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Spiegelberg Eins

Spiegelberg-EinsChristiane Gemmer, Alfred Berger
Spiegelberg Eins

Anthologie, Taschenbuch, Privatdruck, Spiegelberg, April 2014, limitiert auf 125 Exemplare, 100 Seiten, 7,90 Euro, keine ISBN, Coverfoto von Christiane Gemmer, Covergestaltung: Christian Wußmann
SpiegelbergReihe

»Widerstrebend gestand sich Arthur ein, dass er noch nie eine Komposition gesehen hatte, die sein wiederkehrendes Motiv der Unschuld so vollkommen darstellte. Nicht einmal Ricarda, seine Muse und Lieblingsmodell konnte unschuldiger aussehen. […] niemals hatte annähernd so gewirkt, wie die fremde Frau, die ein Unbekannter hier abgelegt hatte. Wer war sie? Wer hatte sie hier abgelegt? Ob sie ähnlich gewirkt hatte, als sie noch lebte?«

(Alfred Berger – Eisblume)

Wurmkur (Christiane Gemmer)

Elisa ist frischgebackene Besitzerin eines zwangsversteigerten Bauernanwesens bei Spiegelberg. Ihr schwebt vor, dort ein Hotel für Vegetarier und Veganer aufzubauen, ein ehrliches Leben. Doch Silas, der sich vor Jahren bei ihr eingenistet hat, überzeugt sie davon, dass ihr Traum ein Flop werden muss und sie stattdessen lieber ihren neuen Nachbarn ausnehmen soll. Ein Plan, der mit einem Toten endet. So beschließt Elisa, Silas loszuwerden.

Füchse fressen doch keine toten Katzen! (Alfred Berger)

Während er akribisch das Essen zubereitet, erinnert sich Ole an die Vorbereitungen zu diesem Festmahl. An die Beobachtung, die Verfolgung und schließlich die Überwältigung dieser speziellen Katze. In der Bahn hatte sie ihn sogar angesprochen.

Jagddruck (Christiane Gemmer)

Drei Jahre dauerte die Jagd auf diese spezielle Bache bisher. Intelligent, verschlagen und nur darauf aus, ihn zu reizen. Wie die dämliche Schlampe mit ihrem »Mitleidsdate«. Er hatte ihr gezeigt, was er von ihrem Mitleid hielt, nachdem sie ihn so scharf gemacht hat. Entsorgt hat er sie in dem Waldgebiet, wo später die Bache aufgetaucht ist. Die Bache mit ihren verfluchten blauen Augen.

Video! (Alfred Berger)

Es sensationeller Dokumentenfund ruft die Spezialisten für altertümliche Schriften und Codes, Ralf Renke und Maria Bracke, auf den Plan. Die Aufzeichnungen stammen von einem Zimmermann, der 1612 nach zweifacher Vergewaltigung und des zweifachen Mordes angeklagt und hingerichtet wurde. Tatsächlich sieht es nach der Entschlüsselung der ersten Textstellen so aus, als wäre der überführte Mörder auch hellsichtig gewesen.

Nachtläufer (Christiane Gemmer)

Bei ihrer abendlichen Laufrunde wird Rita Zeuge, wie ein erwachsener Mann ein kleines Mädchen überfällt. Es gelingt ihr, den Angreifer auszuschalten, doch die weit größere Gefahr geht von dem Mädchen aus.

Spring (Alfred Berger)

Sabrina ist eine Springerin. Sie ergreift von Menschen Besitz, nistet sich in ihren Körpern ein und kann durch Hautkontakt sogar in andere Menschen wechseln.

Gerade hat sie im Körper des fetten Vincent Voss eine Drogennutte aufgerissen, da wechselt sie in den Körper der Kleinen, um sich einen Schuss zu setzen. Doch der Stoff, den sie für Heroin gehalten hat, schlägt sie völlig aus der Bahn und sie ist unfähig, überhaupt irgendetwas zu tun, als plötzlich die Polizei durch die Wohnungstür kommt.

Schonkost (Christiane Gemmer)

Elise und Käthe, zwei Rentnerinnen, die inzwischen ihre Männer überlebt haben, teilen sich nicht nur eine gemeinsame Wohnung, sie sorgen auch sonst füreinander. Körperlich und finanziell eingeschränkt in dieser immer  feindlich werdenden Umwelt. Und das nach den vielen entbehrungsreichen Jahren, die sie schon durchmachen mussten. Doch Entbehrung macht auch erfinderisch und ein anonymes Umfeld bietet gänzlich neue Möglichkeiten der Lebensmittelbeschaffung.

Eisblume (Alfred Berger)

Durch Zufall entdeckt der Maler Arthur Wolf bei der Motivsuche im Schnee eine weibliche Leiche. Statt sofort die Polizei zu rufen, ist seine innere Stimme seiner Inspiration lauter und bewegt ihn dazu, dieses fantastische Motiv zuerst in einem Gemälde zu verewigen. Doch sein Modell wird entdeckt, bevor er das Bild beenden kann. Könnte er nachhelfen, nochmals ein solches Motiv zu erschaffen?

»Die hatte wirklich traumhaft blaue Augen. Der Rest von ihr war auch nicht schlecht. Aber nicht sehr belastbar. Nach drei Stunden war sie am Ende. Oder schon früher? Ich war damals nicht wirklich in der Verfassung, das zu beurteilen. Als ich fertig war, bewegte sie sich nicht mehr.«

(Christiane Gemmer – Jagddruck)

Mit Spiegelberg eins starten das Autorenduo Christiane Tia Gemmer und Alfred Berger ein gemeinsames Anthologie-Projekt, das nach ihrem Wohnort, der schwäbischen Gemeinde Spiegelberg, benannt ist. Diese liefert auch vornehmlich den gemeinsamen örtlichen Rahmen der Erzählungen. Eine Art Regional-Phantastik-Sammlung also, die in Eigenregie erscheint und auch nur über die Autoren zu beziehen ist, inklusive Abo-Möglichkeit. Zwei 100seitige Bände pro Jahr lautet das ambitionierte Ziel der beiden Spiegelberger. Da man heuer, Anfang 2016, bereits auf vier reguläre Ausgaben, einen Kurzroman und einen gebundenen Sammelband mit den Ausgaben 1-3 zurückblicken kann, kann man dieses Ziel als erreicht betrachten.

Die Geschichten in Spiegelberg eins erweisen sich überwiegend dem modernen, psychologischen Horror verpflichtet, der noch nicht einmal unbedingt auf übernatürliche Elemente angewiesen ist. Meist sind es die inneren Dämonen und Zwänge, die die Kontrolle über die Protagnisten übernehmen und sie zu ihren Taten treiben. Dass beide Autoren gerne aus der Perspektive dieser Täter erzählen, verstärkt die Wirkung der Geschichten noch und vermittelt beim Leser ein umso größeres Schaudern.

Dabei beginnen die Geschichten meist recht harmlos, wiegen den Leser im Betulich-Vertrauten, um dann nach und nach auf fremdartige und widernatürliche Wege einzubiegen. Doch hier ist es natürlich längst zu spät, die Lektüre abzubrechen und man muss diesem unbequemen Weg bis zum bitteren Ende folgen. Vor allem Tia Gemmer erweist sich hier als talentierte Architektin des finalen Schockmoments. Überdies sind die Geschichten dankenswert knapp formuliert und kommen ohne überflüssiges Fett auf den Rippen aus.

Übersinnliche Elemente gibt es natürlich auch, wie etwa einen Fluch, der über Jahrhunderte seine Opfer findet (Video!) oder eine junge Frau, die sich per Gedankenkraft von einem Körper zum anderen teleportieren kann (Spring).

Auch für das Covermotiv blieben die Autoren in der Region. Das abgebildete Tor »steht im Wald an einer kleinen Anhöhe und führt ins Nichts. Das heißt, dahinter ist nur Wald, kein Haus, kein Garten – nur Wildnis.« (Quelle: Spiegelberg Facebookseite)

Jeder Band kommt außerdem nummeriert und von beiden Autoren signiert ins Haus. Kollegiale Grüße senden die beiden außerdem an Vincent Voss und Arthur Gordon Wolf, die sie mal flugs zu Protagonisten in zwei ihrer Geschichten gemacht haben.

Fazit:
Gelungener Einstand des Privatdruckprojekts und allen Fans psychologischer Horrorgeschichten und regionaler Phantastik zu empfehlen.

(eh)

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