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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 46

Der-Teufel-auf-Reisen-Dritter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Dritter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zehntes Kapitel – Teil 1
Ein gebesserter Haustyrann

Bald nach dem Diner begaben sich unsere beiden Bekannten auf den Weg zu dem Café. Ein dicker Herr, die Lippen trotzig aufgeworfen und jeden, der sich ihm näherte, mit sehr herausfordernden Blicken betrachtend, saß an einem der Tische und machte ein Gesicht, als ob er mit sich selbst im Streit sei.

»Da sitzt unser Mann«, flüsterte Schwefelkorn Schwalbe zu, »das ist Herr Barnabas Bärbeiß.«

»Der sieht aber auch wirklich aus, als ob er jeden Augenblick jemand ankläffen wollte.«

»Und doch ist er die Sanftmut und die Herzensgüte selbst, nach seiner Behauptung nämlich«, bemerkte der Baron. »Doch kommen Sie, Sie sollen sogleich seine persönliche Bekanntschaft machen.«

Indem traten beide an den Tisch. »Siehe da, Herr Bärbeiß!«, rief der verkappte Teufel, indem er eine entgegenkommende Verbeugung machte. »Ich schätze mich glücklich, Ihnen nach längerer Zeit wieder einmal zu begegnen.«

Dieser blickte anfänglich ziemlich knurrig auf, die Stimme und das Gesicht mussten ihm aber doch bekannt vorkommen, denn er nahm plötzlich eine sehr höfliche Haltung an und sagte, nun auch den Gruß in gleicher Weise erwidernd: »In der Tat, ich erinnere mich, aber mein Gedächtnis … ich habe so viel zu denken … Darf ich nochmals um Ihren werten Namen bitten?«

»Reichel – wir trafen ja schon früher öfter miteinander hier zusammen.« »Richtig. Herr Reichel aus München? Rentier wie ich, wenn ich nicht irre?« Bärbeiß warf dabei wohlgefällig den Kopf in den Nacken.

»Allerdings. Erlauben Sie, dass ich Ihnen hier meinen Gesellschafter vorstelle. »Herr Fixer, Börsenmakler.«

Dies war hinreichend, um Bärbeiß zu einer zweiten tiefen Verbeugung zu veranlassen. Der gewaltige Respekt, welchen er für alles hegte, was mit der Börse zusammenhing, machte ihn stets gegen seinen Willen höflich.

»Wollen die Herren nicht hier bei mir Platz nehmen?«, fragte er zuvorkommend.

»Nun, wie geht es, mein wertgeschätzter Herr?«, fragte Schwefelkorn, nachdem er mit Schwalbe der Einladung Folge geleistet hatte.

Bärbeiß seufzte und verdrehte die Augen. »Es würde schon gehen, wenn die Welt nur besser wäre. Ich bin eine friedfertige Natur, ich möchte gern jedem mit Liebe entgegentreten, ich hasse allen Streit, aber die Menschen sind leider jetzt ganz anders wie früher – Rücksichtslosigkeit – ungeniertes Auftreten.«

Der alte Rentier machte plötzlich eine Bewegung, als ob er nach einer Fliege greifen wollte, und legte sehr bestimmt seinen Arm auf eine Zeitung, wobei er einen Herrn ingrimmig anblickte, welcher eben im Begriff gewesen war, sich derselben zu bemächtigen.

»Sie müssen doch bemerkt haben«, rief er im Ton grober Rücksichtslosigkeit, »dass ich in dem Blatt lese.«

»Durchaus nicht«, entgegnete der Fremde, »im Gegenteil, ich habe schon seit einer Viertelstunde die Beobachtung gemacht, dass dasselbe ganz unbeachtet neben Ihnen liegt. Wenn ich nicht irre, waren Ihnen sogar die Augen zugefallen.«

»Was gehen Ihnen meine Augen an? Haben Sie etwa ein Recht auf meine Augen?«

Der andere zuckte mitleidig mit den Achseln. »Keineswegs, Sie scheinen mir übrigens ein sehr sonderbarer Kauz zu sein.«

»Da sehen Sie, wie herausfordernd man behandelt wird«, bemerkte Bärbeiß, als sein Gegner ihm den Rücken zugewendet hatte. »Höflichkeit wird immer seltener in der Welt, aber man kann sich doch nicht alles gefallen lassen.«

»Natürlich«, sagte Schwefelkorn, den Doktor heimlich anstoßend, »im Stillen habe ich Ihre Ruhe und Ihren Gleichmut bewundert.«

»Ich bin ein Mann des Friedens, ich möchte alles gern in Güte abmachen. Nun, werden Sie sich längere Zeit hier aufhalten?«

»Jedenfalls mehrere Monate. Wir suchen eine passende Wohnung.«

Bärbeiß machte wieder ein sehr entgegenkommendes Gesicht. »Damit könnte ich vielleicht dienen, in meiner Villa sind eben vier Piecen leer.« »Oh, das trifft sich ja herrlich, so ein halbländlicher Aufenthalt wäre uns eben recht.«

»Wenn es Ihnen nur nicht zu einsam sein wird. Ich führe ein sehr stilles behagliches Familienleben, ganz wie es meiner Seelenstimmung entspricht. Selbst ein lautes Wort würde in meinem Haus nie gehört werden, wenn die Natur mich nicht mit einem etwas starken Organ begabt hätte.«

Indem kam der Kellner und wollte die leere Tasse des Rentiers wegnehmen.

»Lassen Sie stehen«, schrie dieser. »Sie sehen ja, dass ich noch nicht ausgetrunken habe!«

»Entschuldigen Sie, ich meinte …«

»Sie haben nichts zu meinen!«

»Ich glaubte …«

»Gehen Sie!« Bärbeiß winkte sehr energisch. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was man sich mit den Leuten herumärgern muss«, sagte er, sich zu seinen Tischgenossen zuwendend. »Ich habe wirklich eine Lammnatur, ich bewundere häufig selbst meine Geduld, aber der Mensch – nun, Sie werden mit mir die Bemerkung gemacht haben, dass er inwendig räsonierte.«

»Ich habe es ganz deutlich gehört«, bestätigte der Baron, »er knurrte ja fortwährend innerlich.«

»Ja, es ist entsetzlich. Und doch geht nichts über ein sanftes und friedfertiges Gemüt. Nun, wie gesagt, wenn Sie die Wohnung mieten wollen?«

Hier zog Bärbeiß plötzlich seine Beine, die er lang ausgestreckt hatte, zurück und blickte einen Herrn, der eben an ihm vorüber wollte, grimmig an.

»Nehmen Sie sich in acht. Gebrauchen Sie Ihre Augen, Sie finden es wohl noch gar nicht einmal für nötig, sich für Ihre Ungeschicklichkeit zu entschuldigen?«

Dieses Mal war aber der Rentier an den Unrechten gekommen, der Fremde blieb stehen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einem halb mitleidigen, halb drohenden Blick.

»Sie sind als ein Grobian bekannt«, sagte er ruhig, »wenn Sie aber durchaus meine nähere Bekanntschaft machen wollen …« Er hob sehr bezeichnend die Hand in die Höhe.

Diesmal war Herr Barnabas Bärbeiß mäuschenstill, er zog die Hörner ein und begnügte sich, im Geheimen eine Faust in der Tasche zu machen.

»Da sehen Sie, wie leicht auch der Unschuldigste zu einem Duell kommen kann«, sagte er zu seinen Gesellschaftern. »Aber ich bin entschieden gegen das Duell, es widerspricht durchaus meinem friedfertigen Charakter. Nicht etwa, dass ich mich fürchte, oh nein, ich kann so gut wie jeder andere in den Lauf einer Pistole sehen, nur muss ich die Gewissheit haben, dass sie nicht geladen ist.«

»Sehr richtig«, bemerkte Schwefelkorn, »Vorsicht ist die Mutter der Weisheit. Nun, Sie wollen schon gehen?«

»Ja, meine Herren.« Der Rentier schielte sehr misstrauisch zu dem Fremden, der ihm die »nähere Bekanntschaft« angeboten hatte. »Die Meinen erwarten mich, es geht nichts über ein glückliches, harmonisches Familienleben.«

Mit diesen Worten empfahl sich Herr Bärbeiß, während Schwefelkorn und Schwalbe hinter ihm her lachten.

»Nun, wie finden Sie dieses Exemplar?«, fragte der Erstere.

»Ein Löwe in einer Eselshaut«, sagte der Doktor.

»Und dennoch spielt er zu Hause den Tyrannen, das heißt, er quält arme Frauen, die keine anderen Waffen als Tränen haben. Nun, ich denke, seine Rolle wird bald ausgespielt sein und vielleicht bessert er sich dann.«

»Das ist also das Stück, bei dem wir die Zuschauer abgeben sollen?«

»Allerdings. Inzwischen will ich Ihnen zur Charakteristik unseres neuen Bekannten noch einiges mitteilen.«

Während die beiden Herren nun auch aufbrachen und langsam in ihr Hotel zurückkehrten, begann der Baron.

»Es unterliegt leider keinem Zweifel, dass Bärbeiß als ein Muster der unerträglichsten Grobheit und Tyrannei in seinem Haus gelten kann. Er ist rücksichtslos, herrschsüchtig und abstoßend gegen die seinen. Da er bei dem nachgiebigen und schüchternen Charakter seiner Frau und Tochter nie Widerstand findet, so haben sich hierdurch die bösen Eigenschaften seiner Natur in einem solchen Grade ausgebildet, dass er gegenwärtig in der vollen Glorie eines polternden, ewig lärmenden und zankenden Haustyrannen prangt. Nur gegen seine Schwester zeigt er noch einige Furcht, aber nicht etwa aus Gefühlsgründen, sondern weil dieselbe ihm bereits mehrere Male über sehr bedenkliche Schwierigkeiten hinweggeholfen hat. Obgleich Bärbeiß äußerlich sehr gut situiert scheint, so ist doch in seinen Vermögensverhältnissen nicht alles so, wie es sein sollte, denn er spekuliert stark an der Börse. Sein Freund Goldfisch, welchen Sie später noch kennenlernen werden, weiß eigentlich nur allein, wie es mit ihm steht. Übrigens besitzt Bärbeiß bei all seiner Unverträglichkeit und Grobheit auch noch die löbliche Eigenschaft, dass er sich stets für den leidenden Teil ausgibt, dass er behauptet, er sei der friedfertigste Mensch von der Welt und seine Angehörigen verständen es nur nicht auf seine humanen Gedanken einzugehen und den Saiten seines Herzens jene zarten Töne zu entlocken, welche man als die Widerklänge seiner ursprünglich poetischen Natur betrachten könne. Herr Bärbeiß ist übrigens, wie Sie bemerkt haben werden, keineswegs ein Bild der Schönheit, denn er hat eine aufgestülpte Nase und einen dicken hängenden Leib. Dennoch zeigt er sich von seinem Äußeren sehr eingenommen und hält namentlich auf seine Nase als ein Prachtexemplar große Stücke. Um dieselbe in ihrer ganzen Originalität der Nachwelt zu überliefern, ließ er sich vor einiger Zeit in Öl malen, verweigerte aber dem Künstler nachträglich das ausbedungene Honorar, weil er behauptete, die Nase im Bild habe nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der seinen. Es fehle ihr der geniale Aufschwung und sie steige durchaus nicht naturgemäß in einem Winkel von fünfundvierzig Grad empor. Schließlich kam es hierüber zum Prozess. Erst als die Sachverständigen erklärten, sie hätten nie eine schöner aufgestülpte Nase gesehen und der Maler habe in seiner Kopie noch das Urbild übertroffen, erklärte sich Bärbeiß zufrieden und zahlte nunmehr das beanstandete Honorar.«

Dies waren die Mitteilungen, welche der Doktor von seinem Begleiter empfing. Indem wir nun dem Leser noch bemerken, dass Schwefelkorn und Schwalbe bald mit Bärbeiß über den Preis der Wohnung einig geworden waren und diese schon am nächsten Tag bezogen hatten, überlassen wir es denselben, die stillen Beobachter bei dem Familiendrama zu spielen, welches sich vor ihren Augen entwickelte, und gehen nun zu dem Stück selbst über, indem wir den Haupthelden desselben gleich im ersten Akt in seiner Bravourrolle verführen.

Es war gerade ein Tag, wo sich derselbe in einer besonders reizbaren Stimmung befand. Er hatte auf das Steigen der Papiere spekuliert und diese waren infolge plötzlich eingetretener Verwicklungen in der orientalischen Frage erheblich gefallen, sodass ihm also die eben nicht erfreuliche Aussicht bevorstand, bei der nächsten Abrechnung eine bedeutende Verlustsumme zu zahlen. Mit grimmigen Blicken war er bereits eine Stunde in seinem Zimmer auf und ab gerannt und hatte vergebens nach einem Gegenstand umhergespäht, an dem er imstande gewesen wäre, seine Wut auszulassen. Selbst der alte schmutzige, zottige Spitz, welcher sonst bei derartigen Gelegenheiten zunächst dazu ausersehen war, durch verschiedene Fußtritte die üble Laune seines Herrn zu empfinden, hatte sich im Vorgefühl des aufsteigenden Gewitters in einem unbewachten Augenblick unbemerkt zur Tür hinausgeschlichen. Die Fliegen, welche sonst die klassische Nase des Herrn Bärbeiß zu benutzen pflegten, um auf derselben eine gemütliche Siesta zu halten, taten ihm diesmal nicht den Gefallen, in seine Nähe zu kommen, so gern er auch Streit mit ihnen angefangen hätte. Ja sich selbst konnte unser Held nicht einmal in die Haare geraten, denn sein Schädel war schon seit geraumer Zeit kahl und die sorgfältig frisierte Perücke zu zerstören, erlaubte seine Eitelkeit nicht.

Dennoch musste Barnabas Bärbeiß um jeden Preis einen Blitzableiter für seine üble Laune haben und nichts war bequemer und gefahrloser, als wenn er hierzu seine Frau und Tochter auserwählte. Bei solchen Gelegenheiten wurde bei dem Isegrim in der Regel der Gedanke sofort zur Tat und so trat er denn auch diesmal rasch an den Klingelzug und setzte denselben mit Ungestüm in Bewegung.

Auf dieses Zeichen, welches den Bewohnern des Hauses ebenso schauerlich klang, wie einst den Venezianern das Läuten der Marangona, die jedes Mal die von dem Inquisitionstribunal angeordneten Hinrichtungen verkündete, eilte Friedrich, welcher in seiner Person die drei wichtigen Posten eines Hausknechts, eines Kutschers und Bediensteten vereinigte, herbei und stellte sich erwartungsvoll vor seinen Gebieter.

»Die Frauenzimmer sollen kommen«, rief dieser und setzte, ein grimmiges Gesicht schneidend, seine Promenade im Zimmer fort.

Friedrich, welcher schon längst wusste, dass mit dieser zarten Benennung der weibliche Teil der Familie gemeint sei und der außerdem, Dank sei es seinen tüchtigen Fäusten und seinen breiten Schultern, der Einzige war, welcher Herrn Bärbeiß gegenüber keine Furcht kannte, antwortete unerschrocken: »Schön, ich werde es bestellen, da es aber hier nach Nummern geht, so muss ich doch wissen, welche Nummer ich rufen soll?«

»Nummer Eins und Nummer Zwei!«, schnaubte der Hausherr.

»Gut, also die Madame und das Fräulein. Wie ist es denn aber mit Nummer Drei?«

»Mit meiner Schwester?«, rief Bärbeiß, welchem in diesem Augenblick einfiel, dass er deren Hilfe vielleicht sehr bald nötig haben würde, »dass du dich nicht unterstehst, dieser ein Wörtchen zu sagen. Sie ist bei dieser Zusammenkunft ganz überflüssig.«

»Glaub’s gern«, bemerkte unerschrocken das Faktotum, »denn sie ist ja die Einzige, vor welcher sie noch etwas Furcht haben.«

Bei dieser Bemerkung wurde Herr Barnabas Bärbeiß so rot wie ein Puter. Wild mit dem Fuß stampfend und auf die Tür zeigend, rief er zornig: »Willst du gleich machen, dass du hinauskommst, du unverschämter Schlingel!«

Friedrich, in dessen phlegmatischer Natur es indessen durchaus nicht lag, sich unnötig zu erhitzen und welcher seinen Zweck, Bärbeiß zu ärgern, erreicht sah, zog sich vorsichtig zurück, indem er im Abgehen murmelte: »Bemühen Sie sich meinetwegen durchaus nicht, ich kann schon den Weg ohne Sie finden.«

Inzwischen setzte unser Held seine Promenade im Zimmer unter grimmigen Gesichterschneiden fort.

»Sie sind schuld daran, dass ich falsch spekuliert habe«, murmelte er, »denn für sie plage ich mich, für sie opfere ich meine Ruhe, für sie setze ich meine Gesundheit zu, aber von nun an soll es anders werden. Sie sollen nicht mehr meine Nachsicht missbrauchen, sie sollen nicht mehr mit meiner Herzensgüte spielen, sie sollen fühlen, dass ich allein Herr im Hause bin!«

Er hielt inne, denn die Tür hatte sich inzwischen leise geöffnet und Frau, Tochter und Schwester waren geräuschlos eingetreten. Als er die Letztere erblickte, schrak er zusammen. Man sah es ihm an, dass ihr Erscheinen ihm unangenehm war.

»Wer hat dich rufen lassen?«, fragte er diese in einem mürrischen, unhöflichen Ton.

»Nun«, erwiderte Barbara, sich entschlossen emporrichtend, »gehöre ich denn etwa nicht zur Familie?«

»Es war aber hier nur von Nummer eins und zwei die Rede. Nach dir habe ich nicht geschickt, du verdirbst mir jedes Mal die gute Laune.«

»Ach so«, bemerkte die alte Dame spöttisch, »du bist jetzt bei guter Laune? Ja, ja, ich konnte es mir wohl denken, denn ich habe dich diesen Morgen bereits durch das ganze Haus schreien und toben hören.«

»Bin ich etwa nicht mehr Herr in meinen vier Pfählen?«, brauste Bärbeiß auf. »Übrigens bitte ich dich nochmals zu schweigen, auch die Geduld des Sanftmütigsten kann man erschöpfen – auch den Großmütigsten reizen.«

Barbara zuckte mitleidig mit den Achseln. »Oh, du Großmütiger«, rief sie, »der nur an sich denkt, du Sanftmütiger, der niemand weinen sehen kann, weil dein Gewissen dir sagt, dass du an diesen Tränen schuld bist!«

»Schweig«, brummte Barnabas, »oder ich vergesse …«

»Du würdest vergessen, dass ich dir unentbehrlich bin«, antwortete die Schwester, »du würdest vergessen, dass du Geld brauchst, Herr Bruder – sehr viel Geld, und dass du deine Schwester deshalb schonen musst, weil du deren Börse nicht missen kannst. Übrigens weißt du, dass ich mich in deine Familienangelegenheiten nur selten einmische, aber hüte dich, dass du es mit Frau und Kind nicht zu arg treibst, sonst interveniere ich.«

Während die alte Dame forteilte, wendete sich der Haustyrann ingrimmig an seine Frau und Tochter und schrie: »Auch daran habt Ihr schuld, dass ich mich mit meiner Schwester stets entzweie!«

»Aber, lieber Mann«, fiel Gertrud ein, »wie kannst du nur eine solche Anklage gegen uns aussprechen, da wir doch froh sind, wenn uns nur mitunter ein bisschen Sonnenschein zuteilwird.«

»Zu was braucht Ihr Sonnenschein?«, rief der Gebieter. »Der Sonnenschein ist nur für die Leute gut, welche nichts zu tun haben, und Ihr sollt arbeiten, fleißig sein, Euch um das Hauswesen kümmern …«

»Ich komme ja eben aus der Küche, lieber Vater«, rief Clotilde schmeichelnd. »Ich wollte dich mit deinem Lieblingsgericht überraschen und nun verdirbst du mir diese Freude.«

Bärbeiß, welcher ein verwöhnter Feinschmecker war, wurde durch diese Eröffnung milder gestimmt und im versöhnlichen Ton fragte er: »Nun, worin besteht denn diese Überraschung?«

»In einem schönen fetten Fasan mit französischer Sauce.«

Daraufhin klärte sich das Gesicht des Gestrengen vollends auf, denn die Befriedigung seines Gaumens ging ihm über das Wohl seiner Angehörigen. »Gut«, sagte er schmunzelnd, »und damit Ihr seht, dass ich kein böses Herz habe, lade ich Euch hiermit ein, an dem Mahl teilzunehmen.«

»Der Tisch ist auch bereits gedeckt«, bemerkte Clotilde, »ich will Friedrich nun sagen, dass er das Essen aufträgt.«

Sie eilte fort und eine Viertelstunde nachher nahm Bärbeiß mit Frau und Kind an der Tafel Platz, auf welcher der Fasan appetitlich dampfte.

»Bevor wir mit dem Essen beginnen«, sagte er, »habe ich Euch noch eine Mitteilung zu machen.«

Mutter und Tochter sahen sich ängstlich an.

»Diese Mitteilung bezieht sich auf meinen Freund Goldfisch«, fuhr Bärbeiß fort. »Du wirst bemerkt haben, Clotilde, wie entgegenkommend er sich stets dir gegenüber gezeigt hat.«

»Leider.«

»Leider?«, wiederholte der Gestrenge, und seine Stirn legte sich in Falten.

»Er gefällt mir durchaus nicht«, fuhr Clotilde fort.

»Er soll dir aber gefallen!«, schrie Bärbeiß, mit dem Fuß stampfend. »Goldfisch ist sehr reich, er hat heute bei mir um dich angehalten und kurz und gut, du wirst seine Frau.«

»Nimmermehr!«, rief die Tochter, »er ist der widerwärtigste Mensch, den ich kenne. Er spricht nur von Prioritätsaktien, Metallikes, Pfandbriefen und Wechselkursen!«

»Auch ich protestiere gegen eine solche Heirat«, sagte Gertrud entschlossen. »Ich werde meine Rechte als Mutter geltend machen.«

»Und ich werde dir einen Maulkorb anlegen lassen, wenn du nicht gleich schweigst«, schnaubte der Haustyrann.

»Aber lieber Mann …«

»Still, Nummer eins!«

»Aber lieber Vater …«

»Nicht gemuckst, Nummer zwei!«

»Wir protestieren aber entschieden!«, riefen die beiden Frauen.

»Wollt Ihr gehen?«, donnerte Bärbeiß und drängte Frau und Tochter zur Tür hinaus.