Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Felsenherz der Trapper – Teil 11.1

Felsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 11
Das Häuptlingsgrab am Juan-Fluss
Erstes Kapitel

Tom Pick und die beiden Kojoten

Durch die weiten Prärien, die sich nördlich der Guadalupeberge bis zu den Südausläufern der Jikarilla-Höhenzüge hinziehen, trabte an einem schwülen Sommerabend ein einzelner Reiter, der einen Falben ritt und so tief herabgebeugt im Sattel saß, dass man sofort vermuten musste, er wolle eine bei der zunehmenden Dunkelheit nur noch undeutlich sichtbare Fährte nicht aus den Augen verlieren.

Der Reiter war mittelgroß, kräftig und hatte ein offenes, von einem dunkelblonden Bart umrahmtes, stark gebräuntes Gesicht. Seine Kleidung war einfach und praktisch: ein Jagdrock aus gegerbtem Hirschleder, darunter ein graublaues Wollhemd, Hosen aus sehr derbem Leinenstoff, lange Stiefel mit weichen Schäften und ein zerknitterter und verwitterter dunkler Filzhut von unbestimmter Farbe.

In dem breiten Ledergurt steckte außer Messer und kleinem Handbeil eine doppelläufige Pistole. Quer über den Sattel aber hielt der Reiter eine sehr schwere, einläufige Büchse von jener Art, die unter dem Namen Kentuckybüchsen berühmt waren.

Der Falbe war bereits recht abgetrieben. Sein Herr spornte ihn jedoch durch leise Zurufe immer wieder an. Als das Pferd aber mehrmals vorn einknickte, mochte der Reiter wohl einsehen, dass das brave Tier wirklich vollkommen erschöpft war, stieg ab und schritt zu Fuß weiter. Der Falbe folgte ihm ganz von selbst und rupfte nun hier und dort im Gehen ein paar Grashalme ab.

An einer Stelle, wo kahler Sand zutage trat, machte der Einsame halt, kniete nieder und prüfte die Fährte, die er nun seit fast anderthalb Wochen unermüdlich stets aufs Neue trotz aller Kniffe derjenigen, von denen sie herrührte, wiedergefunden hatte, mit größter Sorgfalt.

Es war die Spur zweier Reiter, deren Pferde Hufeisen trugen.

»Hm … keine zehn Minuten ist die Fährte alt«, murmelte der Mann. »Und die beiden Gäule sind noch abgehetzter als mein Falbe! Schade, dass die Nacht mir wieder einen Strich durch die Rechnung macht! Sonst hätte ich die Burschen heute eingeholt, so wahr ich Tom Pick heiße!«

Er schritt mit langen, gleichmäßigen Schritten weiter, den Kopf und Oberleib vorgebeugt. Seine scharfen Augen konnten die Spur noch leidlich erkennen, und er wollte auf jeden Fall versuchen, den beiden Leuten nahe zu bleiben.

Nach einer Stunde aber zog ein Gewitter auf. Bald prasselte ein starker Regen herab. Der Einsame fluchte leise, schnallte vom Sattel einen langen Ölmantel ab, zog ihn über und bedeckte seinen Falben gleichfalls mit einem Stück Öltuch. Dann legte er sich unweit der Fährte in ein Gebüsch und wartete das Ende des Gewitters ab.

Zur gleichen Stunde lagerten etwa eine Meile weiter nördlich am Ufer eines Baches unter ein paar breitästigen Buchen, die von einem dichten Kranz von Büschen umgeben waren, zwei Weiße und ein schlanker Indianer mit edel geschnittenem Gesicht, der in dem Haarschopf vier Adlerfedern und um den Hals eine dreifache Kette von weißgrauen Krallen des gefürchteten Graubären trug.

Der Indianer war Chokariga, der Schwarze Panther, der berühmte Comanchenhäuptling. Dicht neben ihm an dem kleinen Feuer saß der blonde Trapper Felsenherz, der Freund und Halbbruder des Comanchen, in dessen Adern nicht rein indianisches Blut floss. Der Dritte war ein Gambusino, ein Goldsucher, namens Sancho, ein kleiner, breitschultriger, schwarzbärtiger Mann, der von den Rothäuten zumeist der Indsmenfresser genannt wurde, weil er vor Jahren einen unerbittlichen Vernichtungskrieg gegen die Apachen, seine grimmigsten Feinde, geführt hatte.

Sancho erhob sich und erklärte, er wolle die erste Wache bis Mitternacht übernehmen, nahm seine Büchse und schlenderte durch die Büsche in die Prärie hinaus.

Kaum war er verschwunden, als der Schwarze Panther leise zu dem blonden Trapper sagte: »Mein Bruder Harry (Felsenherz hieß mit seinem richtigen Namen Harry Felsen) soll nun erfahren, dass die Felsspalte im Regental hinter dem Wasserfall doch eine Bonanza (Fundstelle reinen Goldes in Kieselform) enthielt. Aber der Gambusino hätte beim Anblick all der Schätze wohl den Verstand verloren!«

Das, was der Häuptling hier soeben erwähnte, bezog sich auf das letzte Abenteuer der drei hier lagernden Männer. Felsenherz und Chokariga hatten nämlich den Gambusino nach den südlich von hier gelegenen Guadalupe-Bergen begleitet, um hier festzustellen, ob es mit einem Geheimnis, das eine Apachin einst dem Gambusino anvertraut hatte, wirklich etwas Besonderes auf sich habe. Nur Chokariga war dann mithilfe eines Taus in jene Felsspalte, die hinter einem zwanzig Meter tief abstürzenden Wasserfall lag, hinabgeklettert und hatte für Sancho nur zehn Goldkiesel mitgenommen, um dessen Habgier nicht unnötig zu wecken. Dann hatten die drei Gefährten schleunigst vor den Apachen fliehen müssen, die ihnen dicht auf den Fersen waren.

Felsenherz und der Häuptling ahnten nicht, dass bereits eine Viertelstunde lang in den Büschen hinter ihnen ein Mann lag, der sich vom Bach her so behutsam in das Gesträuch geschoben hatte, dass er dabei auch nicht das geringste Geräusch verursachte.

Jetzt trat dieser Mann mit derselben Gewandtheit den Rückweg an, begünstigt durch die ersten Windstöße des nahenden Gewitters, unter deren Wucht die Buchenkronen und die Büsche rauschend hin und her geworfen wurden und so viel Lärm verursachten, dass der heimliche Lauscher sich nicht einmal allzu sehr in acht zu nehmen brauchte, nachdem er erst aus der Nähe der beiden am Feuer sitzenden Prärieläufer sich etwas entfernt hatte.

Der Mann schlug, stets am Bachufer im hohen Gras entlangkriechend, östliche Richtung ein, bis er an einen steinigen Hügel gelangte, wo einige Eichen wuchsen. Hier traf er mit seinem Gefährten zusammen, der, die gespannte Büchse im Arm, neben zwei gesattelten Pferden stand.

Diese beiden Männer, die nun eifrig miteinander flüsterten, machten keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck.

Nein – wäre es noch heller Tag gewesen, so hätte ihnen wohl jeder auf den ersten Blick die Desperados, die Wegelagerer und Strauchdiebe angesehen.

Beide waren groß und kräftig, hatten schwarze Bärte, starke Hakennasen und listige, lebhafte, schwarze Augen. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen war unverkennbar. Ihre Jagdanzüge aus derbem Stoff, ebenso die Stiefel und die Filzhüte waren zerrissen und beschmutzt. Ihre Waffen dagegen, Doppelbüchsen und je zwei Pistolen, bewiesen, dass sie stets sorgfältig gesäubert wurden.

»Bill,« meinte der eine, der unter dem linken Atme eine breite, blutrote Narbe hatte, »was du da erlauscht hast, ist fraglos verteufelt wertvoll. Aber – was nützt es uns? Wir haben ja keine Ahnung, wo jenes Regental liegt!«

»Stimmt, Will!«, bestätigte der andere mit einem Nicken. »Du vergisst aber, dass Sancho, der Indsmenfresser, Bescheid weiß. Und den werden wir beide schon entwickeln!«

Der Gambusino nahm es mit seiner Pflicht als Wache sehr ernst. Unaufhörlich umkreiste er die Büsche. Das Gewitter traf hier zum Glück nicht. Nur ein paar Minuten lang fiel ein leichter Regen.

Sancho war soeben über den Bach hinübergewatet, um auch dort einmal nach irgendetwas Verdächtigem Ausschau zu halten. Der kleine, stiernackige Gambusino war ja kein Neuling hier im Wilden Westen. Ihn focht es nicht weiter an, dass er hier so allein in der dunklen, noch immer schwülen Nacht den Schlaf seiner beiden Gefährten beschützen musste und dass jeden Augenblick irgendwo eine Rothaut auftauchen konnte, denn gerade diese Prärien lagen nur zwei Tagesritte von den Dörfern der Mescalero-Apachen, eines Unterstammes dieser großen Indianernation, entfernt.

Und doch. So aufmerksam wie sonst war er heute nicht! Nein – die zehn Goldkiesel, die er da in der Satteltasche seines Pferdes verwahrt hatte, kamen ihm nicht aus dem Sinn. Erst hatte er nur mit stiller Freude ausgerechnet, wie viel Bargeld er dafür erhalten würde und was er sich dafür kaufen könnte – zum Beispiel unten an der mexikanischen Grenze einen hübschen Rancho (kleinere Vieh- und Ackerfarm). Dann würde er als friedlicher Ranchero seine Tage beschließen. Oh – das müsste sehr schön sein! Und fraglos würde er es bei seiner Arbeitsfreudigkeit auch zu Wohlstand bringen!

Das waren seine Gedanken, die er mit allen Einzelheiten auspann. Bald aber dachte er an anderes -dass es doch eigentlich sehr merkwürdig sei, dass dort in der Felsspalte im Regental gerade nur zehn Goldkiesel gelegen haben sollten!

Hm – an den Worten des Comanchen war ja nicht zu zweifeln! Und doch – sonderbar blieb es, dass es gerade nur zehn Goldkiesel gewesen sein sollen!

Sancho war unwillkürlich stehen geblieben. Das Misstrauen regte sich immer stärker in ihm.

Wenn es dort im Regental nun doch eine Bonanza gab und wenn Chokariga ihm dies nur aus jenem allen Nothäuten eigentümlichen Bestreben verschwiegen hatte, den Bleichgesichtern die Schätze der von Indianern von jeher bewohnten Gebiete vorzuenthalten?

Hinter dem Gambusino richtete sich lautlos eine Gestalt auf.

»’n Abend, Kamerad«, sagte Bill leise.

Und Sancho fuhr blitzschnell herum, riss das Messer aus der Scheide.

»Lasst den Knife nur stecken, Sancho!«, meinte Bill gemütlich. »Wir, mein Bruder und ich dürften Euch vom Namen nach bekannt sein. Man nennt uns »die beiden Kojoten«, weil wir schlau, schnell und unternehmungslustig wie die stets hungrigen Präriefüchse sind. Es gibt ja Leute, die behaupten, wir wären auch freche Pferdediebe. Na – es wird viel in den Ansiedlungen geredet. Jedenfalls, Sancho, ich wollte Euch nur sagen, dass der rote Schlingel, der Chokariga, Euch belogen hat. Ich war da vorhin, als Ihr drei noch am Feuer gesessen habt, hinter Euch in die Büsche geschlichen. Kaum hattet Ihr dann Eure Wache begonnen, als der Häuptling dem blonden Deutschen, der sich ja verdammt viel auf seinem Namen Felsenherz einbildet, höhnisch zuflüsterte, dass er doch im Regental eine Bonanza gefunden habe und dass er sie mit Felsenherz später in aller Stille ausräumen wolle …«

»Ah – also doch!«, stieß der Gambusino hervor, der ja nicht ahnen konnte, dass Bill das, was er erlauscht hatte, hier ganz entstellt wiedergab. »Also doch! Vermutet habe ich’s schon!«, fügte er erregt hinzu. »Caramba – diese Gemeinheit hätte ich dem Comanchen nicht zugetraut. Aber man sieht: Rothaut bleibt Rothaut! Alle sind sie falsch und hinterlistig!«

»Stimmt, Sancho! Und wer wie dieser Felsenherz so eng befreundet mit einem roten Schuft ist, dürfte keinen Deut besser sein! Wie wär’s, Mann, wenn wir drei den beiden Halunken zuvorkämen? Ihr braucht ja nur leise Euer Pferd zu holen, und dann reiten wir sofort von dannen! Dass wir es ehrlich mit Euch meinen, erkennt Ihr ja schon daraus, dass Will und ich genau so gut allein zum Regental hätten eilen können, ohne Euch mitzunehmen.«

Der Gambusino sah dies ein. Freilich, dass Bill ihm nur deshalb das vorhin Erlauschte mitgeteilt hatte, um sich durch ihn in jenes Goldtal führen zu lassen, dessen Lage den beiden Kojoten ganz unbekannt war, auf diese Vermutung kam der als Weltmann wohl recht erfahrene, aber im Übrigen geistig etwas schwerfällige Gambusino nicht.

So geschah es denn, dass Sancho tatsächlich kaum eine Viertelstunde später seinen Fuchs leise aus den Büschen holte und mit einem wütenden Blick von den beiden Schläfern stummen Abschied nahm.

Sein Pferd am Zügel schritt er rasch am Bach hin auf die Eichen zu, wo die beiden Brüder ihn schon ungeduldig erwarteten.

»So«, meinte Bill, »dann also vorwärts, Sancho!«

Und der ahnungslose Goldsucher erwiderte harmlos: »Wir tun gut, im Bogen zu den Guadalupe-Bergen zurückzukehren, da der Große Bär, der Oberhäuptling der Apachen, uns auf den Fersen war. Biegen wir nach Osten aus. Dann kommen wir bei Tagesaubruch an den Pecos, wo wir unsere Fährte selbst für Felsenherz und des Schwarzen Panthers scharfe Augen völlig verwischen können, wenn wir auf einem Baumfloß stromabwärts fahren und vorsichtig nachher an Land gehen.«

Bill und Will lächelten befriedigt. Nun wussten sie ja: In den Guadalupe-Bergen lag das Goldtal.

Die drei neuen Verbündeten trabten nach Südwest in die dunkle Prärie hinein.