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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 58

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der Spiegel und das Schwert

Drei Brüder wohnten in einem Haus zusammen und lebten miteinander, aber nicht in Frieden, nein oft in Zank und Streit, denn der Jüngste konnte alles besser, machte alles besser und war auch hübscher und glücklicher als die beiden Ältesten, die der Neid und die Bosheit plagte. Um den Jüngsten loszuwerden, gingen sie zusammen in den Wald hinaus und sagten, ihr Holz müssten sie sich hauen. Sie arbeiteten miteinander, bis es Abend war, dann legten sie sich hin und schliefen. Die beiden Ältesten machten sich aber fort, während der Jüngste fest schlief. Als dieser aufwachte, waren seine Brüder weder zu sehen noch zu hören. Er aber wusste weder Weg noch Steg und verlief sich denn dermaßen, dass es keine Möglichkeit gab, wieder aus dem Wald zu kommen. Natürlich konnte er dabei nicht fröhlich sein und suchte recht betrübt und traurig einen Ausweg. Da erschien ihm eine Fee, die seine Patin war. Davon wusste er aber nicht und seine Brüder auch nicht. Diese Fee nahm ihn mit sich in ihr Schloss, das im Wald stand, und behielt ihn bei sich. Die beiden Brüder verwandelte sie in zwei wilde Schweine, die zur Strafe im Wald umherlaufen mussten. Bei seiner Patin hatte es der Jüngste recht gut, lernte da vieles, wovon er nicht einmal zu Hause gehört hatte und blieb da, bis er zwanzig Jahre alt war.

»Nun«, sagte die Fee, »bist du alt genug und kannst dir selbst durch die Welt helfen. Jetzt musst du fort von mir.«

Er ging nicht gern weg, denn er hatte es ja so gut da und seine gute Patin so lieb, dass es ihm sehr nah ging, als sie sagte: »Jetzt musst du fort.«

Er gehorchte, wenn auch nicht gern. Dies sah ihm seine Patin an und ihr traten selbst die Tränen in die Augen, als er wegging. Beim Abschied gab sie ihm einen kleinen Spiegel und sagte: »Willst du etwas Wichtiges tun, so sieh erst in diesen Spiegel. Ist dann dein Gesicht hell und klar, freundlich und gut, so tue es. Siehst du dich aber nicht hell und klar oder bist du darin finster und mürrisch oder nachdenklich, so tu es beileibe nicht.«

Dann schenkte sie ihm auch noch ein Schwert. Die Klinge war von Silber und Stahl, der Griff von Gold und Edelsteinen, und sprach: »Nimm dieses Schwert, es sei ein teures Gut für dich. Brauch es nur, wenn dein Glück oder Unglück auf dem Spiel steht, dann wird es dich glücklich machen.«

Zuletzt gab sie ihm aber auch einen Beutel mit Gold, der musste nur so sein und sprach: »Lindere damit die Not der armen Menschheit und gebrauche es zu dem, was du nötig hast, sonst sei aber sparsam und haushälterisch. An jedem Abend vergiss nicht in deinen Spiegel zu sehen und von deinem Gesicht zu lesen, ob du an dem Tag gut oder böse gewesen bist. Je frömmer du bist, desto hübscher wirst du werden, je böser du wirst, desto hässlicher wirst du darin aussehen.«

Dann nahm sie herzlich Abschied von ihm, zeigte ihm den Weg, den er gehen sollte, und war verschwunden. In dem Augenblick war auch das Schloss weg, und der junge Mensch stand im Wald unter Bäumen. Betrübt ging er fort, dahin, wohin ihm seine Patin gesagt hatte und kam bald aus dem Wald. Auf einer schönen grünen Wiese begegnete ihm ein Greis, der war so zittrig und sah so ausgehungert aus und spricht: »Erbarme dich meiner, du lieber junger Mensch.«

Er reichte dem Alten gleich ein Goldstück und gab ihm auch zu essen.

»Gotteslohn«, sagte der Bettler und war verschwunden.

Voll Verwunderung, dass der Greis im Um- und Aufsehen weg war, zog der Jüngling seinen Spiegel heraus, sah hinein, und sein Gesicht war hell und klar. Auch schien es, als wäre er etwas schöner geworden. Voll Freude ging er weiter, tat Gutes, wo er konnte, verpasste aber keinen Abend, in seinen Spiegel zu sehen. So mancher Abend auch herankam, immer war der Spiegel hell und sein Gesicht immer schöner, sodass es nicht einen hübscheren Menschen geben konnte als ihn. Drei Jahre mochte er so gereist sein, da kam er in eine Stadt, in der ein König wohnte. Alle Leute, die ihm entgegen kamen, und die da gingen auf den Gassen, waren so betrübt und gingen so traurig, dass er endlich fragte, warum sie alle so verstört und traurig wären. Eine Frau, die er fragte, sagte, er solle nur einmal annehmen, es wäre ein Ungeheuer in die Stadt gedrungen, des Nachts, wo alles geschlafen hätte, das müsse jeden Tag einen Menschen haben, den es zerreiße und auffräße, und wenn es den nicht bekäme, so entstünde noch größeres Unglück. Solch ein Scheusal hätte es noch nicht gegeben auf der Welt, es wäre vorn eine Art Mensch, in der Mitte wie ein Löwe mit Krallen, aber ohne Haare und hinten eine grässliche Schlange. Nun hätte es schon gefährlich viel Menschen gefressen und noch immer hätte sich keiner gefunden, der es bezwingen könnte. Der König in seiner Not wolle gern dem seine einzige schöne Tochter zur Frau geben, der das Ungetüm umbrächte und die Stadt von der Plage befreite. Man warte aber vergebens auf einen Erretter, denn wenn sich auch einmal einer fände, der das Wagstück unternehme, der müsse jedes Mal daran glauben, die Haut und der ganze Wanst des Untiers wäre so dick und hart, dass kein Spieß und Schwert durchging oder hineinkäme.

Darauf antwortete der Jüngling der Frau, sie solle nur nicht verzagen, in ein paar Tagen solle es anders damit aussehen. Er wolle einmal sein Heil daran versuchen.

Ach, sagte die Frau, das möchte er doch bleiben lassen, es wäre ja schade um solch hübschen Menschen, um solch junges Blut. Dabei fasste sie seine rechte Hand und bat ihn flehentlich, doch ja nicht hinzugehen und sich von dem Untier umbringen zu lassen.

Doch er sprach: »Liebe Frau, ich danke Euch für Eure Liebe und Fürsorge, doch glaube ich, dass ich gerade dazu ausersehen bin, das Tier zu schlagen und die Stadt von der Plage zu befreien.«

Dann zog er seinen Spiegel aus der Tasche, sah hinein und siehe, sein Gesicht war so hell und klar und dabei schöner wie noch nie. Dabei dachte er auch an sein Schwert, das eine ganz andere Art Schwert war als die gewöhnlichen. Er sagte der Frau, sie solle bald etwas Neues erfahren, was er getan hätte, und dann sagte er ihr Adieu. Von da ging er stracks zum König und sagte dem, was er vorhätte. Der aber wollte es anfänglich nicht zugeben, dass der bildhübsche Mensch so schändlich geopfert würde. Als sich aber der Jüngling nicht halten lassen wollte, so gab es endlich der König zu.

Beim Abschied drückte ihm der König die Hand und sagte: »Meine Tochter gehört dir, kommst du lebendig zurück und hast das Tier besiegt. Außerdem sollst du mir ein lieber Sohn sein.«

Der Jüngling ließ sich nun sagen, wo die Bestie läge, machte sich hin, nahm sein Schwert und da ging es los. O, es war nichts Kleines, das schreckliche Ungeheuer umzubringen. Er musste sich fürchterlich vor seinem Rachen, vor seinen Krallen und dem Schwanz in acht nehmen. Doch endlich kam er ihm so nah, dass er zustoßen und das Schwert in den Wanst rammen konnte. Das Tier stürzte nieder und wälzte sich in seinem Blut. So war es denn geschehen, das Ungetüm lag besiegt und still da. Nun nahm der Jüngling seinen Spiegel vor, sah hinein und er war klar wie die Sonne und sein Gesicht war hübscher wie das vom schönsten Mädchen.

Zufrieden mit dem, was er getan hatte, ging er nun zum König und sagte, das Ungeheuer wäre tot. Darauf strömte alles hin, überzeugte sich davon und freute sich. Und die Königstochter kam, fiel ihm um den Hals und sagte, sie hätte ihn lieber als ihr Leben. Dann wurde Hochzeit gemacht.

Na, das war eine Hochzeit, nicht allein im Schloss beim König, sondern auch in der ganzen Stadt, und was das Beste war, die jungen Leute hatten sich so lieb wie die Kinder.

Als nun alles vorbei war, so sagte der junge Mann, er müsse seine Patin erst einmal besuchen und ihr danken, denn die allein hätte ihm zu seinem und ihrem Glück verholfen. Damit war denn auch die Jungfrau gleich zufrieden. Er nahm Abschied und ritt zu dem Wald, wo seine Pate wohnte, doch glaubte er nicht, dass er sie wiederfinden würde. Es kam aber anders.

Er war kaum in den Wald getreten, da kam ihm seine Patin entgegen und sprach: »Sei mir willkommen, du geliebter Sohn! Du bist glücklich, das wollte ich. Meine Pflicht habe ich erfüllt.«

»Wo sind aber meine Brüder?«, fragte der Patensohn.

»Ich will sie auch erlösen«, sprach die Fee, holte eine Pfeife hervor, tat einen Pfiff und in dem Augenblick kamen ein paar Wildschweine angerannt und blieben nicht weit von ihnen traurig stehen. Die Fee streckte ihre Hand nach ihnen aus und sprach: »Eure Strafe ist zu Ende, seid wieder frei!«

Da waren es wieder Menschen, die kamen auf ihren Bruder zu, er umarmte sie und vergab ihnen. Der junge Mann wollte alle mitnehmen, die Fee aber sagte »Nein, lebe wohl!« und war verschwunden.

Die beiden Brüder gingen mit und waren von da an besser und glücklich.

Nach dem Tod des alten Königs wurde der junge Mann König. Sein Spiegel warnte ihn vor Unrecht und sein Schwert verjagte alle Feinde. Sein Land war aber das Glücklichste.