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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Schaper – Das graue Gespenst – 1. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Zweiter Teil
Das graue Gespenst
1. Kapitel
Der Basutospeer

Über Kimberley, der südafrikanischen Minenstadt, lagerte die Gluthitze eines sonnenklaren Maitages. Trotzdem drängte sich in der Mittagsstunde ein lebhafter Verkehr von ausgesprochen internationalem Gepräge durch die breiten Straßen, alle begriffen auf der Jagd nach dem Götzengold, der nirgends so sehr wie gerade in der »Diamantenstadt« die Gemüter erregt und Geist und Körper zu den unerhörtesten Anstrengungen anspornt.

Vor dem hochragenden Börsenbau herrschte eine ungewöhnliche Aufregung unter den Herren, die teils in der breiten Eingangstür, teils auf der Freitreppe standen.

Auf der anderen Straßenseite, gegenüber der Börse, stand eine dichtgedrängte Menge Neugieriger – Minenarbeiter, Handwerker und hier und da auch ein Farbiger. Etwas wie Schadenfreude war in den Gesichtern dieser einfachen Leute zu lesen, und wenn man genau hinhörte, konnte man Ausrufe verstehen, die von einem geheimen Hass gegen die Großkaufleute sprachen.

Zwischen den über den Fahrdamm hin und her rasselnden Wagen aller Art schlüpften kleine, halbnackte Kerlchen hindurch – Zeitungsjungen, die ihre Extrablätter hinausbrüllten.

»Die Zerstörung der Hurley-Mine!«

»Kampf mit der Miliz!«

»Achtzig Tote, zweiundfünfzig Verwundete!«

»Kauft das Allerneueste – kauft …«

An der Brüstung der Börsentreppe lehnte einsam ein Mann, dessen blaue Augen mit verächtlichem Ausdruck auf die Menge gerichtet war, die mit schadenfrohen Gesichtern auf die erregten, geängstigten Großkaufleute blickte und oft ihre höhnischen Bemerkungen hinüberrief.

Ein dicker, aufgeschwemmter Herr, dessen Finger mit blitzenden Ringen besteckt waren, gesellte sich zu dem Einsamen, der offenbar unter all diesen Millionen-Magnaten eine hochgeachtete Stellung einnahm.

»Master Wendel, ich begreife Ihre Ruhe nicht«, sagte er, sich vor dem blonden Deutschen aufpflanzend. »Ihre Mine liegt zunächst dem Randbach, und schreitet die schwarze Bande zum Angriff, so wird Ihr Werk als das Erste vom Erdboden verschwinden.«

»Meinen Sie, Brauwarey?«

Selbstbewusster Spott lag in dieser Antwort.

Der dicke Brauwarey, der bisher selbst gegen viertausend Neger beschäftigt hatte, starrte Wendel aus seinen glasigen Fischaugen staunend an.

Kopfschüttelnd sagte er: »Wirklich, ich begreife Sie nicht …«

Er wollte noch mehr hinzufügen, aber der Deutsche, ein stattlicher Mann Anfang der fünfziger, hatte sich aufgerichtet und schaute einem eleganten Auto entgegen, das sich gerade durch die Straße wand und vor der Börse Halt machte.

Dem Auto entstieg eilig ein schlanker Mann mit sonnverbranntem Gesicht. Es war der erste Buchhalter der Barbu-Mine, die Wendel seit einigen zwanzig Jahren gehörte.

»Pelletan – hierher!«, rief der Deutsche mit dröhnender Stimme.

Pelletan keuchte die Treppe empor. »Master Wendel … die Schwarzen kommen …«

Das genügte. Mit drei Sätzen war Wendel in seinem Auto, Pelletan sprang hinterher, die Tür knallte zu, und fauchend flog das Gefährt davon.

 

***

 

Die Barbu-Mine, deren Baulichkeiten durch einen hohen Holzzaun mit einer Verlängerung von starkem Stacheldraht eingeschlossen wurden, lag etwa zwei Kilometer vor der Stadt auf einer kleinen Anhöhe. Ein fester, gutgehaltener Weg gestattete dem Auto die Höchstgeschwindigkeit einzuschlagen, sodass Wendel in knappen acht Minuten vor dem Haupteingang seines Werkes anlangte. Dort empfing ihn Master Pareawitt, der Oberingenieur, mit einem Gesicht, das nichts Gutes ahnen ließ.

»Wie steht’s, Pareawitt? Alles vorbereitet?«, rief der Deutsche und war mit einem Satz aus dem Wagen. »Was treibt die schwarze Gesellschaft? Schon in der Nähe?«

»Brennen zurzeit Halburg’s Store nieder«, antwortete der Oberingenieur mit verbissener Wut. »Werden aber wohl bald hier sein.«

Wendel winkte und verschwand mit den beiden Herren hinter dem schweren Tor, dessen Flügel der Pförtner sofort wieder schloss.

Zehn Minuten später. Wie ein kribbelndes Ameisenheer, dicht gedrängt, lautlos, unaufhaltsam, schob sich die Masse der wütenden Neger auf der Straße vorwärts. Der Besitzer der Barbu-Mine beobachtete diese dunkle Masse vom Fenster der ersten Etage des Verwaltungsgebäudes aus wie ein Feldherr. Mit jener zielbewussten Energie, die aus dem armen Handlungsgehilfen im Verlauf von Jahrzehnten einen einflussreichen, millionenschweren Minen-Magnaten gemacht hatte, waren von ihm noch schnell die getroffenen Verteidigungsmaßnahmen ergänzt worden.

»Bin neugierig, was sie beginnen werden«, sagte er zu dem neben ihm stehenden Oberingenieur.

Pareawitt lehnte sich zum Fenster hinaus.

»Die Bande verhält sich auffallend still«, meinte er besorgt.

»Schlechtes Zeichen!«, erklärte Wendel und fügte hinzu: »Kein Zweifel, die Hauptmasse bewegt sich auf das Eingangstor zu. Machen wir, dass wir hier fortkommen. Ich werde einmal hinausgehen und der Rotte Vernunft predigen. Hoffentlich hilft es was. Wenn nicht – na, dann fließt eben Blut, aber nicht das Unsrige, so wahr ich Albert Erich Wendel heiße!«

Der blonde Hüne, den Panamahut weit ins Genick geschoben, drückte sich durch den Torspalt und schritt furchtlos der heranrückenden Menschenmauer entgegen. Soweit das Auge reichte, nichts als dunkle Menschenkörper, wollige Negerköpfe. Im Nu bildete sich um Wendel ein weiter Halbkreis bewaffneter Gestalten. Die Hintenstehenden drängten nach, neugierig, was der weiße Baas ihnen wohl zu sagen hätte, der so gebieterisch den Arm ausstreckte. So kam es, dass der Kreis um den deutschen Riesen sich immer enger schloss.

Der unerschrockene Millionär begann mit einer Stimme, die weithin über die glänzenden, schwarzen Gesichter schallte: »Boys, ich warne euch! Kehrt an eure Arbeit zurück! Ihr wisst nicht, wie wir euch empfangen werden, wenn ihr wagen solltet, eure unverständliche Wut an unserem Eigentum auszulassen.«

Er sprach in jenem mit holländischen Brocken vermischten Englisch, wie es in Transvaal von jedem Schwarzen verstanden wird.

»Boys!«, fuhr er fort, »wisst ihr, was Maschinengewehre sind? Ihr habt – oder wenigstens meine Arbeiter – die blanken Kanonen in meinem Schuppen stehen sehen! Bevor auch nur einer von euch meine Umzäunung erklettert hätte, würden Hunderte von euch niedergeknallt sein, wie die Springböcke bei der Treibjagd! Boys! Denkt an die Maschinengewehre! Macht kehrt und haltet Frieden! Das rate ich euch wohlmeinend, ich, der weiße Baas, der stets verstanden hat, mit seinen Leuten auf friedlichem Fuß zu leben!«

Ein Murren, wie ein Windstoß, der durch Tannenwald fährt, anzuhören, erhob sich.

»Boys, wenn ihr mir nicht glaubt, schickt eine Zahl von euch in meinen Hof, damit sie sich die blanken, eisernen Menschenfresser ansehen können. Ich will nichts, als …«

Albert Wendel sollte in diesem Leben kein beruhigendes Wort mehr an diese blutdurstige, zur Rachsucht aufgestachelte Masse richten.

Ein Basutospeer mit breiter Spitze war weit hinten aus dem Kreis von geübter Hand geschleudert worden und fuhr ihm von oben wie ein Blitzstrahl in die Brust. Die Wucht der gut zweieinhalb Meter langen Lanze war so groß, dass er taumelnd nach hinten überschlug. Der Hut fiel ihm vom Kopf, rollte seitwärts. Vergebens suchte der riesige Körper sich wieder aufzurichten.

Pareawitt, der Oberingenieur, und drei weiße Angestellte brachten blitzschnell den Schwerverwundeten in den Schutz des hohen Zaunes zurück.

»Verfl… heimtückische Bande, das sollt ihr mir bezahlen!«, brummte Pareawitt und rief den Leuten, die bei den Maschinengewehren standen, einige Worte zu.

Man hatte den Baas, dem der Speer sofort aus der Brust gezogen war, auf ein Brett gelegt und trug ihn so zum Krankenzimmer des Verwaltungsgebäudes. Ein schauriges Glockengeläut begleitete den traurigen Zug – die blitzschnell aufeinanderfolgenden Schüsse der stählernen Menschenfresser! – Tack, tack, tack, so ging es unaufhörlich, unaufhörlich.

Und draußen ein Gebrüll wahnsinniger Angst. Die Schüsse, so niedrig gezielt, dass sie nur die Beine der Schwarzen trafen, ernüchterte die angriffslustige Menge im Handumdrehen. Schreiend, tobend, einander niederstoßend, nur um schneller aus dieser Hölle fortzukommen, zerstreuten sich die Tausende, fluteten zurück.

Im Krankenzimmer lag der von dem Arzt der Barbu-Mine schnell verbundene deutsche Baas und rang mit dem Tod.

Mit erlöschender Stimme hauchte er: »Lesen Sie vor, Pelletan, was Sie geschrieben haben. Es eilt, ich fühle es …«

Und der Buchhalter las:

Kimberley, den 16. Mai 19…

In dem Bewusstsein, dass der Tod mir nahe ist, diktiere ich in Gegenwart von drei Zeugen, die diese Urkunde mit unterzeichnen werden, meinen Letzten Willen.

Ich setze zu meinem Erben den Nächsten meiner Verwandten ein, gleichgültig, wie alt dieser ist, ob Mann oder Frau. Es leben Verwandte von mir in Deutschland, und zwar in Danzig. Seit zwanzig Jahren habe ich nichts von ihnen gehört. Mein Testamentsvollstrecker wird meinen Erben zu finden wissen.

Der, der für die Erfüllung meines Letzten Willens sorgen wird, ist mein Oberingenieur Hektor Edward Pareawitt. Er soll meine Besitzungen sämtlich verkaufen. Für seine Mühewaltung erhält er 5000 Sterling.

Falls meine Verwandten sämtlich vor mir gestorben sein sollten, fällt mein Vermögen, das ich auf drei Millionen nach deutschem Geld schätze, an das Deutsche Reich, mit der Bestimmung, dass die Zinsen im Interesse meines alten Vaterlandes verwendet werden.

Unter allen Umständen sind an meine Beamten und Arbeiter Legate in der Weise auszuzahlen, dass jeder ein volles Jahresgehalt erhält.

Dieses Testament ist bei dem deutschen Generalkonsul in Kapstadt niederzulegen, den ich bitte, meinen Vertrauten Pareawitt nach Möglichkeit zu unterstützen.

Pelletan schwieg.

»Gut so«, erklärte der Sterbende mit letzter Kraft. »Eine Feder …«

Pareawitt stützte ihn, als er unterschrieb.

Es war höchste Zeit gewesen. Mit einem dumpfen Ächzen sank Albert Wendel zurück. Seine Finger schlossen und öffneten sich krampfhaft. Dann ging es wie ein Ruck durch den massigen Leib.

»Das Ende«, sagte der Arzt leise.

Pareawitt unterdrückte eine Träne.

Der Buchhalter Pelletan aber murmelte unhörbar vor sich hin »Merken wir es uns! In Danzig!«

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