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Der Marone – Chakra auferstanden

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 32

Chakra auferstanden

Der Auftritt, der sich in den Tiefen des Teufelslochs zugetragen hatte, bedarf einiger Erklärungen. Das Zwiegespräch Cynthyas mit dem schrecklichen Koromantis kündete, wenn auch in zweideutige Redensarten eingehüllt, doch die klare Absicht an, den Custus Vaughan zu ermorden, und zwar in einer Weise, welche diese entsetzlichen Menschen als Totenzauber bezeichneten.

Bei diesem teuflischen Anschlag war das Mädchen mehr Helferin als wirkliche Anstifterin, mehr blindes Werkzeug als eigentliche Leiterin. Der Beweggrund für ihre Teilnahme an diesem Mordunternehmen war, wenn auch schlecht und verabscheuungswert, dennoch vielleicht einigermaßen zu entschuldigen und selbst verzeihlich.

Ein Weniges aus der Lebensgeschichte der Mulattin wird die Beweggründe zu dieser Handlung vollkommen begreiflich machen, wenn ihre Unterredungen sie auch bereits fast hinlänglich klar dargelegt haben.

Cynthya war eine Sklavin zu Willkommenberg, eines der Hausmädchen der zum Hauswesen dort gehörenden Dienerinnen, von denen es in einem großen Haushalt auf Jamaika wie die des Custos Vaughan gewöhnlich eine große Anzahl gibt.

Im früheren Lebensalter hatte das Mädchen wirklich sehr gut ausgesehen, auch konnte man schwerlich behaupten, dass dies jetzt nicht mehr der Fall sei. Allein ihre Schönheit bestand durchaus nicht mehr in dem Reiz unschuldiger Jungfräulichkeit, sondern vielmehr lediglich in den sinnlichen Vorzügen eines kecken und leichtsinnigen Frauenzimmers.

Wäre Cynthya keine Sklavin gewesen und hätte sie in anderen Ländern gelebt, so wäre ihre Lebensgeschichte auch sicher eine ganz andere gewesen. Allein in diesem ihrem Vaterland und in dienstbaren knechtischen Verhältnissen, die sowohl den Körper als auch den Geist in Fesseln legten, musste ihr gutes Aussehen ihr nur zum Verderben gereichen.

Bei keinem hinreichend starken Antrieb, ununterbrochen den Pfad der Tugend inne zu halten, allein bei tausend Verlockungen von ihm abzuweichen, hatte Cynthya, wie leider nur zu viele ihres Geschlechts, sich einer ausgelassenen Leichtfertigkeit überlassen. Vielleicht mochte die Sklavin auch, wie Chakra dies angedeutet hatte, verführt und getäuscht worden sein. Wer auch die Schuld trug, sie war jedenfalls leichtsinnig und sittenlos geworden.

Ihrer Zeit war Cynthya der Gegenstand mannigfacher Verehrer und Bewunderer gewesen. Sie hatte jedoch ihre Liebe oder vielmehr ihre Leidenschaft zuletzt auf einen Einzigen hingewandt, und zwar mit solcher Heftigkeit und Ausdauer, dass sie lediglich mit ihrem Leben enden zu können schien. Dieser eine war der junge Maronenhauptmann Cubina. Obwohl diese Liebe eigentlich erst in neuerer Zeit entstanden war, so hatte sie doch bereits den Höhepunkt wilder Leidenschaft erreicht, die bei dem verdorbenen Sinn des von Natur sinnlichen Mädchens so mächtig und ungestüm wurde, dass sie zuletzt zu allem bereit war, was ihr in irgendeiner Weise deren Erwiderung und Befriedigung zu verschaffen versprach, bereits sogar zu dem abscheulichen Vorhaben Chakras.

Um Cubina Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wurde die Liebe der Sklavin Cynthya durchaus nicht von ihm erwidert. Cubina machte von den übrigen Maronen, die meistenteils leichte Reden in ihrem Umgang mit der Bevölkerung der Pflanzungen führten und sich auch oftmals leichtfertig betrugen, eine besondere Ausnahme, und Cynthyas Angabe, dass er einst ihre Liebe erwidert habe, obwohl auch diese als etwas zweifelhaft vorgetragen war, hatte keinen anderen Grund, als ihre eigenen, ganz haltlosen Vermutungen, bei denen der Wunsch allein die Natur des Gedankens war.

Einige freundliche Worte mochten allerdings zwischen dem Maronen und der Mulattin gewechselt worden sein, denn sie waren sich auf ihren Wanderungen oft begegnet. Allein das Mädchen hatte sie, ihrem eigenen Wunsch folgend, für Liebesworte genommen und, schlimm genug für sie selbst, ihren Sinn vollkommen missdeutet.

In letzter Zeit war ihre Leidenschaft noch viel größer geworden, als je zuvor, da sie noch von Eifersucht angestachelt wurde, Eifersucht auf die Nebenbuhlerin Yola. Die Zusammenkünfte und das ganze Einverständnis des Maronen mit dem Fellahmädchen waren freilich neueren Ursprunges. Cynthya hatte dennoch hinreichend gehört und gesehen, um bei ihr die feste Überzeugung zu schaffen, dass sie in Yola ihre gefährlichste Nebenbuhlerin gefunden habe. Mit der dem gemischten Blut eigenen Leidenschaftlichkeit trieb die wahnsinnigste Eifersucht jetzt die sich aufs Ärgste verletzt und gekränkt fühlende Mulattin zur rücksichtslosen Rache. So hatte sie bereits begonnen, sich den wilden, mit abenteuerlichen Plänen verbundenen Rachegedanken zu überlassen, als zufällig Chakra ihren Weg durchkreuzte.

Cynthya war einen von den als Nachtschwärmer bekannten Sklavinnen. Sie war gewohnt, gelegentlich nachts Ausflüge in den Wäldern in verschiedenartiger Absicht zu machen, in jüngster Zeit hauptsächlich in der Hoffnung, Cubina zu treffen und sich selbst von den vermuteten Zusammenkünften des Maronenhauptmanns mit Yola zu überzeugen.

Auf einer, dieser nächtlichen Wanderungen war sie einem Mann begegnet, dessen Erscheinung sie mit Schrecken erfüllt hatte, da, es eigentlich kein Mann war, den sie gesehen, sondern ein Geist, der Geist des alten Chakra, des Myalmannes!

Dass es sich wirklich um den Geist des alten Chakra handelte, davon war Cynthya fest überzeugt und wäre auch sicher in dieser Überzeugung verharrt, hätte sie von der Stelle so schnell, wie sie beabsichtigte, fortkommen können. Allein die affenartigen Arme des Myalmannes umschlangen sie unverzüglich und hielten sie von der Flucht zurück. Und so wurde sie tatsächlich überführt, dass es nicht Chakras Geist, sondern der leibhaftige Chakra selbst war, aus Fleisch und Bein bestehend, der sie umarmte!

Dies Zusammentreffen war nicht ganz zufällig, mindestens nicht von Chakras Seite. Er hatte schon lange Zeit zuvor sich nach Cynthya umgesehen. Er hatte sie zu einem bestimmten Zweck nötig.

Die Mulattin verriet nichts von dem, was sie gesehen hatte. Bei all seiner Hässlichkeit war der Myalmann der Freund ihrer Mutter gewesen und hatte sie, als sie noch ein kleines Kind war, auf seinen Knien geschaukelt. Allein die Zunge Cynthyas war doch noch durch stärkere Banden als die einer langjährigen Zuneigung und Freundschaft gefesselt. Furcht war unbedingt eine derselben, doch war auch noch eine andere vorhanden. Wenn Chakra Cynthya zu einem bestimmten Zweck nötig hatte, so sagte ihr ein gewisser Instinkt, dass sie ihn vielleicht ebenfalls einmal nötig haben würde. Er war gerade ein vortrefflich passender Mann, um möglicherweise ihrer Rache zu Hilfe zu kommen.

Deshalb wurden die Mulattin und der Myalmann sofort Verbündete.

Dies gegenseitige Einverständnis war aber erst in neuerer Zeit entstanden, eigentlich erst wenige Tage oder vielmehr Nächte vor jener, wo Cynthya ihren ersten Besuch bei Chakra im Tempel des Obi gemacht hatte.

Der Zweck, zu dem der Myalmann die Hilfe der Mulattin nötig hatte, hat sich bereits hinlänglich in den zwischen den beiden stattgefundenen Unterredungen gezeigt. Er verlangte ihre Hilfe, um den Totenzauber auf den ihm verhassten Loftus Vaughan zu legen. Der von Chakra ganz wohl begriffene Charakter Cynthyas, zugleich mit den sich ihr als Hausmädchen im Haus des Loftus Vaughan darbietenden Gelegenheiten, versprach dem auf die Ermordung seines Todfeindes Sinnenden ihm bei der Ausführung seiner verbrecherischen Absichten eine höchst gewandte und geschickte Helferin zuzuführen, und der angebliche Liebeszauber, den er auf Cubina anwenden sollte, hatte dem Hinterlistigen und Schlauen, sich unter den persönlichen Schutz einer vom Aberglauben angebeteten Gottheit stellenden Neger ein Mittel in die Hand gegeben, durch das seine Helferin notwendigerweise verleitet und selbst gezwungen werden musste, die Ausführung seiner teuflischen Absichten bereitwillig zu übernehmen.

Unter verschiedenen anderen Plänen gleicher Art war es auch Chakras Absicht, gelegentlich den Totenzauber auf den Maronen selbst zu legen, den jungen Cubina ebenfalls dem Obiah zu weihen, wie er im Verdacht stand, es mit seinem Vater vor zwanzig Jahren gemacht zu haben. Einzig der Mangel an Gelegenheit hatte ihn verhindert, nicht schon längst seine scheußlichen Absichten bei dem Sohn in derselben Weise durchzuführen, wie bei dem Vater, lediglich um eine Genugtuung zu haben für ein Ereignis, das, noch älter war, als Cubinas Geburt, obwohl hiermit zusammenhängend.

Natürlich wurde diese Absicht Cynthya nicht mitgeteilt.

Der Beweggrund zur Bewirkung des Todes Loftus Vaughan war freilich durchaus nicht geheimnisvoll. Seine grausame Verurteilung und darauf folgende Ausstellung auf dem Jumbéfelsen war in der Tat ein hinreichender Ansporn, um auch einen sanfteren Charakter als den Chakras, des Koromantis, zur unerbittlichen Rache aufzustacheln.

Die Wiederauferstehung des Myalmannes möchte manchem wohl wahrhaft geheimnisvoll und wunderbar erscheinen, wie dies bei Cynthya der Fall war. Doch gab es einen, der dies Wunder ganz gut begriff. Keinem afrikanischen Gott war der Priester des Obi für seine Wiederbelebung verpflichtet, sondern einem israelisch-portugiesischen Mann, dem Jakob Jessuron.

Es war nur ein einfacher Kniff, anstatt des vermeintlichen toten Körpers des Myalmannes einen anderen Leichnam unterzuschieben, der dann später ein Gerippe wurde. Die Baracke des Sklavenhändlers hatte gewöhnlich einen Negerleichnam in Vorrat, und wäre dies wirklich nicht der Fall gewesen, Jessuron hätte sich auch keine großen Gewissensbisse gemacht, eigens für diese Gelegenheit einen solchen zu bereiten.

Menschlichkeit hatte nicht das Geringste mit der Unterschiebung des Stellvertreters zu tun. Wäre diese die einzige Triebfeder gewesen, die den Jessuron in Bewegung gesetzt hatte, Chakra hätte ganz sicher unter dem Schatten der Kohlpalme verfaulen können.

Aber Jessuron hatte seine besondere Absicht dabei, das Leben des verurteilten Verbrechers zu retten und er hatte es auch wirklich gerettet.

Seit seiner Auferstehung hatte Chakra nun seinen schrecklichen Beruf mit noch größerem Eifer und in größerer Ausdehnung betrieben, als je zuvor, aber freilich in der allergeheimen und verstohlenen Weise.

Es dauerte auch nicht lange, so hatte er sich unter einem neuen Namen viele Hilfsgenossen verschafft, mit denen er nun während der Nacht und mit entstellter Gestalt und verlarvtem oder verändertem Gesicht zusammentraf. Niemals aber wurden sie in das Teufelsloch geführt, denn nur sehr wenige waren in die Geheimnisse des Myalmannes hinlänglich eingeweiht, um in den in tiefer Abgeschiedenheit gelegenen sicheren Tempel eintreten zu dürfen. Chakra begriff die Notwendigkeit vollkommen, sich so viel wie möglich von allein zurückzuhalten und in der Verborgenheit zu bleiben. Kein Flüchtling hätte vorsichtiger bei seinen Ausgängen sein können als er.

Er wusste, dass sein Leben bereits durch den früheren Urteilsspruch verwirkt sei und dass, wenn auch einmal der Hinrichtung entgangen, er bei einer zweiten solchen Gelegenheit nicht so glücklich sein würde. Denn, wieder gefangen, würde gewiss eine sichere Todesart bei ihm angewandt werden, etwa ein Strick statt der früheren Kette, und anstatt mit diesem an einen Baumstamm gebunden zu sein, würde man ihn hübsch beim Hals an einen Baum aufhängen.

Das wusste der auferstandene Chakra ganz gut und deshalb betrat er die Waldpfade stets nur mit der größten Vorsicht und scheute sich ganz besonders vor der Pflanzung von Willkommenberg. An den Seiten des Berges hatte er nur wenig zu fürchten, denn der Ruf des Jumbéfelsens als auch der des Teufelsloches hielten deren Nachbarschaft von allen schwarzhäutigen Herumstreifern frei. Dieses Gebiet hatte Chakra ganz für sich allein.

In dunklen Nächten konnte er jedoch nach Herzenslust und gewissermaßen sicher herumstreifen, vorzüglich auf den Negerdörfern der entfernteren Pflanzungen, da der geringe, den Sklaven erlaubte Verkehr auf den verschiedenen Pflanzungen das Anknüpfen von Bekanntschaften unter ihnen sehr erschwerte, ja, fast unmöglich machte. Deshalb hielt Chakra seine Zusammenkünfte mit seinen Bundesgenossen, Helfershelfern und Anhängern vorzugsweise auf den entlegeneren Pflanzungen und Gütern.

Bereits war es jetzt schon länger als ein Jahr her, dass, seine angebliche Auferstehung vor sich gegangen war, und doch hatte er sich stets so vorsichtig herumgeschlichen, dass nur sehr wenige davon wussten, dass er noch am Leben sei. Andere hatten seinen Geist gesehen! Verschiedene Bedienstete von Willkommenberg hätten darauf geschworen, dass sie während eines nächtlichen Ganges durch die Wälder den Geist des alten Chakra erblickt hätten. Und dieser erschreckende und für sie grässliche Anblick hatte sogar manche von ihrer Neigung für nächtliche Wanderungen vollkommen geheilt.