäuscht. Sie hatte sich die Sache viel romantischer vorgestellt. »Sagen Sie noch eins, Dagobert. Haben Sie nicht gefürchtet, dass Sie den Mann zum Selbstmord treiben könnten, als Sie ihm jenen Brief zusteckten?«

Dagobert zuckte die Achsel. »Ich hätte das für kein Unglück gehalten und mein Gewissen nicht beschwert gefühlt.«

»Sie sind schrecklich, Dagobert. Er hätte aber auch Ihnen etwas antun können.«

»Ich hatte, was ich sonst nicht gern tue, anonym geschrieben. Hätte ich mich genannt, dann hätte ich ja auch nicht schweigen können.«

»Noch eins, Dagobert. Mussten Sie nicht annehmen, dass er auf Ihren Brief hin fliehen werde, und zwar, bevor er die hohe Summe als Buße erlegte?«

»Ich vermutete gleich, dass er nicht fliehen würde, und jetzt weiß ich es bestimmt. Er hat noch ein großes Geschäft vor, das er nur im äußersten Notfall im Stich lassen wird. Aber wir sind zur Stelle. Erlauben Sie, dass ich zuerst aussteige.«

Sie waren als die Ersten gekommen, aber bald strömten die Gäste herzu, und Frau Violet machte in ihrer entzückenden Art die Honneurs. Dagobert suchte die Baronin Gretl auf.

»Baronin Gretl!«, begann er. »Wollen Sie mir zwei Minuten schenken?«

»Mit tausend Freuden auch viel mehr, Herr Dagobert!« Sie nannte ihn auch Dagobert, wie die meisten Leute. Viele wussten nicht einmal, dass das gar nicht sein Zuname sei.

»Aber ungestört!«, fuhr er fort.

»Dann stellen wir uns in jene Fensternische.«

»Das ist mir nicht ungestört genug.«

»Dann kommen Sie mit in Papas Schreibzimmer. Dort können wir die größten Geheimnisse verhandeln.«

Im Schreibzimmer setzten sie sich zurecht, und Dagobert fuhr sich sorgenvoll mit der Hand über sein Petrusschöpfchen, als er wieder begann: »Baronin Gretl, ich muss Ihnen Schmerz bereiten.«

»Von Ihnen kommt nichts Schlimmes, Herr Dagobert.«

»Wollte Gott, dass Sie es leicht nähmen! Baronin Gretl, Sie interessieren sich für einen jungen Mann.«

»Ach Gott, Herr Dagobert, nun kommen auch Sie mir damit! Sie werden mir jetzt beweisen, dass er nichts hat. Das alles weiß ich schon, weiß es aus seinem Mund. Er denkt zu vornehin, um das zu verschweigen, und ich vielleicht, um mir etwas daraus zu machen!«

»Nein, Baronin, das wollte ich nicht. Ich bin kein Philister, und ich würde mich über Ihre Tapferkeit nur freuen. Sie haben es nicht nötig, sich von schäbigen Geldrücksichten bestimmen zu lassen.«

»Ich täte es auch nicht, wenn ich es nötig hätte, Herr Dagobert.«

»Brav gedacht, Baronin Gretl! Wenn der junge Mann auch nur brav und tüchtig und nebenbei ein hübscher Mensch ist …«

»Ist er es vielleicht nicht?«, fragte Baronin Gretl lachend.

»O – er hat wunderhübsche Augen! Aber davon kann gar keine Rede sein, dass er Ihrer würdig wäre.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Dass er vielleicht alles, aber nur kein anständiger Mensch ist.«

»Herr Dagobert, derlei muss man beweisen können!«

»Natürlich muss man das.«

»Dann beweisen Sie es!«

»Nein, Baronin, das will ich nicht. Es würde für Sie eine zu hässliche Erinnerung für das ganze Leben sein. Auch Ihr Vater soll es nicht erfahren. Er würde es immer als einen Schandfleck auf seiner Ehre empfinden …«

»Herr Dagobert!«

»Als einen Schandfleck, dass ein solcher Mensch in seinem Haus ein- und ausgegangen ist.«

»Und das alles soll ich Ihnen aufs Wort glauben?!«

»Doch nicht ganz, Baronin. Wir wollen nur im allseitigen Interesse über die Qualitäten des jungen Mannes schweigen. Ich hoffe, Sie auch so überzeugen zu können.«

»Und wenn nicht?!«

»Dann rette ich Sie gegen Ihren Willen. Ich habe schon einmal einen Selbstmörder aus dem Wasser gezogen, der mich dann durchgeprügelt hat. Das kommt vor. Ich dulde einfach nicht, dass der Mann Ihnen noch einmal die Hand reicht, noch einmal das Wort an Sie richtet. Ich dulde es nicht. Ich will Ihnen sagen, was sich in der nächsten Viertelstunde begeben wird und was Ihnen als vollgültiger Beweis dienen mag. In dem Moment, wo man sich zu Tisch setzen wird, wird ein Diener jenem Herrn diesen Brief überreichen. Lesen Sie ihn Baronin.«

Baronin Gretl las:

Ich befehle Ihnen, die Gesellschaft sofort und ohne Gruß zu verlassen. Ich befehle Ihnen weiter, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden von Wien abzureisen und sich nie wieder in dieser Stadt blicken zu lassen, – sonst Polizei! Dagobert Trostler. Wien 1., Tuchlauben 2. I.

»Das ist entsetzlich!«, sagte Baronin Gretl tonlos, als sie fertig gelesen hatte. Sie war ganz blass geworden, und sie blickte ratlos und wie Hilfe suchend zu Dagobert auf.

»Glauben Sie, Baronin«, nahm dieser das Wort an sich, »dass ein anständiger Mensch sich das bieten lässt? Wenn er noch einen Funken Ehre im Leibe hat oder den letzten Rest eines guten Gewissens, dann muss er mich auf der Stelle ohrfeigen – Sie sehen, ich habe voll unterschrieben –, oder er schickt mir unverzüglich seine Zeugen, und ich muss mich mit ihm schießen auf Leben und Tod. Nichts von alledem wird der Fall sein. Er wird sich lautlos davonschleichen wie ein verprügelter Hund.«

Baronin Gretl saß bleich und stumm da, aber sie drängte tapfer die aufschießenden Tränen zurück. Plötzlich leuchtete es in ihren Augen auf wie von Entschlossenheit.

»Gut«, sagte sie. »Wenn er sich das gefallen lassen muss, dann ist er ein verlorener Mensch!«

»Er ist verloren, Baronin, und er verdient kein Mitleid. Mich schmerzt es, dass ich Ihnen wehtun musste. Glauben Sie, dass ich handelte, wie ich als Ihr Freund und als der Freund Ihres Hauses handeln musste?«

»Ja, Herr Dagobert, das glaube ich.«

Die Ereignisse spielten sich genau so ab, wie Dagobert sie vorher verkündet hatte. Kalligrafierte Karten auf den Gedecken bezeichneten jedem seinen Platz an der Tafel. Dagobert hatte vorher eigenmächtig seine Karte zwischen die Plätze von Baronin Gretl und Baron André niedergelegt. Als man zu Tisch ging, überreichte ein Diener dem Baron André einen Brief, den dieser ungelesen in die Tasche steckte. Der Diener erlaubte sich, dem empfangenen Auftrag entsprechend, die untertänige Bemerkung zu machen, dass der Brief sehr dringlich sei und unverzüglicher Bescheid erwartet werde. Der Baron öffnete den Brief und durchflog ihn rasch. Dann neigte er sich vor, als wolle er das Wort an Baronin Gretl richten. Dagobert flüsterte ihm leise, aber sehr bestimmt zu: »Allons donc – sans adieu!«

Der Baron richtete sich wieder auf und verließ schweigend das Gemach. Die Gesellschaft bemerkte seine Entfernung kaum, und das Fest nahm seinen weiteren ungestörten Verlauf.