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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Schlossbarbier

Die-Geister-Zweites-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Zweiter Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2016

Der Schlossbarbier

Schon in seinem zwanzigsten Jahr wurde Fritz durch den Tod seines Vaters, der eines der ersten Handelshäuser in C… hatte, der Erbe eines sehr großen Vermögens, nach welchem er schon lange im Stillen geseufzt hatte. Weit entfernt, gleich seinem Vater, Tag und Nacht mit Entwürfen zur Vergrößerung seiner Reichtümer sich zu beschäftigen, beschloss er vielmehr, die schon erworbenen, soviel wie nur immer möglich sei, zu genießen. Sein Haus ward bald der Sammelplatz zügelloser Wüstlinge, die mit der täuschendsten Außenseite sich um seine Freundschaft bewarben, sein Herz einzunehmen und ihn in kurzer Zeit in einen ununterbrochenen Taumel von Zerstreuungen und Lustbarkeiten aller Art zu verwickeln wussten, auf seine Kosten ihren Leidenschaften frönten, und täglich bei ihm in Saus und Braus lebten.

Mangel an Klugheit, jugendlicher Leichtsinn, ein zu geringer Grad Menschenkenntnis und Erfahrung mit der Welt, machte unseren Fritz leider nur zu bald zu einem warnenden Beispiel schändlicher Verführung. Die Handelsgeschäfte wurden der völligen Willkür der Diener überlassen, und mit feinem Buchhalter sprach er nur dann, wenn er neue Summen zu seiner ausschweifenden Lebensart bedurfte. Vergebens waren alle Vorstellungen dieses ehrlichen Mannes, vergebens alle Winke, die er ihm für die Zukunft gab. Fritz verlachte sie, lebte nach wie vor und war in einigen Jahren bankrott.

Da gingen ihm die Augen auf, und die bitterste Reue nagte an seinem Herzen. Aber es war zu spät, denn kaum konnte er aus den Trümmern seiner ehemals unermesslichen Schätze so viel retten, um sich nur einige Monate gegen die äußerste Dürftigkeit zu schützen. Seine ehemaligen Gesellschafter behandelten ihn wie einen Verbrecher, und er war nun ganz allein sich selbst und seinem traurigen Schicksal überlassen. Er fasste endlich den Entschluss, seinen Geburtsort zu verlassen, um in irgendeinem anderen Himmelsstrich sein Unterkommen zu finden.

Er richtete seinen Weg nach Amsterdam!

Schon über die Hälfte desselben hatte er glücklich zurückgelegt, als ihn eines Abends, mitten in einer unbesuchten Gegend, ein schweres Gewitter, von einem so heftigen und starken Regen begleitet, überfiel, dass er bis auf die Haut durchnässt wurde. Weit und breit erblickte er kein schützendes Obdach, die Nacht brach herein und der bewölkte Himmel verbreitete eine so große Finsternis, dass er keinen Gegenstand zu erkennen in der Lage war. Endlich erblickte er in der Ferne ein Licht, welches ihm nun zum Leitstern dienen musste.

Er gelangte an ein armseliges Hüttchen, an welches er pochte, und um Einlass bat. Allein der Bewohner desselben, ein harter, unfreundlicher und mürrischer Mann, rief ihm von innen zu, ohne nur einmal das Fenster zu öffnen.

»Ich kann niemand beherbergen.«

Der durchnässte Fritz wiederholte seine Bitte. Vergeblich!

»Müsst noch ein halbes Stündchen weitergehen, linker Hand durch das Büschgen«, rief der Isegrim. »Da ist ein Dorf, wo ihr im Wirtshaus schon noch ein Nachtlager bekommen werdet!«

So sauer es auch dem armen Fritz ankam, dessen müde Füße kaum imstande waren, ihn weiter fortzuschleppen so musste er sich dennoch zu diesem Weg entschließen, wenn er nicht diese regnerische und stürmische Nacht unter freiem Himmel zubringen wollte.

In einem bejammernswürdigen Zustand langte er endlich daselbst an, und bat den Wirt um ein Nachtlager.

Aber auch dieser, der aus Fritz’ äußerer Kleidung unstreitig schließen mochte, dass er vielleicht ein Landstreicher oder sonst verdächtiger Mensch sei, entgegnete ihm in einem barschen Ton:

»Meine Zimmer sind besetzt, und Ihr werdet wohl bis zum nächsten Dorf marschieren müssen! Doch …«, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, »wenn ihr nicht furchtsam seid, so will ich Euch allenfalls noch unterbringen. Seht ihr jenes Schloss dort oben? Es ist das Jagdschloss des gnädigen Herrn, der hier sehr oft mit seinen Freunden den Tag über hinbringt. Zu diesem habe ich die Schlüssel in Verwahrung, und es steht ganz leer. Zwar herrscht in dieser Gegend allgemein die Sage, als spuke ein nächtlicher Geist darin. Aber solange ich nun hier schon die Wirtschaft betreibe, habe ich nie etwas davon gesehen oder gehört. Es mögen wohl nur Katzen oder Mäuse sein!« Fritz, gänzlich außerstande, weiterzugehen, nahm notgedrungen den Vorschlag des schelmischen Wirts an, der mit einem Mal freundlicher gegen ihn wurde, die Haustür öffnete, eine gute Abendmahlzeit besorgen ließ, eine Bouteille Wein holte, ihm eine Laterne nebst zwei Lichtern gab, und ihn bis aufs Schloss begleitete, welches auf einer Anhöhe, dem Gasthof gegenüber, ungefähr einige Hundert Schritte von demselben entfernt lag.

Bei ihrer Ankunft öffnete der Wirt die Tür, überreichte ihm die Lebensmittel und sagte. »Sollte Euch in der Nacht etwas zustoßen, so dürft Ihr nur aus dem Fenster um Hilfe rufen, wo es meine Leute, die ohnehin fast die ganze Nacht hindurch wach sind, schon hören werden.«

Hierauf ging er wieder zurück und ließ unseren Fritz allein.

Mutig und getrost stieg dieser die Treppen hinauf. Er fand alle Zimmer nicht nur im besten Zustand, sondern auch mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten versehen und wählte dasjenige zu seinem Schlafgemach, dessen Fenster dem Wirtshaus am nächsten waren.

Nun zündete er die Lichter an, machte sich über sein Abendbrot und vergaß, je öfter er das Weinglas leerte, jeden Gedanken von Furcht. Hier auf verriegelte er die Tür, öffnete ein Fenster und sah zum Gasthof, wo noch alles in Tätigkeit und munter und aufgeräumt war. Allein bald wurde es stiller und stiller, die Lichter verloschen nach und nach alle – bis auf ein einziges Nachtlämpchen. Es schien so, als ob die Erzählung des Wirts eine gewisse Bangigkeit in ihm von Neuem rege machte, welche seine geschäftige Fantasie durch die abenteuerlichsten Bilder und Vorstellungen vermehrte. Endlich gewann die Müdigkeit die Oberhand. Er legte sich mit seinen Kleidern aufs Bett und verfiel bald in einen sanften Schlaf.

Gerade schlug die Glocke auf dem Schlossturm zwölf, als plötzlich ein dumpfes Gerassel, Auf- und Zuschlagen von Türen und ein Geklimper von Schlüsseln ihn wieder aufschreckte. Er glaubte zu träumen, richtete sich auf, um desto gewisser überzeugt zu werden, und fand, zu seinem nicht geringen Schreck, seine Mutmaßung bestätigt.

Das Getöse kam immer näher.

Der arme Fritz zog vor Angst und Entsetzen die Decke fast über den Kopf, hörte aber ganz deutlich, dass jemand verschiedene Schlüssel probierte, um die Tür seines Schlafzimmers zu öffnen.

Endlich traf es den rechten. Das Schloss ging auf, und die inwendig vorgeschobenen Riegel sprangen mit einem einzigen Schlag zurück. Unter einem grimmigen Knall sprang die Tür auf, und ein langer, hagerer Mann, mit einem langen, schwarzen Bart, in altdeutscher Tracht, einen kleinen spitzen Hut auf dem Kopf und einen weiten Mantel von rotem Tuch über die Schultern hängend, trat herein. Schweigend ging er einige Male mit starken abgemessenen Schritten im Zimmer auf und ab, blieb dann vor dem Tisch stehen, putzte die Lichter, legte seinen Mantel ab, brachte einen Schersack unter demselben hervor und suchte sein Barbierzeug zusammen.

Fritz schielte neugierig unter der Decke hervor und sah alle diese Vorbereitungen mit Grausen an. Er schwitzte Todesschweis, zitterte und bebte an allen Gliedern seines Körpers und stand in ängstlicher Erwartung, ob der ungerufene Barbier sich nun über seinen Hals oder Bart machen werde. Indessen wurde er etwas ruhiger, als der Geist aus einer silbernen Flasche Wasser in ein silbernes Becken goss und mit seiner knochendürren Hand Seife zu Schaum schlug. Hierauf ergriff er einen Stuhl, setzte ihn in die Mitte des Zimmers und befahl unserem Fritz mit ernster, feierlicher und gebieterischer Miene, auf dem bestimmten Stuhl Platz zu nehmen. Dieser sah wohl ein, dass hier alles Protestieren vergeblich sein werde, nahm all sein bisschen Mut zusammen, sprang aus dem Bett und setzte sich ohne Weigerung hin.

Der Geist band ihm eine weiße Serviette vor, ergriff Kamm und Schere, schnitt ihm erst die Haare, seifte ihn dann selbst bis auf die Augenbraunen ein und schor ihn so kahl, dass der arme Fritz völlig einem Totenkopf ähnlich sah. Hierauf wusch er ihn mit reinem Wasser, trocknete ihn ab, machte eine höfliche Verbeugung, packte alles wieder zusammen, nahm seinen Mantel um und machte sich auf den Rückweg.

Fritz war nun herzhafter und blickte dem Geist unerschrocken nach. Dieser blieb an der Tür stehen, sah sich mit einem tiefen Seufzer und wehmutsvoller Gebärde nach ihm um und strich sich mit der flachen Hand einige Mal über Gesicht und Bart. Fritz, mittlerweile frei von aller Furcht, glaubte die Deutung dieser Pantomime zu verstehen, sprang von seinem Sitz auf und winkte dem Geist, sich an seine Stelle zu setzen.

Mit freundlicher Miene kehrte dieser augenblicklich zurück, stellte sein Barbierzeug auf den Tisch, setzte sich nieder, und in kurzer Zeit waren Haare, Bart und Augenbraunen ihm rein weggeschoren.

In diesem Augenblick war auch die Zunge des Geistes gelöst.

»Hab Dank, teurer Fremdling!«, so unterbrach er das Stillschweigen, das bisher unter beiden geherrscht hatte. »Hab Dank für diesen mir geleisteten Dienst! Du hast mich vom Bann befreit, der schon seit so vielen Jahren mich in diesem Schloss gefangen hält! Höre kurz meine Geschichte!«

»Vor zweihundert Jahren herrschte hier ein grausamer Ritter. Ich allein war sein Liebling und hatte mir durch Beförderung und Ausführung seiner unritterlichen Handlungen, seine unumschränkte Gunst zu erschleichen gewusst.

Mit den Pfaffen lebte mein Herr in steter Fehde. Am hartnäckigsten widersetzte sich ihm das Kloster zu St. Blasius. Er fasste endlich den Entschluss, das ganze Heiligtum zu zerstören, zog mit Heeresmacht gegen dasselbe, und eroberte es, der tapfersten Gegenwehr ungeachtet, in wenigen Tagen. Allein dieser Sieg kostete seinem einzigen Sohn das Leben. Seine Wut überstieg alle Grenzen, und er beschloss, ein fürchterliches Denkmal seiner Rachsucht der späten Nachwelt zu setzen.

Ich erhielt deshalb den Befehl, auf irgendein Plänchen zu sinnen, wodurch die Mönche am empfindlichsten gekränkt und dem Hohngelächter des Pöbels preisgegeben werden könnten. Lange sann ich hin und her, bis ich endlich das rechte Mittel getroffen zu haben glaubte. Ich befahl, sämtliche Mönche hierher auf diese Burg zu bringen.

Es geschah, und ich schritt nun ohne Verzug zur Ausführung meines Entwurfes. Ich ließ jeden Mönch einzeln zu mir bringen, schor ihn in Gegenwart des Ritters, der mir wilden Beifall zujubelte, ebenso kahl wie dich und stellte sie dann dem Mutwillen dar Schlossleute zur Schau. Endlich kam die Reihe auch an den Prior, einen ehrwürdigen Greis wie Silberhaaren. Wohlmeinend drohte er mir mit dem Finger und sprach: ›Schände mein mit Ehren grau gewordenes Haupt nicht. Stelle mich nicht den übrigen Schuldigen gleich! Es würde dich gereuen.‹ Allein ich lachte dieser Drohung und verstümmelte ihn auf gleiche Art.

Kaum aber hatte ich das Bubenstück begangen, so faltete er seine Hände, blickte andächtig zum Himmel auf, und sprach mit fester, feierlicher Stimme: ›Nun, so spuke denn nach deinem Tod so lange in diesem Schloss, Verruchter, bis unaufgefordert und ungeheißen ein Wanderer das Vergeltungsrecht an dir ausüben wird!‹

Ich empfand die Folgen seiner schrecklichen Drohung gar bald. Sichtbar zehrte ich von diesem Tage an ab, und in einigen Monaten verließ mein Geist den abgezehrten Körper. Allein er selbst blieb hierher gebannt.

Mein Spuken machte dieses Schloss bald öde und leer. Nur selten wagte es jemand, hier zu übernachten. Und der es wagte, den behandelte ich gleich dir. Allein keiner verstand meine stumme Einladung, und vergebens harrte ich mit Sehnsucht meiner Erlösung.

Jetzt gehe ich zu meiner erwünschten Ruhe und werde nie wieder jemand beunruhigen. Empfange nochmals meinen Dank, und glaube mir, wäre ich der Hüter unterirdischer Schätze, sie sollten dein sein! Doch – vernimm meinen Rat. Bleibe hier, bis deine Haare wieder gewachsen sind. Dann kehre zurück in deine Vaterstadt und erwarte nach Verlauf eines Jahres, aber weder früher, noch später, auf der Brücke einen Freund, der dir den Weg zeigen wird, wodurch du dein Glück wiederfinden kannst. Nun lebe wohl!«

Der Geist verschwand, und Fritz war durch diese ganze Begebenheit so überrascht, dass er gewiss alles für einen lebhaften Traum gehalten haben würde, wenn ihn nicht sein kahlgeschorener Kopf vom Gegenteil überzeugt hätte. Ruhig legte er sich indessen auf sein Lager und schlief ungestört bis gegen Morgen, wo ein heftiges Klopfen an seine verriegelte Tür ihn von Neuem aufschreckte. Die Sonne, welche gerade auf sein Bett schien, belehrte ihn, dass es kein zweiter Spuk sein könne. Er sprang deshalb unerschrocken aus dem Bett und öffnete die Tür. Es war der schelmische Wirt, der sich am Morgen vergeblich freute, dass der Kahlkopf herunterkommen sollte! Endlich dauerte es ihm doch zu lange, und da er befürchtete, das Gespenst möchte ihn wohl gar ermordet haben, so ging er mit einigen seiner Leute auf das Schloss.

Hier erblickte er kaum den kahl geschorenen Fritz, als er des Lachens sich fast nicht enthalten konnte, einige Schritte zurücktrat, die Hände zusammenschlug und mit heuchlerischer Verwunderung ausrief: »Also ist es doch kein Märchen, was man von dem Geist erzählt? O sagt mir, ich bitte Euch, wie ging es eigentlich zu?«

Fritz, der die Bosheit des schadenfrohen Wirts zu seinem Vorteil anzuwenden beschloss, antwortete ganz gleichgültig: »Das seht Ihr! Mit Euch aber mag ich die Rache des erzürnten Geistes nicht teilen!« Der Wirt geriet in eine sichtbare Bestürzung.

Fritz labte sich im Stillen daran und fuhr fort. »Der Geist erzählte mir, dass von Euch schon mancher Reisende auf diese Art betrogen worden sei, und ihr deshalb seine Rache wohl verdient hättet. ›Indessen‹, sprach der Geist, ›will ich diese unterdrücken, wenn er dich solange unentgeltlich beköstigt und bei sich behält, bis deine Haare wieder gewachsen sind. Weigert er sich aber, so werde ich nicht nur ihn selbst alle Nächte auf die jämmerlichste Art peinigen, sondern auch durch mein Spuken seine Gäste verscheuchen und sein Haus bald zu einer Einöde umschaffen.‹ Auf diesem Schloss aber wolle er sich von nun an nicht mehr sehen lassen.«

Der bestürzte Wirt gelobte in der Angst seines Herzens alles, nahm Fritz mit in sein Haus und ließ es ihm an keiner Bequemlichkeit fehlen.

So verstrich beinahe ein Jahr. Seine Haare waren ziemlich gewachsen, und er bereitete sich nun auf seine Rückreise vor. Der Besitzer des Schlosses, der die ganze Begebenheit vom Wirt erfahren und sich selbst von der Wahrheit der Verheißung des Geistes, es in Zukunft nicht mehr zu beunruhigen, überzeugt hatte, schenkte ihm noch ein schönes Reitpferd und ein ansehnliches Reisegeld.

Kurz vor der vom Geist bestimmten Zeit kam Fritz glücklich in seiner Vaterstadt an. Der längst gewünschte Tag kam endlich. Noch vor Anbruch der Morgendämmerung eilte Fritz zu dem bezeichneten Orte, wo sich noch kein Mensch weder hören nach sehen ließ. Nach und nach wurde es lebhafter, und es gesellten sich eine Menge Bettler, Krüppel und andere zu ihm, um die Mildtätigkeit der Vorübergehenden anzusprechen.

Je höher indes die Sonne stieg, je stärker wurde auf der Brücke das Gewühl der Vorüberströmenden. Allein niemand bekümmerte sich um den ängstlich harrenden Fritz. Endlich kam der Mittag herauf, das Gedränge verringerte sich, die Bettler langten ihr Brot aus der Tasche und verzehrten ihr armseliges Mittagsmahl.

Unter ihnen befand sich auch ein alter Invalide. Ihm war Fritz’ Trübsinn, der mit tiefsinnigen Blicken und verschränkten Armen, den Hut tief in die Augen gedrückt, um von keinem seiner ehemaligen Bekannten bemerkt zu werden, von einem Ende der Brücke bis zum anderen ging, vorzüglich aufgefallen. Er sprach ihn um ein Almosen an und erhielt in der Gemütszerstreuung des Misslaunigen ein Achtgroschenstück von ihm.

Der Nachmittag verstrich ebenso fruchtlos für Fritz, und seine Hoffnung sank immer mehr. Der Abend brach herein, die Bettler verloren sich nach und nach von der Brücke, und der Getäuschte versank in die äußerste Schwermut. Er hatte sein ganzes Vertrauen auf den verheißenen Freund gesetzt und konnte nun nichts anderes mutmaßen, als dass der boshafte Geist bloß sein Possenspiel mit ihm habe treiben wollen. Schon war er im Begriff, einen verheißungsvollen Sprung zu tun, als der alte Invalide, der ganz allein auf der Brücke zurückgeblieben war, sich ihm unbemerkt näherte. Ihm war Fritz’ sonderbares Betragen immer mehr aufgefallen, und das reichliche Almosen, welches er von ihm erhalten, hatte ihm eine gewisse Zuneigung gegen ihn eingeflößt.

»Verzeiht, lieber Herr!«, so redete er den halb Bewusstlosen an. »Verzeiht, dass ich Euch störe.«

»Was wollt ihr?«, entgegnete Fritz mürrisch.

»Wir beide waren heute die Ersten hier und sind nun auch die Letzten geblieben. Mich und meine Kameraden führte die Not hierher. Aber Ihr, bester Herr, was sucht Ihr hier?«

»Ihr könnt mir doch nicht helfen!«

»Ich bedauere, Euch wenigstens, denn ihr seht nicht mehr so heiter und vergnügt aus wie am Morgen.«

Dieser Beweis einer herzlichen, unaufgeforderten Teilnahme stimmte Fritz’ Misslaune zur Gesprächigkeit.

»Ich habe hier einen Freund erwartet, lieber Alter!«, erwiderte er etwas freundlicher, »einen Freund, von dem ich eine Nachricht erhalten sollte, auf die ich mein Glück baute.«

»Nun, das muss auch ein schlechter Freund sein!«, sagte der ehrliche Alte sehr aufgebracht. »Hat er es Euch denn gewiss versprochen?«

»Es träumte mir ja nur!«, sagte Fritz, der keine Lust hatte, sein Abenteuer mit dem Geist zu erzählen.

»Traum ist Traum, lieber Herr!«, erwiderte der Alte lächelnd. »Wer darauf bauen wollte …«

»Aber der meine war so lebhaft, so lebhaft, als hätte ich alles wirklich empfunden!«

»Bleibt deshalb doch ein Traum. Auch ich habe nicht selten so lebhaft geträumt. Zum Beweis nur ein Beispiel. Es ist heute gerade ein Jahr her. Ich erinnere mich noch recht gut. Da träumte mir, ich sollte in einem gewissen Garten vor dem Tor, den mir ein Geist beschrieb, einen großen Schatz heben. Da war mir auch alles so deutlich, dass ich noch am gleichen Tag den Fleck finden wollte.«

Daraufhin beschrieb der Invalide, zu Fritz’ nicht geringem Erstaunen, den ehemaligen Garten seines Vaters, der beim Bankrott mit verkauft worden war. Er bezeichnete die Stelle, wo der Schatz liegen sollte, ganz genau, und Fritz erinnerte sich derselben gar wohl.

»Ei, ei, Alter! Und ihr ginget nicht hin und grubt nach?«, fragte Fritz mit der möglichsten Kaltblütigkeit.

»Es war ja nur ein Traum, lieber Herr! Und überhaupt mag ich mit Geistern und Schatzgraben nichts zu tun haben. Denn die Nacht ist keines Menschen Freund.«

Beide wünschten sich eine gute Nacht, und jeder ging seines Weges.

Fritz fand das Versprechen des Geistes gelöst und konnte vor Freude über diese unverhoffte Entdeckung die ganze Nacht hindurch kein Auge schließen. Gleich am folgenden Tag versah er sich mit Hacke, Spaten und den übrigen notwendigen Werkzeugen und überlegte, wie er unbemerkt in den Garten kommen könnte.

Da er mit allen Winkeln in und außerhalb der Stadt bekannt war, so schien ihm dies nicht schwer. Er machte sich gegen Mitternacht auf, schlich durch einsame, enge und wenig bewohnte Gässchen und kam auf diese Art glücklich an den Garten, der dicht hinter der Stadtmauer lag. Mit pochendem Herzen stieg er über die nicht allzu hohe Mauer und eilte nach dem bezeichneten Rosenstrauch, unter welchem der Schatz verborgen liegen sollte.

Der sanfte Schein des silbernen Mondes begünstigte sein Unternehmen. Er sing zu graben an, und es dauerte nicht lange, so stieß er auf zwei große eiserne Töpfe, welche bei näherer Untersuchung mit den schönsten Goldstücken angefüllt waren.

Wahrscheinlich hatte sein Vater auf unvorhergesehene Fälle diesen Teil seines Vermögens hier eingegraben und dabei die Absicht gehabt, seinem Sohn bei Annäherung seines Todes Nachricht davon zu geben. Dieser hatte ihn aber so plötzlich überrascht, und das Geheimnis war mit ihm gestorben. Dennoch sollte der eigentliche Erbe auf diese wunderbare Art zu seinem Eigentum gelangen.

Fritz, durch Erfahrung klug geworden, machte nun von seinem Vermögen einen besseren Gebrauch und erinnerte sich stets mit dankbarem Herzen des armen Invaliden.