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Der goldene Fels Kapitel 1

Der-goldene-FelsRobert Kohlrausch
Der goldene Fels
Kriminalroman, Alster-Verlag, Hamburg, 1915

Erstes Kapitel

»Du, Schwiegerpapa, hast du jetzt noch einen Augenblick Zeit für mich?«

Der junge Mann, der so fragend ins Zimmer trat, war ein schöner Mensch mit merkwürdig leichten, elastischen Bewegungen. Zwischen den fast immer lächelnd geöffneten roten Lippen sahen die Zähne leuchtend hervor, und in seinen braunen Augen war ein Glanz, der noch heller leuchtete.

Auf den alten Herren blieben seine freundlich gesprochenen Worte jedoch ohne Wirkung. Missmutig, unwirsch war der Ton, in dem er antwortete: »Ob ich Zeit habe, gerade jetzt, eine halbe Stunde vor unserer Gesellschaft?«

Der andere trat nahe zu ihm heran, legte seine fein geformten, gepflegten Hände mit leichter Bewegung auf seine Schultern. »Ja, Schwiegerpapa, darum hab’ ich diesen Moment gerade gewählt. Ich wusste, dass du um diese Zeit nicht mehr arbeitest.«

»Ich arbeite nicht, weil jede Gesellschaft, bei der ich den Wirt spielen muss, mich immer vorher nervös macht. Ich kann mir’s nun einmal nicht abgewöhnen, wenn ich auch dagegen abgebrüht sein sollte. Man muss doch überlegen, was man mit seinen Gästen reden will, man muss doch auch bei Tisch ein paar Worte sagen.«

»Ach, damit quäl dich nicht, es ist sowieso nicht mehr Mode.«

»Bei mir ist es Mode, mein lieber Schwiegersohn. Und ich will bleiben, was ich bin, was ich durch eigene Kraft und Arbeit geworden bin. Das merke dir gefälligst.«

Die beiden Männer standen wie die Vertreter von zwei verschiedenen Welten einander gegenüber. Ein Mann der Lebensluft gegen einen Mann der Arbeit. Und ähnlich gegensätzlich in seiner Einrichtung war auch das Gemach, in dem sie sich befanden. Manches darin war elegant, modern und kostbar: der große Diplomatenschreibtisch aus grau gebeiztem Holz mit neuzeitlichen Beschlägen, der vor dem Fenster stand, ein paar tiefe, braunrote Lederklubsessel, ein weicher Smyrnateppich in Dunkelgrün und Schwarz, der den ganzen Fußboden bedeckte. Der hohe Geldschrank, der an der Langwand rechts vom Fenster neben einem vorspringenden Schornstein aufgestellt war und im hellen Glanz polierten Stahls leuchtete, gab dem Raum den Charakter eines Büros oder Arbeitszimmers. Unmittelbar daneben war eine Gruppe von ganz alten und ganz einfachen Möbelstücken vereinigt. Hier stand ein zweiter, dünnbeiniger Schreibtisch aus Eschenholz mit vielfach abgestoßenem Furnier, ein dazu passender steiflehniger Stuhl mit Korbgeflecht im Sitz. An der Wand hingen ein paar Öldruckbilder in schmalem bescheidenen Goldleistenrahmen, von denen das eine die große Brücke von Brooklyn, das andere eine kitschige Heimkehr von der Arbeit wiedergab. Zwischen diesen beiden Bildern war in prunkvoll protzigem, verschnörkeltem Goldrahmen ein gut gemaltes, lebensgroßes Ölbild von dem Älteren der beiden Herren zu sehen, das noch zu ähnlich war, um schon alt sein zu können. Er stand auf dem Bild mit in den Rockverschluss gesteckter Hand und erhobenem Kopf, als ob er sagen wollte: »Seht her, zu meinen Füßen hier habt ihr die Zeugen meiner bescheidenen Vergangenheit, hier bin ich selbst als das, was ich geworden bin.«

In Wirklichkeit sah er noch gewöhnlicher aus, als der Maler ihn dort an der Wand wiedergegeben hatte. Vorspringende Zähne schoben die Lippen unter dem angegrauten Schnurrbart vor, das Fleisch über dem halblangen Backenbart war aufgedunsen, die Nase kulpig, die klug und listig blickenden Augen waren klein, wie zugeschwollen. Es war keine gerade, feste Linie in dem ganzen Gesicht, es lag neben einer tüchtigen Portion von Schlauheit eine gewisse selbstzufriedene Gutmütigkeit in den Zügen dieses Mannes. Er pflegte seine Reden häufig durch einen kurzen, zweimaligen Husten zu unterbrechen, der beinahe wie ein tiefes Bellen klang und offenbar mehr Angewohnheit als Notwendigkeit war. Und ihm gegenüber nun dieser junge, kaum dreißigjährige Mann, der größer, zierlicher und schlanker war als er und mit seiner ein wenig ausländischen Bewegungsanmut in selbst verständlicher Sicherheit vor ihn hingetreten war. Dessen rote Lippen in dem bartlosen, frischen Gesicht scheinbar nur zu lachen, zu küssen oder zu schmeicheln verstanden. Das Einzige, was diesen weichen Zügen einen Ausdruck von verhaltener Energie verlieh, waren zwei tief in die Stirn eingegrabene Vertikalfalten, die von verborgener Gedankenarbeit hinter dieser schön gewölbten Stirn sprachen.

Beide Herren waren schon im Gesellschaftsanzug mit weit sichtbarer, heller Hemdenbrust, weißer Binde und Frack. Der des Älteren aber war altmodisch und schlug auf dem krummen Rücken verschiedene Falten, der des anderen war ein Muster modernster Eleganz. In seiner Weste steckte ein seidenes Miniaturtaschentuch, ein goldenes Kettenarmband blitzte am rechten Handgelenk.

»Na, wenigstens will ich hoffen, dass du mir nicht schon wieder mit Geldgeschichten kommst.«

»Liebster Schwiegerpapa, diese Hoffnung muss ich enttäuschen. Das Geld ist nun einmal rund und rollt. Manchmal mit unheimlicher Geschwindigkeit.«

»Hast du etwa gar wieder gespielt?«

»Gott bewahre, Schwiegerpapa! Das fällt mir ja nicht im Traum ein. Aber es gibt nun einmal gewisse Forderungen des modernen Lebens, die man erfüllen muss, wenn man auf der Höhe bleiben will.«

»Ach was, Unsinn! Modernes Leben! Arbeiten soll man, verdienen. Und was man verdient, für seine Kinder zurücklegen. Denk’ an deinen Jungen, an den Hans!«

Der andere antwortete nicht, bei der Erwähnung seines Kindes ging es wie der Abglanz eines guten, tiefen und freundlichen Gefühls über sein Gesicht.

»Wenn ich mein Leben lang nicht gearbeitet hätte, ich wohnte nicht hier in dieser Villa, das kann ich dir sagen. Du dann selbst verständlich ebenso wenig. Wie ein Pferd hab’ ich gearbeitet! Wenn ich noch daran denke, wie ich damals mit ganzen zehn Pfennigen in der Tasche nach Berlin gekommen bin, buchstäblich mit nicht mehr als zehn Pfennigen, als einfacher Schlossergeselle …«

»Ja. Papachen, das hast du mir schon erzählt.«

»Du scheinst es vergessen zu haben, Karl Georg. Darum erinnere ich dich daran. Bilde dir nur nicht ein, dass ich mich deshalb schämte. Im Gegenteil, ich rühme mich dessen, dass ich mich so heraufgearbeitet habe. Dass aus dem armen Schlossergesellen mit nur zehn Pfennigen in der Tasche der Kommerzienrat Helbig geworden ist, von dem achthundert Beamte und Arbeiter abhängen. Ich sage das jedem, der es hören will.«

»Warum denn auch nicht? Es ist ja doch nur ehrenvoll für dich.«

»Also nimm dir ein Beispiel an mir. Arbeite, arbeite, arbeite! Dann kommt auch das Geld. Ich habe dir den Posten in meiner Fabrik hier gegeben, obwohl du auf deinen drei technischen Hochschulen nur gebummelt und nichts gelernt hast. Du lieber Gott, ich bin in meinem Leben auf keiner Hochschule gewesen, aber ich verstehe von der Technik und vom Geschäft im kleinen Finger mehr als du.«

Ein wirklicher Hustenanfall unterbrach ihn für einen Augenblick. Er wurde dabei sehr rot, presste seine linke Hand auf die Brust und stöhnte: »Ach, mein Herz, ach, meine armen Nerven!«

»Das kommt vom zu vielen Arbeiten, Schwiegerpapa.«

»Ach was, Unsinn! Und wenn es davon kommt, und wenn ich einmal draufgehe, dann sterb’ ich wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld.«

»Davon wollen wir nicht reden. Du bist ja doch erst vierundsechzig, nicht wahr?«

»Bitte, noch nicht ganz zweiundsechzig. Das genügt gerade. Ach, es ist scheußlich, scheußlich, dass man alt wird. Doch fein ist es nicht von dir, mich daran zu erinnern.«

»Ich fragte doch nur so.«

»Jawohl, wie die lieben Schwiegersöhne so fragen, wenn der Alte kein Geld geben will. Wozu denn in Dreiteufelsnamen brauchst du schon wieder Geld?«

»Ich kann es nicht gut mit ansehen, dass Martha so kurz von dir gehalten wird. Sie hat noch nicht einmal ein Auto. Jeder anständige Mensch muss das doch heute haben.«

»Du, bitte, die Martha schiebe mir dabei nicht vor. Meine Tochter ist von meiner Art, einfach und solide. Die macht es wie ich und fährt mit Vergnügen auf der Trambahn, wenn sie zur Stadt will. Aber dir könnte das passen, im Auto vor deiner vornehmen Bagage dort im Kurhaus zu protzen.«

»Wenn du sie so bezeichnest, warum lädst du sie dann zu deinen Gesellschaften ein?«

»Ach, das tue ich natürlich dir zuliebe.«

»So? Ich dachte, du hieltest ein paar adlige Namen auch für einen ganz hübschen Tafelschmuck.«

»Unsinn. Übrigens denke ich nicht im Traum daran, dir ein Auto zu kaufen. Du weißt auch, dass ich damit nur in deinem und Marthas Interesse handle. Dass alles, was Ihr bekommt, von ihrem dereinstigen Vermögen abgezogen wird.«

»Ich weiß es.« In diesem Augenblick zum ersten Mal verlor seine Stimme den heiteren Ton, in dem immer ein Lachen zu schlafen schien, und wurde hart und kalt. Auch der frohe Glanz in den Augen erlosch. Die Falten auf der Stirn gruben sich tiefer ein.

»Und wenn ich es zur rechten Zeit gewusst hätte, dann …«

»Was dann? Ich habe dir’s am Tag vor deiner Hochzeit gesagt, alle meine drei Kinder stehen darin gleich. Wer von ihnen heiratet, bevor er mündig wird, nur Martha hat es ja wirklich getan, lebt bis zum Tag der Mündigkeit gut und auskömmlich auf meine Kosten. Von diesem Tag ab wird alles, was er über einen bestimmten Zuschuss hinaus von mir bekommt, von seinem einstmaligen Vermögen abgezogen. Hab’ ich dir das damals gesagt oder nicht?«

»Am Tag vor der Hochzeit, jawohl. Als wir dreimal von der Kanzel herab aufgeboten waren und als die Hochzeitsgäste beinahe schon vor der Tür standen, da hast du mir’s gesagt.«

»Es war früh genug, du hättest immer noch zurücktreten können.«

Der Schwiegersohn unterdrückte mit Gewalt eine Antwort und versuchte wieder sein gewohntes Lächeln. Auf seinen Wangen bewegte sich die Haut ein wenig von den darunter aufeinander arbeitenden Kiefern. Er atmete mit einem leise pfeifenden Ton durch die Nase und sagte: »Du willst mir also kein Geld geben, Schwiegerpapa?«

»Fällt mir nicht im Traum ein. Du hast hier freie Wohnung und Unterhalt in meinem Haus, hast einen ganz anständigen Zuschuss, hast in der Fabrik ein Gehalt, weit über deine Leistungen hinaus, das genügt für vernünftige Ansprüche. Wenn ich daran denke, wie es mir gegangen ist in deinem Alter …«

»Na, da lassen wir’s gut sein.« Er wandte sich um und ging zur Tür. Als er sie geöffnet hatte, stand eine schlanke Frauengestalt vor ihm. Sie war gleich den Männern bereits in Gesellschaftstracht. Ein Kleid aus weißen Spitzen hob ihre hohe Figur schön hervor. Ein Perlenhalsband und eine tiefrote Rose im dunkelbraunen Haar waren ihr einziger Schmuck. Das Gesicht war bleich und ein wenig müde, sodass die großen, dunklen Augen doppelt stark darin wirkten. Sie sah dem Kommerzienrat auffallend ähnlich, doch alles, was in seinen Zügen plump und gewöhnlich war, zeigte sich hier durch festere Linienführung und einen Ausdruck von geistigem Adel verfeinert.

»Sieh, Martha, du?«, sagte der junge Mann mit freundlichem Kopfnicken. »Siehst ja famos aus! Die reine Fürstin!«

Die Lippen öffnend, schien sie reden zu wollen, fand keine Worte, sondern beugte nur stumm den Kopf mit leichter, fremder Begrüßung. Ihr Gesicht blieb unverändert. Ein Schleier von stiller Schwermut lag darauf. So ging sie an ihm vorüber auf Helbig zu.

Der andere stand noch eine Sekunde lang, ihr nachschauend, lachte dann leicht auf und bewegte die Schultern, als ob er sagen wollte: »Nun, dann nicht.«

Gleich darauf hatte sich die Tür hinter ihn geschlossen.

»Könntest gegenüber deinem Mann auch etwas liebenswürdiger sein«, brummte Helbig. »Du gehst überhaupt seit einiger Zeit mit einer wahren Leichenbittermiene herum. Hast ihn dir doch selber ausgesucht, gar nicht zu meiner Freude. Seine dicken Fehler hat er, aber was der Mensch sich eingebrockt, muss er auch aufessen. Übrigens, ist es wahr, dass du gern ein Auto haben möchtest?«

»Ich, ein Auto, hat er das gesagt?«

»Nicht ganz direkt. Aber Geld hat er haben wollen, um sich eins zu kaufen.«

»Ich brauche kein Auto.« Sie atmete tief, als müsste sie die Brust von etwas freimachen. Dann sagte sie rasch: »Ich komme wegen der Gesellschaft. Regierungsrat Rüger hat im letzten Augenblick abgesagt. Er ist krank. Wir müssen die Plätze verändern.«

»Du lieber Gott, auch das noch! Soll ich denn keinen Augenblick zur Ruhe kommen?«

»Ich habe die Tischordnung mitgebracht. Wir haben zum Glück einen Herrn zu viel infolge der gestrigen Absage, da lässt sich die Sache schon machen. Es ist nur nicht leicht, einen passenden Herrn für Frau von Stoiben zu finden. Wen soll ich ihr geben?«

»Lass einmal sehen. Hier sitzen ja zwei Herren nebeneinander. Da muss einer davon einspringen.«

»Ich habe das auch gedacht. Also Herr Ebisberg.«

»Ebisberg, nein. Er ist ein reicher und eleganter Kerl, aber für die Stoiben müssen wir einen Titel haben. Du musst ihr den Herrn von Hofen abtreten. So geht es, du sitzt auf die Weise neben Ebisberg.«

Eine Sekunde lang zögerte sie, bevor sie antwortete. Dann hob sie den Kopf mit entschiedenem Ausdruck. »Nein, Vater. Ich sitze nicht neben Ebisberg.«

»Du lieber Gott, was hat er dir denn getan? Ist es denn ein Verbrechen, dass er dir einmal den Hof gemacht hat? Sonst nehmen es die Frauen doch nicht übel, wenn man sie schön findet und in sie verliebt ist.«

»Er hat mich nicht schön gefunden und ist nicht in mich verliebt gewesen. Eine feste Geschäftsverbindung, das war alles, was er wollte.«

»War auch noch gar kein schlechter Gedanke. Diese beiden verwandten Geschäfte später einmal in einer Hand, mir wäre das ganz recht gewesen. Aber wir wollen es ruhen lassen, ich habe mich damals genügend geärgert. Jedenfalls muss Hofen bei der Stoiben sitzen. Und wenn du nun einmal eigensinnig bist, muss Ebisberg den Platz mit einem anderen tauschen. Aber mit wem, das müssen wir sehen.«

Ein paar Vorschläge, die sie machte, wurden von ihrem Vater verworfen. Dann sagte sie rasch, mit ein wenig rauer und unsicherer Stimme: »Wie wär’ es mit Burkhardt?«

»Neben dir? Mein Untergebener, mein Ingenieur, der Sohn meines Werkmeisters? Nein, liebe Martha, das machen wir denn doch nicht.«

»Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Er war mein bester Freund. Ihr Gesicht hatte sich leicht gerötet, ein warmes Leuchten war in ihren Augen aufgewacht.

Der Kommerzienrat bellte seinen doppelten Husten. »Ach was, das waren Kindereien. Die muss man vergessen, darf sie nicht ins Leben mitnehmen. Du bist meine Tochter, musst auf dich halten, musst mein Haus repräsentieren, wo deine gute Mutter nicht mehr lebt. Ich weiß jetzt, wie wir es machen. Wir lassen den Herrn Zebosek mit Ebisberg tauschen.«

»Ja, Vater, das tun wir. So geht es, ich danke dir.«

»Und nun mach, dass du hinauskommst. Und lass niemand zu mir herein. Ich muss noch meine Rede memorieren.«

»Dich soll niemand stören, ich sorge dafür.«

Sie ging rasch hinaus. Ihr Gang war von eigener schwebender Sicherheit. Nur ein kaum vernehmbares Knistern ihres weißen Kleides begleitete die leichte Bewegung.

Der Industrielle nahm ein Manuskript aus der Tasche des Fracks, murmelte halblaut vor sich hin, was dort aufgeschrieben war und ging dabei zwischen dem alten und dem neuen Schreibtisch in gleichmäßigem Wechsel hin und her. Mitunter warf er auch einen liebevollen Blick zu seinem gemalten Abbild an der Wand hinauf.

Eine Stunde später war die Gesellschaft im reichlich stark vergoldeten Empfangssalon des oberen Geschosses beinahe vollzählig versammelt. Mit wichtigem, rotem Gesicht stand Helbig in der Nähe der Tür, um die noch ankommenden Nachzügler zu begrüßen und einander vorzustellen. Seine Tochter nahm die Stelle der Hausfrau neben ihm ein. Das leichte Rot war noch auf ihren Zügen, das im Gespräch mit ihrem Vater bei der Nennung des Namens Burkhardt auf ihren Wangen erschienen war. Doch blickten ihre braunen Augen unter den lang bewimperten, leicht gesenkten Lidern auch jetzt mit schwermütigem Ernst hervor.

Ein eben eintretender Herr wurde vom Kommerzienrat als Herr Zebosek, ein Sohn der Balkanstaaten, vorgestellt, worauf dieser mit einem sanften trüben Lächeln und ein paar müden Verbeugungen antwortete. Seine Kopfhaltung schien den Statuen des Antonius abgelauscht, und auch in weicher Formenschönheit erinnerten Gesicht und Figur daran. Das braune, seidige, leicht gelockte Haar, die dunklen, meist nach unten blickenden Augen, der gekräuselte Schnurrbart über den vollen Lippen, alles war sanft und weich.

Der Geschäftsmann nannte die Namen der neben ihm Stehenden: »Meine Tochter, Frau de la Motte-Renée; Herr Professor de la Motte-Renée; mein Schwiegersohn, Ingenieur de la Motte-Renée, ach; den kennen Sie ja; Herr von Hofen, auch ein Kurgast in unserem Bad wie Sie; Herr Burkhardt, Ingenieur in meiner Fabrik.« Während er aus dem voll tönenden französischen Adelsnamen de la Motte-Renée mit einem gewissen Behagen verweilte und ihn möglichst oft nannte, glitt er über den des Ingenieurs Burkhardt mit leichter Nichtachtung hinweg, als ob er sagen wollte: »Mein Untergebener, kein besonders wichtiger Mensch.« Nur zwei Personen gaben auf diese seine Nuance des Tons acht. Martha war eine von ihnen. Sie wandte bei den Worten des Vaters den Kopf nach Burkhardt hin und sah mit einem sonderbar gemischten Ausdruck in sein finsteres Gesicht. Bitte, Frage, Forschen waren zugleich darin. Ablehnung und Vertrauen schienen sich in ihm zu bekämpfen. Mit weit geöffneten Augen trank Burkhardt ihren Blick, doch kam kein Lächeln oder sonst eine Spur von Weichheit in seine düsteren Züge. Seine kraftvoll untersetzte, prächtig muskulöse Figur, die, der herkömmlichen Gesellschaftstracht widerstrebend, nach einer anderen, stilvollen Kleidung zu verlangen schien, trug einen Kopf, der mit seinen vollen, ausgeworfenen Lippen unter dem schwarzen Schnurrbart und mit seinem dichten, gleichfarbige, leicht gekrausten Haar einen Anklang ans Negroide hatte. Das Weiß in seinen Augen trat neben den dunklen, brennenden Pupillen stark hervor.

Außer Martha war es noch Herr von Hofen, der den Ton in Helbigs Worten bemerkte. Mit einem leichten, maliziösen Zucken um seinen Mund und einem raschen, spöttischen Blick auf den Kommerzienrat schien er ein Selbstgespräch ohne vernehmliche Worte zu begleiten. Sein Lächeln hätte sich vermutlich noch verstärkt, wenn er gehört hätte, was der Kommerzienrat eben dem Herrn Zebosek zuflüsterte: »Der Professor de la Motte-Renée, und mit ihm natürlich auch mein Schwiegersohn, stammt von sehr altem französischen Adel, eine Emigrantenfamilie, die Vorfahren waren mit Ludwig dem Vierzehnten verwandt.«

»Kann man gut sehen«, erwiderte der sanfte, müde Herr Zebosek in gebrochenem Deutsch und mit einem dunklen slawischen Akzent. »Sind Erscheinungen beide … sehr vornehm!«

Die Tür hatte sich wieder geöffnet, und ein letzter verspäteter Gast erschien. Es war ein Mann von kaum dreißig Jahren, aber hager und verlebt, mit grauer Gesichtsfarbe. Was dem Körper an Frische fehlte, schien jedoch ein starker, selbstbewusster Wille vollauf zu ersetzen. In der festen und sicheren Art schon, die der Herr beim Durchschreiten der geringen Entfernung von der Tür zum Hausherrn zeigte, lag ein anspruchsvolles Betonen der eigenen Persönlichkeit, als ob er sagen wollte: »Hier bin ich, macht mit Platz!«

Der Kommerzienrat wendete sich mit ganz besonderer Liebenswürdigkeit ihm zu. »Na, mein lieber Ebisberg, da sind Sie ja endlich. Je später der Abend, um so schöner die Gäste.«

»Ich muss um Entschuldigung bitten«, erwiderte der Angeredete mit nachlässig hochmütigem Ton. »Sie wissen ja, die Geschäfte. Mein Vater telegraphierte mir, als der Wagen schon vor der Tür stand. Ich musste das erst erledigen.«

»Aber natürlich. Wie geht’s denn Ihrem Herrn Papa, meinem lieben, alten Geschäftsfreund?«

»Gut, ich danke. Darf ich bitten, mich vorzustellen?«

»Ja, ja, gewiss. Die meisten von den Herrschaften werden Sie von Ihrer früheren Tätigkeit hier bei mir in der Fabrik schon kennen. Nur Herrn Professor de la Motte wohl noch nicht, den Vater meines Schwiegersohnes, und hier Herrn von Hofen. Herrn Zebosek, ich führe Sie nachher noch zu den anderen Herrschaften.«

Ebisberg machte seine Verbeugungen mit einer kurzen, knappen scheinbar widerwilligen Kopfbewegung.

»Er trat mit einem großen Schritt und einem gemurmelten Gnädige Frau, zu Martha, vor der er sich etwas tiefer, aber ebenso knapp verbeugte, um ihr die Hand zu küssen. Als er den Kopf hob, fiel sein Blick auf den Ingenieur Burkhardt. Ein ganz leises Lächeln glitt über sein hageres Gesicht. »Ah, der Herr Burkhardt. Wir kennen uns ja auch.«

»Ja, wir kennen uns.« Die gesellschaftliche Phrase verwandelte sich merkwürdig in Burkhardts Mund. Sie gewann einen feindlichen, drohenden Klang, und in seinen Augen erschien ein gleich drohendes Leuchten. Dabei richteten sich seine Blicke fest und unverwandt auf eine Stelle von Ebisbergs Gesicht, wo sich dicht unter dem Haar auf der Stirn eine tiefe Narbe deutlich abzeichnete. Und Ebisberg schien den Blick zu fühlen.

Er lachte kurz auf, sein Lachen war hart wie seine Stimme, wandte sich ab und begann ein Gespräch mit Helbig, der die kurze Szene kaum bemerkt hatte. Doch wurden sie bald unterbrochen. Der Diener trat herein und flüsterte dem Kommerzienrat eine Meldung zu, worauf dieser mit erhobener Stimme weithin schallend in den Gesellschaftsraum hineinrief: »Darf ich bitten, meine Herrschaften? Wir wollen jetzt einen Löffel Suppe essen.«

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