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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Der letzte Versuch

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 19

Am anderen Morgen reiste Juel ab und machte die Reise auf der Küste bis Karlskrona zu Land. Der Junge war unermüdlich. Obgleich des Laufens ungewohnt, war der Junge doch fast ständig auf den Beinen.

Von Karlskrona ließ er sich nachts in einem kleinen Boot an eine unwirtliche Stelle der seeländischen Küste übersetzen und war am anderen Morgen mit der aufgehenden Sonne in der Hauptstadt des dänischen Königreichs. Da ihm der Kapitän verboten hatte, sich an das Fräulein von Gabel zu wenden, so suchte er allein den Bootsmann Courtin auf. Mit diesem verabredete er einen schlauen Plan. Juel sollte sich bei Iverbrink melden und in des Kronprinzen Dienste zu kommen suchen. Courtin aber wollte mehrere als Matrosen in dänischen Diensten stehende Franzosen, die ihm ergeben waren, gewinnen, was er für nicht schwer hielt. Einen davon wollte er nach Göthaborg an Norcroß und Flaxmann schicken, um sie mit dem Plan bekannt zu machen. Juel quälte sich einige Tage mit Hunger und Durst, um ein kränkliches Ansehen zu erlangen, und schleppte sich dann eines Morgens in zerlumpten Kleidern an das Tor des königlichen Palastes. Die Schildwachen wiesen ihn mit ihren Hellebarden zurück, aber er wimmerte so erbärmlich und verlangte so kläglich zum Leibdiener Iverbrink, dass ein vorübergehender Diener ihm versprach, den Leibdiener von seinem Verlangen zu benachrichtigen. Eingedenk seiner Verpflichtung erschien dieser auch bald am Portal und erkannte den Jungen.

»I, mein Himmel, woher kommst du jetzt erst?«, fragte er verwundert. »Es sind ja schon an drei Wochen, als sich die königliche Hoheit gnädig gegen dich auf der Brücke zeigte, und du solltest denselben Tag kommen. Wo hast du unterdessen gesteckt?«

»Ach, Herr, eben die Gnade des Kronprinzen brachte mir großes Unglück zuwege!«, klagte der Junge. »An der Brücke nicht weit von mir stand ein Matrose. Ihr werdet ihn wohl gesehen haben. Der ergriff mich, als Ihr fort ward, schleppte mich hinter die Brückenmauer und wollte mir das Geld nehmen, das Ihr mir geschenkt hattet. Als ich mich widersetzte, schlug er mich jämmerlich, nahm mir das Geld und ließ mich halbtot hinter der Brüstung liegen. Erst abends erwachte ich und wimmerte. Ein paar Bauern gingen vorüber und nahmen mich mit in ihr Dorf und dort habe ich bis jetzt krank gelegen.«

»Armer Schelm! Nun soll dir’s desto besser gehen. Komm herein. Ich will dem Kronprinzen deine Ankunft melden.«

Eine Stunde darauf saß Juel in stattlichen Kleidern im Zimmer der Pferdeknechte und hatte bereits die Weisung, sich zum Jockey des Kronprinzen zu bilden.

Durch ein wohlberechnetes anschmiegendes Betragen wusste er sich bei Iverbrink einzuschmeicheln und durch diesen sich in die Gunst des Kronprinzen zu setzen. Er wurde zu kleinen Aufträgen benutzt und hatte oft Wege in die Stadt zu laufen. Kaum hatte er diese Geschäfte zur Zufriedenheit Iverbrinks ausgerichtet, als er auch schon vom Kronprinzen persönlich zu noch wichtigeren Dingen gebraucht wurde. Diese bestanden in der Überbringung der geheimen Korrespondenz des Königssohns, ein Geschäft, wozu freilich ein schlauer Kopf gehörte, ein schlauerer wenigstens, als Iverbrink, und als solchen hatte sich Juel dem Kronprinzen bewährt. Auf diesen Gängen nun war es, wo Juel die schönste Gelegenheit fand, seine eigenen Geschäfte zu besorgen. Er traf jetzt öfter mit Courtin zusammen. Dieser brachte ihn mit den gewonnenen Franzosen zusammen, von welchen einer bereits nach Göthaborg an den Kapitän mit dem von Courtin, Juel und den Mitverschworenen ausgedachten Plan abgereist war. Dieser Abgesandte wurde täglich zurück erwartet, als Juel etwas begegnete, was nicht in der Berechnung ihres Planes lag. Der Kronprinz übergab ihm nämlich ein Briefchen für das Fräulein von Gabel, die für sich zu gewinnen er durch ihr jüngstes Benehmen am Hofe wieder die schönste Hoffnung geschöpft hatte, und bat ihn dabei, sich dem Fräulein recht liebenswürdig zu zeigen, weil es sich wohl gar fügen könne, dass er der Diener des Fräuleins würde. Der pfiffige Junge kam dadurch in die erste Verlegenheit, weil er bis jetzt auf alle Weise vermieden hatte, in des Fräuleins Nähe zu kommen. Doch vertraute er seiner List und trat mit Zuversicht in Friederikes Zimmer. Aber zu seinem Unglück war Christine zugegen. Friederike erkannte ihn und konnte einer kleinen Bestürzung nicht Herrin werden, welche Christine keineswegs entging.

Sie wurde auf den Knaben aufmerksam und kaum hatte er einige Worte gesprochen, als auch sie in ihm jene rätselhafte Gestalt erkannte, welche sie mit Friederike und dem Kapitän Norcroß in der Gartenlaube belauscht hatte. Sogleich wurde sie wieder von jener Unruhe befallen, deren Qual sie schon damals erduldet hatte. Als sie vollends hörte, dass dieser Knabe Jokey des Kronprinzen geworden sei, stieg jenes Unbehagen zur Angst. Friederike konnte natürlich in Christines Beisein den Knaben, den sie hier und in solchen Verhältnissen zu sehen so höchlich verwundert war, nicht ausfragen. Sie legte den Finger auf den Mund, nahm ihm den Brief ab und bedeutete ihn, die Antwort zu einer gelegenen Zeit zu holen. Juel verstand und ging. Am Abend war er wieder dort und fand sie, wie er gehofft hatte, allein.

»Aber, Junge«, rief sie ihm entgegen, »bist du denn ein Hexenmeister? Hast du denn etwas vom Lord Palmerston profitiert?«

»Die Sache geht natürlich zu, wie alle Hexereien des Lieutenants Flaxmann, obgleich Kapitänlieutenant Gad und Meister Habermann bis diese Stunde dabei bleiben, der Teufel sei im Spiel.« Hierauf erzählte er ausführlich und offenherzig, wie er Jokey des Kronprinzen geworden war.

»Du hast Anlagen, ein großer Mann zu werden, entweder ein großer Admiral oder ein großer Spitzbube. Aber das alles hast du ohne mich vollbringen können?«

»Es war so des Kapitäns ausdrücklicher Befehl. Er wollte Euch schonen, im Fall etwas entdeckt würde. Und das muss Euch ja lieb sein, schöne Dame.«

»Sieh, du bist doch noch ein Kind und verstehst dich schlecht auf ein stolzes Frauenherz. Aber dein Kapitän ist schier eben so unerfahren wie du. Oder aber, er hat ganz andere Gründe und Ursachen.«

»Bei Gott nicht!«, rief Juel erschrocken. »Glaubt, was ich Euch sage. Mein Kapitän liebt Euch viel zu sehr, als dass er nur den Gedanken ertragen könnte, Ihr würdet vonseiten des Hofes mit dem leisesten Verdacht belastet, mit ihm in irgendeiner Verbindung zu stehen.« Und nun erzählte er gutmütig-kindlich, was der arme Kapitän zeither ausgestanden, wie er in Verzweiflung am Meeresufer ihren Namen gerufen habe und dergleichen mehr.

Friederike wurde von dieser natürlichen Schilderung, die den Stempel der Wahrheit an der Stirn trug, ergriffen. Sie küsste den Jungen auf die Stirn, und er gestand ihr, dass Kapitän Norcroß bald wieder nach Seeland kommen werde, um noch einmal sein Glück an der Person des Kronprinzen zu versuchen.

Hierauf wurde er mit einem Billet an den Kronprinzen, das weder kalt noch warm war, und der Bitte, bald wiederzukommen, entlassen. Sie hatte genug von ihm gehört, um den Mann ihrer Seele mit neu angefachter Glut zu lieben, und ihr Schicksal zu verwünschen.

Der abgesandte Matrose langte nach einigen Tagen mit der Nachricht an, dass Kapitän Norcroß mit seiner Fregatte am folgenden Tag auf der Kopenhagener Reede sich vor Anker legen und unter falschem Namen als schwedischen Überläufer ausgeben werde. So war Courtins und Juels Plan. Diese wollten Lärm von der Sache machen und den Kronprinzen einladen, sich das herrliche Schiff anzusehen. Sobald er aber an Bord desselben sei, sollten die Anker gelichtet werden.

Am anderen Morgen erschien die Fregatte. Juel wollte das Fräulein von Gabel benachrichtigen, dass der Kapitän da sei, und glaubte ihr damit eine Liebe zu erweisen. Um ganz sicher zu sein, schrieb er auf einen Zettel: »Der Kapitän ist da, und wird sich unter dem Namen Karsten als Überläufer melden. Wollt Ihr ihn sprechen, so kommt nachmittags in den Hafen.«

Dieses Briefchen trug er hin, um sie zu benachrichtigen, im Fall sie nicht allein sei. Aber er fand sie allein, erzählte ihr seine Neuigkeiten und legte das Briefchen auf den Tisch. Friederike übersah es. Als Juel hinaus war, trat Christine in das Zimmer, und kaum hatte jene den Rücken gewendet, als sie das Papier nahm, es überlas, im Busen verbarg und damit forteilte. Einer ihrer Diener trug das Billet unverzüglich zum Kammerjunker von Raben.

Unterdessen hatte dem kühnen Norcroß noch einmal das Glück gewinkt. Der freundliche Morgen führte den Kronprinzen hinaus. Einige von seinem Gefolge unterbreiteten ihm den Vorschlag, ob er nicht längs der Küsten nach Güldenlund rudern wollte. Er fand Gefallen daran, und der Admiral Rosenpalm ließ ein schönes Boot anfahren. Courtin wusste sich die Führung desselben zu verschaffen und nahm einige seiner Ergebenen als Ruderknechte mit. Ein Kammerherr von Gabel, Friederikes Bruder, war diesmal dabei. Als sie nun einige Schiffe vor der Kalkbrennerei vorbei waren, gewahrte der Admiral Rosenpalm zuerst die Fregatte Graf-Mörner und zeigte sie dem Kammerherrn Gabel. Man fragte ringsum, aber keiner von all den Herren kannte das Schiff. Courtin wurde nicht gefragt und durfte also auch nicht antworten. Er hielt es auch für klüger, zu schweigen, bevor Norcroß sich nicht bei der Admiralität gemeldet hätte. Doch hoffte er, der Kronprinz werde, von Neugierde getrieben, Befehl erteilen, auf das unbekannte Schiff loszusteuern, und somit wäre denn das ganze Spiel gewonnen gewesen. Und wirklich ging seine Hoffnung in Erfüllung. Hohe Freude leuchtete aus Courtins Blicken. Die Burschen strichen die Riemen mit Kraft, und das Boot flog seinem Schicksal entgegen. Da trat der Admiral Rosenpalm, ein bedächtiger Mann, hervor und bat den Prinzen, ob Se. königliche Ho­heit nicht lieber geruhen wollten, wieder umzukehren, weil das Schiff doch allen unbekannt und ihm verdächtig wäre. Die anderen Herren stimmten bei, und der Kronprinz ließ sich zur Rückkehr bewegen. Ehe sie bei der Zollbude ankamen, sah man in der Ferne einen kleinen Fischerkahn vorüberstreichen, um den man sich nicht weiter kümmerte. Gleich darauf wurden die Anker auf der Fregatte gelichtet und mit stolzem Zug ging sie vor aller Augen nach Schonen hinüber. Sogleich befahl der Admiral, drei Schaluppen auszusenden, um zu sehen, wer es gewesen wäre. Aber sie erreichten den beflügelten Gang des großen Schiffes nicht. Ohne Aufklärung kehrten sie um.

Als der Kammerfunker von Raben von dieser Spazierfahrt nach Hause kam, fand er das Billet. Aber er konnte daraus so wenig sehen, wer es geschrieben, noch durch welche Hand es ihm zugekommen sei. Er ahnte nur die Geberin. Genug, dass er es dem Kronprinzen überreichen konnte, um denselben zu überzeugen, in welcher Gefahr er geschwebt habe.

Jener Fischerkahn stand allerdings mit der Fregatte in Verbindung. Als er nämlich dem Schiff nahe gekommen war, gab der junge Fischer ein Zeichen, dass er Depeschen zu überbringen habe. Norcroß stieg sogleich selbst die Treppe hinab.

»Hier«, sagte der Fischer, »bringe ich Euch einen Brief von einer vornehmen Dame, die mir ihn eben selbst mit einer Belohnung übergeben hat. Ich brauche nicht auf Antwort zu warten.«

Und somit stach er wieder in See.

Norcroß hatte in der auf ihn lautenden Aufschrift Friederikes Hand erkannt. Mit eigentümlichem Gefühl öffnete seine zitternde Hand das Schreiben. Er las:

Kapitän Norcroß!

Ihr seid verraten, und wenn Ihr zaudert, in zwei Stunden dänischer Gefangener. Was dann Euer Los sein würde, könnt Ihr selbst ermessen. Ihr werdet staunen, aber alles begreiflich finden, wenn ich Euch sage, dass Christine von Ove, die unwürdige Braut Eures Freundes, die Verräterin ist. Vor einer halben Stunde, als ich mich unverhohlen über den Anteil, den ich an Eurer Person nehme, bei ihr als einer Schwester aussprach, schlug sie plötzlich das Gewissen. Sie fragte mich, ob Ihr wirklich der Kapitän seid, welcher auf der Reede als Überläufer liege. Als ich erstaunt und nicht begreifen könnend, wie sie zu solchem Wissen komme, es ihr bejahe, stürzt sie mir plötzlich in Verzweiflung und die Hände ringend zu Füßen, und fleht mich an, Euer Leben zu retten, welches in der größten Gefahr schwebe. Ich beschwöre sie, sich näher zu erklären, und sie entdeckt mir, dass sie Zeugin unseres Gesprächs in der Laube gewesen, und dass sie es sei, welche dem Kammerjunker von Raben einen Wink auf der Jagd gegeben, dass er den Kronprinzen nicht am Strand zurückreiten lassen möchte. Sie gestand ferner, dass sie mir diesen Morgen ein Zettelchen weggenommen, worauf mir Euer Junge bloß schrieb: Der Kapitän ist nachmittags im Hafen. Er liegt als schwedischer Überläufer auf der Reede. Euer Name war nicht genannt. Sie hat beide Male den Verrat aus einer missverstandenen Vaterlandsliebe begangen. Eine große Angst, die sie nicht grässlich genug beschreiben kann, hat sie dazu getrieben. Sie hat zerknirscht zu meinen Füßen gelegen, und jetzt wälzt sie sich noch in Tränen zerfließend auf ihrem Bett. Das Unglück hat uns verfolgt, dass eine schwache Frau zur Mitwisserin unseres Geheimnisses wurde. Ich muss bekennen, dass ich sie hasse, wie mein Vaterland. Ich werde Anstalten treffen, sie bald zu verlassen. Sie hat jetzt begriffen, dass sie sich selbst frevelhaft den Brautkranz zerrissen hat, und ist untröstlich. Ich kann ihr nicht helfen und überlasse sie ihrem Schicksal. Durch Euren Jungen, der doch wohl bald zu Euch zurückkehren wird, sollt Ihr wieder von mir hören. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Er spielt seine Rolle vortrefflich. Eilt von der seeländischen Küste so schnell Ihr könnt.

Eure F.

Der Kapitän stand einen Augenblick bewegungslos, aber in seinen Augen begann ein fürchterliches Feuer zu glühen. Endlich ballte er die Faust und zerdrückte den Brief darin, und über seine Lippen schwebte ein entsetzlicher Fluch. Dann stieg er auf das Schiff hinauf und gebot, die Anker zu lichten und die Riemenblätter zu ergreifen. Stumm stand er auf dem Verdeck und schaute nach Kopenhagen hin, als das Schiff seinen Flügelgang nach der Schonischen Küste zu nahm. Ein leises Zittern lief durch seine Glieder, er musste sich mehrmals an dem nächsten Mast festhalten. Endlich glättete er den Brief wieder, schlug ihn zusammen und steckte ihn ein. Aber kein einziges Wort weiter, als die zum Befehlen unumgänglich nötig waren, kam über seine Lippen. Sobald die Fregatte im Hafen von Karlskrona eingelaufen war, wurde sie von einer Menge Neugieriger empfangen, die alle den Kronprinzen von Dänemark über den Steg daher treten zu sehen erwarteten. Aber es erschien niemand. Die Nachricht, dass Kapitän Norcroß den Prinzen wieder nicht gefangen habe, verbreitete sich schnell unter der Menge, die mit Hohngelächter auseinanderlief.

Bestürzt rannte Flaxmann, der sich an das Ufer gedrängt hatte, über den Steg in das Schiff und erschrak noch mehr über die bedenklichen Gesichter der Matrosen. Er fragte nach dem Kapitän und wurde in die Kajüte verwiesen. Dort fand er Norcroß bleich, den Kopf in die Hand gestützt, den wilden Blick auf eine Stelle gerichtet, und um ihn seine Offiziere, den Bootsmann, den Steuermann und den Schiffschirurgus. Alle waren beschäftigt, ihm zuzureden, dass er sich doch ans Land begeben möchte. Er verweigerte es und antwortete ihnen auf ihre Vorstellungen nichts. Jetzt wurde Platz gemacht, und Flaxmann trat an den Tisch.

»Hier kommt mein Mann!«, rief Norcroß, sprang auf, griff in die Brusttasche, zog den zerdrückten Brief heraus und rief, ihm das Papier überreichend: »Lest!«

Der Lieutenant überflog mit wirren Augen die Zeilen, die Farbe seines Gesichts wechselte vom glühendsten Rot ins Totenblass, er sank auf einen Stuhl. Das Blatt entfiel seiner Hand, sein erlöschendes Auge traf auf Norcroß’ durchbohrenden Blick.

Meister Habermann war bei der Hand und fragte: »Mit Verlaub, gnädiger Herr Lieutenant, soll ich Euch etwa eine Ader öffnen, oder habt Ihr irgendein sympathetisches Mittelchen bei der Hand, dessen Wirkung Eure werte Gesundheit vor den üblen Folgen des Schreckens bewahrte?’«

Flaxmann beachtete ihn nicht, sondern rief mit dem Ausdruck eines ungeheuren Schmerzes: »Alles verloren! Und durch sie verloren!«

»Lasst ihn nur gehen«, flüsterte der Kapitänlieutenant Gad dem Chirurgus zu. »Der Teufel hilft seinen Leuten. So lang er den Teufelspakt in dem blutroten Büchlein auf der Herzgrube trägt, ficht ihn nichts an, und er bedarf menschlicher Hilfe nicht.«

»Noch nicht alles verloren!«, sprach Norcroß mit fürchterlichem Ernst und schlug Flaxmann mit der flachen Hand auf die Schulter. »Noch nichts verloren!«, rief er mit Donnerstimme und die Glut einer entsetzlichen Leidenschaft stieg in sein Gesicht. »Ich sehe, dass Ihr nicht zum Seemann geboren seid, wie ich. Im ärgsten Toben des Sturms bewährt sich der Schiffer. Nacht muss es um mich sein, der Orkan muss wüten, Blitze müssen mich umrasen, das Meer seinen Rachen gähnend aufreißen, dann wird’s mir erst recht wohl, dann erst zeig ich, dass ich ein Seemann bin! Jetzt will ich alles an alles setzen. Auf schon befahrenen Straßen komme ich nicht zum Ziel, wohlan, so will ich mir neue entdecken! Und ich will zu meinem Ziel, und ich will! Kennt Ihr die ungeheure Kraft dieses Wortes? Ha! Ihr kennt sie nicht. Mein Plan ist reif. Er überragt all Eure winzigen Entwürfe als ein Riese. Wir werden von heute anfangen, an drei Brandern zu arbeiten. Koste es, was es wolle, ich werde die Meere durchziehen, um mir die Kosten aufzutreiben. Sobald sie fertig sind, suchen wir die dänische Flotte unter Tordenschild auf. Sie muss in einer Nacht in Feuer aufgehen. Während sie noch brennt, eile ich nach Kopenhagen. In der Verwirrung, welche die Nachricht vom Brand der Flotte dort anstiftet, komme ich an den König und den Kronprinzen. Und rette ich mich auch nicht, so sterbe ich freudig, wenn ich nur mein Ziel erreicht habe. Schwört mir alle, mir den Plan ausführen zu helfen, den ich Euch eben enthüllt habe. Schwört mir, wenn Ihr nicht Feiglinge seid!«

Die Offiziere, wüste Menschen, deren Freude Mord und Brand war, schwuren ihm Beistand, und es erhob sich ein Jubelgeschrei in der Kajüte, denn den Meisten war der Kapitän zeither noch viel zu ordentlich gewesen, jetzt, da er Mörder und Mordbrenner zu werden versprach, jetzt war er ihr Mann.

Nur ein paar Augen wandten sich mit Abscheu von dieser Greuelszene ab, die des achtzigjährigen Steuermanns Ebbe Reetz. Er faltete wehmütig die Hände und lispelte vor sich hin: »Großer Gott, soll ich so kurz vor meinem Ende einer so abscheulichen Sünde teilhaftig werden? O Himmel, kann ich noch länger unter einem jungen Mann dienen, der ein Königsmörder werden will? Und noch dazu der Mörder meines Königs! Ach, ich fühle jetzt mehr als je, dass ich ein Däne bin! Nein, nein! Das kann ich nicht ertragen.«

Der sonst so gesprächige Greis, der so gern aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungen auskramte und inmitten des jungen Matrosenvolkes erzählend und belehrend saß, wie die alte Zeit selbst, war von diesem Tage an wie verstummt. Er ging selten aus dem Schiff und brütete immer still vor sich hin. Die Matrosen sagten: »Es muss vor des alten Reetz Ende sein. Er hat seine Natur geändert und ist stumm geworden wie ein Fisch.«

Aber eines Tages fragte einer den anderen: »Wo mag der alte Reetz stecken?«

Keiner wusste es. Einige erinnerten sich, ihn schon Tags vorher vermisst zu haben.

»Er wird doch nicht etwa gestorben sein?«, hieß es wieder. Aber da der Kapitän mit der geheimen Anfertigung der Brander trieb, so hatte keiner Zeit, sich besonders um den alten Mann zu bekümmern, und da er eben nicht gebraucht wurde, so vergaß man seiner. Von Tag zu Tag wurden jedoch die Nachfragen nach ihm stärker, sein Verschwinden musste endlich dem Kapitän gemeldet werden. Dieser, mit Racheplänen beschäftigt, machte nichts daraus, und so sprachen nur die Matrosen mit Bedauern von ihm, denn sie hatten ihn alle lieb gehabt. Weil sein Abhandenkommen allen unerklärlich war, so behauptete Kapitänlieutenant Gad geradezu, der neugebackene Lieutenant Flaxmann werde wohl am besten wissen, wohin der alte Mann geraten sei, denn es liege außer allem Zweifel, dass dieser ihn weggehext habe. Diesen Verdacht sprach er endlich sogar ungescheut beim Kapitän selbst aus und überhäufte diesen mit Vorwürfen, dass er einen solchen, als Zauberer und Hexenmeister entlarvten Menschen immer noch um sich dulde.

»Ihr werdet es noch einsehen lernen, Kapitän«, rief er mit gutmütigem Eifer, »dass dieser Chaldäer an all Eurem Unglück schuld ist. All Eure Unternehmungen laufen schief, sobald diese böse Sieben im Spiel ist. Ich dächte doch, Ihr hättet Euch zeither überzeugt. Aber Ihr seid mit sehenden Augen blind. Ich sage Euch, Ihr werdet noch an meine guten Ratschläge denken, aber dann wird es zu spät sein. Auch Euer jetziges Unternehmen wird missglücken. Ich sage es Euch erst, es wird nichts daraus, und bloß weil dieser Teufelskerl daran teilnimmt.«

»Seid Ihr fertig?«, fragte Norcroß barsch.

»Ja, Kapitän!«

»Nun wohl, so geht Eurer Wege und bekümmert Euch nicht um ungelegte Eier. Ich will die meinen gehen und es ebenso machen.«

Gad fluchte in den Bart und ging.

Die Brander waren fast vollendet, und Norcroß arbeitete an einem geschickten Überfallsplan. Da langte eines Abends auf einem dänischen Boot der Franzose Courtin im Hafen an und überbrachte noch denselben Abend zwei Briefe, den einen vom Fräulein von Gabel an den Kapitän Norcroß, den anderen von Fräulein von Ove an den Lieutenant Flaxmann.

Der Erstere lautet also:

Kapitän Norcroß!

Ein unseliges Missgeschick schwebt über all Euren Unternehmungen. Ihr werdet vergebens gegen ein Euch feindliches Schicksal kämpfen. Euer Plan, die dänische Flotte zu vernichten und Tordenschild zu demütigen, ist wieder verraten. Ganz Kopenhagen spricht davon. Man trifft in Eile alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln. Man setzt sogar überall hinzu, Ihr wolltet den König und den Kronprinzen von Dänemark ermorden. Doch ist das Letztere wohl nur erdacht, um Euch in ein recht grell-gehässiges Licht zu setzen. Ich will und mag nicht glauben, dass Ihr Euch so weit irren könntet. Einen Königsmord kann der Freisinnigste nicht gut heißen. Euer Plan soll durch Euren eigenen Steuermann, einen uralten Greis und geborenen Dänen, verraten worden sein, der, wie man erzählt, vor einigen Tagen hier anlangte und von seinem Gewissen getrieben die Anzeige bei dem Admiralitätsgericht machte.

Euer Fluch trifft mit Recht meine alberne Base. Sie leidet sehr. Um das Maß ihres, Eures und meines Kummers vollzumachen, ist auch Juel entdeckt und in Gewahrsam gebracht worden. Seine Handschrift, die Christine dem Kammerjunker von Raben übergab, hat ihn verraten. Man wird dem armen Jungen kurzen Prozess machen, und er ist nicht zu retten. O, ich bin namenlos unglücklich! Doch mir zum Trost scheint es, dass der Sturm meines Lebens mich bald in die wildesten Gewässer hinausführen werde. Dann hoffe ich, soll mir wieder wohl werden. Die Anstalten zur Abreise sind gemacht. Doch nie sollt Ihr erfahren, wohin ich gehe. Lebt wohl, Kapitän!

F. v. G.

Der Brief an Flaxmann war des Inhalts:

Ich sterbe, mein Geliebter, ich bin schon todkrank, und der Tod wird mir ein willkommener Retter, ein Engel der Tröstung sein. Ach, ich habe in den Tagen meiner Leiden die Überzeugung gewonnen, dass ich dich doch niemals hätte besitzen können und dürfen. Das Schicksal hat es auch nicht dulden wollen, drum hat es mich zur Verräterin an dir gestempelt. Ja, ich bekenne mich schuldig, und doch ist mein Herz der alten reinen Unschuld noch voll. Der Konflikt meines und deines Geschicks hat mich mit mir selbst in Verwirrung gebracht. Meine Heiterkeit ist dahin. Du würdest mich kaum mehr erkennen. O, für welche Sünden bin ich so hart gestraft! Ich habe keine begangen. Ich fehlte aus Schwachheit, ich bin kein starkes Mädchen wie Friederike. Darum, mein einzig Geliebter, vergib mir! Eine Sterbende fleht dich um Verzeihung an, willst du sie zurückstoßen? Vergib, vergib, o vergib! Könnt ich doch vor dir niederknien, könnt ich meine Hände ringend zu dir erheben, könntest du in mein bleiches abgehärmtes Gesicht sehen, du würdest sagen: Dir soll vergeben sein! Ja, du wirst es sagen, ich weiß es! Lass es mich wissen, ich flehe dich an! Lebe wohl für diese Welt. Lebe wohl und vergiss nicht ganz deiner unglücklichen Braut

Eh. v. O.

»Nun ist alles aus!«, rastete Norcroß aus. »Ver­flucht sei das Weib, das mir meine herrlichsten Pläne verdarb!«

»Nicht ihr fluchen!«, sagte Flaxmann und weinte. »Unser Mitleid verdient sie, nicht unsere Flüche.«

»Und Ihr weint wie ein Kind, das sein Püppchen verloren hat«, höhnte der Kapitän. »Ich, auch ich möchte weinen, aber Blut, denn Tränen habe ich nicht, Blut weinen über meinen lieben Jungen, den sie mir an den Galgen hängen werden. O du Liebling meines Herzens, musstest du durch den Verrat eines geschwätzigen Unterrockes umkommen!« Hier brach der so feste Mann in ein verzweiflungsvolles Geheul aus. Dann rief er wütend über das Schiff: »Jungen, stellt eure Arbeit ein. Es ist alles vergebens. Der alte Reetz hat uns verraten. Geht nach Hause, es wird bald Winter.«

»Hab ich es Euch nicht gesagt, Kapitän«, erinnerte Gad, der neben ihm stand, »dass aus Eurem Unternehmen wieder nichts werden würde? Und warum?« Er deutete mit seinen langen dürren Fingern auf Flaxmann, der den Kopf an einen Mast gelehnt hatte.

»Ja, in Teufels Namen! Ihr habt es mir vorher gesagt!«, donnerte Norcroß den erschrocken zurückweichenden Kapitänlieutenant an. Dann wandte er sich zu Flaxmann und sagte ernst und mit einer gewissen wehmütigen Feierlichkeit:

»Lieutenant, unsere Wege können fernerhin nicht mehr zusammengehen. Es ist kein Segen dabei. Wir müssen uns trennen. Morgen reise ich mit meiner Fregatte ab, Ihr mögt über Euch selbst bestimmen.«

»Ich habe schon«, versetzte Flaxmann, hob das Haupt mit den dunklen Augen voll schwerer Tränen gen Himmel, reichte Norcroß die Hand, seufzte tief auf und ging.

Als er, zerrissen vom fürchterlichsten Schmerz ans Ufer trat, fühlte er sich von hinten bei der Hand gefasst. Es war Courtin.

»A l’honneur de marin!«, sagte er. »Ich folge Euch, wohin Ihr geht, Monsieur. Ich habe den Dänendienst quittiert und möchte mich wieder an Euch attachieren, um der Welt doch einmal den Beweis zu liefern, woran sie immer nicht glauben will, dass ein Franzose und ein Engländer in friedlichster Eintracht und im freundschaftlichsten Einverständnis miteinander leben können. Wollt Ihr mich haben, Herr?«

»Du sollst mein Bruder sein!«, rief Flaxmann und umarmte ihn. »Eben glaubte ich mich von allen verlassen, die Geliebte hat mich betrogen und verraten, der Freund hat mich verstoßen. Da schickt der Himmel dich mir. Ich fühle, es gibt noch eine Seele, die mich liebt. Nein, ich bin nicht unglücklich. Ich bin ein reicher, glücklicher Mann, denn ich besitze eines Freundes treues, teilnehmendes Herz.«

Ende des zweiten Teils

 

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