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Der Schwur – Zweiter Teil – Kapitel 11

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Zweiter Teil
Ein moderner Odysseus

Kapitel 11
Stolz und Liebe

Bevor wir dem Oberst auf seiner gefahrvollen Reise, die er mitten durch eine so vollständig von Insurrektion gewonnene Provinz unternimmt, dass nur noch die Hauptstadt Oajaca allein in der Gewalt der Spanier war, folgen, müssen wir uns anderen Personen zuwenden, die wir eine Zeit lang aus den Augen gelassen haben.

Vor allem ist es nötig, das nachzuholen, was sich in der Hazienda las Palmas seit dem Tag zugetragen hatte, an dem sie Don Rafael sozusagen der Leitung des wilden Arroyo und seines Gefährten Bocadro überlassen hatte.

Bisher waren die beiden Guerilleros, die sich mit dem Rest ihrer von dem Hauptmann Tres-Villas fast aufgeriebenen Bande zu ihrem früheren Herrn geflüchtet hatten, ganz zufrieden gewesen, sich mit ihm auf den Fuß vollkommener Gleichheit zu versetzen. Die beiden Banditen aßen an seinem Tisch, ließen sich von seinen Dienern bedienen und warfen außerdem noch, besonders Bocadro, bewundernde Blicke ziemlich beunruhigender Art auf das silberne Tafelgeschirr, dessen sich der Besitzer der Hazienda bediente. Öfter hatte schon der habgierige Guerillero im Beisein Don Marianos Anspielungen auf den Reichtum der Royalisten gemacht und hinter seinem Rücken den Versuch gewagt, seinem Gefährten klarzumachen, dass Leute, die ein so reiches Silbergeschirr auf ihrer Tafel stehen hätten, im Grunde ihres Herzens nur ergebene Anhänger der Sache ihrer Unterdrücker sein könnten.

»Sieh nur«, sagte er, »wir, die wir freie und ehrliche Insurgenten sind, wir würden überall, hier ausgenommen, genötigt sein, uns unserer Finger als Gabeln und Maiskuchenbröckel als Löffel zu bedienen.«

Und der Schluss seiner Rede war unabänderlich der, dass man einen Mann als Royalisten behandeln müsse, dem man aus silbernen Schüsseln serviere, dass man aus diesen Schüsseln Piaster machen und Don Mariano auf die Stellung eines rechtschaffenen Insurgenten beschränken müsse, das heißt auf die, auch mit den Fingern zu essen wie die Insurgenten von reinstem Wasser.

Aber Arroyo dürstete mehr nach Blut als nach Geld, mehr nach Zerstörung als nach Plünderung und verwarf deshalb die Vorschläge seines Gefährten. Er hatte indessen, nachdem er gezwungen worden war, den vom Hauptmann Tres-Villas ihm angetanen tödlichen Schimpf seiner Feigheit ohne Erwiderung hinzunehmen, einen Teil seines Hasses auf Don Mariano und seine beiden Töchter, die Zeugen jener Erniedrigung gewesen waren, übertragen, den er gegen Don Rafael gefasst hatte. Vielleicht hätte er in der Minute, in der er aus der del Valle, die dem furchtbaren Hauptmann zur Festung diente, zur nahegelegenen Hazienda floh, dort einige blutige Spuren seines Daseins hinterlassen, wenn ihm Bocadro nicht vorgestellt hätte, dass Don Mariano, sobald er einmal von seinem silbernen Tischgeschirr befreit wäre, sich ganz und gar der heiligen Sache der Insurrektion weihen und dann in jeder Beziehung ein achtenswerter Mann sein würde und dass die armen Insurgenten von ihren Brüdern zwar ihr Geld, aber nicht ihr Blut verlangen könnten.

Der schwerfälligen Fassungsgabe des blutdürstigen Arroyo wollte zwar die Richtigkeit der von Bocadro entwickelten Ansichten nicht recht einleuchten, doch war er zu sehr daran gewöhnt, sich von seinem schlauen Gefährten leiten zu lassen, um einen ernsthaften Widerspruch zu erheben, wenn er sich auch manchmal dafür, ihm gar zu williges Gehör geliehen zu haben, in seiner brutalen Weise an ihm rächte. Um endlich der Sache, der er sich gewidmet hatte, durchaus nicht zu schaden, schloss er sich der Meinung seines Gefährten an.

Bocadro schleppte alles Silbergeschirr und eine Menge anderer Kostbarkeiten beiseite, die nicht wieder aufzufinden waren, als es zwischen ihm, Arroyo und den Leuten ihrer Bande zur Teilung kam. Dann zogen alle eines Nachts aus der Hazienda nicht ohne die lebhafte Befürchtung ab, einen der schrecklichen Gäste von del Valle, entweder Tres-Villas oder den Hauptmann Caldelas, zu ihrer Verfolgung bereit zu sehen.

Die Bewohner von Las Palmas aber schätzten sich noch glücklich, dass nicht eine entehrende Beschimpfung dem Diebstahl gefolgt sei und sie im Besitz ihrer Anerkennung und wohlbehalten geblieben waren.

Infolge dieser Erfahrung über die Gefahr aufgeklärt, in der sie schwebten, wenn sie noch länger in einem Haus, das der Gnade der Royalisten wie der Insurgenten seines Alleinstehens wegen preisgegeben war, entschloss sich Don Mariano, seinen Aufenthalt in Oajaca zu nehmen. Seiner Meinung nach lief er weniger Gefahr, wenn er sich in eine ganz dem Vizekönig ergebene Stadt zurückzog, in der er, wenn er die Meinungen, die er von der Sache hatte, nicht aussprach und die ihn noch nicht verdächtig gemacht hatten, wenigstens Sicherheit fand. Doch traten mehrere Tage hindurch Hindernisse ein, welche die Ausführung seines Projekts verschoben.

Die Hazienda San Carlos, die von dem Mann, der sein Schwiegersohn werden sollte, von Don Fernando de Lacarra, bewohnt wurde, war nur einige Stunden von der seinen entfernt. Und Marianita kümmerte sich wenig darum, diese Nachbarschaft zu verlassen. Ohne den Beweggrund einzugestehen, hatte sie tausenderlei Einwendungen gegen diese Reise zu machen.

Ebenso war es mit Gertrudis. Die Erinnerungen, welche ihr die Hazienda las Palmas bei jedem Schritt zurückrief, machten ihr den Aufenthalt zugleich angenehm und peinlich, und man weiß, welche Herrschaft der Schmerz in der Liebe, namentlich über das Herz der Frauen ausübt. An schmerzlichen Erinnerungen fehlte es Gertrudis in der Hazienda las Palmas nicht.

Wie unzählige Male hatte sie wohl beim Sonnenuntergang ihre Augen in träumerischer Schwermut über die ungeheure Ebene schweifen lassen, die ebenso farblos war wie an dem Tag, als Don Rafael heranjagte und dem Tod trotzte, um sie nur ein paar Stunden früher zu sehen.

In jener Zeit, als Don Rafael im ersten Augenblick seines Schmerzes, in der ersten Racheglut mit dieser herben Wollust, die man öfter dabei empfindet, sich das Herz zu zerfleischen und sollte auch ein anderes brechen, im Galopp nach Oajaca gesprengt war, nachdem er der Erde, die den Körper seines Vaters bedeckte, das Pfand der Liebe Gertrudis übergeben hatte, und indem er auf sie verzichtete, ohne sie davon zu benachrichtigen, zu derselben Zeit hatte ihn Gertrudis mit lebhafter Ungeduld erwartet. Unwille, den aber bald die Besorgnis unterdrückte, die sich dann wieder bis zu einer tödlichen Angst steigerte, erfüllten ihr Herz. Schon früher deuteten wir an, durch welche unmerklichen und natürlichen Übergänge die Bewohner der Hazienda las Palmas durch das Schweigen Don Rafaels in dem Gedanken bestärkt wurden, dass er seine Geliebte ebenso treulos verlassen habe, wie die Sache seines Vaterlandes. Dennoch fehlte wenig, dass in dem Augenblick, als sich Don Rafael vor der Hazienda zeigte, der Ton seiner Stimme, der bis zum Ohr Gertrudis’ drang, nicht ihren beleidigten Hochmut besiegt hätte. Diese männliche Stimme, in der die Biederkeit so stark ausgeprägt war, sowohl wenn er einige Worte mit ihrem Vater austauschte, als auch, wenn er dem wilden Arroyo eine Herausforderung zuschleuderte, hatte alle Fibern ihres Herzens erzittern lassen. Sie hatte es nötig gehabt, allen Groll verschmähter Liebe und die den Frauen natürliche Scham zu Hilfe zu rufen, um sich nicht dem Hauptmann zu zeigen und ihm zuzurufen: O! Rafael, der Dolch Arroyos würde mir weniger Schmerz bereiten, als Eure Untreue!

»Was habt Ihr getan, mein Vater?«, seufzte sie traurig zu Don Mariano, als der Hauptmann sich mit seiner Truppe entfernt hatte. »Ihr habt seinen Stolz durch Eure beißenden Worte nun verletzt, indem er aus Rücksicht auf uns darauf verzichtete, seine Rache an einem der Mörder seines Vaters zu kühlen. Vielleicht habt Ihr auf seinen Lippen das Wort ›Vergessen und Versöhnung‹ ersterben lassen und die letzte Hoffnung Eurer armen Tochter vernichtet.«

Don Mariano erwiderte nichts. Er bedauerte selbst seine beleidigende Anspielung gegen einen Feind, dessen Großmut er sein und seiner Kinder Leben verdankte.

Nach dem Abzug Arroyos herrschte eine düster, unheimliche Stille in der Hazienda las Palmas. In der Einsamkeit des Schweigens fragte sich Gertrudis jede Minute des Tages, ob sie Don Rafael wirklich weniger liebe, konnte sich aber nur eine bestimmte Antwort geben, und zwar die, dass sie ihn liebte und immer lieben würde.

Eines Nachmittags, es war der zweite nach dem Abmarsch Arroyos und seiner Bande ging die Sonne hinter der Ebene ebenso unter, wie an jenem Tag, an dem sie einige Wochen vorher die Ankunft Don Rafaels mit jeder Minute entgegengesehen hatte. Die Wasser waren abgelaufen und das Land selbst, mit einem satten Grün bedeckt, hatte einen freundlichen Ausdruck als an jenem Tag angenommen.

Plötzlich erschien ein halbes Dutzend Reiter in der Ebene, sie schienen von den Hügeln zu kommen, welche dieselbe begrenzten, denn sie wandten der Hazienda den Rücken zu. Fähnlein mit den spanischen Farben flackerten an den Lanzenspitzen. Ein Reiter befand sich an der Spitze von fünf Reitern, denen noch andere Soldaten zu Pferde folgten. Aber auf alle diese warf Gertrudis nur einen gleichgültigen Blick. Dagegen war ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Reiter, der ganz allein an der Spitze der Übrigen ritt, gerichtet. Ihr Herz hatte weit eher als ihre Augen Namen und Rang desselben erraten.

»Ich war auch«, sagte sie zu sich, »unvorsichtig in meinen Worten, als ich die Verfluchung über die Söhne des Landes aussprach, die seine Sache verraten. Was kümmert sich eine Frau, die liebt, um das Banner, dem ihr Geliebter folgt? Das muss auch das ihre sein. Warum habe ich es nicht wie meine Schwester gemacht? Ach! Marianita ist sehr glücklich!« Sie fuhr fort, das Herz von Seufzern geschwellt und den Blick von Tränen verschleiert, dem Reiter mit den Augen zu folgen, der nicht ein einziges Mal seinen Kopf zu der Hazienda wandte und kurze Zeit danach in dem goldenen Nebel der untergehenden Sonne verschwand.

Es war Don Rafael, der dem Befehl seines Vorgesetzten, der ihn ins Feld rief, folgte und der, um seine Verwirrung und seinen Schmerz den Soldaten zu verbergen, nicht gewagt hatte, seine Blicke hinter sich zu wenden.

Gertrudis lag wenig an dem Ort, den sie mit ihrem Vater bewohnte. In der Hazienda blieben ihr nur noch traurige, wehmütige Erinnerungen. Auch diese hielten sie darin gebannt und das junge Mädchen konnte nicht ohne Schmerz dem Augenblick entgegensehen, wenn sie diesen traurigen Aufenthaltsort verlassen sollte, als ob mit der Abreise von las Palmas das letzte Band zerriss, das zwischen ihr und Don Rafael noch bestand.

Von der Zeit an, als Don Rafael nicht mehr dieselbe Luft wie sie atmete, kannte Gertrudis kein anderes Vergnügen, als das Pferd desselben, das man aufgefangen und zur Hazienda geführt hatte, zu pflegen.

Inzwischen hatte die Vermählung Don Fernandos mit Marianita stattgefunden.

Da diese Verbindung schon vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges beschlossen worden war, so fand sie kein Hindernis bei Don Mariano, obgleich die politischen Gesinnungen der beiden Männer etwas auseinandergingen. Don Fernando war Spanier, das war richtig, aber er hatte das Jawort Don Marianos, und im Übrigen wollte dieser nicht den traurigen Zwistigkeiten das Glück einer zweiten Tochter opfern.

War es nicht an einem Opfer genug? Dann hatte auch Don Fernando Lacarra, wie viele Spanier dieser Epoche, das Land zu seinem Vaterland gemacht, was den Gegenstand seiner Wünsche und Meinungen umschloss, und dadurch waren seine Sympathien seinen Adoptivlandleuten zugefallen.

Wenige Tage nach seiner Hochzeit hatte er seine junge Frau zu seiner Besitzung San Carlos geführt, die in der Nachbarschaft der von del Valle und wie diese an den Ufern der oberen Ostuta lag, die zwischen beiden Herrschaften in geringer Entfernung vom See gleichen Namens hinfließt. Diese Besitzung, die von einer zahlreichen Dienerschaft, welche nicht wie die Don Marianos von der Insurrektion in alle Welt zerstreut worden war, bewacht wurde, bot im Vergleich zur Hazienda las Palmas eine viel größere Sicherheit dar. Don Fernando wollte dort seiner neuen Familie einen Zufluchtsort anweisen, aber Don Mariano, der den Zweck, die Melancholie seiner Tochter zu verscheuchen, im Auge hatte, zog es vor, nach Oajaca zu gehen.

Am Tag der Abreise weigerte sich Gertrudis, eine Sänfte zu besteigen, die man für sie hergerichtet hatte. Sie ließ sich das Pferd aufzäumen, das so oft Don Rafael getragen hatte. Der feurige Roncador ließ sich, als ob er gewusst hätte, dass er das köstliche Kleinod seines Herrn trage, auf der ganzen Reise ebenso geduldig von der schwachen Hand Gertrudis’ wie sonst von der Eisenfaust des Hauptmanns leiten.

Teilnahmslos gegen alle Zerstreuungen, die ihr angeboten wurden, verlebte Gertrudis langweilige und traurige Tage zu Oajaca. Nur kurz hatte sie sich glücklich gefühlt, und dieser war, als man erzählte, dass der Hauptmann Tres-Villas nach Eroberung der Stadt Aguas Calientes vierhundert gefangenen Frauen die Haare habe abschneiden lassen. Wie es der Oberst Trujano gesagt hatte, der von diesem Vorfall durch Marianita unterrichtet worden war, als er einen Tag in San Carlos zubrachte, verursachte ihr diese Nachricht ein Zittern vor Glück und Stolz. Sie allein hatte es inmitten des allgemeinen Staunens, das diese seltsame Härte hervorgerufen, erraten, dass Don Rafael sie nicht allein den Verlust ihres Haars beweinen lassen wollte. Don Rafael liebte sie also immer noch, da er ihr dieser Trost wie ein Pfand seiner Erinnerung zusandte.

Bald aber stieß sie den Gedanken habsüchtigen Glücks mit Heftigkeit von sich.

»Arme Frauen!«, sprach sie zu sich selbst, indem sie ihre Locken, schwarz wie Ebenholz, glättete, die nun die Stelle der langen Zöpfe vertraten, deren wohlriechende Wellen ehemals auf ihre Schultern niedergeflossen waren. »Arme Frauen! Ihr habt nicht wie ich das Glück gehabt, Euer Haar zum Opfer für das Leben des Heißgeliebten anzubieten!«

Monat auf Monat verfloss, ohne dass man erfuhr, was aus Don Rafael geworden war, und die bleichen Wangen, die bleifarbenen Ringe um Gertrudis’ Augen bezeugten ihren Seelenschmerz und die Leiden des Körpers. Seit fast zwei Jahren suchte das junge Mädchen unter dem entnervenden Einfluss des Schweigens, der Einsamkeit und der sittsamen Lebensweise vergeblich ihre Liebe zu ersticken. Die Kräfte ihres Körpers und ihrer Seele rieben sich in diesem unnützen Kampf auf.

Auch Don Rafael trug seinen Schmerz von einem Ende des Königreichs bis zum anderen, er konnte seinen Schmerzensschrei in dem Gewühl der Schlacht und den blutigen Zerstreuungen, welche der Krieg gewährte, ersticken.

Zum Glück hat Gott dem Weib die Resignation gegeben, die ihre einzige Waffe gegen den Schmerz bildet. Gertrudis rieb sich schweigend auf. Ohne eine Klage auszustoßen, ertrug sie den schweren Kummer, der an ihrer Seele nagte. In den langen schlaflosen Nächten, in denen diese Resignation, halb besiegt, auf dem Punkt zu sein schien, in dem Kampf zu unterliegen, stärkte sie manchmal ein schwacher und ferner Hoffnungsstrahl. Eine letzte Zuflucht gegen ihre Angst stellte sich dem Auge des jungen Mädchens dar. Sie sagte sich selbst, dass, wenn ihre Kräfte gänzlich erschöpft wären, ihr noch eine letzte Hilfsquelle in der Flechte bliebe, die sorgsam für solchen Fall von ihr aufbewahrt worden war.

Die Übersendung des Pferdes an Don Rafael zu der Hazienda del Valle, wohin er ohne Zweifel eines Tages zurückkehrte, war der erste Schritt einer Ausgleichung zwischen der Liebe und der Haltung gewesen.

In dem Maß, wie sich die Insurrektion in der Provinz ausdehnte, nahmen auch die Sicherheitsmaßregeln in der Hauptstadt zu. Don Mariano, der verdächtig geworden war, erhielt den Befehl, Oajaca zu verlassen.

Wie schon erwähnt, hatte er vor seiner Abreise noch einen Boten zu der Hazienda del Valle geschickt. Den Zweck seiner Sendung werden wir später erfahren. Zwei Tage nach dem Aufbruch seines Boten, an demselben Tag, an dem er in der Hazienda del Valle ankam und Don Rafael flüchtend die Ebenen von Huajapam durcheilte, begab sich Don Mariano auf den Weg zur Hazienda San Carlos. Von einigen Dienern begleitet, geleitete er die Sänfte, in der sich Doña Gertrudis befand.

Gegen Abend desselben Tages endlich verließ eine Person unserer Geschichte, der Hauptmann Don Cornelio Lantejas das Lager Morelos’, das in der Nähe Huajapams aufgeschlagen war, um eine Mission auszuführen, welche ihm vom mexikanischen General in Betreff Oajacas anvertraut worden war. Diese Mission war keineswegs ohne Gefahr, wie wir später sehen werden.

Costal und Clara begleiteten den Hauptmann, der ein einfaches Reisekleid trug. Nichts zeigte seinen Stand an.

Es war zurzeit Sommersonnenwende und der Schwarze und der Indianer unterhielten sich über die Chancen, welche sich dem Zapoteken jetzt, da er ein halbes Jahrhundert hinter sich hatte, darboten, um sich endlich der Wassergottheit in dem geheimnisvollen See Ostuta zu bemächtigen.

Die Eroberung der Stadt Oajaca sollte der Schlussstein sein, der Morelos die Herrschaft der ganzen Provinz sicherte. Er ging mit dem Gedanken um, sich ihrer noch vor Beendigung des Feldzuges zu bemächtigen. War dieser Plan einmal ausgeführt, so fiel der ganze Süden Neu-Spaniens in die Gewalt der Insurgenten.

Die Klugheit befahl zugleich, ehe man zum Angriff auf eine so volkreiche, mächtige und reiche Stadt schritt, dort erst geheime Verbindungen anzuknüpfen, und dies war die Mission, die Lantejas auszuführen bestimmt war.

Für die Ehre der Sache, welcher Morelos seinen mächtigen Arm geliehen hatte, war es nicht minder dringend, der Verwüstung zweier Guerillas ein Ziel zu stecken, von denen schon oft Rede gewesen ist, Arroyo und Bocadro, die sich vorgenommen zu haben schienen, durch ihre Grausamkeiten die Insurrektion ebenso sehr bei ihren Anhängern, wie bei ihren Feinden in Misskredit zu bringen.

Die Streitmacht, über die sie zu gebieten hatten, war ebenso unbestimmt wie ihr Aufenthaltsort. Sie waren ebenso allgemein gefürchtet, als ob sie eine zahlreiche Armee unter ihren Befehlen gehabt hätten. Die Schnelligkeit ihrer Bewegungen verschaffte ihnen die Mittel, ihr Dossier der Brutalität bis ins Unendliche zu vervielfältigen. Man konnte über die Maßen den beiden Gefährten leicht nach den blutigen Spuren, die sie überall auf ihren Zügen zurückließen, folgen. Arroyo, immer bereit, seine Hände in das Blut des ersten Besten, der ihm in den Wurf kam, zu tauchen, indem er ein bestialisches Vergnügen daran fand. Selbst der Henker seiner Schlachtopfer zu sein, war noch wenigstens ziemlich tapfer. Sein Gefährte Antonio Bocadro war ebenso feige wie grausam, obgleich ihn seine Neigung, wie wir gesehen haben, mehr zum Diebstahl als zum Blutvergießen hinzog.

Morelos hatte von den Verwüstungen und Plünderungen gehört, welche die beiden Banditen in der Provinz Oajaca verübten, und deshalb Don Cornelio den Befehl gegeben, die Banditen aufzusuchen und ihnen vonseiten des kommandierenden Generals die Drohung zuzustellen, dass sie gevierteilt werden würden, wenn sie noch länger fortfahren, die heilige Sache der Unabhängigkeit zu entehren.

Der Ruf der Wildheit, den die Banditen, die jeden als Feind behandelten, in so reichlichem Maß verdient hatten, und die tätige Bewachung, die von den Behörden Oajacas gehandhabt wurde, machten die Mission des Hauptmanns zu einer gefährlichen. Er folgte daher ziemlich niedergeschlagen dem Weg, der an dem Fluss Ostuta entlangführte, wo sich gerade Arroyo und Bocadro gelagert hatten. Ihre Gegenwart in dieser Gegend wird durch eine kurze Beschreibung erklärt werden, die unumgänglich notwendig ist, um den Schauplatz kennenzulernen, auf dem sich die Ereignisse, die uns noch zu erzählen übrigbleiben, zusammendrängen.

Abgesehen von den Unebenheiten des Bodens liegen Huajapam und Oajaca in derselben Linie einander gegenüber. Von jeder dieser Städte führt eine Straße zu der Ostuta und beide vereinigen sich dort in einer Furt, die zum Durchwaten des Flusses benutzt wird. Nicht weit von dem Punkt, wo sich die beiden Wege vereinigen, liegt vor der Furt die Hazienda del Valle und eine Stunde hinter derselben die Hazienda Carlos. Diese beiden auf den gegenüberliegenden Ufern befindliche Haziendas waren somit nicht allzu weit voneinander entfernt.

Arroyo hatte sich geschworen, weder einen Mann lebend noch einen Stein auf der Hazienda del Valle stehen zu lassen, die noch von der den Befehlen des Leutnants Veraegui anvertrauten Garnison verteidigt wurde. Dies war der Beweggrund seiner Anwesenheit an den Ufern der Ostuta. Seine in zwei Abteilungen aufgestellte Bande bewachte die Übergänge der Furt zu beiden Seiten des Flusses und konnte sich so zu gleicher Zeit nach San Carlos und del Valle wenden.

Es war wahrscheinlich, dass der Bote bei der Visitation Don Rafaels, indem er von der Hazienda del Valle nach Huajapam ging, dem Obersten auf dem halben Weg begegnete, der von Huajapam nach del Valle ging. Nicht weniger wahrscheinlich war es, dass an dem Vereinigungspunkt der beiden Straßen von Oajaca und von Huajapam sowohl Don Mariano und seine Tochter, die notgedrungen an del Valle vorüber mussten, als auch Don Cornelio und seine beiden Gefährten, die in derselben Richtung gingen, und endlich der Oberst, indem er sich zu seiner Hazienda begab, sich, wenn kein Unfall eintrat, alle fast zur selben Zeit begegnen mussten.