Marshal Crown – Band 17
Morgendämmerung in Shreveport, Louisiana.
Herbstnebel lag über der alten, ehemaligen Südstaatenmetropole am Ufer des Red Rivers. Obwohl die Sonne schon vor mehr als einer Stunde aufgegangen war, wurde es einfach nicht richtig hell. Im Gegenteil, der Himmel hing niedrig und es schien, als ob das erste Licht des neuen Tages den Frühdunst nicht zu durchdringen vermochte.
Das von roten Tonpartikeln durchsetzte Wasser des Flusses rollte in immer wiederkehrenden Wellen gegen die hölzernen Aufbauten der Schiffsanlegestellen, klatschte gegen die Kaimauern und spritzte über die ausgetretenen Pflastersteine der Uferstraßen. Unzählige Kielboote und Mackinaws dümpelten wohl verankert neben einem großen Seitenraddampfer im brackigen Hafenwasser vor sich hin.
Der Wind, der von Norden her kommend durch die engen Straßen und Gassen strich, war klamm und kalt.
Es war kurz nach Sonnenaufgang, als urplötzlich zwei schattenhafte Gestalten in einer der verwinkelten Hafengassen auftauchten, die schnurgerade auf die Uferpromenade der Market Street zuführte.
Hank Fuller und Slim Benton waren Männer, für die der Name Hafenratten wohl zutreffender nicht hätte sein können. Lichtscheues Gesindel mit tückischen Augen und einem Lächeln im Gesicht, das genauso falsch war wie eine Dreidollarnote.
Lautlos huschten die beiden über den Weg, der sie direkt auf den Schaufelraddampfer zuführte, der im Hafen vor Anker lag. Sie hatten die Kragen ihrer Drillichjacken hochgeschlagen und sich die Hüte tief ins Gesicht gezogen.
Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, tauchte vor ihnen unvermittelt ein Betrunkener auf.
Fuller, ein hagerer Mann mit einem unglaublich spitz zulaufenden Gesicht, fluchte leise vor sich hin, packte seinen Partner am Arm und duckte sich mit ihm solange in den Schatten eines Hauseingangs, bis der Trunkenbold vorbeigetorkelt war.
Der Mann war kaum ihrem Blickfeld entschwunden, als Fullers Blicke sofort wieder nach allen Seiten huschten, um die Hafenanlagen nach verdächtigen Bewegungen abzusuchen.
Erst, als er festgestellt hatte, dass alles ruhig geblieben war, lief er zusammen mit seinem Partner wieder auf den Flussdampfer zu.
Dort angekommen war bis auf einen einsamen Posten auf dem Promenadendeck keine Menschenseele zu sehen.
Im trüben Lichtschein einer Positionslampe war zu erkennen, dass der Mann mit dem Rücken an der holzverkleideten Außenwand einer Passagierkabine lehnte und auf den Fluss hinaus starrte. In seinem Mundwinkel hing eine langstielige Maiskolbenpfeife, deren vorderes Ende immer wieder in der Dunkelheit aufglühte.
»Ihn müssen wir zuerst ausschalten«, flüsterte Fuller leise. »Ich will schließlich keine unliebsamen Überraschungen erleben, wenn wir nachher aus dem Kesselraum kommen.«
Benton nickte, während er seinem hageren Partner mit schnellen Schritten folgte. Ein gefälliges Grinsen legte sich auf sein Gesicht, während seine Gedanken um die Belohnung kreisten, die ihnen für diesen Job versprochen war. Zweihundertfünfzig Dollar sollte jeder von ihnen erhalten, das war der Jahresverdienst eines Hafenarbeiters.
Benton kicherte leise.
Er konnte es kaum erwarten, das Geld in den Bordellen und Spielhöllen der Stadt in Spaß zu verwandeln.
»Leise jetzt, wir sind gleich da!« Fullers Stimme riss ihn jäh aus seinen Gedanken. »Wir springen gleichzeitig an Bord und dann muss es schnell gehen. Der Posten darf keine Gelegenheit erhalten, um Alarm zu schlagen, sonst können wir uns die Belohnung in die Haare schmieren. Ist das klar?«
Benton nickte.
Im nächsten Moment sprangen die beiden Männer auf den Bug des Steamboats und hasteten den Hauptaufgang zum Promenadendeck hoch. Trotz aller Vorsicht war das Pochen ihrer genagelten Stiefelsohlen überlaut auf den Holzdielen des Oberdecks zu hören. Der Posten drehte sich mit einem Grunzen um und blinzelte verwirrt, als er die beiden herankommen sah.
Aber da war es schon zu spät.
Fuller sprang mit einem weiten Satz nach vorne und rammte dem Wachmann ein Messer in die Brust. Die stählerne Klinge fraß sich durch Haut, Knochen und Muskelgewebe und durchtrennte das Herz des Mannes wie heiße Butter. Der Posten war schon tot, noch ehe er mit einem ungläubigen Ausdruck in den Augen in die Knie ging, seinen Kopf und dann den Oberkörper nach vorne beugte und schließlich mit dem Gesicht voraus auf den Boden des Schiffdecks stürzte.
»Verdammt!«, zischte Benton schrill, während er fassungslos auf den Toten starrte. »Musstest du ihn gleich umbringen?«
»Hätte ich vielleicht warten sollen, bis er den ganzen Hafen zusammenschreit?«, erwiderte Fuller kalt. »Was glaubst du wohl, was die Leute mit uns machen werden, wenn sie bei uns die beiden ausgehöhlten Holzscheite mit den Presspulverstangen entdecken?«
Einen Moment lang blickte Benton unschlüssig auf den Toten. Dann nickte er und packte mit an.
Gemeinsam hoben sie den Toten hoch und ließen ihn vorsichtig über die Reling ins Wasser gleiten, wo er mit einem dumpfen Klatschen im trüben Hafenwasser versank.
Danach hasteten beide wieder die Treppe zum Hauptaufgang hinunter, hinter dem sich der Eingang zum Kesselraum befand.
Während Benton die Umgebung sicherte, öffnete Fuller die unverschlossene Tür und tastete sich durch die Dunkelheit, die nur vom schwachen Schein der rot glühenden Feuerluken durchbrochen wurde. Seine suchenden Hände führten ihn bereits nach wenigen Schritten auf einen großen Haufen Brennholz, der neben den Kesseln aufgestapelt war.
Ein hässliches Grinsen verzog sein spitz zulaufendes Gesicht, als er aus den Taschen seiner zerschlissenen Jacke zwei Holzkloben hervorzog und sie vorsichtig auf dem Stapel Brennholz ablegte, der in wenigen Stunden die Kessel des Schaufelraddampfers anfeuern sollte.
Danach verließ Fuller den Kesselraum so schnell, wie er ihn betreten hatte.
Kaum an Deck gab er seinem Partner mit einer stummen Geste zu verstehen, dass es Zeit wurde, von hier zu verschwinden. Die beiden eilten im Gleichschritt von Bord und tauchten kurz darauf in den dunklen Schatten der umliegenden Häuser unter.
»Und du bist sicher, dass es klappt?«, keuchte Benton, während er versuchte, mit seinem Partner Schritt zu halten.
»Natürlich«, sagte Fuller, als sie durch die verwinkelten Hafengassen zur Stadtmitte liefen. »Spätestens bis zum Mittag muss der Kessel wieder soweit angefeuert sein, dass genug Dampfdruck vorhanden ist, um das Schiff heute noch aus dem Hafen zu bringen. Dazu benötigen die Heizer jede Menge Holz und unsere beiden Überraschungspakete liegen ziemlich weit vorne. Schade, ich hätte zu gerne ihre dummen Gesichter gesehen, wenn ihnen der Kahn um die Ohren fliegt.«
Die vollständige Story steht als PDF, EPUB und MOBI zur Verfügung.
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