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Der Teufel auf Reisen 60

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Dreizehntes Kapitel – Teil 2
Schluss

»Nicht übel«, sagte Schwefelkorn, »eine kleine Abkühlung konnte dem Burschen wirklich nicht schaden. Es ist immer gut, wenn man gewisse Leute zeitweise daran erinnert, wer sie sind und wohin sie gehören.«

»Hier sind natürlich alle Stände vertreten«, fuhr er fort, als die beiden Herren wieder in einer Ecke an ihrem Tisch Platz genommen hatten, »die Maske, welcher jeder angelegt hat, gestattet dies. »Ha«, rief er, auf einen Zigeuner zeigend, »schon wieder ein alter Bekannter! Von dem weiß ich eine interessante Geschichte und die will ich Ihnen in aller Geschwindigkeit erzählen.«

»Ich bin ganz Ohr. Was wird da nur wieder herauskommen? Sie sind heute ganz besonders zum Humor aufgelegt.«

»Der junge Mann«, sagte Schwefelkorn, »ist ein Walache und heißt Janco von Stankowitz. Als ich ihn vor zwei Jahren zuerst in einer größeren Stadt kennenlernte, gehörte er zu denen, die noch Europas übertünchte Höflichkeit nicht kannten, wie einer Ihrer Dichter so treffend sagt.

Janco Stankowitz war aber dem walachischen Konsul besonders warm empfohlen worden, und so führte ihn dieser in einige der vornehmsten kommerziellen Kreise ein. Da es sich gerade damals um eine Anleihe handelte, bei welcher Jancos Vater auch ein entscheidendes Wort mitzusprechen hatte, so erhielt er von dem Bankier Silberklang eine Einladung zum Ball, dem ich damals unter der Maske eines reichen Bergwerksbesitzers ebenfalls beiwohnte. Herr Silberklang, der nie seinen Vorteil aus den Augen ließ, zeichnete den jungen Walachen ganz besonders aus und die Frau vom Hause, noch schön und liebenswürdig, folgte diesem Beispiel. So kam es, dass unserem Janco mehrere Male die Ehre zuteil wurde, mit der Dame zu tanzen. Aber schon nach dem zweiten Walzer trat diese an ihren Mann heran und sagte mit einem Gesicht, in welchem sich die volle Verzweiflung aussprach: »Um Gotteswillen verschone mich mit diesem Menschen. Er verbreitet ja einen Geruch, der nicht zum Aushalten ist.«

»Aber die Anleihe«, rief achselzuckend Herr Silberklang, »bringe mir das Opfer und tanze mit ihm noch die Mazurka, zu welcher er dich bereits engagiert hat.«

»Gern, aber so ist es mir unmöglich.«

»Verzeihen Sie, gnädige Frau«, sagte ich näher tretend, »zufällig habe ich Ihr Gespräch gehört und wenn Sie gestatten, dass ich hier vermittle …«

»Oh, mein Herr, Sie würden mich zum größten Dank verpflichten.«

Ich verbeugte mich und im nächsten Augenblick war ich schon an der Seite des jungen Walachen.

»Hören Sie, mein bester Herr von Stankowitz«, flüsterte ich, denselben unter den Arm nehmend. »Ich erlaube mir, Sie auf eine Sitte aufmerksam zu machen, die man wahrscheinlich in ihrem Vaterland nicht kennt.«

»Ich werde Ihnen sehr dankbar sein«, erwiderte Janco.

»Nun sehen Sie, viele Herren wechseln bei uns während des langen Abends die Handschuhe, alle, aber die Strümpfe.«

Der junge Walache sah mich groß an. »Oh!«, rief er und unmittelbar darauf setzte er hinzu: »Aber wo?«

»Kommen Sie nur, ich weiß einen Ort, wo Sie dies ungestört tun können.«

Ich verschwand mit ihm aus dem Ballsaal und führte ihn den Korridor entlang in ein abgelegenes Kabinett.

»Hier«, sagte ich, »können Sie das kleine Geschäft mit Bequemlichkeit abmachen. Wenn Sie sich etwas beeilen, kommen Sie noch gerade zur Mazurka zurecht.«

Richtig, in wenigen Minuten war mein Walache wieder da. Gerade begann die Musik von Neuem, er verbeugte sich vor der Dame des Hauses, ergriff deren Hand und dahin flog er mit ihr, während diese den Kopf abwandte und ein Gesicht machte, als wenn sie Krämpfe hätte.

Nach dem Tanz trat sie wieder zu ihrem Mann. »Nun fordere aber nicht noch ein weiteres solches Opfer von mir«, sagte sie indigniert, »ich bin einer Ohnmacht nahe.«

»Wie, ich glaubte diesmal?«

»Es war noch ärger als vorher.« Dabei hielt sie ihr fein parfümiertes Taschentuch vor den Mund.

»Mein lieber Herr von Stankowitz«, sagte ich zu diesem tretend und ihn in eine Ecke ziehend. »Sie haben nicht Wort gehalten.«

»Doch, doch«, rief dieser, »da sehen Sie!« Dabei schob er den oberen Teil seiner Weste zurück und ein paar Strümpfe wurden sichtbar.

»Natürlich«, dachte ich, »ein solches Odeur unmittelbar in der nächsten Nähe der armen Dame! …« Kopfschüttelnd schlich ich mich zurück und murmelte: »Es ist doch wirklich wunderbar, was alles zum Geschäft gehört! …«

»Wissen Sie noch mehr solche Geschichten?«, fragte Schwalbe. »Es tut nichts, wenn sie auch gerade nicht so pikant wie diese sind.«

Schwefelkorn lachte. »Wenn das einmal gedruckt wird, so sehe ich schon, wie manche ästhetisch gebildete Dame die Nase rümpfen wird. Der arme Verfasser …«

»Na, das muss man als Philosoph hinnehmen«, sagte Schwalbe. »Also besinnen Sie sich auf etwas Neues.«

»Es ist gerade, als ob sich einige meiner Bekannten hier ein Rendezvous gegeben hätten«, bemerkte der Teufel. »Gewahren Sie wohl dort den Jäger. Sehen Sie nur, soeben legt er auf die Blondine an.«

»Und die scheint sich gar nicht vor dem Schuss zu fürchten«, fügte der Doktor hinzu.

»Dem passierte vor einiger Zeit auch ein ganz hübsches Abenteuer.«

»Bitte, teilen Sie mir dasselbe mit.«

»Na«, sagte der falsche Baron humoristisch, »in unserer emanzipationssüchtigen Zeit kommt es wohl mitunter vor, dass auch ein weibliches, in Liebe erglühendes Herz einmal die Initiative ergreift und, die Schranken der Etikette überspringend, den Gegenstand seiner stillen Neigung zu einem vertraulichen Stelldichein einlädt. Der Leutnant Knorrig besaß eine schlanke und biegsame Gestalt und seine Lippen bedeckte anmutig der eben erst in spröder Üppigkeit hervorsprossende Bart. Dies alles war von der schwarzäugigen Thekla zum Nachteil der Ruhe ihres Herzens bemerkt worden, denn der Zufall hatte es gewollt, dass sie Knorrig verschiedene Mal im Theater und in Konzerten begegnet war. Und da dieser als ein junger unternehmender Artillerist das Feuer seiner Blicke sogleich mit Brandraketen eröffnete, so wurde in Theklas hochklopfendes Herz binnen Kurzem Bresche geschossen. Bald stand es in hellen Flammen und die Notwendigkeit, diese Glut zu löschen, gestaltete sich immer mehr zum unabweislichen Bedürfnis. Knorrig ahnte freilich das Unheil nicht, welches er angerichtet hatte, aber desto mehr litt die schwarzäugige Thekla. Sie befand sich in einem Zustand der Verzweiflung. Selbst Clauren, welcher noch immer ihr Lieblingsschriftsteller war, konnte ihr keinen Trost geben. In stillen Nächten schritt sie händeringend durch ihr Zimmer, sie flehte um Erlösung ihrer Qual, sie hielt Reden an den Mond, aber was sie auch tat, und wohin sie auch blickte, immer stand der Leutnant Knorrig, die Arme als Versucher ausbreitend und ihr mephistopholische Worte zuflüsternd vor ihr. Da fasste sie endlich einen heroischen Entschluss. Sie sprang nicht etwa wie Sappho von einem Felsen ins Meer oder in Ermangelung des Letzteren aus dem Fenster in den vorüberfließenden schlammigen Kanal – nein, sie begnügte sich damit, ans Tintenfass zu stürzen. Indem sie die Worte Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder murmelte, schrieb sie in zierlicher Schrift und in zierlichen, mit verschiedenen orthografischen Fehlern versehenen Worten einen anonymen Brief an den Leutnant Knorrig, in welchem sie ihm, unter Hinweisung auf Claurens bekannte Erzählung Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme zu einem stillen Rendezvous für den anderen Abend um acht Uhr an der Ecke der Taubenstraße einlud. Leider war Knorrig gerade krank, als er diese Liebesbotschaft der schönen Unbekannten erhielt. Da er sich deren Bekanntschaft aber doch nicht entgehen lassen wollte, so schrieb er rasch ein Briefchen, in welchem er um acht Tage Aufschub bat und beorderte dann seinen Burschen, den Kanonier Lampe, ins Zimmer.

»Lampe«, begann er sehr feierlich, »Sie stehen im Begriff zu einer höchst wichtigen Mission auserwählt zu werden. Ich kenne Ihre diplomatischen Eigenschaften und vor allem Ihre Verschwiegenheit, und nun merken Sie wohl, Lampe, was ich Ihnen anvertrauen werde. Mit diesem Briefchen begeben Sie sich Punkt acht Uhr an die Ecke der Taubenstraße, dem Theater gegenüber. Dort beobachten Sie genau alle vorübergehende Damen. Und wenn sie eine bemerken, die ein Handkörbchen am Arm und einen Blumenstrauß in der Hand trägt, so händigen Sie ihr dieses Billett aus.«

»Sehr wohl, Herr Leutnant!«, antwortete Lampe, sprach es, machte vorschriftmäßig kehrt und stand wirklich Punkt acht auf seinem Beobachtungsposten. Um nicht die Richtige zu verfehlen, blickte er jedem vorübergehenden weiblichen Wesen ins Gesicht. Schon wurde er ob dieser Dreistigkeit mit verschiedenen, für ihn eben nicht schmeichelhaft klingenden Abfertigungen beehrt, als er plötzlich eine Nymphengestalt heranschweben sah, die wirklich ein Handkörbchen am Arm und wie es ihm bei der trüben Straßenbeleuchtung freilich nur sehr undeutlich vorkam, auch ein Blumenbouquet in der Hand trug, was sich indessen später als ein Bündel Petersilie erwies.

»Vom Herrn Leutnant!«, meldete Lampe, an die zarte Gestalt herantretend und dieser den Brief in die Hand drückend, und fort war er, froh, sich des schwierigen Auftrages entledigt zu haben.

»Vom Herrn Leutnant?«, flüsterte die Jungfrau und wendete erstaunt das zarte Billett nach rechts und nach links.

Eine Stunde später saß Christine, die Köchin des Hofrats, träumerisch am Herd und schien das, was um sie vorging, gänzlich vergessen zu haben. Das Feuer war niedergebrannt, das Wasser hatte zu brodeln aufgehört und immer noch blickte sie wonnetrunken in ein auf ihrem Schoß ruhendes rosa Briefchen.

»Aber Christine!«, tönte plötzlich eine Stimme hinter ihr, »das Feuer ist ja erloschen, und du weißt doch, dass der Papa pünktlich an seinen Tee gewöhnt ist.«

»Oh Gott«, rief diese, wie aus einem Traum erwachend, »ich schwimme ja in lauter Seligkeit!«

»Aber was hast du denn?«

»Was ich habe? Einen Leutnant habe ich!«, platzte Christine heraus, »hier ist ein Brief von ihm, heute über acht Tage um acht Uhr …«

»Lass doch sehen«, rief die jugendliche Gebieterin und überflog die verhängnisvollen Zeilen. Aber immer blässer wurde sie, leise begann sie zu erbeben und zuletzt sagte sie, das Billett in ihre eigene Tasche schiebend: »Christine, lasse nie über diesen Brief ein Wort laut werden. Man wollte dich in eine politische Verschwörung verwickeln. Mit dem Leutnant wollte man dich nur sicher machen. Ich werde den Brief verbrennen, er enthält den strafwürdigsten Hochverrat.«

»An Ihnen?«, fragte Christine gespannt.

»Nein. Ich kann dir das jetzt nicht erklären. Genug, schweige, wenn dir Leben und Freiheit lieb sind.«

Verblüfft sah die Erstere Hofrats Töchterchen nach, als dieses davoneilte. Hedwig aber murmelte, die Hand aufs Herz gepresst: »Der Unwürdige, ich kenne seine Handschrift, er überreichte mir ja noch jüngst ein Gedicht von Oskar von Redwitz, das er für mich abgeschrieben hatte !«

Am anderen Morgen erhielt der Leutnant Knorrig einen zweiten anonymen Brief, in welchem das von ihm abgeschriebene Gedicht mit der Bemerkung beigeschlossen war, dass man seinen Geschmack herzlich bedauere, der sich sogar bis zur Küche verirrt habe. Jetzt war diesem alles klar und er zweifelte nicht daran, dass Lampe einen dummen Streich ausgeführt habe. Nach einem scharfen Verhör stellte sich dann auch als Gewissheit heraus, dass von ihm das Billett ganz unrichtigen Händen übergeben worden war. Da Lampe bekannte, dass die Dame ein verdächtiger Bratengeruch umgeben habe, so bestand darüber fast kein Zweifel mehr, dass die Köchin des Hofrats die glückliche Empfängerin gewesen war.

Der unglückliche Kanonier musste sogleich aufbrechen und in Gegenwart von Fräulein Hedwig Christine den »schönen Wahn« benehmen, als sei das Billett für sie bestimmt gewesen, was jedoch die glückliche Folge hatte, dass er selbst in deren Augen Gnade fand und bei ihr zum Hausfreund avancierte.

Auch die zürnende Hedwig söhnte sich später mit dem unglücklichen Knorrig wieder aus. Sie erkannte, dass er eigentlich ganz schuldlos von der schwarzäugigen Thekla in Versuchung geführt worden war. Diese selbst sah man acht Tage später in einem der ersten Restaurants an der Seite eines unternehmenden jungen Herrn in der harmlosesten Weise lachen und scherzen.

»Das ist ja eine allerliebste Geschichte«, sagte Schwalbe, »über solchen Erzählungen könnte man beinahe das bunte Leben, welches sich hier nach allen Seiten hin bemerkbar macht, vergessen.«

»Ja«, entgegnete Schwefelkorn lachend, »den Vorteil hat unsereiner, dass einem der Stoß nie ausgeht. Durch jedes Schlüsselloch und durch jede Stubenritze sieht man. Da legen dann die Menschen die Maske der Heuchelei ab und zeigen sich, wie sie sind, weil sie sich unbeobachtet glauben. Dass der Teufel dann in der Nähe ist und sich behaglich die Hände reibt, ahnen sie freilich nicht.«

»Wirklich, ich fange jetzt auch an, zu begreifen, dass Sie in der Welt eigentlich doch eine größere Rolle spielen, als ich geglaubt habe«, sagte unser Philosoph.

»Na, geht Ihnen endlich ein Licht auf?«, rief der falsche Baron, sich behaglich die Hände reibend. »Doch kommen Sie, wir wollen einen Rundgang durch den Saal machen. Es ist mir immer, als wenn ich noch mehr alte Bekannte hier finden müsste.«