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Sagen- und Märchengestalten – Das Nothemd

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Das Nothemd

Den Allvater Odin schmückte die goldene Bräune, ein Panzer, welcher Sieg verlieh, und oft umgürtete er damit die Helden seiner Wahl, wenn sie auszogen zum blutigen Streit. In der deutschen Sage ist Wotan der Höchste der Götter. Auch er verleiht den Kämpfenden das Sieghemd, das ihnen Gewalt über ihre Feinde und Unverletzlichkeit des eigenen Leibes sicherte. Wie die alten Heldenlieder im Mund des Volkes im Laufe der Jahrhunderte zu Märchen wurden, sank auch der höchsten Götter herrliches Geschenk, das siegspendende Kriegshemd, zu den Zaubermitteln herab, mit denen fahrende Landsknechte ihren ritterlichen Leib zu festigen trachteten. Doch ehe noch die Wandlung jenen untersten und letzten Grad erreichte, übertrug frommer Glaube Wotans Siegesgabe auf den starken Drachentöter St. Georg, der von seinem Ross herab das Ungetüm erschlägt, den Kriegern Heil und gutes Wetter gibt, Hirt und Herden vor den Wölfen schützt. Daher hieß auch das Sieghemd im Mittelalter Sankt Georgen-Hemd. Das heilige, siegverleihende Gewand brach des bösen Zaubers Macht, wie es St. Georg im Drachenkampf beschützte, wenn eine unschuldige Jungfrau in sieben Jahren, stumm und schweigend, Flachs zur Leinwand spann, verwebte, schnitt und nähte, und ein solches Nothemd über einen warf, den Hexen oder Zauberer verwandelt hatten, gab sie dem Verwünschten seine vorige Gestalt zurück. Auch machte das Nothemd den, der es trug, siegreich und unverletzt in jedem Streit. Wahrhaft furchtbar ist eine Sage vom Nothemd, welche in sich Gott und Teufel, Himmel und Hölle, Gebet und Fluch vermischt. Ein solches Hemd durfte nur gewebt werden von elf Uhr bis Mitternacht aus ungefärbter Wolle eines schwarzen Schafes, an dem kein weißes Flöckchen war, gewebt im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, geweiht durch sieben Vaterunser und die Litanei. Und als sollte jede Macht, welche zwischen Himmel und Erde waltet, zur Mithilfe herbeizitiert werden, auf dass weder Gutes noch Böses dem also Bewehrten schaden könne, wurde in des Teufels Namen das Hemd in Menschenblut getaucht, sieben Tage und sieben Nächte lang im Schoß der Erde verwahrt und mit einem Fluch wiederum hervorgezogen.

Eine Jungfrau wandelt schweigend durch die stille Nacht, hinaus zum Garten Gottes, wo die Saat gesät wird, die der Ewigkeit entgegen reift. Sie lenkt ihre Schritte jener Seite zu, wo längstvergessene Tote schlummern, wo im feuchten Schatten der Kirchhofswand kniehoch die Nesseln über einem Grab wuchern, das keine liebende Hand vom Unkraut freimacht. Wer unter der Rasendecke schlummert, weiß die Jungfrau nicht, denn ihre Gespielen kennen den verfallenen Winkel kaum, so weit liegt er jetzt ab von Luft und Weh. Auch die Lerche kennt das Grab nicht, ihr Fuß mag dort nicht Ruhe finden, wenn sie aus blauer, lichtumflossener Höhe niederschwebt, wo sie das Auferstehungslied gesungen für die stillen Schläfer unter den grünen Zweigen.

Nur eine kennt es noch im Ort. Das ist die alte Ursel, das Zauberweib, die Hexe, jetzt ein steinaltes Mütterchen. Als die Jungfrau ihr jüngst im tiefen Wald begegnete und scheu aus ihrem Weg wich, war sie stehen geblieben, wo die Pfade sich durchkreutzen, hob den zitternden Kopf empor und krächzte: »Wer ein Nothemd weben will mit reiner Hand, der muss zum Kirchhof, wenn die Glocke aushebt, Mitternacht zu schlagen. Bis sie ausgetönt, nicht länger, darf er Nesseln von verfallenen Gräbern raufen. Schweigend kommen, schweigend gehen, drei Nächte lang. In drei Nächten muss das Garn daraus gesponnen, in drei aber gewebt, geschnitten und das Hemd verfertigt sein. Wer es tut, der denke den Namen Gottes nicht dabei, denn Gott wendet sein Antlitz von dem Grabesstören. Er gehe in drei Teufel Namen, er raufe den Totenflachs in Satans Kraft und nähe das Gewand mit höllischem Fluch.«

So sprach die Alte und schlich, den Stab in ihrer zitternden Hand, hinweg. Die Jungfrau aber lehnte sich entsetzt an einen nahen Baum, denn die Worte hatten ihr Herz wie ein kalter, schneidiger Stahl getroffen. Sollte nicht ihr heimlich Geliebter, dem sie ihr ganzes Sein dahingegeben hatte, zum heißen Kampf gegen eines mächtigen Fürsten Heer ausziehen? Wahrlich, nicht dahinter bleiben durfte der edle Rittersmann, wo es galt, Ruhm und Ehre zu erwerben, und hätte er die Jungfrau mehr geliebt als sein eigen Leben! Da er ihr die böse Kunde hinterbrachte, war sie fast sinnlos geworden vor Angst und Weh, und als er sie tröstete mit innigem Worte und ihr sagte, dass nicht jede Kugel treffe, nicht jeder Schwertschlag töte, war ein Gedanke in ihrem Herzen aufgestiegen, das teure Leben mit aller Macht ihrer schwachen Hände zu schirmen. In solchen Gedanken kehrte sie heim durch den Wald, der ihr heimisches Dorf umschloss, und als hätte die Alte jeden Zug ihrer kämpfenden Seele belauscht, sprach sie ungefordert den verderblichen Rat. Wie das Mädchen auch mit sich rang und stritt, siegte doch die Liebe über die Furcht vor dem gefährlichen Unternehmen, das ihr zeitliches und ewiges Verderben bringen konnte.

So schritt sie die Nacht dahin durch die schweigenden, todesstillen Gassen, dem Kirchhof zu. Eben hob die große Turmuhr aus, da stand sie an dem verfallenen Grab und riss mit zitternder Hand die Nesseln ab, nicht achtend der Stacheln, welche ihre zarte Haut verletzten. Dann entfloh sie eilend, wie vom Sturm gejagt, denn es schien ihren verwirrten Sinnen, als hebe sich ein dürrer, gespenstiger Schatten an der Mauer empor und strecke die Knochenhände nach ihr aus.

Und dennoch ging sie wieder und zum dritten Mal, bis ihre Kammer sich mit dem seltsamen Flachs gefüllt hatte und sie Vorrat genug besaß, daraus ein Hemd zu schaffen. In drei Nächten war das Garn gesponnen, doch reichliche Blutstropfen entquollen dabei ihren zarten Händen, die harten Fäden netzend.

Dann wurde der Stoff gewebt, das Hemd geschnitten und genäht, und wie sie den letzten Fluch darüber sprach, erfüllte plötzlich blaues Schwefellicht die Kammer und ein Knall ertönte, der das Haus erschütterte, als solle es in sich zusammenstürzen. Ohnmächtig fiel die Jungfrau zu Boden. Erst das junge Licht des Tages weckte sie wieder, hurtig raffte sie nun das Nesselhemd in ihr Gewand und eilte hinweg, denn heute noch musste sie Abschied von dem geliebten Ritter nehmen. Als sie die teuer erkaufte Wehr ihm reichte und er sie nahm, erzitterte ihr Herz in ahnungsvollem Weh und sie rief noch einmal, da er schon das ungeduldig stampfende Ross bestiegen: »Alle Heiligen nehmen dich in ihren Schutz.«

»Ei, ei!«, krächzte hinter ihr der alten Ursel Stimme, »wie seid Ihr unvorsichtig mit dem Segnen, schönes Jungfräulein! Wisst Ihr nicht, dass der Reiter Unglück hat auf seinem Weg, wenn er vom Ross zurückblickt nach der Liebsten?« Damit humpelte sie hinweg, dem Friedhof zu, wo sie lange noch auf dem verlassenen Grab sitzend ihre Sprüche murmelte.

Wochen und Monde vergingen. Eine große Schlacht war geschlagen worden in Feindes Land, und mancher Mutter Sohn ruhte in der fremden Erde. Einsam irrte die Jungfrau durch Feld und Wald, ihre Angst und ihre Tränen zu verbergen, denn keine Kunde war zu ihr gelangt, ob der Geliebte lebe oder ob auch er gebettet sei auf öder Heide. Der Schmerz um den Geliebten war es jedoch nicht allein, was ihr Herz quälte, dass sie von Tag zu Tag bleicher wurde. Eine neue, schwere Sorge lastete auf ihr, und als sie jetzt so düster hinabschaute in den tiefen Weiher, vor dem sie eben stand, tauchten böse Gedanken in ihr auf, und sie dachte, wie schnell doch alles Weh ein Ende finden dürfte da unten in der dunklen Flut, und wie die Schande vor den Leuten und der Jammer daheim nicht hinabzudringen vermöchten auf des Wassers Grund. Da dröhnte Hufschlag an ihr Ohr, und sie blickte wild empor. Auf dem Waldpfad kam Georg, der Knappe des Ritters, der mit ihm in die heiße Schlacht ausgezogen war, daher geritten. Ihr Herz pochte stürmisch, als sie ihn erblickte. Er brachte ja Kunde von seinem Herrn, er musste ja wissen, ob er gesund und am Leben geblieben. Sie wollte auf ihn zueilen, doch Georg hatte sie gleichfalls bemerkt und schon sein Ross zu ihr hingewendet.

»Grüß Gott, holde Jungfrau!«, rief er ihr zu. »Doch wie seid Ihr bleich geworden, seit ich Euch nicht mehr sah, als hätten Trauer und Schmerz auch hier gehaust, nicht unter uns allein.

Denn Ihr müsst wissen, dass mein edler Herr im ersten Kampf gefallen ist. Ein Geharnischter auf schwarzem Ross griff ihn wütend an, und ehe ich es vermochte, ihm zu Hilfe zu kommen, teilte ein furchtbarer Streich des Ritters Helm und Schädel.«

Da scheute plötzlich des Knappen Tier und sprang zur Seite, sodass er nicht vollenden konnte. Umsonst versuchte er, es zu beruhigen, dahin brauste es mit seinem Reiter durch das Dickicht, dass die Zweige krachend brachen. An der Stelle aber, wo das Ross scheu geworden war, stand jetzt die alte Ursel und blickte fast mitleidig zu der todesbleichen Jungfrau hin.

»Du hast mich betrogen mit höllischem Zauber, verruchtes Weib«, rief sie der Alten in wildem Schmerz zu, »dass ich ihn, den ich mehr als mein Leben liebte, in den Tod gesendet habe! Fluch dir, tausendmal Fluch!«

Doch das Weiblein hinkte näher hinzu und sprach: »Ich war einst jung und schön wie du, und wie du habe auch ich einst um Mitternacht die Nesseln gesponnen und gewebt. Aber mein Liebster zog nicht aus zu Kampf und Tod. In der Heimat fand er die Gefahr. Weil er einen Wanderer erschlagen haben sollte, lag er wochenlang im tiefen Turm, wo kein Strahl des Tages mehr herunterreicht, ohne dass seine Unschuld an den Tag kam.

Da trat der böse Gedanke zu ihm ein in seiner Finsternis, wie er dir just eben zugewinkt aus dem Teich hinauf. Er war allein mit ihm und rang, aber der Böse war stärker als meines Liebsten Herz, und als nach zweien Tagen der Schließer kam, ihn abzuholen, fand er nur eine Leiche. Weil er nun ehrlich eines unehrenhaften Todes gestorben war, verscharrten sie ihn an der Kirchhofswand und die Nesseln wuchsen über seinem Grab. Jahre vergingen, da bekannte sich ein fremder Pilger sterbend zu dem Mord. Siehst du, Kind, mein Nothemd hätte ihn gerettet vor dem Richter, hätte seine Unschuld klar ans Licht gebracht, wenn ich den Zauber mit reinem Sinn geübt! Doch meine Unschuld war dahin, wie die deine und das bringt Verderben über den, der solch ein Hemd trägt. Darum klage nicht an, was gut und nützlich ist, klage an dein Herz, dass es stöhnte verbotener Lust.«

Lange schon hatte die Alte sie verlassen, lange schon war der Wald still und einsam geworden. Die Sonne sank tiefer, rosige Wölkchen färbten den Abendhimmel und die Vöglein flogen zum Nest. Endlich hallten Tritte durch den Forst. Ein Vater war es, der sein Kind zu suchen kam. Da saß die Maid an des Weihers Rand mit aufgelösten Locken, schaute hinab in die dunkle Flut und sang. Aber es war eine traurige Melodie, sie sang von dem verlassenen Grab an der Kirchhofswand. Da rief der Vater ihren Namen, sie schaute mit irrem Lächeln zu ihm auf und flüsterte: »Nicht so laut, du weckst die Jungfrau, die hier saß und nun dort unten zur Ruhe gegangen ist. Erst wenn sie fest entschlummert ist, darf ich heimgehen zu meinem Liebsten, der seit fünfzig Jahren auf mich wartet.«

Aus der Sage von Jungfrauen, welche sieben Jahre zu dem Zauberwerk verwenden mussten, bildete spätere Zeit eine andere Überlieferung. Mägdlein unter sieben Jahren sollten mit ihren zarten Kinderfingern Flachs zu einem Garn verspinnen, aus dem dann Leinwand gewebt und ein Hemd geschnitten wurde, das man mit besonderen Kreuznähten zusammenfügte. Über solch ein Hemd, welches ohne Wissen des Priesters unter dem Altartuch ausgebreitet lag, mussten drei Messen gelesen werden. Dann machte es jeden, der es anlegte, hieb- und kugelfest. Eine andere Sage lässt die Verfertigung des Hemdes noch schwieriger erscheinen. Es mussten in der Nacht am Karfreitag so viele reine Jungfrauen das Garn in des Teufels Namen spinnen, weben und nähen, dass alles vor dem ersten Hahnenschrei vollendet war. Das Hemd durfte nicht kürzer sein, als vom Hals bis auf den halben Mann. Über der rechten Brust wurde ein behelmtes Haupt mit langem Bart, über der linken ein gekrönter Teufel eingewirkt. Solche Nothemden dienten dem Krieger zu Schutz und Wehr, verliehen einem Angeklagten Sieg und Recht vor aller Obrigkeit.