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Die Tauscher 7

die-tauscherDr. Uwe Krause
Die Tauscher Teil 7

Ein schrilles Klingelsignal erklang, die letzten Zuschauer hetzten von den Wettbüros zu ihren Plätzen. Im Innenraum waren die Plätze fast alle belegt, einige Paare kamen verspätet und wurden respektvoll begrüßt.

Auf den Leinwänden erschien das Gesicht eines alten, weißbärtigen Mannes. Ein Rauschen ging durch die Halle, als sich alle Zuschauer erhoben. Florian bemerkte es zu spät, sprang auf und bemerkte, dass sich seine Nachbarin links mit ironischer Lässigkeit erhob, während die Dame zu seiner Rechten die horizontale Verspätung mit einem bösen Blick quittierte.

Durch die Lautsprecher drang die Stimme des alten Mannes. Jetzt erkannte Florian auch das Gesicht. In einer jüngeren Version war es ihm auf dem Geldschein begegnet. Der Kaiser sprach mit deutlichem Wiener Dialekt und hatte eine ebenso deutliche Tendenz zum Nuscheln. Er war es gewohnt, dass man ihm zuhörte, er brauchte weder laut noch verständlich zu reden, weil er der Kaiser war.

Die Rede war kurz, seine Majestät wünschte ihren Mitbürgern in Preußen viel Vergnügen, es gab eine kurze Erwähnung der in vier Jahren anstehenden Feiern zur hundertjährigen Reichsvereinigung, dann verschwand das Gesicht und aus den Lautsprechern schmetterte eine Hymne, die von den Zuschauer mitgesungen, manchmal auch eher mitgebrüllt wurde. Inzwischen stand ein Mann im Boxring und streckte sich nach dem Mikrofon, das von oben herabgelassen wurde. Dieses Bild erschien auch auf den Leinwänden, kantig, vergröbert und mit Verzögerung, aber dennoch deutlich.

Seine Stimme schallte klar durch die Halle, als er den ersten Kampf ankündigte.

Die Lichter gingen aus, nur der Boxring wurde mit greller Beleuchtung aus dem Halbdunkel gerissen und ein weiterer weißer Lichtstrahl tastete sich zu einem Eingang und verfolgte die Kämpfer und ihre Begleiter auf dem Weg zum Ring.

In der starken Beleuchtung schienen die Personen alle Farbe zu verlieren, aber sie wirkten kantig und seltsam nah, als könnte man sie mit ausgestreckter Hand berühren. Unwirklich und zugleich von überdeutlicher, überwältigender Wirklichkeit, dachte Florian. Wie so ziemlich alles.

In der nächsten Zeit schien sich die riesige Halle in ein lebendiges Wesen zu verwandeln. Im Ring belauerten sich zwei Kämpfer, ihre farblosen Körper huschten über die nervösen pechschwarzen Schatten, die am Boden zuckten. Das schnaubende Atmen, der dumpfe Aufprall der Schläge, die knappen Befehle des Ringrichters, alles wurde aus dem Dunkel mit Beifall, Stöhnen, Raunen oder Pfeifen beantwortet. Irgendwann schien es nicht mehr klar, ob das Raunen wegen eines gelungenen Schlages oder der Schlag wegen des Raunens entstand.

Über den Köpfen ruckelten und zuckten die Bilder auf der Leinwand. Der Kampf Heinrich Jungbeck gegen Franz Kuszinsky war der vorletzte des Abends. Boxen interessierte Florian nicht besonders, aber er geriet in eine Art Sog und wurde hineingezogen in die Erregung, die die Zuschauermasse erfasst hatte. Einmal bemerkte er, dass der Platz neben ihm leer war. Auch der Hut war vom Haken verschwunden.

Die Lichter flammten auf, die Helligkeit schmerzte für einen Moment. Der Lautsprecher verkündete eine kurze Pause vor den Hauptkämpfen und versprach eine sensationelle Flugvorführung mit einer bisher unbekannten Form von Drehflügler. Kaum war die krächzende Stimme verstummt, als ein Motor keuchend ansprang und dann laut dröhnte. Rotoren hämmerten, die Luftstöße waren bis in die untersten Ränge zu spüren. Die Menschen verdrehten die Köpfe, dann sahen sie es endlich. Aus dem Schatten hinter einer Leinwand löste sich ein Fluggerät und schwebte langsam und zögernd zur Hallenmitte. Im ersten Moment sah es aus wie ein normales einsitziges Flugzeug, nur dass der Sternmotor am Rumpfende saß. Die Flügel waren oberhalb des Rumpfes befestigt, ein schmaler Träger verlief oberhalb des Propellerkreises nach hinten und endete im Leitwerk. Auf den zweiten Blick erkannte man erst die beiden waagerechten Rotoren, die über den Flügelenden angebracht waren und jetzt nur als huschende dunkle Flächen sichtbar waren.

Der Rotorflügler drehte eine Runde durch die Halle, blieb in der Luft stehen, flog vorwärts und rückwärts, geriet in eine Schaukelbewegung, fing sich wieder, fegte in irrwitziger Schräglage an den Rängen vorbei, sodass die Rotoren fast die Brüstung berührten, stieg blitzschnell senkrecht auf und sank wie ein Stein, um sich kurz vor dem vermeintlichen Absturz wieder zu fangen. Der Motor und die Rotoren brachten die Halle zum Zittern, die Abgase bildeten bläuliche Nebelschwaden, aber die Zuschauer jubelten begeistert. Schließlich machte der Rotorflieger eine perfekte Punktlandung, mitten in den Boxring. Der Motorenlärm erstarb, die Rotoren wurden langsamer, ihr Hämmern wurde zu einem matten Flappen und verstummte. Der Pilot stieg aus, hob grüßend die Hände, wurde mit brüllendem Applaus bedacht und lief aus der Halle. Bereitstehende Arbeiter stürzten sich auf das Fluggerät und zerlegten es in kurzer Zeit in transportable Einzelteile, die aus dem Innenraum getragen werden konnten.

Florian folgte mit seinen Blicken dem Piloten, der es eilig hatte, sich durch eine Tür zu drücken. Es war nicht zu glauben. Der Pilot trug Stiefel, Reithosen und eine Lederjacke, der Kopf und das Gesicht waren hinter einem weißen Seidenschal, Lederkappe und Schutzbrille verborgen. Und dennoch. Es gab einen Moment, als der Pilot zwischen den Seilen aus dem Ring kletterte, auf den Boden sprang und fortging, da erkannte Florian ihn. Es war zwar nicht möglich, dennoch war er sich sicher.

Der erste Hauptkampf des Abends wurde angekündigt. Franz Kuszinsky hatte ein altes Anrecht auf einen Titelkampf und trat gegen den zwei Klassen höher eingestuften Friedrich Jungbeck an. Der Gewichtsunterschied betrug 25 Kilo, Titelverteidiger Jungbeck war 19 Zentimeter größer und 15 Jahre jünger. Das Publikum quittierte die Durchsagen mit Jubel oder höhnischem Beifall. Zuerst marschierte Kuszinsky ein. Er sah nicht schlecht aus, ein älterer durchtrainierter Boxer mit einem Gesicht, das von vielen Kämpfen gezeichnet war. Wie er so im Ring stand, schien es keine schlechte Idee, auf seinen Sieg zu setzen. Aber dann kam Jungbeck und er war eine Hüne ohne ein Gramm Fett. Er bewegte sich mit müheloser, geradezu überheblicher Geschmeidigkeit, als wäre er gerade von einem Zierfries voller heroisch nackter Schönlinge geklettert. Schon die Art, wie er in den Ring sprang, ihn schon mit diesem Satz eroberte und für sich Besitz nahm, war furchterregend. Kuszinsky hatte keine Chance, das sah jeder in der Halle. Also musste Zucker irgendeine Manipulation vorgenommen haben. Dieser massige Kerl mit dem weißen Haarschopf, das musste er sein. Alfred Zucker. Der Mann, dem Berlin gehörte. Er wandte sein großes, flächiges Gesicht Jungbeck zu, nahm das Monokel aus dem Auge und gestikulierte.

In welcher Runde würde Jungbeck so tun, als hätte er einen Leberhaken eingesteckt oder als hätte er sich die Hand gebrochen? Und würde man es erkennen können, oben auf den beiden riesigen Leinwänden? Oder gab es einen anderen Zweck, den Zucker verfolgte? Falschgeld in Umlauf bringen, beispielsweise? Florian zupfte sich am Bart. Nein, das war unwahrscheinlich, die Wetten, die Zucker platziert hatten, waren in den einschlägigen Kreisen bekannt. Auch die Polizei wusste davon und wahrscheinlich hatte Zucker nicht die gesamte Behörde gekauft.

Der Ringrichter fragte Kuszinsky, ob er den Kampf antreten wollte. Die Frage wurde mit höhnischem Gelächter aus Tausenden Kehlen beantwortet. Aber sie war berechtigt, denn Kuszinsky stand wie ein Schuljunge neben dem viel größeren und massigeren Jungbeck. Jungbeck tänzelte und bewegte sich, er konnte den Kampfbeginn kaum erwarten, während Kuszinsky mit hängenden Armen dastand und sich nicht zu rühren wagte. Die ersten Minuten nach dem Gong verliefen erwartungsgemäß, abgesehen davon, dass Kuszinsky sie überlebte. Jungbeck hatte eine Reichweite, die dem Gegner keine Chance ließ. Er scheuchte Kuszinsky durch den Ring, setzte einige Treffer, aber konnte den Kleineren nicht umhauen. Nach zwei Minuten wurden die Ersten im Publikum unruhig. Hau ihn um-Rufe schallten von den oberen Rängen. Jungbeck tänzelte, als wäre er schwerelos und jagte Kuszinsky. Der ging rückwärts, pendelte, versuchte den harten Schlägen auszuweichen. Kein Zweifel, entweder er ging in der nächsten Runde zu Boden oder er wurde wegen Passivität verwarnt. Auf jeden Fall war der Kampf eine einzige Farce und Florian verstand, warum in der Pause ein gellendes Pfeifkonzert durch die Halle schrillte.

Die zweite Runde, es gab keine Änderung. Bis zu dem Moment, in dem Kuszinsky einen Schlag geschickt auspendelte, konterte und Jungbecks Seite traf. Der Treffer klatschte, Leder auf schweißfeuchter Haut und Jungbecks Stöhnen war noch lauter. Der Hüne machte einige Schritte nach hinten, sein Gesicht zeigte Verwirrung, der Arm hing über der getroffenen Körperseite. Kuszinsky setzte sofort nach, aber da bekam Jungbeck den anderen Arm hoch und setzte eine wuchtige Gerade gegen Kuszinskys Kopf. Der kleinere Boxer wurde förmlich von den Beinen gerissen, er fiel krachend zu Boden, steif wie ein Brett. Zuerst schlug der Kopf auf, dann erst die Schuhe. Der Ringrichter zählte, die Halle wartete atemlos, leise wurde mitgezählt. Kuszinsky lag reglos, aber bei Sieben wälzte er sich mit lautem Ächzen zur Seite und war bei Neun wieder auf den Beinen. Jungbeck stürzte aus seiner Ecke, stellte Kuszinsky an den Seilen und drosch auf ihn ein, während sich der kleinere Boxer die Fäuste vor das Gesicht hielt. Als der Gong zur Pause schepperte, konnte jeder das Blut sehen, das aus einem Riss in der Augenbraue floss. Das linke Auge war angeschwollen. Noch ein Nachteil, jetzt konnte Kuszinsky die Angriffe des Rechtsauslegers Jungbeck nicht mehr richtig kommen sehen.

Wo lag der Trick? Florian erkannte es nun. Er war schlichtweg reingelegt worden. Er hatte Geld bezahlt für eine blöde Lügengeschichte. Der Ärger über die eigene Blödheit verursachte ihm Übelkeit. Die Luft war unerträglich, trotz der heulenden Belüfter, die Hitze schien über den Rängen zu flimmern. Florian stand auf und schritt zur Logentür. Er war schon halb draußen, als die Halle in Gebrüll ausbrach.

Kuszinsky war in die Deckung des Gegners gelaufen, er hatte sich einige direkte Kopftreffer eingefangen, aber jetzt war er im Nahkampf und bearbeitete Jungbeck mit schnellen, harten Schlägen. Jungbeck konnte sich nicht anders helfen, er musste klammern. Der Ringrichter brüllte seine Anweisungen, aber keiner der Boxer achtete auf sie, Jungbeck schien seinen Gegner zu würgen und Kuszinsky hämmerte auf jedes freie Stückchen Haut. Schließlich warf sich der Ringrichter wie ein Keil zwischen die beiden und drückte sie auseinander. Sein weißes Hemd zeigte rote Flecken, wo er Kuszinsky berührt hatte. Kuszinsky wurde in seine Ecke geschickt, damit ihm das Blut abgewaschen wurde, dann war der Kampf wieder freigegeben.

Florian schloss die Tür und lehnte sich an die Wand. Der Boxkampf wurde zu einer blutigen Schlacht. Jungbeck landete Treffer um Treffer, Kuszinskys Gesicht wurde zur blutigen, geschwollenen Masse, aber er durchbrach immer wieder die Deckung des Titelträgers und bearbeitete ihn unermüdlich mit seinen Schlägen. Einmal schaute Florian nach oben zu der Leinwand. Der Anblick raubte ihm förmlich den Atem. Riesig groß, in Schwarz und Weiß erschien Kuszinskys zertrümmerte Visage, aber aus den Beulen, Schwellungen, Rissen und Blutergüssen starrten die Augen dieses Mannes heraus und eine solche gnadenlose Entschlossenheit hatte Hammerstain bei keinem Wesen auf diesem Planeten je gesehen. Es war, als würden aus den Augenhöhlen spitze Dolche gegen den Betrachter geschleudert.

Vielleicht war Florian der Einzige, der es bemerkt hatte. Aber alle anderen witterten ebenfalls die Sensation. Die Zuschauer rutschten unruhig auf ihren Plätzen, die Ersten sprangen auf, bis es schließlich keinen mehr auf seinem Sitz hielt.

Jungbeck wurde unsicher, der Kampf glitt ihm aus den Händen. Einige Male wollte er seine Überlegenheit ausspielen, wirkte dabei fast arrogant. Doch dann war sofort wieder Kuszinsky auf Nahkampfdistanz und rüttelte ihn mit seinen Treffern durch. Zuerst war die Verwirrung auf Jungbecks schweißnassem Gesicht zu sehen, dann die Wut. Und dann war Blut zu sehen, denn Kuszinsky, diese lästige Zecke, steckte zehn Treffer ein und haute dann Jungbeck ins Gesicht. Kein ernsthafter Treffer, die Leute in der Ecke winkten ab, als wäre das Kinderkram. Das war es auch, nur die Wange war etwas rot. Aber Jungbeck hatte etwas erlebt, was er bisher in seinem Leben noch niemals erfahren musste. Er war es, der Prügel bezog. Kuszinskys nächster Treffer war schon ernsthafter, die Nase blutete, Jungbeck röchelte hörbar durch einen Pfropf von geronnenem Blut.

Das Ende kam in der achten oder neunten Runde und es kam schnell, als würde ein morsches Gerüst zusammenbrechen. Kuszinsky war wieder direkt am Gegner, der ging zurück, aber Kuszinsky trieb ihn geschickt in die Ecke. Nun verkroch sich Jungbeck hinter seinen beiden Unterarmen, und Kuszinsky drosch auf ihn ein, als wäre das die erste Minute der ersten Runde. Jungbeck klammerte, der Ringrichter unterbrach, beide Kämpfer gingen in die Ringmitte. Jungbeck ging zögernd, auf seinem Rücken war die Haut durch die Ringseile aufgeschürft. Jungbeck versuchte, Kuszinsky auf Abstand zu halten, zwei, drei Treffer, dann war Kuszinsky durch, setzte einen Leberhaken, Jungbeck knickte ein. Der nächste Schlag ging an den Hals und die folgenden Einschläge direkt im Gesicht bemerkte Jungbeck wahrscheinlich nicht einmal mehr. Die Halle tobte, der Ring wurde von Ärzten und Helfern gestürmt. Nach mehreren Minuten war Jungbeck so weit stabilisiert, dass man ihn aus dem Ring schaffen konnte.

Florian drückte sich durch die Tür. Die dicken Betonwände dämpften das Gebrüll zu einem Rauschen, als würde irgendwo ein Fluss in die Tiefe stürzen.

Florian lief den Gang entlang. Kein Mensch begegnete ihm. Selbst die Angestellten des Hallenbetreibers standen im Innenraum. Also keine Manipulation. Ein fairer Sieg, ein Kämpfer, der über sich selbst hinausgewachsen war. Echte Schläge, echtes Blut, echter Schmerz. Aber die Frage, weshalb Zucker so sicher sein konnte.

Florian steigerte das Tempo. Er hatte bald das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, dennoch wunderte er sich, dass er so schnell war. Der Haupteingang war ein glänzender Saal mit Marmor, Spiegeln, Gold, Statuen, Reliefs und Malereien. Florian durchschritt eine Tür, dann noch eine und noch eine. Mit jeder Schwelle verringerte sich die Pracht, bis er schließlich eine Betontreppe zwischen grauen Betonwänden herunterstieg. In einer Halle stand der Drehflügler und wurde wieder zusammengesetzt. Auf dem Boden war eine Blutspur. Florian folgte ihr. Sein Instinkt hatte ihn nicht getäuscht. Die Tropfenspur endete an einer Stahltür mit der Aufschrift Betreten nur für Befugte. Florian öffnete vorsichtig, steckte den Kopf durch und schaute einem Mann im Trainingsanzug direkt ins Gesicht. Er hatte den Mann in der Ringecke von Jungbeck gesehen, aber es schien nur ein Helfer zu sein.

»Aus meinem Gespräch wird wohl nichts?«, sagte Florian.

Der andere zuckte die Schultern. »Sie haben Termin?«

»Wäre ich sonst hier?«

»Nichts für Presse«, sagte der andere knapp mit einem ausländischen Akzent, »ist erst mal Fall für Medizin intensives.«

Florian drückte sich durch die Tür. »Dieser Kuszinsky«, setzte er an.

»War früher Boxstall unserer, jetzt nicht«, schnaubte der andere abwehrend, »jetzt ist in Wedding, kleine Klitsche.«

Florian nickte und verzog sich. Hatte er etwas erreicht?

Eher nein. Er schlenderte an der breiten Zufahrtsstraße entlang. Aus der Kaiserhalle klang das Toben des Publikums, als würde das Gebäude schnauben wie ein lebendiges Wesen.

Später sprang keuchend ein Motor an und der Rotorflügler hämmerte knapp über den Dächern in Richtung Innenstadt. Er hielt auf die Blinklichter eines einfahrenden Luftschiffes zu, schlug dann einen Bogen und knatterte davon.

Florian ging den ganzen Weg, wieder fand er sich problemlos zurecht, sobald er es nur schaffte, nicht über den Weg nachzudenken. Wahrscheinlich machte er sogar einen großen Umweg, zumindest war es auffallend, dass sein Weg ihn an einigen Bars und Etablissements vorbeiführte, die bei ihm Erinnerungen auslösten. Einige Male wurde er von den Türstehern gegrüßt, sogar Gäste, die in angetrunkener Aufgedrehtheit aus einer Tür wankten, begrüßten ihn lautstark und gerne auch mit einer alkoholisierten Umarmung.

Florian war bekannt wie ein bunter Hund und er wusste nicht, warum. Die Erkenntnis kam erneut wie ein Schwall kaltes Wasser. Er war froh, als er sich wieder in seiner Suite im Hotel befand. Sara Levinsohn kam gerade aus dem Bad und duftete nach dem süßlichen Zusatz.

»Und? Hatten Sie einen angenehmen Abend?«, fragte sie.

»Instruktiv, in gewisser Weise. Und selbst?«

»Ging so.« Damit verschwand Fräulein Levinsohn, und Florian bereitete sich wieder sein Sofa-Lager. Er war zugleich todmüde und hellwach. Er sehnte sich nach dem Schlaf und fürchtete die Träume, die ihn bedrücken würden. Er war ihnen hilflos ausgeliefert und sie kamen, wie befürchtet. In der Nacht wurde er umgekrempelt, er war zwei Personen, aber in Wahrheit war er ein junger Versager, ein kleiner Feigling, die sich irgendwie durchs Leben schummelte und Angst vor jedem neuen Tag hatte.