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Sagen- und Märchengestalten – Der Freischütz

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Freischütz

Zur Zeit, als der mächtige Pipin von Heristal über die Franken gebot, lebte an seinem Hof der Sohn des Herzogs Bertrand von Guienne, ein stolzer, schöner Rittersmann, der in der Taufe den Namen Hubertus empfangen hatte. Der Ort, wo seine Wiege stand, war dem alten Jagdgott der Deutschen heilig. Unbemerkt von Menschenaugen mochte er dem Herzog wohl den Waidmannsgeist eingehaucht haben, die wilde Lust, durch Feld und Wald zu streifen mit weithin schallendem Hallo! Denn bald wurde es seine liebste Freude, auf pfeilschnellem Ross dem flüchtigen Wild nach dahin zu brausen, hinter sich die kläffende Meute, den reisigen Tross. Kein Mahnen half, kein ernstes Wort. Hubertus tobte durch das Dunkel der heimischen Wälder, als wolle er es so treiben bis zum Jüngsten Tag, mochten auch die Glocken alle Christenheit zum Tempel Gottes laden und Sabbatstille rings die Welt umfangen.

Da trieb ihn einst die nimmersatte Lust hinaus am Sterbetag unseres Herrn. Taub gegen alle Mahnungen seiner Freunde, jagte er edlem Wild nach, brach durch Dickicht und verschlungenes Gestrüpp und ließ die Jagdgesellen weit hinter sich zurück. Plötzlich sah er sich mitten in der Waldeinsamkeit allein, umgeben von tiefer Stille, die wie ein Vorgefühl der Strafe auf sein Herz sank. Aber dennoch spornte er sein ermattetes Ross, dass es dem flüchtigen Wild nachjage. Da trat ihm aus finsterem Tannengrund ein Hirsch entgegen, zwischen dessen zackigem Geweih das Zeichen des heiligen Kreuzes sich in strahlendem Glanz erhob, ein Sinnbild des Tages, den Hubertus so frech verhöhnt hatte. Das himmlische Licht drang in die Seele des Jägers wie ein schneidiges Schwert. Als habe der Blitz ihn gerührt, so hielt er still beim Anblick des göttlichen Zeichens, an dem seine Sinnenlust zerschmolz wie weiches Wachs. Er sank vom Ross herab auf die Knie, Gnade erflehend vom Himmel und – erlangend.

Hubertus tat von sich alle weltliche Lust, umgürtete seinen Leib mit härenem Gewand und sühnte ein langes Leben hindurch mit Buße und Gebet den Jugendfrevel. Nach seinem Tod, (er starb im Jahre 727 als Bischof von Lüttich) erhob die Kirche ihn zu einem Heiligen, die Jagdgenossen aber verehrten ihn als himmlischen Hort und Schirm der Jäger, stellten ihn bildlich dar im Jagdgewand, bewehrt mit Köcher und Bogen, neben sich den Hirsch, auf dessen Haupt das Kreuz sich zeigt. Was aber im Schoß des Volkes noch lebte und sich regte von lose verschlungenen Fäden heidnischen Aberglaubens an den alten Gott der edlen Waidmannskunst, das schloss nach und nach sich zu einem festen Gewebe um die Gestalt des Heiligen und ging auf diesen über. So wurde der Hubertustag, der dritte November, zu einem Fest der Jäger, das sie feiern vom Kronen tragenden Herrscher an bis zum geringsten Forstmann, der den Wald durchpirscht.

Der Heilige, der die Jäger schützt, nimmt auch die Tiere in seine Hut. Wer diese misshandelt, dem droht Zorn und Strafe, wen sie verletzen, den heilt seine Hand. Wenn der Sommer mit seinem glühenden Hauch die frischen Quellen in Flur und Wald in hässliche Pfützen verwandelt und die Hunde, die steten und treuesten Begleiter der Jagenden, um ihren Durst zu stillen mit weit vorgestreckter Zunge nach einem Tropfen kühlenden Wassers suchen, der sie vor der Wut bewahren soll. Dann wurden eiserne Werkzeuge in den Kirchen ausgehängt, Hubertusschlüssel genannt, die am Tag des Heiligen von Priesterhand geweiht und gesegnet werden. Der Biss eines tollen Hundes musste in der Wunde mit einem glühenden Hubertusschlüssel ausgebrannt werden, dann vermochte das Gift sich dem Blut des Verletzten nicht mitzuteilen und er blieb verschont von der schrecklichen Krankheit. Ein alter Jägerglaube besagt, dass Hunde, mit dem Hubertusschlüssel auf die Stirn gebrannt, das ganze Jahr hindurch sicher seien vor der Tollwut, denn durch das Zeichen schützt der Heilige auch die Tiere vor dem Bösen. Wer am Hubertustag ein schmales, ledernes Riemchen von weißer Farbe mit roten Tupfen gesprenkelt, im Knopfloch trägt und es das ganze Jahr hindurch an seinem Leib bewahrt, ist fest gegen den Biss aller wütenden Tiere.

In der ehemaligen Benediktiner Abtei zu Andain ruht die irdische Hülle des frommen Bischofs. Unter den Gewändern, welche dort noch von ihm aufbewahrt werden, befindet sich eine Stola, zu der am Festtag des heiligen Hubertus die Gläubigen aus nahen und fernen Ländern wallfahren. Eine besondere Feierlichkeit ist das »Einschneiden.« Es wird eine kleine Wunde in die Stirnhaut geritzt und ein winziges Teilchen der Stola hineingetan. Darüber heilt die Öffnung wieder zu, und der Eingeschnittene empfängt dadurch eine festigende und abwehrende Kraft gegen wütende Tiere, sodass der tollste Stier sich von ihm geduldig bei den Hörnern ergreifen und fortführen lässt. Wie viele aber auch schon von der Stola mitgeteilt empfingen, wird diese doch nicht kleiner, denn was am Tag zuvor davon genommen wird, ersetzt sich wieder in der nächsten Nacht.

St. Hubertus segnete zwar des Waidmanns Jagdgerät mit glücklichem Erfolg, doch genügte dies den ruhmbegierigen Schützen nicht immer. Sie wendeten allerlei Mittel an, sich einen sicheren Schuss zu wirken. Kugeln, mit denen jedes Ziel erreichbar wurde, wie hoch, wie fern und schwer es auch zu treffen war, nannte man Freikugeln. Sie zu erhalten, forderte nicht selten die Seele dessen zum Opfer, der sie goss. Stets aber blieb es ein gefährlicher Zauber, der dem Urheber selbst verderblich werden konnte.

Da gab es alte, wetterharte Schützen, deren Blick mit einer Kraft begabt worden, dass, wenn sie einem Jäger in das Rohr zu sehen vermochten, der Schuss darinnen sitzen bleiben musste. Andere trieben allerlei Mutwillen auf Kirchweih und Jagdgelagen, schossen jederzeit mit ihren Büchsen weiter als andere oder trafen in großer Entfernung ein kaum sichtbares Ziel. Da durchlöcherte solch ein Freischütz auf zweihundert Schritt Entfernung einen blanken Reichstaler, den ein furchtloser Mann zwischen Daumen und Zeigefinger wie eine Scheibe emporhielt. Ein anderer schoss mit seinem Pfeil einen kupfernen Heller von dem Kopf eines Menschen herab, ohne ihm auch nur ein Haar zu verletzen.

Im Archiv der Grafen Erbach zu Michelstadt befinden sich noch heute die Hexenprozessakten von Klein-Heubach, in welchen die wahrscheinlich durch die Folter erpresste Aussage des Bauern Georg Ludwig sich befindet. Dieser hatte auf Antrieb eines Missetäters drei Schüsse getan: einen in die Sonne, einen nach dem Herrgott empor in den Himmelsraum, den dritten nach dem steinernen Muttergottesbild am Steiner. Dadurch glaubte er, für jeden Tag drei sichere Schüsse erlangt zu haben. Allein er genoss diesen teuer erkauften Zauber nicht lange, denn das Hexengericht bemächtigte sich seiner und ließ ihn verbrennen.

Das Schießen nach Gott ist sehr alt und heidnischen Ursprungs. Schon Griechen und Römer glaubten nicht an eine Unverwundbarkeit ihrer Götter. In der nordischen Mythologie wird Gott Balder durch einen Mistelzweig getötet. Wohl niemand, der in unseren Tagen bösen Buben das Werfen mit Steinen untersagt, denkt dabei an die alte Mythen, dass einst Thor, der Donnergott, durch den Steinwurf eines Riesen am Haupt schwer verletzt, danieder sank, und dass deshalb im ältesten Gesetzbuch verboten wurde, mit Steinen zu werfen, »sonst rühre sich das Stück, welches im Haupt Thors zurückgeblieben und mache ihm Schmerz.«

Heiden pflegten die Götter zu bedrohen, wenn sie ihrem Begehr nicht zu Willen waren, wie der gemeine Russe noch heute seinen Schutzheiligen schimpft und schlägt, sobald er vermeint, Ursache zur Unzufriedenheit gegen ihn zu haben. Manch roher Soldat schrieb Verluste im Spiel dem bösen Willen Gottes zu und schleuderte Schwert oder Dolch empor, ihn zu verletzen. Die Waffe kehrte nicht zurück, wohl aber sanken drei Blutstropfen auf den Frevler nieder.

Durch den dichten Tannenwald, der sich unter seiner Schneelast beugte, zog ein Jäger heim. Schon erblasste der rötliche Sonnenstrahl, denn der Abend war nahe und kreischend flatterten die Raben um die Wipfel hoher Bäume. Der Jagdgeselle verfolgte seinen Pfad in missmütiger Stimmung, denn er kehrte mit leerer Waidtasche heim und fürchtete den Spott der Genossen.

Da geht ein fremder Grünrock die Büchse im Arm und eine wohlgefüllte Tasche über der Schulter, aus der ein Fuchsschwanz so recht, als sei es ihm zum Hohn, herausschaut, an ihm vorüber.

Schon ist der Fremde an die zwanzig Schritte von ihm entfernt, da ruft der Beutelose ihm nach: »Heda, Landsmann! Woher des Weges?«

Doch der antwortet nicht und schreitet rüstig weiter und der Rufer nicht minder hurtig hinterdrein mit lautem Hallo und Jägerpfiff. So jagt denn einer den anderen, bis ein Kreuzweg kommt, wo eine Sense in den Stein gehauen zu sehen ist.

Dort stritten einst zwei Brüder miteinander um den Besitz eines leichtfertigen Weibes. Da riss der Jüngere die blanke Sense empor und stach den Älteren damit ins Herz, dass er tot zu Boden sank. Zwar entfloh der Mörder, er fand aber keine Ruhe im fremden Land, zu heiß brannte das Kainszeichen ihm auf Stirn und Brust. Nach einem Jahr kehrte er zurück und stellte sich freiwillig dem Gericht. Ehe der Mörder gerichtet wurde, bat er noch, man möge an der Stelle, wo die Untat geschehen war, eine Sense in den Felsen hauen, auf dass jeder rechtschaffene Christ, der da vorüberzieht, ein Gebet spricht für die Seelen der armen Sünder, da auch der Älteste, der in Hader und Streit von dieser Welt geschieden, lange nicht Ruhe in seinem Grab fand.

An der steinernen Sense stand also der Fremde still und schaute dem Verfolger keck entgegen, der atemlos herangeschritten kam. »Man sollte meinem«, sprach er lachend, »dass ich auf Eurem Grund und Boden gewildert hätte, so verfolgt Ihr mich. Darf ich jetzt fragen, womit ich Euch zu Diensten stehen kann?«

»Verzeiht«, entgegnete der Jäger rasch. »Doch seht, der Tag heut ist ein Unglückstag für mich. Mit Sonnenaufgang schon bin ich umhergestrichen in diesem Wald, kreuz und quer, ohne ein Wild zu erlegen. Nicht einmal die Vögel hielten mir stand, geschweige denn Hase oder Reh. Wenn ich unter die Genossen mit leeren Händen trete, übt ein jeder seinen Witz an mir, zumal es heute nicht zum ersten Mal geschieht, und Weib und Kinder hungern, wenn ich ohne Wildbret wiederkehre.«

»Und da möchtet Ihr«, fiel der andere lauernd ein, »gern von mir wissen, wie man besseres Glück im Pirschen hat? He, habe ich recht?«

»Gewiss habt Ihr recht«, entgegnete der Jäger und stieß ungeduldig den Kolben seiner Büchse auf den Boden. »Ihr müsst einen Kunstgriff kennen, ein Waidsprüchlein oder so dergleichen. Teilt mir es mit, ich bitte Euch dringend. Was ich vermag, ist Euch dafür zu Willen.«

»Hm!«, sprach der Fremde und strich bedächtig seinen vollen, schwarzen Bart. »Ich sehe, es ist Euch Ernst damit. Nun wohl, ich weiß das Sprüchlein, doch ich teile es nicht gern mit. Lasst Eure Büchse in Ruhe, Freund, macht auch kein gar so finster Gesicht – es ist hier eine Stelle, wo das Euch nicht hilft. Gewalt würde mir kein Wort entreißen. Vielleicht erlangt Ihr es in Güte. Seht einmal dort die Raben, die uns folgen. Der Dritte lässt sich eben auf den Wipfel jener Fichte nieder. Getraut Ihr Euch, ihm den Kopf von seinem Schreihals wegzublasen mit der Kugel, die in Eurem Lauf steckt?«

»Wie!«, rief der Jäger voll Erstaunen. »Jetzt, in diesem Dämmerlicht? Und auf mindestens hundert Schritt Entfernung? Wer das könnte, müsste der Teufel selber sein!«

Da lachte der Fremde höhnisch auf, nahm die Büchse empor, zielte nur einen Augenblick und schoss ab. In weiten Sätzen sprang der andere auf die Stelle zu, wo die Fichte stand. Am Fuß derselben lag der Rabe tot, die Kugel hatte ihm den Kopf vom Hals getrennt, so glatt, als wäre er mit einem Messer abgeschnitten worden. Das erlegte Tier in die Hand nehmend, eilte der Jäger zu dem Fremden zurück, der, auf seine Büchse gelehnt, am Kreuzweg unter der steinernen Sense stand, in dem matten Dämmerlicht selbst wie ein Steinbild anzuschauen, von den Raben umflattert, die der Knall seltsamerweise nicht verscheucht hatte.

»Nun?«, rief er spöttisch dem Betroffenen zu, »was sagt Ihr zu meiner Büchse? Hat sie nicht einen guten Schuss?«

»Den Besten, den ich je im Leben sah«, versetzte der Jägersmann. »Ihr könntet mich glücklich machen, wenn Ihr Euer Geheimnis mit mir teilen wolltet. Noch einmal: Was ich habe, steht Euch zu diensten dafür.«

»Wird so viel nicht sein«, sprach der Fremde. »Doch ich finde Gefallen an Euch, Euer Wunsch soll erfüllt werden. Aber hütet Euch, dass es mich nicht reut!«

Drohend blickte ihn der Fremde an. Dann fuhr er fort: »Ehe ich Euch das Mindeste von dem mitteile, was Eure Büchse überlegen macht gegen jedes Missgeschick, müsst Ihr mir mit heiligem Eid geloben, zu schweigen gegen jedermann, besonders aber gegen Euer Weib. Denn Frauen sind ein geschwätziges Geschlecht, an denen nichts haften kann, dem durchlöcherten Sieb gleich. Was in sie hineintönt, sei es so wenig, oder soviel es wolle, muss hinaus unter die Leute, es drückte ihnen sonst das Herz ab. Könnt Ihr mir geloben, unverbrüchlich das Geheimnis zu bewahren, so mögt Ihr es wissen, denn nur zwei dürfen es teilen, Ihr und ich – der Dritte bringt Unglück über Euch.«

Zu heftig brannte die Begierde in des Jägers Brust, als dass er zu ruhiger Überlegung hätte Zeit gewinnen können. Mit einem furchtbaren Eid, den der Fremde ihm versprach, gelobte er Verschwiegenheit gegen allen und jeden, wessen Alters, Standes und Geschlechts er auch sei. Nicht seinem Weib wolle er es vertrauen, nicht dem Priester in der Beichte offenbaren. Als er so geschworen hatte, neigte der Fremde, dessen Augen wie Feuer glühten, sich zu ihm hin und flüsterte schreckliche Worte in sein Ohr.

Als der Jäger endlich heimkehrte, war die Nacht schon weit vorgerückt. Die Kindlein schliefen in der Kammer, sein Weib saß vor dem Kamin am lodernden Feuer und harrte des verspäteten Gatten. Als er eintrat, bleich, starr, und doch die Augen flammend in unheimlicher Glut, wurde sie inne, dass ihm etwas Absonderliches begegnet, sei draußen im Wald. Allein sie fragte nicht, sie trug schweigend das kärgliche Abendessen vom Herd herbei, das er kaum berührte, während seine Blicke unruhig im Zimmer hin und her schweiften. Endlich fragte ihn sein Weib schüchtern, was er suche.

»Nichts«, entgegnete er, stand auf und ging in die Kammer, wo sein Lager bereitet war. Dass er die Ruhe dort nicht fand, die ihn sonst die Anstrengungen des Tages vergessen ließ in süßem Schlummer, gewahrte die Frau bald, denn er warf sich seufzend hin und her, stand auf, noch ehe der Tag zu dämmern begann, und wanderte hinaus in den schneebedeckten Wald. Als er am Abend heimkehrte, unruhiger denn zuvor und wieder mit leerer Tasche, fasste das Weib sich ein Herz und bat ihn, dass er ihr doch mitteile, was sein Herz so sichtbar quäle. Allein er stand ihr nicht Rede und wies sie zurück, so sehr sie auch bat und ihn beschwor. Endlich am dritten Tag oder vielmehr in der dritten Nacht brach das Geheimnis, das ihm schier das Herz abgedrückt hatte, aus seiner Brust.

Das Weib war leichtsinnig, ihr standen alsbald die guten Tage vor Augen, die von den Freikugeln in ihrem Haus einkehren mussten, und wenn sie auch zuerst erschrocken war, wusste sie doch das Entsetzen schnell zu bemeistern.

»Was ist es denn weiter?«, rief sie. »Unsere Not ist groß und der gute Mann will dir helfen, sie zu überwinden. Es braucht ja nur einmal zu geschehen. Freilich – fürchten darfst du dich nicht.«

»Ich fürchte mich auch nicht«, sagte der Jäger barsch. »Was ein anderer tut, kann ich eben so gut. Aber es ist ein grünlicher Frevel, den er von mir begehrt und ich bin schlimmer als ein Heide, wenn ich es tue.«

So sträubte sich der Mann, aber das Weib ließ ihm keine Ruhe. Der folgende Tag war ein Sonntag, da gingen sie trotz des Schnees miteinander ins nächste Dorf hinab zur Kirche und nahmen dort das heilige Abendmahl. Am Tag darauf war das Wetter klar. Der Jäger ergriff sein Gewehr, steckte ein weißes Tüchlein zu sich und ging schweigend hinaus in den Wald. Am Mittag, als die Sonne am höchsten stand, gerade über seinem Haupt, nahm er mit zitternden Händen aus seiner Brusttasche das heilige Brot, welches er im Nachtmahl empfangen hatte, breitete das weiße Tuch auf den Schnee aus, stellte sich mit beiden Füssen darauf, lud die Hostie in den Lauf der Büchse und schoss damit mitten in die Sonne hinein. Ein entsetzliches Brausen erhob sich, wild heulte der Sturm durch den Wald, schwarze Wolken fuhren am Himmel auf, Blitze zuckten und der Donner brüllte. Zu Tode erschreckt wollte der Jäger entfliehen, er raffte das Tüchlein auf – da sah er blutige Fußspuren darin. Und als er nun auf sein Haus zustürzte, schlugen hell auflodernd die Flammen daraus empor, sein Weib und seine Kinder irrten jammernd umher und riefen vergebens nach Hilfe. Wie herbeigezaubert stand plötzlich der fremde Waidmann mitten unter ihnen. Seine Gestalt wuchs von Moment zu Moment, immer höher wurde sie, ragte über die riesigsten Tannen hinaus, sein Auge blitzte. Mit einer Stimme, die Donner und Sturm übertönte, rief er dem Jäger zu: »Da du das Geheimnis nicht zu wahren vermochtest, so sei verflucht! Jage mit deinem nimmer fehlenden Rohr, bei Tag und bei Nacht, Sommer und Winter, Jahr aus, Jahr ein, jage, jage!«

Wie er gesprochen, so geschah es. Weib und Kind verwandelten sich zur heulenden Meute, auf und davon tobte die wilde Jagd. Von dieser Zeit an wurde der Wald unsicher. Jäger und Holzfäller sahen dort am Tag einen grüngekleideten, finsteren Mann, von Hunden geleitet, unter den alten Bäumen wandeln, umkrächzt von dem heiseren Geschrei der Raben. In der Nacht aber zog das wütende Heer mit Hurraruf und Hundegebell über den Forst dahin.

Versuchung und Strafe durch den Teufel finden sich selbstverständlich nur in christlichen Sagen, während im Heidentum der beleidigte Gott den Frevler nicht züchtigt. Ja, als der Freischütz seine Büchse aufs Geratewohl losschießt, da eben die wilde Jagd, von Wotan hoch zu Ross geführt, vorüberbraust, gelingt ihm von da ab jeder Schuss, und nach seinem Tod wird er in den lustigen Zug des Heidengottes aufgenommen. Durch die Entweihung der Hostie, nicht minder durch die Zeit, in welcher der Frevel begangen wird: Mittags, wenn die Sonne leuchtend am Himmel steht, in der Adventszeit, am Christabend oder gar am Todestage des Herrn – gibt der sich von seinem Erlöser lossagende Freischütz diesen in die Gewalt Wotans, der ihn dafür durch die niemals fehlende Kugel belohnt. Bleibt die Missetat unvollendet, so tritt die verzeihende Huld des Christengottes für den Reuigen ein.

In der Christnacht sollte ein Jägerbursche eine Hostie, die er vom Altar entwendete, mit seiner Kugel durchbohren. Am vorgesteckten Ziel stand der Verführer, das heilige Zeichen emporhaltend. Da ist es dem Burschen, als schaue aus der Hostie Christi Leidensgestalt zu ihm hin, das Gewehr entsinkt seiner Hand und er stürzt tot zu Boden.

»Wer ein Gewehr haben will, dem alle Tiere zulaufen, sobald er nur damit in den Wald tritt,« erzählte ein steirischer Bauer, »dass er nichts zu tun braucht, als sie niederzuschießen, der muss in der heiligen Christnacht in die Kirche gehen und die scharf geladene Büchse mitnehmen. Andere Burschen, die von der Sache wissen, stellen sich im Kreis um den Schützen her, damit die Leute nicht sehen können, was für entsetzliche Dinge da vor sich gehen.

Die Büchse muss ganz schussfertig sein. Wenn der Priester das Allerheiligste emporhebt, soll der Schütze den Lauf fest darauf hin richten, auch scharf dazusehen, doch bei Leibe nicht schießen. Dadurch wird jede Kugel, die er später in das Gewehr lädt, zur Freikugel.

Als ich noch ein junger, unbesonnener Mensch war, redeten andere lose Vögel mich auf, doch einmal ein solches Kunststück zu unternehmen, und aus falscher Scham, um nicht für feige zu gelten, sagte ich zu. Ich litt an furchtbarer Seelenpein, bis der Tag herannahte. Zwar ging ich mit den Übrigen zur Kirche, verweigerte aber standhaft, das Unternehmen selbst auszuführen und blieb ein gutes Stück von dem Kreis zurück. Da sah ich während der heiligen Handlung den Lauf des Gewehres blinken, sah ihn sich erheben und meinte nicht anders, als der Schuss müsse nun losgehen. Glücklicherweise lief es ohne Ärgernis ab, allein die Büchse war doch nicht fest geworden durch den verübten Frevel. Jedes Mal, wenn ich zur Kirche komme und die Stelle sehe, um die jener Kreis gebildet war, überläuft mich kaltes Grauen.«

Der Teufel zeigte sich manchmal als ein graues Männlein, zu Fuß oder zu Ross, und bot sich zum Paten neugeborener Knaben an, denen er alsdann die Gabe des Freischießens zum Patengeschenk verlieh. Wer das Totenhemd eines in der Christnacht geborenen Knaben besaß und seine Kugeln mit einem Stück davon in das Gewehr lud, konnte alles treffen.

In Tirol ragt eine hohe Felswand empor, der Fallebachferner. Auf der Spitze derselben jagte einst ein Wildschütz, als schwarze Wolken am Himmel heraufzogen und ein furchtbares Wetter sich entlud. Der Wildschütz war jeder Lage gewachsen, er blieb, an den Felsen gedrückt, ruhig droben stehen und sah, wie eine Wetterhexe auf pechschwarzem Wolkenross vorüberbrauste. Da nahm er seine Büchse, in der eine geweihte Kugel steckte, auf und schoss nach ihr. Indessen ging die lustige Fahrt ungehindert weiter, die Unholdin musste stärker sein als der Büchsenzauber oder der Teufel wollte nicht gegen sein eigenes Fleisch und Blut wüten, genug, die Kugel ging nur durch eine nahe Bergkuppe und riss ein sichtbares Fenster hinein, das noch heute das Fallebacher Fenster heißt.

Wer den Teufel beschwor, Freikugeln von ihm zu fordern, empfing gewöhnlich solche, die nur auf Fleisch gingen. Wer sie auf Wild abschoss, auch ohne es zu sehen, erlegte es mit der Kugel in einem gewissen Umkreis. Fand sich jedoch in diesem Bann kein Wild, so tötete das Teufelsgeschoss einen Hund oder Vieh oder Menschen. War etwa niemand anzutreffen, so nahm die Kugel ihren Lauf zurück und traf den Schützen. So wusste der Böse es oft genug schlau zu lenken, dass sein Opfer mit eigener Hand die Todeskugel entsendete. Ein Körnlein Farnsamen unter das Pulver gemischt, bewirkte sicheres Zielen. Nur war solcher Same schwer zu beschaffen. Wer ihn nicht selbst zu erlangen vermochte, dem brachte ihn der Teufel gefällig herbei. Man musste es aber verstehen, die Körner aufzufangen und bedurfte dazu neun Kelchtücher, denn durch acht derselben fielen sie hindurch und blieben erst im Neunten hängen. Das Farnkraut blüht in der Johannisnacht und wer den Samen haben wollte, musste die ganze Nacht hindurch bei der Pflanze wachen. Das war aber nicht ratsam, denn der Teufel pflegte gern solchen angehenden Zauberern den Kopf auf den Nacken zu drehen. Weiser handelte derjenige, welcher ein Kelchtuch um den Stamm des Farn breitete und morgens vor Sonnenaufgang den gefallenen Samen holte.

Ein großer Wildschütz war einst der Wießjagl in Tirol. Mit seiner Büchse trieb er sich häufig an und auf dem Vernagtgletscher umher. Dort sah er einst an einsamer Stelle einen Priester die heilige Messe lesen. Dieses Gesicht wurde nach vielen Jahren erst zur Wirklichkeit, als der Gletscher so sehr anwuchs, dass die Bewohner der nahen Dörfer eine Bittprozession anstellten und der Priester auf demselben Felsblock Messe las, auf dem lange vorher der Wießjagl die heilige Handlung hatte vollziehen sehen. Der Jagl war überhaupt ein Mensch, dem niemand etwas antun mochte, er hatte sich dem Bösen mit seines Blutes Unterschrift verpfändet und trieb es toll und bunt genug. Seine Büchse war fest, jede Kugel traf ihr Ziel, er konnte alles bannen und wusste sich unsichtbar zu machen. Wenn er Tiere »stellte«, vermochten diese sich nicht mehr zu rühren, sie standen zitternd da und große Tränen entflossen ihren Augen. So war der Jagl Meister über vieles, doch nicht über alles, und der Teufel, der es nicht gern hat, wenn seine Geschöpfe ihm über den Kopf zu wachsen scheinen, bereitete ihm schon den Fallstrick, der seinen Sturz bewirken sollte.

Drüben im Pitztal waltete ein anderer, fast ebenso gewaltiger Nimrod, wie der Jagl war, der Reck. Er führte eine tüchtige Büchse und geweihte Kugeln darin, aber er verstand sich nicht so gut auf allerlei andere Teufelsstücklein. Auf dem Hochjoch trafen einmal die beiden zusammen und erkannten sich auf der Stelle an den wetterbraunen Angesichtern und den grimmig blickenden, schwarzen Augen.

»Höre«, sagte der Wießjagl, »bist du nicht der Pitztaler Reck, von dem die einfältigen Leute so viel Aufhebens machen, als schösse er das Blaue vom Himmel herunter?«

»Dann bist du wohl der Wießjagl aus dem Kaunfartal«, entgegnete der andere trotzig. »Deine prahlerische Rede zeigt das. Wenn du der beste Schütze im Tiroler Land sein willst, so schieß einmal in den Felsen da und dann wollen wir sehen, wer die schärfste Kugel führt.«

Da schossen beide, der Wießjagl und der Reck, und als sie die Ladestöcke nahmen, um zu messen, wie weit die Kugeln in das Gestein eingedrungen wären, saß die des Reck einen halben Ladestock tief, die des Jagl aber war kaum mit dem Ganzen zu erreichen. Da schüttelten sie sich die Hände und gingen miteinander weiter, und als sie hinab zu steigen begannen, erblickten sie eine prächtige Gämsenherde, die auf der grünen Alm weidete.

»Wie viele Gämsen willst du auf einen Schuss fällen?«, fragte der Wießjagl seinen Gefährten.

»Ich möchte einmal sieben zugleich schießen«, antwortete der Reck, »das soll ein Meisterstreich sein, ich verstehe ihn nur nicht zu machen.«

Der Jagl zog aus seiner Tasche eine neue Kugel, die war weich wie Teig, und gab sie dem Reck. »Schieß hin, wohin du willst«, sagte er nachlässig, »danach wirst du schon sehen, was droben liegt.« Der Reck schoss seitwärts in eine Schlucht hinab, die Herde entfloh in raschen Sätzen, aber sieben Gämsen lagen tot auf dem Platz.

Nun hatten die Schützen sich genugsam achten gelernt, um Freunde zu bleiben und die Sage berichtet manch gemeinsamen Streich von ihnen.

Eines Tages sprach der Reck: »Ich weiß starke Zaubersprüche aus meiner Wanderzeit. Wenn man die über ein Eisen spricht, während es geschmiedet wird, kann man eine Fuchsfalle machen, zu der die Tiere von selbst herbeigelaufen kommen.«

Dessen war der Jagl wohl zufrieden und stieg in das Pitztal hinab zum Reck, der eigentlich das Schmiedehandwerk betrieb. Nun rüsteten sie miteinander Ofen und Blasebalg an, um in der heiligen Weihnacht, während das Hochamt in der Kirche gehalten wurde, unter schrecklichen Beschwörungen das Zaubereisen zu schmieden. Wie es aber dazu kam und die Teufelsgeister um den Kreis herdrängten, den die Männer gezogen hatten, vergaß der Reck den Schluss seiner Beschwörung zu sprechen. Nun fachten die Erscheinungen mit schadenfrohem Hauch das Feuer an, dass es hoch und höher aufloderte, weit über den Zauberkreis hinaus und endlich das ganze Haus in Flammen aufging. Darüber stritten die Jäger heftig miteinander und der Jagl stieß verächtliche Reden gegen den Urheber des verunglückten Zaubers aus.

Das verdross den Pitztaler und nun wollte er dem anderen seine Künste ablernen, aber der war jetzt verschlossen wie das Grab und behielt die Zauberformeln für sich.

Nach einiger Zeit gelang es dem Reck, seinen Nebenbuhler im Gebirge schlafend zu finden. Da zog er mit leisem Finger ihm die Waidtasche unter dem Kopf hervor, nahm des Wießjagls Zauberbuch hervor und lernte in der Eile so viel wie möglich daraus. Dann tat er alles an die vorige Stelle und schlich hinweg. Als der Kaunfartaler am nächsten Morgen zur Jagd auszog, gewahrte er plötzlich eine Bergmaus, die bald vor, bald hinter ihm herlief und allerlei mutwillige Sprünge machte. Da lachte der Wießjagl grimmig in sich hinein, und als er noch ein Stück gestiegen war bis dahin, wo der Wind über die Gletscher hin einen gar eisigen Zugwind hervorbringt, ließ er sich aus einem Felsblock nieder und begann sein Frühmahl zu halten. Dabei bannte er die Bergmaus. Als der Reck innewurde, wie töricht er gehandelt hatte, sich in Tiergestalt verborgen und also dem Jagl in die Hände geliefert zu haben, winselte er laut und bat um Erlösung. Doch das Bitten half ihm nichts, der Jagl machte dazu taube Ohren und ging davon. Erst spät am Abend kehrte er heim, den Bann zu lösen und entließ den fast Erstarrten mit schnödem Gruß.

Die Geschichte konnte der Reck nicht verwinden und da er allein sich zu schwach gegen den übermütigen Gesellen fühlte, bat er eine Hexe um ihren Beistand, den diese ihm auch versprach. Unbekümmert um den Feind, den er sich mutwillig geschaffen hatte, zog der Jagl seines Weges nach wie vor, und da er eine geraume Zeit hindurch nichts vom Pitztaler hörte und sah, dachte er nicht mehr an den Streich, den er ihm spielte. So verging der Winter, der Frühling kam und endlich der Sommer. Da verstieg sich der Wießjagl einmal im Gebirge und geriet in eine Gegend, die ihm fremd und seltsam schien, als plötzlich eine große und schöne Gämse in leichten Sätzen vor ihm daher sprang und eben so rasch, wie sie gekommen war, hinter einer Felsenecke verschwand. Voll Jägerlust folgte er ihr nach, da entschlüpfte sie ihm abermals um eine Wand, zu der eine dichte Eisdecke, wie eine Brücke über einen Spalt geschlagen, führte. Kaum aber hatte der Jagl seinen Fuß darauf gesetzt, als der Boden, den die Hexe künstlich aus ihrem eigenen Leib gebildet hatte, unter ihm wich und der Wildschütz mehr als hundert Fuß tief in einen breiten Gletscherspalt hinabstürzte.

Da lag nun der Jagl eine geraume Zeit wie zwischen Leben und Sterben. Nur das Hohngelächter der Zauberin schallte ihm nach, und das Brausen der unterirdischen Wasser drang in sein Ohr. Es war ihm, als er so körperlich zerschlagen und gebunden einem jammervollen Ende entgegensah, wie wenn die Vergangenheit in einem Spiegel an ihm vorüberzieht. Wenn er jetzt in der Tiefe des Spaltes verkam, wer dachte seiner noch? »Der Wießjagl ist eben auch einmal abgestürzt«, würden die Leute sagen und über seinem Namen und seinem Dasein wuchs das Gras der Vergessenheit, der nach und nach alles Irdische anheimfällt. Und was mochte aus seiner Seele werden? Wie eine schwarze Nacht dehnte das Jenseits sich vor seinen geschlossenen Lidern aus, schwarze, undurchdringliche Finsternis – kein Lichtfunke, sie zu erleuchten.

Ein tiefes Weh stieg in seiner verhärteten Seele auf: »Wenn ich noch einmal leben könnte«, flüsterte er, »ich fing’ es doch wohl anders an!« Immer weiter dachte er zurück, als er zum letzten Mal zur Beichte und zum Abendmahl gegangen war, wie er, der vaterlose Bub, in seiner Mutter Armen ruhte! Er sah die treuen, sanften, blauen Augen auf sich gerichtet, noch einmal hörte er den ernsten, milden Laut der Stimme, wie sie sterbend ihm die Hand aufs Haupt gelegt und dazu sprach: »Sei brav, mein einziges Kind! Gedenk an Gott und deine Mutter. Nicht Ruhe fände ich im Grab, wenn du schlimme Wege wandeltest.«

Zwei heiße Tränen rannen langsam über die erstarrten Wangen herab, sein Herz wollte brechen. Wie lange er in diesem inneren Reinigungsfeuer verbracht hatte, konnte er nicht sagen. Sturmgleich brauste es durch seine Seele, alles vernichtend, was darinnen sündhaft war. Dann überkam es ihn wie Grabesruhe, und er konnte nur noch stammeln: »Mein Gott, mein Gott, erbarme dich meiner!« Plötzlich war ihm, als ströme belebende Wärme durch seine matten Glieder, er schaute empor und sah das dunkle Blau des Himmels über sich, daraus ein heller Stern zu ihm hernieder blinkte. Da tat er ein heiliges Gelübde: Wenn Gott sich seiner Not erbarme, wolle er ein neues Leben beginnen von diesem Augenblick an und zur Muttergottes nach Kaltenbrunn eine Wallfahrt machen. Wie himmlische Offenbarung überkam es den von aller Menschenhilfe weit entfernten Mann, dass seine Hand jetzt plötzlich das Eisen traf, dessen er auf allen Bergfahrten so sehr bedurfte, um Stufen in das Eis zu schlagen. Nun war er gerettet! Nach harter Arbeit, die sein schon fast erstarrtes Blut in schnellere Bewegung setzte, kam er endlich wieder hervor ans Tageslicht. Den Heimweg fand er schnell genug, er gönnte sich aber weder Rast noch Ruhe und brach schon anderen Tags in aller Frühe auf, die gelobte Wallfahrt zu vollbringen.

Der greise Priester zu Kaltenbrunn nahm den Pilger freundlich auf, und der Wießjagl beichtete ihm seine Schuld und Gottes Strafe. Mancherlei musste er tun, der Sündenlast zu büßen, doch das Schwerste blieb vorbehalten bis zuletzt. Nach der Abendmette wurde eine Totenbahre, auf der man die Verstorbenen über Nacht in der Kirche auszustellen pflegte, unter die ewige Lampe gerückt, der Jäger darauf gelegt und ihm befohlen, regungslos, als sei er tot, dort zu verharren. Dann ließ man ihn allein.

Erst um Mitternacht erschien der böse Geist, sein Opfer zu fordern. In wildem Reigen und mit höllischem Tosen umkreisten die Teufel den betenden Mann, drei Mal hoben sie die Totenbahre bis zur Decke des Kirchengewölbes empor, um sie durch die Lüfte hinweg zu führen und drei Mal mussten sie ihre Beute wieder fahren lassen, von der heiligen Gewalt bezwungen. Gegen ein Uhr morgens trat der Priester in die Kirche, unbeirrt von der Geister nächtlichem Spuk. Er beschwor der Teufel Obersten, die Handschrift zurückzugeben, mit welcher der reuige Sünder sich ihm einst verpfändet. Vergebens sträubte sich der Höllenfürst gegen Segen und Gebet. Der Bann wurde ihm zu stark und er musste weichen. Da schleuderte er zornentbrannt den Vertrag herab und fuhr mit seinen Gesellen durch das Dach hinaus. Hierauf berief der Priester die Mönche, welche den fast leblosen Wildschützen in das Kloster trugen. Lange währte es, ehe der Mann von den Schrecken genas, seine mächtige Gestalt verfiel und sein Haar war schneeweiß geworden in der einen Nacht. Er blieb, ein frommer Büßer, im Kloster bis an seinen Tod. Noch zeigt man zu Kaltenbrunn die Grabstätte, auf deren Kreuz folgende Inschrift zu lesen ist:

Hier liegt ein Wildschütz unverdrossen,
hat über dreizehnhundert Gams’ geschossen,
Wie auch viel Fuchs und Hasen
Und vertut damit sein eigen Wasen.

Festmachen und sicheren Schuss bewirkten oft die gleichen Zaubersprüche, nur mussten sie verkehrt gebetet werden, um die entgegengesetzte Macht üben zu können. Einige Tropfen Ameisengeist, nüchtern in den drei höchsten Namen eingegeben, verschafften sicheren Schutz gegen alles Feindselige und verhalfen zum Sieg. Wer ein Schrotkorn oder eine Kugel im Leib eines erlegten Wilds fand und wieder in seine Büchse lud, dem gelang der Schuss. Gegen Verwundung mit schneidenden Waffen und gegen solche Verletzungen, die eine Büchsenkugel riss, half die Waffensalbe.

Das Holz der Esche, von Mitte August bis zur Mitte September geschnitten, heilte Wunden durch die bloße Berührung. Waffen, die einen Menschen verwundet hatten, mussten mit einer Salbe bestrichen und an sicheren, warmen und trockenen Orten aufbewahrt werden, dann heilte die Wunde. Wo man aber die Waffe nicht erlangen konnte, diente eine Nachahmung derselben, aus Weidenholz geschnitten, mit welcher die Wunde so lange gerieben und bestrichen werden musste, bis sie von Neuem blutete. Das Holz mit dem Blut trocknete man im Schatten und bestrich es alsdann mit der Salbe. Zuweilen diente ein weißes Pulver, auf die Schneide der Waffe gestreut, als Heilmittel gegen die Verletzung. Das nannte man eine magnetische Kur, womit man die schwersten Wunden zu heilen vermeinte, indem man, gleich entfernt von der Waffe und dem verwundeten Menschen, das Pulver mit einer Besegnung in ein Tüchlein schüttete und an einem sauberen, geschützten Ort aufbewahrte.

Das Feiste vom Schwein, Menschen-Mumien, Blut oder Fett, auch allerlei starke Kräuter wurden zur Waffensalbe benutzt. War die Wunde gestochen worden, so musste man die Waffe von der Spitze aufwärts zum Heft salben, war sie aber gehauen, strich man von der Schneide aus gegen den Rücken. Alsdann wurde die Waffe mit einem Leintuch sauber verbunden und gegen alle Störung sicher aufbewahrt. Unmöglich ist es, allen Sagen dieser Art gerecht zu werden, die sich teilweise, nur in veränderter Form, bis auf unsere Zeit erhalten haben. Wen die Spitze eines Messers oder einer Nadel verletzt, dem raten freundliche Nachbarn, das Eisen mit Fett zu bestreichen oder in ein mit Fett angefülltes Gefäß zu stecken, dann schwäre die Wunde nicht. So rankt althergebrachter Aberglaube sich in kaum wahrnehmbaren Verzweigungen bis in das heutige Leben hinein, und von manchem Brauch, den wir abergläubische Menschen noch in unseren Tagen vornehmen sehen, können wir die Wurzeln zurück bis in die grauen Zeiten des Heidentums verfolgen.