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Sagen- und Märchengestalten – Der Adept zu Berlin – Teil 6

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Adept zu Berlin – Teil 6

Ein sonniger, schwüler Tag war es, als Mann und Ross, von der Reise erschöpft, das Tor des Städtchens erreichten und über die alte Zugbrücke in die gerade und freundliche Hauptstraße lenkten.

Vor dem grünen Rautenkranz hielt der Reiter an, warf die Zügel dem herbeieilenden Diener zu und forderte ein Zimmer, um zuvor den Staub abzustreifen. Sonst pflegte ihn der Wirt mit schallendem Handschlag zu empfangen. Heute zog er nur ehrerbietig sein Käppchen und sprach: »Gestrenger Herr, Euer Oheim, der Bürgermeister, ist wohl und munter, munterer als damals, wo meiner geringen Wirtschaft die Ehre widerfuhr, Euch zu erquicken. Dabei lächelte der Mann und schlug mit einem seltsamen Ausdruck seine Augen gen Himmel. Der Fremde aber nickte nur vornehm mit dem Kopf und stieg die Treppe in das ihm bestimmte Gemach hinauf.

Als er nach geraumer Weile wieder vor den grünen Rautenkranz heraustrat, sah er gar stattlich darein und schritt mit hoher Würde die Straße entlang bis auf den Markt, wo des Bürgermeisters Haus in seinem schönsten Schmuck prangte, denn es war neu gestrichen mit blühendem Rosenrot, seit es der Ankömmling nicht gesehen hatte, und die Weinreben rankten höher und reicher hinauf als je.

Als der Messingklopfer ertönte, wurde alsbald geöffnet und eine braune, schmucke Dirne erschien, den Fremden einzulassen und nach seinem Begehr zu forschen. Der Bürgermeister war auf dem Rathaus, allein er wurde schon längst zurück erwartet.

Jungfrau Barbara von Wildung erfrischte sich im Gärtchen von der Schwüle des Tages. Das kam dem Fremden wie gerufen, er schob ohne Weiteres die Dienerin zur Seite und schritt durch den unteren Hausflur dem Laubgang zu, dessen Grün ihm so erfreulich entgegen leuchtete.

»Mitten in den herrlichsten Blumen und Blüten finde ich Euch«, rief der Eintretende der Jungfrau entgegen, »und sie alle wetteifern in holder Pracht um den Glanz Eurer Schönheit, meine teure Muhme! Aber Euer Liebreiz überstrahlt sie bei Weitem. Es bleibt ihnen nichts, als in hoffnungslosem Verlangen zu seufzen.«

»Ist das die Art von Begrüßung, wie man sie jetzt in der Pfalz liebt?«, lautete Mühmchen Barbaras spitze Gegenrede. »Wahrlich, Vetter, Ihr beschämt uns einfache Wittenberger mit so schön geschwungenen Reden, dass wir sie nimmer ähnlich aufzubringen vermögen. Schade nur, dass ich allein genieße, was einen ganzen Hof satt machen könnte.«

»Dafür ist es eben auch nur Euch bestimmt«, erwiderte Gelneck, ohne der Stacheln zu achten, mit denen jedes Wort aus Barbaras Rosenlippen besetzt zu sein schien. »Wollte ich meiner Zunge freien Lauf geben, wie mein Herz ihn nimmt, Ihr würdet über die Flut zärtlicher und uneigennütziger Empfindungen für Euch staunen!«

»Ich weiß, ich weiß!«, unterbrach Barbara von Wildung den Strom seiner Rede und neigte das Haupt mit süßem, spottendem Lächeln. »Ich weiß, dass Eure Brust zuweilen zärtlich empfindet. Aber sagt mir doch, sehr hoher und gestrenger Herr, verträgt sich das mit der Würde Eures neuen Standes, von dem wir hier Wunder zu hören bekommen?«

Gelneck blickte selbstzufrieden. »Ach«, entgegnete er, »es ist wahr. Der König wendete mir seine Gnade in reichem Maße zu, er erhob mich zum Freiherrn, verlieh mir den Titel eines Geheimen Rates und alles lässt mich hoffen, dass noch höhere Ehrenstellen, andere Pfade des Ruhmes sich mir öffnen werden. Aber es ist nicht das, was mich zu Euch führte, Mühmchen Barbara. Alle diese Ehren gleichen nur Zweigen, die ich zu einem einzigen schönen Kranz zusammenzuflechten gedenke, um ihn auf Euer lockiges Haupt zu drücken. Ihr schweigt, Ihr errötet? Holde Barbara!« Indem er so sprach, streckte sein Arm sich aus, das Kleinod zu umfangen, an welches so wichtige und reiche Besitzungen an Land und Leuten sich knüpften, und eine triumphierende Freude leuchtete aus seinen Augen.

Aber die Jungfrau wich geschickt aus und sprach sanft: »Herr, Ihr treibt Euren Scherz mit mir. Wie sollte Eure Wahl auf mich arme Waise gefallen sein, da Ihr doch zu begehren vermögt aus den reichsten Familien des Landes, die stolze und schöne Elisabeth von Fürstenberg nicht ausgenommen! Wie solltet Ihr, dem alle mit heimlich pochendem Herzen sich zuwenden, von der stolzen Gräfin an, die unseren allergnädigsten Herrn in zarter Liebe Banden hält, bis hinab zu der Kammermagd, der schlanken, zierlichen Fides. Wie solltet Ihr Euch hingezogen fühlen zu der Protestantin aus zwar edlem, aber schon verlöschendem Stamm, der keinen anderen Wahlspruch in Krieg und Frieden kannte, als »Die Ehre über alles!« Was nützt Euch diese abgelebte Devise, das einzige Erbstück, über das ich unumschränkt verfügen darf? Geht doch, mein vornehmer Herr und Vetter«, fuhr die Unbarmherzige fort, ohne der Blässe zu achten, die des Mannes Wangen mit gelblichem Schein überhauchte. »Kehrt an den Hof zurück, wo die Schönen Eurer ungeduldig harren mögen. Mir aber lasst das bescheidene Los, welches ich erwählt habe und das in wenig Tagen der Segen der Kirche heiligen soll, denn Ihr müsst Eurem Oheim, der eben in den Garten tritt, Glück wünschen zu seinem Verlobungsfest mit mir.«

Das war zu viel, selbst für den schlauen und gewandten Gelneck! Während Barbara an ihm vorüberschwebte, dem Bürgermeister entgegen, an den sie sich traulich schmiegte, gewann der Enttäuschte mühsam die nötige Fassung, seinen Glückwunsch zu stammeln, welches der Oheim mit den Anstrengungen der Reise in Verbindung brachte. Erst nach einer qualvollen Stunde gelang es Gelneck, sich loszuwinden. Wie vom bösen Feind getrieben, eilte er zum Gasthaus zurück, ließ sich ein frisches Pferd geben, befahl dem Diener, das seine nachzuführen, und jagte mit donnerndem Hufschlag auf der Straße nach Dresden dahin.

Das war die erste Verwünschung der betrogenen Fides, welche sich an dem Verräter erfüllte!

An dem Weg, der von dem Städtchen Pirna in gewundener Linie zu der Feste Sonnenstein hinaufführt, saß ein junges, schwarzgekleidetes Mädchen auf der steinernen Bank unter dem Muttergottesbild, welches an einer Biegung der Straße sich erhob. Indem sie voll Andacht mit der Heiligen beschäftigt war, vernahm ihr leicht empfängliches Ohr Schritte, die ihr wohlbekannt erschienen. Sie neigte das Köpfchen und bemerkte einen Soldaten von der Besatzung, der die täglichen feineren Bedürfnisse seines Offiziers einzuholen pflegte. Es war das dritte oder vierte Mal, dass er die fromme Wallfahrerin auf dieser einsamen Stelle traf.

»Grüß Euch Gott«, sagte der Soldat und setzte den leeren Korb behutsam auf das Ende der Steinbank.

»Dank Euch«, entgegnete die Jungfrau, der ein neckischer Windhauch das schwarze Kopftuch lüftete. Die feurigen Augen des Mannes, dessen gebogene Nase und dunkles Haar die sarmatische Abkunft verrieten, schauten in das lieblichste Angesicht, welches er je gesehen zu haben vermeinte.

»Ihr habt ein Gelübde getan?«, begann er endlich wieder. »Aber ich möchte Euch warnen. So jung und schön, wie Ihr seid, auf dieser Bank zu ruhen, ist gefährlich, denn selbst die Nähe der allerheiligsten Jungfrau vermag nicht, die rohe Lust meiner Kameraden zu zügeln.«

»Würdet Ihr mich beschützen?«, fragte das Mädchen mit naiver Vertraulichkeit.

»Mit meinem Leben, wenn es sein müsste«, stammelte der Mann in freudiger Überraschung. »Ich würde Euretwegen alles tun, was Ihr verlangt!«

Ein unaussprechlich süßes Lächeln belohnte den Ausdruck seiner Ergebenheit.

»Was bewegt Euer Herz? Was fesselt Euch an diese Stätte?«, fuhr der Krieger in rascherem Ton fort. »Sprecht! Mir könnt Ihr vertrauen, ich meine es ehrlich mit Euch.« Und er sah ihr dabei so zärtlich und zugleich mit so unerschrockener Bravheit in die Augen, dass sie endlich zögernd begann.

»Freilich ist es ein Gelübde, das mich an dieses Gnadenbild leitet. Droben schmachtet ein Gefangener, dessen Freiheit der Preis meines Lebens ist.« Sie hielt inne, wie um die Wirkung ihrer Worte zu erwarten.

Doch finster wendete der Mann sich ab. »Euer Liebhaber vielleicht?«, sprach er mit rauer Stimme.

»Nein!«, rief das Mädchen und, sich von dem steinigen Sitz rasch erhebend, schmiegte sie sich mit verführerischem Flehen dicht an den trotzigen Mann, der ihr halb den Rücken wendete.

Dann hob sie die rechte Hand feierlich empor und fuhr fort: »Hört mich an. Es ist ein Ausländer, den ich meine, ein Preuße. Was kümmert Euch das? Ihr seid ein Pole, ich sehe es an Euren Zügen, und wenn Ihr mir helft, übt Ihr keinen Verrat. Ein Bube betrog mich mit gleißenden Worten, dass ich, ohne es zu ahnen, ein Spiel mischte, welches einen unschuldigen Mann in vielleicht lebenslängliche Kerkerhaft begrub. Als ich dessen innewurde, schwor ich einen Eid, einen heiligen, unumstößlichen, dass ich nur dem angehören wolle, der mir seine Hilfe böte, die schwere Schuld zu sühnen. Ist der Gefangene frei, dann vermag ich meinem Gefährten eine ferne sichere Zuflucht zu gewähren, wo er in sorglosem Genuss mit mir leben mag, solange es Gott gefällt.« Wie erschöpft von der heftigen Rede, lehnte sie sich fester an die Brust des Polen, der sie leidenschaftlich in seine Arme schloss und ihr errötendes Antlitz mit stürmischen Küssen bedeckte.

»Mein sollst du werden«, rief er, »und wenn die ganze Hölle sich dagegenstemmte! Sprich, wer ist es, den du retten musst, ehe dein Gelübde sich erfüllen kann?«

Sie lächelte. »Doktor Pasch«, sagte sie.

»Derselbe, der dem Alchemisten forthelfen wollte?«, fragte der Pole eifrig.

»Eben dieser.«

»Wahrlich, ein wunderbares Zusammentreffen«, fuhr er fort. »Ich habe ihn droben oft gesehen, und sein Schicksal ging mir stets zu herzen. So jung und wacker dort zu verkümmern, zu verweilen, welch ein Gedanke! Hier hast du meine Hand. Wie nenn ich dich?«

»Fides«, sprach das Mädchen.

»Und ich heiße Michael«, entgegnete der Pole. »Das klingt gut zusammen. Doch ich muss eilen, damit ich nicht Verdacht erregte. Wo und wann treffe ich dich wieder?«

»Hier«, erwiderte sie.

Ein Kuss, und der Pole flog in stürmischer Eile den Weg hinab, der zu dem Städtchen führte.

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