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Der Welt-Detektiv Band 6

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Gold – Kapitel 6.1

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 6 Teil 1
Der erste Brand

»Feuer! Feuer!« Wie ein Schrei scholl der Schreckensruf durch die stillen und öden Straßen der Stadt, die schlaftrunkenen Bewohner von ihren harten Lagern wild und jäh emportreibend. »Feuer!«

Noch vermochte freilich niemand das wirklich Entsetzliche des Rufs in solcher Stadt zu fassen. Noch fehlte ihnen der Maßstab für die Gewalt, mit der sich das einmal losgelassene Element die Bahn in Mark und Leben der Bevölkerung fressen würde. Aber in unbestimmten Bildern von Gefahr standen allen die sonnengedörrten Bretterbuden, die geteerten Zelte, die luftigen Kattunwände vor Augen, und mit ihnen die Ahnung des Unheils, das über sie hereinbrechen sollte.

Feuer! Was für ein unheimlicher Ruf das ist, unter allen Verhältnissen. Die Sinne noch von kaum abgeschütteltem Schlaf gelähmt, mit der Gewissheit einer irgendwo drohenden Gefahr, ohne noch imstande zu sein, dagegen einzuschreiten. Mit dem Lärm um uns her, mit Trommeln, Hörnerblasen, hastigen Glockenschlägen. Mit dem dumpfen Rollen der Räder schwerer Spritzen, die über das Pflaster rasseln, mit den flüchtigen Schritten laufender Menschen – und hoch am Himmel dann den Feuerschein, der lohend flammt und zuckt und weiter frisst.

Hat man sich freilich erst überzeugt, wo es eigentlich brennt, und fühlt man sich außer Gefahr, so sucht der gleichgültig gegen solche Kalamität gewordene Städter wohl auch sein Lager wieder und tröstet sich mit einem »Du kannst doch nicht helfen – es werden schon mehr als genug Leute dort am Platz sein«. Ja, ärgert sich zuletzt wohl gar über das unausgesetzte Stürmen, über die häufigeren Schläge der Glocken, die das Wachsen des Feuers künden. Das Leben selber lehrt uns ja nur zu oft, im Leben unsere eigene selbstsüchtige Bahn zu gehen, gleichgültig, wer dabei zu links, zu rechts vom Wege fällt und vor uns, neben uns versinkt.

»Feuer!« Wie anders schallte aber der Ruf durch die Zeltstraßen von San Francisco.

»Feuer!« Der Schrei fand sein Echo in jedem Schuppen, in jedem Kattunverschlag des weiten Platzes, und blitzesschnell stand fast die ganze Bevölkerung, die fast sämtlich angekleidet auf ihrem harten Lager gelegen hatte, auf der offenen Straße und schaute sich verwundert staunend um.

Kein Feuerschein am Himmel zeigte noch die Richtung der Gefahr, keine rollende Spritze, kein Glockenschlag, kein Trommelschall, kein Lärmsignal wurde laut, und Totenstille herrschte unter den Tausenden, die alle verstört und scheu bald rechts, bald links schauten, Bestätigung des Gehörten zu erwarten.

»Wo brennt es denn?«, flüsterte leise einer dem anderen zu, und da – mit einem Schlag, als ob ein eingehemmter Krater plötzlich seine Flammensäule dem Himmel selber trotzig entgegen schleudere, so brach die rote Lohe prasselnd sich Luft und Bahn.

»Feuer!«, gellte der Angstschrei fast aus jeder Kehle, denn die ganze Stadt schien in dem einen Moment in Flammen zu stehen.

»Feuer!« Und fort stürmten sie, nur in dem einen unbestimmten Gefühl zu retten, – was, wo, wussten sie selber noch nicht – dem Ort der Gefahr entgegen.

»Zur Plaza! Zur Plaza!«, schallte hier und da ein einzelner Ruf, der von Lippe zu Lippe flog, und zu der Plaza wogte die Menschenschar, dem Glutmeer, das aus dem Boden aufgeworfen schien, entgegen. Und jetzt schon fast kamen sie zu spät, den freien Platz noch zu erreichen, denn jetzt bereits, wo sie die Dauer des Feuers noch nach Sekunden zählen konnten, wälzte die üppig genährte Flamme schon über die dort hineinmündenden Straßen hinüber und tanzte lustig über zischende Teer- und Bretterflächen hin.

Retten! Ja, wer konnte retten, wo eine Welt in Feuer stand. In dem Augenblick, wo die Glut ein Zelt berührte, hatte sie es auch von oben bis unten in ihre lohenden Arme geschlagen, brennende Funken zischender Fetzen auf die darunter weg Flüchtenden niederschleudernd.

Lustig blies dabei der Wind mit vollen Backen in die züngelnden Flammen hinein und wirbelte lodernde Lappen hoch empor und weit hinaus, in ihrer verderblichen Flucht andere, noch ferngelegene Stellen fassend. Unter den sprühenden, flackernden Feuergarben aber stoben entsetzte Menschenkinder, hier ihre in Hast aufgegriffene Habe bergend, dort nur mit dem nackten Leben dem Flammentod entgangen, und ihnen entgegen presste die Schar der Neugierigen, die das furchtbare Schauspiel vor sich noch immer nicht fassen, noch nicht begreifen konnten, um was es sich hier handele. Sie wären sonst nicht dort stehen geblieben.

»Hilfe! Hilfe!«, kreischte hier und da eine einzelne Stimme über den dumpf wogenden Lärm, durch die knisternde Flamme, die in ihren mächtigen Feuersäulen, vom Wind gepeitscht, ein Geräusch verursachte, wie fast das Schlagen eines schweren Segels in Windstille.

»Hilfe!« Ja, wer konnte ihnen Hilfe bringen? Wo war der Schwimmer, der sich in dieses Flammenmeer gewagt hätte, wo der Salamander, der darin leben konnte?

Der Schrei erstickte wieder, wie er entstanden war.

Durch die plötzlich eintretende Stille gellte da der jähe Schreckensruf: »Oben in Pacific Street brennt es – unten an der Werft fangen die Häuser Flammen! Die ganze Stadt ist verloren!«

Hui! Wie stoben die Menschen da wieder auseinander. Wie flüchtete alles, was dort oder da wohnte, die eigenen Habseligkeiten, so rasch das eben ging, in Sicherheit zu bringen.

Wenn Tausende aber davon stürmten, strömten andere Tausende von den entfernteren Teilen der Stadt eben so rasch wieder herbei, und der praktische Sinn der Amerikaner hatte bald in dieser allgemeinen Gefahr das Richtige gefunden, das Feuer nicht etwa zu löschen. Denn das sahen alle, war unmöglich, aber es doch in gewisse Grenzen zu bannen und nicht weiter fressen zu lassen.

Glücklicherweise ließ gerade jetzt der Wind etwas nach. Geschah das nicht, so wäre die ganze Stadt rettungslos ein Raub der Flammen geworden. So bildeten sich nun rechts und links, mit Äxten und Tauen bewaffnet, einzelne Gruppen dort, wohin das Feuer sich die Bahn fressen wollte, seinem Wüten durch Niederreißen der Zelte und Holzbaracken Einhalt zu gebieten.

Während Einzelne, rücksichtslos, wer sich im Innern derselben befand, noch völlig von dem Brand unberührte Gebäude mit ihren scharfen Äxten angriffen und die Eckpfosten einhieben, warfen Hunderte von Armen die langen starken Taue um die, ihrem Geschick verfallenen menschlichen Wohnungen, sie im nächsten Augenblick dem Boden gleichzumachen.

Aber selbst das half nicht immer. Die flammenden Stücke der Zelte flogen wie feurige böse Geister selbst über diese hin. Die wenigen, überhaupt in San Francisco vorrätigen Spritzen kamen dem eigentlichen Feuer gar nicht nahe, sondern hatten vollauf zu tun, nicht mindere Gefahr da und dort den noch nicht erfassten, aber bedrohten Straßen abzuhalten.

Die Aufregung und Angst der Bewohner stieg dadurch auch auf das Äußerste. Jedes neu ergriffene Haus mehrte die Not. Dumpfe, wenn auch vollkommen unbestimmte Gerüchte von Brandstiftern, die selbst während des Arbeitens von Mund zu Mund liefen, vermehrten nur die Aufregung der Leute.

Die ganze Seite der Plaza, auf der sich die eigentlichen Spielhöllen mit dem hohen Parkerhaus in der Mitte befanden, stand nicht allein in hellen Flammen, sondern war schon in kaum einer Viertelstunde dem Boden gleich gebrannt, und nur die rauchenden Trümmer sandten noch ihren Qualm und Funkenregen sprühend empor. Hoch auf aber, wie eine einzige Feuersäule, loderte das von der Sonne vollkommen ausgedörrte, aus dünnen Balken und Brettern bestehende, mit hölzernen geteerten Schindeln bedeckte Parkerhaus. Die Bewohner desselben hatten in der Tat kaum Zeit gehabt, von dem Augenblick an, wo der erste Feuerschrei ertönte, das nackte Leben zu retten.

Feuer! Durch das ganze Gebäude zitterte der Ruf bis unter das Dach hinauf. Die dort Zimmer an Zimmer einquartierten Bewohner eilten, aus dem Schlaf emporgeschreckt, zitternd an die Fenster. Aber nur einen Blick warfen sie hinaus, auf die drohende Gefahr da unten. Aufgreifend, was ihnen nur zunächst in die Hände kam, stürmten sie fast alle der hölzernen schmalen Treppe zu, das Freie zu gewinnen, ehe ihnen dieser einzige Rückweg abgeschnitten würde.

Hetson, der mit seiner jungen Frau ebenfalls im oberen Stock des Parkerhauses einquartiert war, gehörte, so ganz ratlos er sich der unbestimmten Gefahr gegenüber gezeigt hatte, die seiner Liebe drohte, keineswegs zu jenen schwachen Naturen, die einer wirklichen persönlichen Gefahr in jähem Schreck erliegen. Die Nähe derselben weckte im Gegenteil alle seine Lebensgeister zu voller Tätigkeit.

Mit einem Blick seine Lage überschauend, sagte er rasch: »Jenny, dieses Haus ist verloren. Ganz Francisco selber könnte es nicht mehr retten, aber unser Geld und das Notwendigste deiner Kleider muss ich in Sicherheit bringen, wenn wir hier in dem fremden Land nicht verderben wollen.«

»Ich gehe mit dir!«, rief die junge Frau zum Tod erschreckt, denn der Feuerschein dicht vor ihrem Fenster, der schon die Funken bis über ihr Dach wirbelte, das Schreien und Heulen der anstürmenden Menschen, das Zittern des leichten Gebäudes selber, in dem die Insassen ratlos hin- und herstürzten, hatte sie fast ihrer Sinne beraubt.

»Halt, noch nicht!«, rief aber Hetson, der indessen in voller kaltblütiger Ruhe seine Kassette aufgeschlossen und das Geld an seinem eigenen Körper presste, nachdem er nur einen Blick durch die geöffnete Tür geworfen. »Die Treppe ist gedrängt voll Menschen, die rücksichtslos übereinander wegstürzen. Erst lass die Bahn wieder frei werden, denn so lange haben wir schon noch Zeit, und ich selber will indessen versuchen, deinen Koffer hinabzuschaffen.«

»Ich vergehe in der Zeit hier vor Angst!«, klagte die Frau.

»So folge mir denn«, sagte Hetson nach kurzem Besinnen, »und versuche wenigstens den Reisesack zu tragen. Vielleicht ist es auch besser so. Du bleibst dann unten bei den Sachen, und ich kehre noch einmal hierher zurück, zu retten, was irgend möglich ist.«

»O, dann komm«, bat da die Frau. »Sieh nur um Gotteswillen, wie die Flamme schon in den wenigen Sekunden gewachsen ist. Sie lodert ja am Haus empor. Wenn sie die Treppe erfasst, sind wir verloren!«

»Noch nicht, mein Herz!«, berichtigte Hetson, der in der Gefahr seine ganze Energie wiedergewonnen hatte. »Halte dich nur dicht hinter mir, und wenn dir der Reisesack zu schwer wird, wirf ihn fort. Was er enthält, lässt sich schon immer wieder anschaffen. So denn ans Werk. Kommen wir nur glücklich die Treppe hinunter, sind wir auch gerettet.«

Rasch hob er sich dabei den Koffer auf die Schultern, der einen Teil von Jennys Wäsche und Kleidern enthielt, stieß die Tür auf und schritt auf den Gang hinaus, auf den aus allen Türen Menschen strömten. Jenny folgte, wie er ihr befohlen hatte, dicht hinter ihm; ihre linke Hand von der seinen fest umschlossen, dass sie nicht getrennt werden konnten, und versuchte mit der Rechten den ihr anvertrauten Reisesack festzuhalten. Das aber war nicht möglich. In wenigen Sekunden war er von Nachdrängenden beiseitegeschoben und unter die Füße getreten, und Jenny behielt eben noch Zeit genug, ihn wieder an sich zu reißen und über das Treppengeländer hinüber nach unten zu werfen.

»Die Treppe bricht!«, schrie da eine helle Angststimme von unten herauf, und in dem plötzlichen Schreck vor solchem Unfall, drängte davon zurück, wer oben noch Raum zum Ausweichen hatte.

Das half den Übrigen, und Hetson, der nur zu gut wusste, dass sie doch rettungslos verloren waren, wenn der da unten wahr gesprochen hatte, riss seine Frau den ächzenden engen Stufen zu und floh mit ihr hinab, so rasch es seine Last erlaubte.

Jetzt aber half ihnen das Feuer über eine Stelle, die ihnen sonst vielleicht verderblich geworden wäre. Ein Teil des Treppengeländers war nämlich, gerade wo die Treppe sich herumzog, durch das Dagegenpressen der Niederspringenden abgebrochen worden. Die draußen emporlodernde Flamme verriet jedoch den Flüchtigen die Gefahr. Glücklich kamen sie ins untere Haus.

Aber selbst dort schienen sie noch nicht gerettet, denn wie der Strom der Flüchtigen hinaus ins Freie zu drängen suchte, so presste ihnen durch die enge Tür ein anderer Menschenschwarm entgegen, der teils ins Haus gehörte und noch zu retten hoffte, teils aus Neugierde in tollem Eifer heranstürmte, teils vielleicht die Gelegenheit zum Stehlen ersehen wollte.

Eine Tür war noch verschlossen, und zwar die, welche in den Saal führte. Die Hinausströmenden nahmen sich aber keine Zeit zu untersuchen, ob von innen oder außen. Gegen die dünnen Wände warfen sie sich an und schleuderten die schwache Tür in Stücken in den Saal, durch diesen jetzt die Bahn ins Freie suchend. Was kümmerte es sie, dass ihr Weg hier über Stühle und Tische und vielleicht noch nicht gerettete, hier eingestellte Schätze führte. Dort lag der Ausgang, dort die Bahn ins Freie. Rücksichtslos unter die Füße tretend, was sich ihnen in den Weg stellte, an zur Seite geschleuderten Tischen vorbei, über zerbrochene Stühle vorbei, wälzte sich die Menge.

»Hetson!«, rief da plötzlich eine laute, raue Stimme den Fliehenden an. »Alle Wetter! Du hast ein hübsches Entrée in Kalifornien!«

»Siftly, dich führt mein guter Stern hierher!«, rief der junge Mann. »Nimm dich meiner Frau an, dass ich zurück kann, noch unsere Effekten zu retten.«

»Tut mir leid«, Kamerad, rief aber der Spieler achselzuckend. »Das, was ich auf dieser Welt mein nenne, brennt ebenfalls lichterloh. Ich muss sehen, was ich noch retten kann!«

»Aber meine Frau.«

»Gehe mit ihr hinüber zum Courthouse. Dort ist der einzige Platz, wo ihr vorläufig sicher seid. Wie lange freilich, weiß der Teufel«, brummte er in den Bart. »Denn es scheint wahrhaftig, als ob alle bösen Geister losgelassen wären, dieses Nest niederzusengen.«

Hetson hörte aber schon nicht mehr, was er sprach, sondern floh nun, so rasch er konnte, mit seiner Frau dem Ausgang zu, um quer über den Platz der unmittelbaren Gefahr zu entkommen.