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Felsenherz der Trapper – Teil 10.4

Felsenherz-der-Trapper-Band-10Felsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 10
Das Geheimnis des Gambusinos
Viertes Kapitel

Der Heulende Wolf

Der Anführer, den Adlerfedern nach ein Häuptling, pflanzte sich dann vor dem Schwarzen Panther auf, spie diesem ins Gesicht und rief: »Chokariga vom Stamm der langhaarigen, feigen Weiber (die Comanchen trugen als einer der wenigen Indianerstämme das Haar ungeschoren) sieht vor sich Heulenden Wolf, den großen Häuptling der Navajo, dessen Sohn er vor vierzehn Monden heimtückisch getötet hat.«

Der Comanche fiel ihm hier ins Wort. »Saßtaluma, der Heulende Wolf, heult nur Lügen. Sein Sohn kam zu den Comanchen, um Pferde zu stehlen. Meine Krieger haben ihn erschossen, als er floh. Saßtaluma wird den Speichel von meinem Gesicht mit seinem Blut abwaschen. Ich habe gesprochen.«

Der Navajo lachte höhnisch. »Chokariga wird in unseren Dörfern von den Knaben zu Tode gemartert werden. Felsenherz und das andere Bleichgesicht, den Indianerfresser, aber werden wir den Apachen verkaufen. Sie sind zehn Flinten wert, und die Krieger der Navajo haben Mangel an Feuerwaffen.«

Dann wandte er sich an Felsenherz.

»Der berühmte Trapper hat sich wie ein Präriehuhn benommen, das ruhig sitzen bleibt, selbst wenn es den Jäger gesehen hat«, meinte er. »Felsenherz sollte einen anderen Namen bekommen, weil er sich von mir so leicht überrumpeln ließ. Einer meiner Späher war hinter ihm her, und der weiße Jäger war blind und taub.«

»Da hast du recht, Saßtaluma«, erwiderte der Trapper gleichmütig. »Wir hätten vorsichtiger sein müssen. Die Navajo sind als Diebe bekannt. Und Diebe schleichen lautlos über den Boden wie die Schnecken, die tagsüber sich verkrochen halten. Auch Saßtaluma wird wohl die Bärenzähne irgendwo gestohlen haben, die er um den Hals trägt.«

Des Navajo dunkle Augen glühten vor Wut auf. »Hund!«, brüllte er, »frage meine Krieger, ob ich nicht bereits fünf graue Büren erlegt habe!« Seine Rechte riss das lange Messer aus dem Gürtel. »Ich werde dir die Zunge herausschneiden und sie den Krähen zum Fraß hinwerfen. Felsenherz wird nie wieder einen Navajo einen Dieb nennen!«

Er wollte mit der Linken des Trappers Hals umkrallen.

»Du bist nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Feigling«, sagte Felsenherz da verächtlich. »Wenn du fünf Bären getötet hast, wirst du auch den Mut haben, mit mir zu kämpfen. Fessle mir die linke Hand an den Rücken, behalte du alle deine Waffen, besteige selbst dein Pferd, und ich will dich doch lediglich mit der rechten Faust, wenn ich mich nur frei bewegen kann, besiegen!«

Die übrigen Navajo waren näher getreten und blickten ihren Häuptling gespannt an.

Saßtaluma hätte des Trappers Herausforderung gern abgelehnt. Man sah deutlich, dass er sich vor dem weißen Jäger fürchtete, dass er sich überlegte, was er erwidern solle, um nicht wirklich vor den Seinen als feige zu gelten.

Sekundenlang schaute er verlegen zu Boden. Dann erklärte er mit einer geringschätzigen Handbewegung: »Felsenherz soll seinen Willen haben! Sehr bald wird sein Skalp meinen Gürtel zieren!«

Er wandte sich um und winkte stolz seinen Kriegern.

»Bindet das Bleichgesicht los, fesselt ihm die Linke auf den Rücken und verteilt euch im Tal, damit er nicht fliehen kann!«

Felsenherz hatte seinen Zweck erreicht. Dass er den heulenden Wolf einen Dieb und Feigling genannt hatte, war alles Absicht gewesen.

Als die Navajo ihn nun von den Riemen befreiten, als je zwei seine Arme gepackt hielten und zwei andere als Wächter mit hiebbereitem Tomahawk vor ihm standen, da wusste er, dass er entkommen würde.

Auf seine Armkraft und die Schnelligkeit seiner Füße konnte er sich genau so verlassen wie auf die indianische Dressur seines Braunen, der dort drüben gesattelt neben Chokarigas Rappen weidete.

Mit einem kurzen Ruck schlug er beide Arme nach vorn, stieß die vier ihn festhaltenden Navajo auf die beiden anderen, warf sich gleichzeitig nach hinten, riss sich los, teilte zwei blitzschnelle Fausthiebe aus, rannte auf seinen Braunen zu, pfiff dreimal, sah sein braves Tier sofort in Karriere auf sich zukommen.

Schüsse knallten. Ein wahnwitziges Wutgeheul erscholl.

Der Trapper sprengte schon nach Osten zu die Schlucht entlang und dann in die endlose Llano Estacado, in die texanische Hochlandwüste, hinein.

Die Navajo, als Erster der heulende Wolf, hatten ihre Mustangs bestiegen, jagten hinter dem Flüchtling her. Nur drei blieben bei den Gefangenen zurück.

Felsenherz schaute zurück.

In lang auseinandergezogener Linie nahten die dreizehn Navajo.

Der blonde Trapper streichelte abermals den blanken Hals seines Braunen, rief dem Tier dabei leise zu: »Tschapawo – tschapawo!« (Hinke – hinke!) Der Braune trabte nur noch.

Die Rothäute bemerkten, wie schwer des Flüchtlings Pferd auf der linken Hinterhand schonte (hinkte).

Dann hatte Felsenherz eine Reihe kahler Sanddünen erreicht, die streckenweise mit Kaktusfeldern bedeckt waren.

Als er hinter dem ersten Hügelkamm verschwunden war, gab er dem Braunen leicht die Hacken.

Das edle Tier wieherte, begann zu galoppieren.

Und weiter ging es durch die Sandtäler der Wüste, bald im Schritt, bald im Galopp, bald im Trab.

Die Navajo, stets kaum zweihundert Meter hinter dem Trapper, ließen sich täuschen, hofften bestimmt, dass der anscheinend lahmende Braune sehr bald völlig versagen würde.

So lockte Felsenherz die dreizehn Verfolger gut zwei Meilen in die öde Llano hinein. Nun aber näherte er sich zerklüfteten, steinigen Bergen, nun sollte erst der entscheidende Teil seiner List beginnen.

Hier, wo der harte Boden nur schwer Spuren annahm, sprang er ab, hatte im Augenblick dem Braunen die breiten, ledernen Hufschuhe untergeschnallt, sprang wieder in den Sattel und lenkte in eine Schlucht ein, die nach Nordwest sich hinzog.

Als die Navajo die Stelle erreichten, wo der Trapper für sie unsichtbar seinem Tier die Hufschuhe angelegt hatte, mussten sie lange suchen, bis sie dann endlich an ein paar aus ihrem Lager etwas verschobenen Steinen die Fährte wiedergefunden hatten.

Felsenherz aber galoppierte bereits, die Hufschuhe wieder am Sattel, auf der alten Fährte in den Sanddünen denselben Weg zurück.

In der Schlucht am Rande der Llano Estacado hockten die drei Navajo, die als Wächter zurückgeblieben waren, dicht vor den beiden Gefangenen. Es waren noch junge Krieger, und an ihrem ganzen Benehmen merkte man, dass sie besonders dem Comanchenhäuptling sehr wohl zutrauten, einen Befreiungsversuch zu wagen. Zwei von ihnen besaßen alte Steinschlossflinten, jene Sorte von Schießprügeln, die oft dem Schützen gefährlicher sind als dem Ziele, das sie treffen sollen. Sie hatten die Hähne gespannt und die Mündungen auf des Comanchen Brust gerichtet, glaubten nun, der Gefangenen ganz sicher zu sein.

Über Chokarigas edles Gesicht flog ein kaum merkliches Lächeln hin.

Er hatte drüben am anderen Rand der Schlucht hinter ein paar Kaktusstauden den Kopf seines weißen Bruders wahrgenommen, hatte den Blick jedoch sofort weitergleiten lassen und redete nun die Navajo, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, folgendermaßen an: »Die drei jungen Navajo mögen auf des Schwarzen Panthers Worte hören! Euer Häuptling Saßtaluma hat euch dazu verführt, ihn hier in das Gebiet der Apachen zu begleiten. Ihr seid in der verflossenen Nacht in einem großen Kanu den Pecos aufwärts gerudert. Andere von euch aber sind bei euren Pferden geblieben. Habt ihr das Flachboot gesehen, das dort in einem Arm des Pecos vertäut war?«

Absichtlich stellte Chokariga diese Frage. Sein scharfer Verstand vermutete einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des Flachbootes und dem Auftauchen der Navajo hier in dieser entlegenen, gefährlichen Gegend.

Die drei Krieger hatten ihre Gesichter schlecht in der Gewalt.

Auch Sancho, der Gambusino, merkte, wie sie verlegen wurden und ein paar Blicke wechselten, die gleichsam einer bei dem anderen Rat holten.

Dann erwiderte der Älteste von ihnen: »Der Häuptling der Comanchen will uns nur ausforschen. Wir wissen nichts von einem Flachboot!«

Chokarigas Augen schweiften gleichgültig über die Schlucht hin. Dann erklärte er: »Ihr lügt! Ihr seid des Flachbootes wegen hier!«

»Woher weiß der Schwarze Panther dies?«, entfuhr es dem Navajo. Gleich aber sah er ein, dass er sich verraten hatte, und fügte hinzu: »Chokariga soll schweigen, oder die Kugel meiner Büchse wird ihn treffen!«

Auch Sancho hatte nun den Trapper erblickt, der lautlos von hinten an die drei Navajo herankroch und kaum noch acht Schritte entfernt war.

»Der junge Krieger der Navajo hat kein Pulver in der Zündpfanne seiner Flinte! Wie will er da schießen!«, konterte der Gambusino und lachte los.

Und der Navajo fiel wirklich auf den plumpen Trick herein, bückte sich über das Gewehrschloss und klappte die Zündpfanne auf.

Die beiden neben ihm sitzenden Krieger beugten sich gleichfalls neugierig vor, um zu sehen, ob ihr Stammesgenosse wirklich so nachlässig gewesen sei, die Zündspanne nicht zu füllen.

Chokariga und Sancho tauschten einen triumphierenden Blick aus und beobachteten dann den Trapper, der seine im Gras liegende Büchse, die der Heulende Wolf sich angeeignet, aber beim Beginn der Hetzjagd hier vergessen hatte, aufraffte und sich nun aus der zusammengeduckten Haltung erhob.

Er sah, dass auf den Pistons der schweren, langen Doppelbüchse frische Zündhütchen steckten, dass die Waffe also noch geladen war.

Dann brachte er sie bedächtig in Anschlag.

»Der Indianerfresser hat gelogen!«, rief der Navajo jetzt. »Wie wollte er auch wissen, dass kein Pulver auf der Zündpfanne sei?«

Sancho lachte behaglich.

»Und selbst wenn deine uralte Donnerbüchse in Ordnung wäre«, meinte er, »helfen tut sie dir doch nichts, roter Bursche! Wetten, dass du sie sofort fallen lassen wirst?«

Da krachte auch schon ein Schuss – ein zweiter folgte.

Den beiden Navajo flogen die Flinten aus den Händen.

»Ei, da macht ihr mal Gesichter!«, sagte der Gambusino grinsend.

Und das stimmte. Die drei Navajo saßen wie gelähmt da, hatten nur die Köpfe halb gedreht und schielten rückwärts auf Felsenherz, der bereits des Schwarzen Panthers Büchse in der Hand hielt.

»Die jungen Navajokrieger mögen sich dort links an den Dornenbusch stellen!«, befahl der Trapper in fast gutmütigem Ton. »Felsenherz tötet nie eine Rothaut unnötig. Wenn ihr aber nicht gehorcht, muss ich euch durch das Knie schießen!«

Die drei standen sofort auf und wandten sich vollends um, blickten nun in die auf sie gerichtete Mündung der Büchse des Comanchen, die in Felsenherz’ Armen fest wie in einem Schraubstock lag.

Sie senkten beschämt die Köpfe und schritten zu dem Dornbusch hin. Als sie hier nebeneinander sich aufgereiht hatten, zog der Trapper mit der Linken sein Messer, trat an Chokariga heran und schnitt ihn los, ohne die Navajo aus den Augen zu lassen.

Kaum war der Häuptling frei, als er auch schon Felsenherz das Messer abnahm und Sanchos Riemen zertrennte.

Dann wurden die Navajo rasch gefesselt und auf ihre Mustangs gebunden. Gleich darauf trabten die drei Gefährten mit ihren Gefangenen die Schlucht nach Westen zu entlang und erreichten am Spätnachmittag die ersten Vorberge des Guadalupe-Gebirges weit nördlich von jener Stelle, wo die Navajo sie kurz vor Tagesanbruch überfallen hatten.