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Der Totenwirt und seine Galgengäste 15

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Ein Gastgelage der Gespenster

Hildebert hatte jedes Wort gehört und verstanden und dankte Gott dafür, um mit dessen Beistand ein großes Verbrechen verhindern zu können. Er sann eben nach, auf welche Weise er dies anzustellen habe, als er in der Stube rechts ein schrilles Geräusch hörte und durch die Wandritzen die matten Strahlen eines Lichts zu ihm herüberdrangen.

Durch einen solchen Ritz sah er eine geräumige Stube und darin einen langen, mit einem Leichentuch bedeckten Tisch, um welchen herum dreizehn, aus gebleichten Totenknochen zusammengefügte Stühle standen. Vier Leuchter waren auf dem Tisch. Ein jeder hatte einen Hirnschädel zur Schale, aus welcher die Hand eines Kinderskeletts mit ausgespreizten fünf entfleischten Fingern emporragte, die bläulich gelbe Flämmchen flackern ließen; zwanzig an der Zahl.

Ein Windstoß öffnete die zwei Flügel eines Fensters, durch welches nacheinander dreizehn Totengerippe von verschiedener Größe hereinklapperten und der Reihe nach auf den Stühlen Platz nahmen. Der letzte Ankömmling drehte sich am Fenster noch einmal um, als ihm ein scheußliches Gespenst grinsend einen Korb reichte und verschwand. Er stellte diesen auf den Tisch und setzte sich auf den dreizehnten Stuhl.

Die Totengerippe reichten einander die Knochenhände und nickten sich mit den leeren Totenschädeln stumme Grüße zu.

Der Junker sah dies alles mit Staunen, aber ohne Furcht. Er wusste ja, dass ihn das von Norbert erhaltene geweihte Kreuz vor jeder höllischen Macht schützte. Aber ein unerhört grässlicher Anblick war ihm noch vorbehalten, der wohl die mutigste Mannheit erschüttern konnte.

Vom Scheitel bis an die Hüften eines jeden Gerippes fing es an zu wimmeln. Haare und Fleisch wuchsen ihnen mit rastloser Eile, und bald sahen sie alle aus, wie sie im Leben gewesen waren. Aber nur einen von diesen Scheinmenschen kannte der Junker … Bastian war es!

Zwei Weibspersonen saßen auch am Tisch.

Also tot!, dachte er sich.

Da begann das in der Mitte sitzende Gespenst: »Ich grüße euch, Brüder und Schwestern! Wir sind alle am Galgen geendet. Lasst uns die wenigen Festtage benutzen, die uns vergönnt sind! Lasst uns abwechselnd mit unseren zwei Schwestern tanzen, während die anderen dazu aufspielen!«

Er stand auf und führte seine Nachbarin links zum Tanz mitten in die Stube. Bastian machte es ebenso mit der Weibsperson zu seiner Rechten, die einst im Leben ein schönes Mädchen gewesen zu sein schien.

Es war ein entsetzlicher, grauenvoller Anblick, diese Gespensterpaare, halb Menschen, halb Totengerippe, mit den Knochengestellen trippelnd und klappernd tanzen zu sehen. Die Sitzenden hatten die Speisen und Getränke, gleich der Aaskost auf dem Blocksberg, deren verschmähte Überreste sie vielleicht waren, auf dem Tisch ausgekramt und dann vom Boden des Korbs Knochen genommen, die sie als verschiedene Instrumente zum Blasen und Geigen gebrauchten.

Die furchtbaren Galgengäste des Totenwirts wechselten ab mit Tanzen und Aufspielen, setzten sich dann zu Tisch und hielten ein gemeinsames Mahl.

Nach Beendigung des Mahls sagte das vorsitzende Gespenst: »Wir sind heute zum ersten Mal hier beisammen, weil immer andere Gäste unseresgleichen wechseln, und kennen somit einander noch nicht. Lasst uns erzählen, durch welche Taten wir uns dieses Schicksal bereitet haben.«

»Ich will damit zuerst beginnen«, erwiderte die Weibsperson zu seiner Linken. »Meine Geschichte ist ganz kurz, und ihr werdet leicht einsehen, dass ich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht verschuldet habe, geköpft zu werden. Ein Kindermord, den ich begangen, war unentdeckt geblieben. Da kam ich als Wärterin zu zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, von drei und fünf Jahren, auf eine Ritterburg. Die Frau des Ritters, ein stolzes hochmütiges Weib war in ihre Kinder vernarrt, und der Ritter … in mich. Eines Tages, während der Ritter sich auf der Jagd befand, geriet ich in heftigen Streit mit ihr. Ich rannte sie an die Mauer. Da ließ sie mich durch zwei Stallknechte tüchtig peitschen. Schäumend vor Wut eilte ich gleich einer Rasenden in das Schlafgemach der beiden Kinder, riss sie aus ihren Bettchen und schleuderte sie vom Söller der Burg auf das Steinpflaster hinunter, wo sie zerschmettert liegen blieben. Ein ärgeres Leid hatte ich dem bösen Weib nicht antun können. Die Knechte schleppten mich sogleich gebunden zum Gaugericht, und schon am anderen Tag wurde ich einen Kopf kürzer gemacht.«

»Bei der Zerstörung der Burg Auffenbach«, erzählte der Vorsitzende, »war ich im Dienst des Raubritters Prokop sehr tätig. Einige gute Freunde von mir und ich dachten mehr an die Beute als an den Kampf. Wir entdeckten im Keller den vergrabenen Schatz, und da wir nicht hoffen konnten, unbemerkt ihn für uns fortzuschaffen, warfen wir ihn, ein Fass und zwei Kisten, in den anstoßenden tiefen Burgbrunnen, dass rauschend das Wasser über ihm zusammenschlug. Wir hofften, bei einer gelegenen Zeit zu den Ruinen der Burg zurückzukehren, und den ins Wasser versenkten Schatz wieder herauszufischen. Aber so gut sollte es uns nicht werden. Meine vier Kameraden, die von der Sache wussten, wurden in dem Augenblick getötet, da sie über den zu Boden geworfenen Ritter von Auffenbach und sein Weib herfielen und sie umbringen wollten, und ich wurde einige Tage später auf frischer Tat erwischt, als ich eben den Raubritter Prokop, meinen Herrn, der mich wegen eines geringen Diebstahls durchprügelte und schimpflich davonjagte, im Wald meuchlings erstochen hatte. Mein Lohn hierfür war, dass ich gerädert wurde …«

»Mein Schatz da, die Sara«, nahm Bastian das Wort, »und ich, wir hatten einen härteren Tod auszustehn. Wir beide dienten bei dem Raubritter Erhard von Kralleneck. Die Sara diente in der Küche und ich im Stall. In der Meinung, er sei fortgeritten, machten wir es uns eines Tages recht bequem in Saras Kammer und aßen und tranken, was Gutes in der Burg aufzutreiben war. Vom Teufel verleitet, dem ich mich längst schon verschrieben hatte, verabredeten wir, den Ritter Erhard und alle im Schloss, die nicht unsere Freunde waren, zu vergiften, die Burg für uns zu behalten und darin unzertrennlich in Saus und Braus zu leben.

›Ich will euch beide unzertrennlich machen‹, donnerte Ritter Erhard, der alle Worte von uns hinter einer verborgenen Tapetentür belauscht, diese zornentbrannt aufgerissen hatte und nun mit gezücktem Schwert in die Kammer sprang. Auf dessen Rufen erschienen also gleich einige bewaffnete Knechte, die auf Erhards Befehl uns um die Mitte zusammenbanden, auf einen Wagen warfen und unter Geleit des Ritters zum Gaugericht führten, bei welchem der Ritter Klage stellte, die von seinen Knechten als Zeugen bestätigt wurde. Der Teufel hatte mich verlassen, meine Frist war abgelaufen. Eine einzige Schlinge drehte sich um meinen und um den Hals der Sara, die in ihrem ganzen Leben nur drei Menschen vergiftet hatte, und so, Gesicht gegen Gesicht, wurden wir an den Galgen gehängt, ohne sogleich dadurch sterben zu können. Von Schmerz und Durst aufs Ärgste gequält, sogen wir durch Bisse das Blut einander aus den Wangen, bis wir am neunten Tag endlich verendeten …«

»Ein schmerzhafter Tod!«, bemerkte das Totengerippe neben ihm. »Du hast ihn weniger verschuldet, als die Sara.«

»Du redest also«, erwiderte Bastian, »weil du nicht alles weißt, was ich früher mit des Teufels Hilfe getan habe. Bevor ich zum Raubritter Erhard kam, diente ich in der Burg Bardenfels, wo ich mich in die schöne Hedwig, das einzige Kind des Grafen, verliebte. Sie verschmähte meinen Liebesantrag, und ich habe deshalb eine solche Rache an ihr genommen, dass sie seit länger als einem halben Jahr ihr Lager gar nicht mehr verlassen kann, und nun unaufhörlich höllische Schmerzen leiden muss. Sie muss jetzt bald einem Totengerippe gleichen.«

»Wie hast du denn dies gemacht?«

»Der Teufel, mit dem ich damals noch auf gutem Fuße stand, hat mir eine schwarze Schachtel gegeben, in welcher eine weiße Kröte lag. Diese Schachtel musste ich mitten im Boden des Standes, worin des Fräuleins Reitpferd seinen Platz hatte, drei Fuß tief vergraben. So wie Hedwig, was sie täglich tat, um ihrem lieben Zelter ein Stückchen Kuchen zu bringen, das erste Mal wieder in den Stand trat, war es um sie geschehen. Würde diese Schachtel ausgegraben und im Feuer zur Asche verbrannt, so wäre Hedwig gerettet. Daran denkt niemand in der Burg, und das Gelingen dieser Rache ist der einzige Trost für mich in meiner Verdammnis.«

Hildebert hätte laut aufjubeln mögen vor Entzücken über die Enthüllung dieses Geheimnisses der Hölle, da nun schon der nächste Tag die Rettung seiner geliebten Braut bringen musste.

»Oh, da kann ich euch von mir eine weit grässlichere Tat erzählen!«, hub das nächste Totengerippe kreischend an.

Indem erhob sich draußen hoch in der Luft ein entsetzliches Getöse, sausend, brausend, zischend, pfeifend, heulend.

»Die Heimkehr der Hexen und Teufel vom Blocksberg!«, rief das vorsitzende Totengerippe mit klappernden Kinnladen, denn augenblicklich war alles Zauberfleisch verschwunden.

»Ein Uhr! Unsere Zeit ist um! Auf, und ihnen nach!« Und alle Totengerippe erhoben sich von ihren Stühlen und humpelten dem offenen Fenster zu, durch welches sie sich hinausstürzten und dann empor schwangen.

Lichter, Tisch und Stühle verschwanden.