Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Detektiv Schaper – Falsches Geld – 6. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Erster Teil
Falsches Geld
6. Kapitel
Aus den Akten einer Strafanstalt

Am Dienstag nach jenem ereignisreichen Ausflug erhielt der Detektiv einen Rohrpostbrief von Bornemann, in dem dieser ihn zu einer dringenden Unterredung zu sich bat.

Das Schreiben verbrannte Schaper vorsichtigerweise über einer Kerze und streute die Asche zum Fenster hinaus. Dann begab er sich auf dem gewöhnlichen Weg durch das Durchgangshaus zu seinem Freund, der ihn mit geradezu strahlendem Gesicht empfing.

»Fritz, ich habe einen glänzenden Erfolg in Dippoldsburg zu verzeichnen gehabt«, begann der Millionär, nachdem sie sich in dessen Arbeitszimmer bequem gemacht hatten.

»So, freut mich. Krame aber schnell deine Neuigkeiten ans, Edgar, denn ich darf nicht allzu lange meinen Lauscherposten verlassen.«

»Lauscherposten? Ich verstehe nicht ganz?«, meinte der andere verwundert.

»Davon nachher. Zunächst das Wichtigste«, erklärte Schaper jedoch, der wirklich darauf gespannt war, was Bornemann in der Strafanstalt ausgerichtet hatte.

Der Millionär holte aus seiner Brieftasche einen eng beschriebenen Zettel hervor und reichte ihn dem Freund hin.

»Da, ich habe dir alles notiert, wenigstens die Hauptsachen. Im Übrigen lässt sich über meine Expedition Folgendes berichten: Gestern Morgen sieben Uhr verließ ich mit meinem Auto, nur begleitet von meinem Chauffeur, die Reichshauptstadt. Mittags trafen wir, nachdem wir uns einmal ein wenig verirrt hatten, in Dippoldsburg ein, hielten vor dem Hotel »Zur Krone« und nahmen dort unsere Mahlzeit ein. Um ein Uhr klingelte ich an der Pforte der hohen Ziegelmauer, die den riesigen Gebäudekomplex der Anstalt umschließt. Ich ließ mich dem Direktor melden, der mich auch sofort empfing und sich im Laufe der Unterhaltung als einer jener herzensguten Menschen entpuppte, die bei aller äußerlich zur Schau getragenen Strenge niemandem eine Bitte abschlagen können. Als ich ihm mein Anliegen vortrug und dein sogenanntes Beglaubigungsschreiben vorzeigte, befahl er sogleich den Wärter herbeizuholen, der den Italiener damals in seiner Abteilung gehabt hatte. Dieser Gefangenenaufseher besann sich auch auf Ernesto Sagnali noch sehr gut. Als ich ihn fragte, ob er mir vielleicht angeben könne, mit wem Sagnali hier in der Strafanstalt besonders sich angefreundet habe, wurde er erst recht gesprächig und berichtete Folgendes:

Sagnali war in der Buchbinderei des Gefängnisses beschäftigt worden und hatte hier einen gewissen Franz Merwinski kennengelernt, mit dem er bald ein Herz und eine Seele zu sein schien. Merwinski, ein gebildeter Mensch, war früher Chemiker gewesen, wanderte dann aber wegen verschiedener Betrügereien und Diebstähle für längere Zeit ins Gefängnis. So hatte er zum Beispiel, wie sich aus seinen Personalakten nachweisen ließ, in der Diedenheimer Papierfabrik, wo bekanntlich unter strenger staatlicher Aufsicht das Banknotenpapier hergestellt wird, von diesem größere Mengen heimlich beiseite gebracht, ohne dass es nachher gelang, diese Papiervorräte, die er irgendwo gut verborgen haben mochte, zu beschlagnahmen. Er selbst blieb dabei, dass er sie verbrannt hätte. Gefragt, wozu er sie entwendet habe, brachte er allerlei Lügen vor. Jedenfalls ist dies Banknotenpapier bis heute nicht wieder aufgefunden worden.«

Schaper, der ebenfalls lauschend zugehört hatte, erhob sich ungestüm und begann mit eiligen Schritten das Zimmer zu durchqueren.

»Bornemann«, rief er dabei, »jetzt ist die Sache sonnenklar. Der Unbekannte im Hause Gerberstraße 14, der nur nachts ein und aus geht, und der, wie meine Leute sehr wohl beobachtet haben, Sonntag wieder aufgetaucht ist, kann nur jener Franz Merwinski sein. Und nun ist ja auch das Rätsel gelöst, warum gerade diese falschen Banknoten, die in der letzten Zeit ausgegeben wurden, so tadellos geraten sind, dass sie kaum von echten unterschieden werden können. Am Papier liegt es, dessen Herstellung den Fälschern ja immer die meisten Schwierigkeiten bereitete. Nun, der Geheimrat Winter wird ein schönes Gesicht machen, wenn ich ihm erzähle, dass das verwendete Papier sogar aus der staatlich beaufsichtigten Fabrik stammt!«

Der Millionär hob bittend die Hand. »Setz dich wieder, Fritz. Ich bin mit meinem Bericht ja noch nicht fertig.«

»So? Na, was gibt’s denn noch?« meinte Schaper, indem er sich in einen Klubsessel fallen ließ.

»Für den Rest meiner Mitteilungen scheinst du nicht gerade übermäßiges Interesse zu haben«, sagte Bornemann, indem er etwas den Gekränkten spielte. »Und dabei enthält doch gerade dieser Rest die Erklärung dafür, weswegen der geheimnisvolle Gast Sagnalis so sehr das Licht des Tages scheut.«

Nun horchte der Detektiv doch auf. »Allerdings, Edgar, dieser Punkt war noch klarzustellen, das stimmt«, sagte er hastig. »Also bitte, schieße los.«

»Franz Merwinski hat seinerzeit fünf Jahre Gefängnis aufgebrummt erhalten«, berichtete Bornemann. »Von diesen fünf Jahren brauchte er aber nur drei abzusitzen.«

»Brauchte? Was heißt das? So wurde er also begnadigt, nicht wahr?«

»Er begnadigte sich selbst, indem er einfach eines schönen Tages auskniff«, entgegnete Bornemann vergnügt.

Schaper lachte. »Ach so! Nette Art von Begnadigung! Ich fürchte nur, der Mann wird sehr bald wieder hinter Schloss und Riegel sitzen, sehr bald!«

Bornemann schaute den Freund fragend an.

»Besitzt du denn bereits genügend Beweismaterial, um gegen die beiden vorgehen zu können?«, meinte er interessiert.

»Das wohl nicht. Aber ich hoffe es demnächst zusammen zu haben.«

Und dann erzählte er dem Millionär alles, was seit ihrer letzten Zusammenkunft sich ereignet hatte.

»Leider habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt«, sagte er zum Schluss, »von meiner Horcheinrichtung Gebrauch machen zu können. Gewiss, ich kann, wenn ich das Ohr an den aufgeschraubten Schalltrichter halte, deutlich hören, wie der Unbekannte sich drüben in seinem Zimmer bewegt, was er treibt usw., habe auch schon einige Sätze belauscht, die Sagnali mit seinem Gast austauschte, aber etwas von Bedeutung vernahm ich bisher nicht. Vielleicht habe ich auch den richtigen Moment verpasst. Du musst nämlich nicht vergessen, Freund Edgar, dass ich in meinem neuen Junggesellenheim nur bis zu einer gewissen Grenze Herr meiner selbst bin. Drei Stunden des Tages bringe ich sicherlich im Geplauder mit der jüngsten Molnar zu, einem zarten, dabei außerordentlich fleißigen Geschöpfchen, das für mein leibliches Wohl insofern sorgt, als es mir die Mahlzeiten ins Zimmer bringt. Möglich also, dass gerade während dieser Plauderstunde für mich wertvolle Horchgelegenheiten unbewusst vorübergegangen sind. Trotzdem werde ich diese wenig schöne Spezialität nicht einstellen, da ich eben darauf angewiesen bin. Alles kommt ja für mich darauf an, dass ich baldigst erfahre, wo die beiden Banknotenfälscher ihre Utensilien für ihre unerlaubte Papiergeldfabrikation verborgen haben. In der Wohnung befindet sich dieses Versteck jedenfalls nicht. Das habe ich am Sonntag festgestellt. Vielleicht ist es in jenem Speicher zu suchen, für den der Italiener monatlich 125 Mark Miete zahlt, wie mir die leichtsinnigerweise von ihm als Lesezeichen benutzte Quittung verriet.«

»So bist du also noch nicht in der Wendelholzgasse gewesen – so hieß doch die Straße, die du vorhin nanntest?«

»Stimmt. Wendelholzgasse 3. Eine ganz interessante Baulichkeit, dieser sogenannte Lagerspeicher. Habe mir ihn zunächst gestern einmal von außen angesehen, werde ihm aber demnächst wohl auch bei Nacht einen Besuch abstatten.«

»Bei Nacht? Dann muss ich dabei sein, Fritz. Denn das wird interessant.«

»Allerdings. Zumal, da wir uns wie richtige Einbrecher heimlich und gewaltsam in der alten Ruine Eingang verschaffen müssen«, entgegnete der Detektiv lächelnd.

»Ruinen? Ich denke, es ist ein Lagerspeicher?«, fragte Bornemann zweifelnd.

»Gewiss. Aber ein sehr baufälliger. Nebenbei bemerkt, er hat eine recht merkwürdige Geschichte, die dir wahrscheinlich unbekannt sein dürfte, ebenso wie du bisher kaum gewusst haben dürftest, dass es in Berlin eine Wendelholzgasse gibt.«

»Da hast du nur zu recht«, meinte Bornemann gespannt. »Und was hat es nun mit dem Speicher auf sich?«

»Erledigen wir zunächst die Wendelholzgasse. Du findest sie nach langem Suchen auf dem Plan von Groß-Berlin draußen in Westend, notabene, wenn du sehr gute Augen hast, da sie kaum siebzig Meter lang ist und so schmal wie eine Seitenstraße in einer ostpreußischen Kleinstadt. Bebaut ist sie nur auf der einen Seite und dies auch nur recht unvollkommen. Mitten zwischen den alten Häusern der Wendelholzgasse klafft nun eine große Lücke, die von einer alten Ziegelmauer ausgefüllt wird. Hinter dieser Ziegelmauer regiert der preußische Staatsfiskus, das heißt, der freie Platz ist fiskalisches Terrain, das, wie man sich erzählt, nach einer alten Verfügung Friedrich Wilhelms des Vierten nicht verkauft werden darf. Auf diesem gut hundert Meter tiefen und zwanzig Meter breiten Terrain erhebt sich inmitten einer Wild­nis von Unkraut aller Art ein nüchterner, zweistöckiger Ziegelbau, dem man sein hohes Alter schon an den merkwürdig geformten Dachpfannen von Weitem ansieht. Dieses Haus soll nun vor hundert Jahren das Staatsgefängnis eines hohen Würdenträgers gewesen sein, der dort, abgeschlossen von der Welt, bis zu seinem Tod eingesperrt gehalten wurde. Ich betone: Soll gewesen sein! Ob etwas Wahres daran ist, weiß ich nicht. Ich nehme aber fast an, dass die Sache ihre Richtigkeit haben dürfte. Ich habe nämlich mal in einer Berliner Chronik etwas Ähnliches gelesen. So – und dieses alte Gebäude ist nun heute zum Lagerspeicher degradiert worden. Den Platz hat seit Jahren ein gewisser Seidler gemietet, und von dem pachtete ihn wieder Ernesto Sagnali.«

»Du hoffst also, dass die beiden Verbrecher dort ihre Fälscherutensilien verborgen haben?«, meinte Bornemann lebhaft.

»Ich hoffe, und zwar sehr stark. Finde ich dort in dem alten, baufälligen, verwitterten Haus nichts Belastendes, so dürfte der Fall Sagnali sich für meine Geduld wohl etwas zu länglich hinziehen, als dass ich mich weiter so eingehend wie bisher damit beschäftigen könnte. Du musst nämlich bedenken, Edgar, dass wir bisher auch noch nicht einen einzigen sicheren Anhaltspunkt dafür haben, dass wir einmal Banknotenfälscher vor uns haben, weiter dafür, ob dieser Gast wirklich der aus der Strafanstalt entwichene Chemiker Merwinski ist, und drittens, ob Sagnali je eine falsche Banknote ausgegeben hat. Besonders den letzteren Punkt möchte ich hervorheben. Ich lasse den Italiener jetzt doch beinahe eine Woche auf Schritt und Tritt beobachten und bin dadurch nur zu der Überzeugung gelangt, dass er selbst die Falsifikate nicht in den Verkehr bringt. Allerdings habe ich dafür etwas anderes ermittelt, was mir recht verdächtig erscheint: die intime Freundschaft zwischen Sagnali und dem Sohn meiner Wirtin. Dieser junge Molnar ist Lehrling bei der Zentralbank!«

Schaper betonte das letzte Wort so stark, dass Bornemann notwendig aufmerksam werden musste. Und der Millionär begriff auch sofort, was der Detektiv mit dieser Hervorhebung sagen wollte.

»Ich verstehe, Fritz. Du meinst, dass der Banklehrling vielleicht mit im Komplott ist.«

»Möglich wäre das schon. Dieser Horst-Günther von Molnar hat anscheinend sehr noble Passionen, für die seine eigenen Geldmittel nicht reichen dürften. Woher hat er also den Mammon, der dazugehört, um sich ganze Nächte mit vergnügungssüchtigen Damen, sogenannten Schauspielerinnen, in teuren Ballsälen herumzutreiben, wie einer meiner Angestellten dies beobachtet hat?«

Bornemann lachte. »Das muss man dir lassen, Fritz. Gründlich bist du! Sogar diesen Jüngling hast du schon unter freundliche Bedeckung gestellt!«

Worauf Schaper sehr ernst erwiderte.

»Und doch nicht gründlich genug. So hätte ich unbedingt den fröhlichen Sonntagsausflüglern, unter denen sich ja auch Sagnali und Horst-Günther von Molnar befanden, einen Wächter nachsenden sollen. Vielleicht wäre da manches zu erspähen gewesen, was mir hätte nützlich sein können. Wenn ich’s nicht tat, so geschah es nur deshalb, um meinen Leuten den schönen Tag ebenfalls nach Möglichkeit freizugeben. Hinterher war mir die Sache leid, aber da ließen sich meine Instruktionen nicht mehr widerrufen.«

Der Detektiv schaute nach der Uhr.

»Wahrhaftig – beinahe eine Stunde sitze ich schon hier. Ich muss heim. Adieu, Edgar. Und du kannst dich darauf verlassen. Ich gebe dir rechtzeitig Nachricht, wenn ich dem Speicher einen Besuch abstatten werde.«