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Die Gespenster – Erster Teil – Dritte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Dritte Erzählung

Von einem sprechenden und doch unsichtbaren Gespenst zu St. Germain, welches sogar einem Doktor der Sorbonne auf der Nase spielte1

Der Abbé de la Chapelle, Doktor der Sorbonne, hatte zu St. Germain en Layes einen Bruder, der ihm einmal beiläufig schrieb, wie in der Wohnung seines guten Freundes und Nachbarn, des Gewürzhändlers St. Gilles, nun schon seit langer Zeit ein Kobold umher spuke und sein schauerliches Wesen treibe. Zwar tue er, wie es in dem Brief hieß, niemanden geradezu etwas zuleide, aber er erschrecke doch durch seine dumpfen Töne und bedeutungsvollen Reden einen jeden, den die Neugierde in dies Haus führe. Auch sei keineswegs, wie man anfangs vermutet habe, irgendein Menschenbetrug dahinter verborgen. Denn schon sehr viele, und zum Teil Männer mit scharfem Beobachtungsgeist, hätten alle ihre Entschlossenheit und Klugheit aufgeboten, hinter den wahren natürlichen Zusammenhang der Sache zu kommen, aber immer vergebens! Sogar die katholischen Geistlichen des Orts und der benachbarten Gegend hätten das Ihre nicht verabsäumt und sich dem spukenden Schwätzer dreist in den Weg gestellt, um ihn durch ihre geweihten Wasser, Ave Marias und Beschwörungsformeln aus dem Haus zu vertreiben. Allein das Gespenst habe sich mit einigen witzigen Einfällen über die großen Anstalten zu seiner Verbannung lustig gemacht und seiner ohnmächtigen Gegner gespottet. So sei nun ein jeder, sowohl der Freigeist als auch der Rechtgläubige, in keine geringe Verlegenheit geraten, und niemand wisse mehr, was man von diesem sonderbaren Schwätzer denken solle.

Der Doktor, der für das Übernatürliche in dergleichen Begebenheiten eben keinen Sinn hatte, beschloss nach dem Lesen dieses Briefes, zu seinem Bruder nach St. Germain zu reisen, um in eigener Person dem versteckten Gaukler auf die Zähne zu fühlen. Er setzte als ausgemacht voraus, dass irgendeine Täuschung dabei obwalten müsse, und war eigenlebig genug, zu glauben, dass ihm bei seiner Aufmerksamkeit und Lebensphilosophie der Betrug nicht verborgen bleiben solle.

Kaum war er in St. Germain ganz unerwartet angekommen und im Haus seines Bruders abgetreten, so eilte er zum Nachbarn in die Behausung des Spukes, durchlief mit forschenden Blicken das ganze Haus und untersuchte Türen und Fenster. St. Gilles, der Hausherr, half ihm bei diesem Geschäft.

Auf einmal hörte der Doktor eine dumpfe Stimme, die zu ihm sagte: »Was suchen Sie hier, Herr Doktor? Ihre Gegenwart ist zu Paris notwendiger. Sie haben daselbst die Bekehrung einer schönen Sächsin angefangen und laufen Gefahr, dass sie Ihnen wieder entwischt.«

»Diese Stimme kam ganz von oben herab«, sagte der errötende Doktor nach einer kleinen Pause. »Lassen Sie uns hinaufsteigen. Es scheint, der Kobold entferne sich, je mehr man sich ihm nähert.«

Als sie im zweiten Stockwerk angelangt waren, von welchem die Stimme herabzukommen schien, fragte der Doktor den Geist: »Wer hat dich hierher gebannt?«

»Das geht Sie nichts an«, erwiderte die Stimme, wie vom Dach des Hauses herab. »Aber Sie, Herr Doktor! Wer hat Sie hierher gesandt? Anmaßungen sind noch keine Berechtigungen, und Vertrauen in sich selbst ist noch keine Stärke.«

Der Doktor, dem diese Abfertigung des Unsichtbaren ganz unerwartet kam, wollte nun List gebrauchen und fragte, indem er seine Hände verschlossen ausstreckte: »Wenn du wirklich ein Geist bist, so sage mir, was habe ich in meinen Händen?«

Der Geist gab ohne Verzug die ebenso beißende wie treffende Antwort: »In der rechten eine portugiesische, in der linken eine spanische Münze. Sie haben sogar eine dritte auf ihrem Kamin zu Paris zurückgelassen, womit Sie hofften, mich eher in die Enge zu treiben.«

Wirklich hatte der Doktor nichts in seinen Händen. Mithin musste er sich getroffen fühlen, da er sich mit seiner verfänglichen Frage allerdings den Großinquisitoren Portugals und Spaniens gleich stellte. Auch mochte der Geist so ganz unrecht nicht haben, den Herrn Doktor zu beschuldigen, als ließe es sich bei der, auf dem Kamin der Studierstube zu Paris zurückgelassenen Tabakspfeife über die Nichtigkeit eines Kobolds leichter vernünfteln, als Letzteren an Ort und Stelle entdecken und zur Schau aufstellen.

Der Doktor suchte indessen seine Verlegenheit zu verbergen, so gut er konnte, und sagte: »Es scheint, als ob dieser Geist sich vor mir fürchte, denn er spricht mit mir nicht anders wie aus der Ferne.«

»Kommen Sie näher«, antwortete eine Stimme von dem obersten Boden herab. »Ich erwarte Sie mit unverwandtem Fuße.«

Der Doktor, der ehrenhalber die Einladung annehmen musste, begann langsam eine halb verfaulte Treppe hinaufzusteigen. Aber, o weh! Die morsche Treppe zerbrach unter seinem Fußtritt. Der arme Geisterbestürmer fiel zu Boden. Dies und das Getöse der einstürzenden Treppe vermehrte sein Herzklopfen nicht wenig. Der schlaue Kobold nahm diesen Zeitpunkt wahr und verkündete ihm mit fürchterlicher Stimme, dass er ihn erwürgen würde.

Jetzt kroch der ängstige Doktor zu Kreuze. Er bat flehentlich um Schonung seines Lebens und beteuerte heilig, dass er alle Kobolde in Frieden ließe, die er nicht austreiben könne.

»Es ist mir lieb«, sagte die unbekannte Stimme, »Sie auf bessere Gedanken kommen zu sehen. Gehen Sie, aber lassen Sie sich künftig nicht wieder mit Geschöpfen ein, wie wir sind, und vergessen Sie niemals, dass die Bescheidenheit weit sicherer ist als die Vermessenheit.«

Zitternd am ganzen Leibe eilte der Doktor in das untere Stockwerk hinab und wollte weder in diesem verrufenen Haus noch in dessen Nachbarschaft länger verweilen. Er versicherte, dass er gleich an dem nämlichen Tage zu seinen Amtsbrüdern, den Herren der Sorbonne, zurückkehren werde, um förmlichst über dieses große Rätsel zu beratschlagen.

Um ihm indessen diese wahrscheinlich vergebliche Mühe zu ersparen, trat ihm Herr St. Gilles, der ihm bis an der zerbrochenen Treppe nicht von der Seite gewichen war, lächelnd in den Weg und gab sich selbst als den vermeinten Geist zu erkennen.

»Ich verstehe mich«, sagte er, »auf die bisher nur wenig bekannte Kunst des Bauchredens, und all die rätselhaften Töne, die Ihnen von oben herabzukommen schienen, kamen nirgends anders her als aus dem Innern meiner Brust.«

Der Doktor machte ein paar große Augen bei diesem belehrenden Geständnis. Ihm fiel bei der wiederholten, ihm höchst willkommenen Versicherung ein schwerer Stein vom Herzen. Allein es kostete ihn anfangs nicht wenig Mühe, ihr Glauben beizumessen.

St. Gilles hatte Mitleid mit dem ebenso verlegenen, wie beschämten Ungläubigen und gab ihm auf der Stelle die unwidersprechlichen Beweise von der Wahrheit seiner Behauptungen.

Überhaupt soll die Bauchrednerei keine so schwere Sache sein, wie man glauben möchte. Sie erfordert bloß eine eigentümliche Beschaffenheit der Zunge und des Schlundes. Jeder auf die erforderliche Art gebildete Mensch würde das Bauchreden erlernen, wenn er den gehörigen Willen mit anhaltender Übung verbinden wollte. Sind die Bauchredner selten, so rührt es lediglich daher, weil man sich nicht ohne besondere Veranlassung auf diese brotlose Kunst legt. Vielleicht auch, weil man nicht weiß, dass in seinem Sprachorgan dies unentwickelte Talent verborgen liegt. St. Gilles wenigstens versicherte, dass es ihn nicht mehr als eine Übung von acht Tagen gekostet habe, um ein vollkommener Bauchredner zu werden.

St. Gilles hatte diese Kunst von einem anderen Bauchredner auf Martinique, mit welchem er daselbst in Freundschaft lebte, erlernt. Er bewegte, wenn er sprach, die Lippen nicht im Geringsten, und dem Schein nach auch die Zunge nicht. Die Stimme schien den Anwesenden bald aus der Erde, bald von oben herab und aus der Ferne herzukommen.

Der Abbé de la Chapelle las über die Erscheinung, welche er zu St. Germain gehabt hatte, in der Akademie der Wissenschaften zu Paris eine Abhandlung vor, und diese trug ihren beiden Mitgliedern Fouchy und le Roi das Geschäft auf, die Sache nochmals an Ort und Stelle förmlich zu untersuchen. Sie stellten diese Untersuchung im August 1777 an und hörten solche Wunder, dass sie nicht weniger überrascht wie überzeugt wurden.

Wie oft mögen ausstudierte Gaukler so die Biegsamkeit der menschlichen Sprachwerkzeuge zur Betörung der Einfalt missbraucht haben, und vielleicht noch missbrauchen!

Show 1 footnote

  1. Man vergleiche den Gothaischen Taschenkalender von 1774 mit einer Anmerkung des Herrn Predigers Schwager zu Jöllenbek in dessen neuer Übersetzung von D. Beckers bezauberten Welt, Leipzig 1781.