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Der Totenwirt und seine Galgengäste 14

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Der Teufelswirt und seine Galgengäste

Bei dem Schein der Holzfackel Gordians hatte der Junker einen schmalen Fußpfad bemerkt, der wenige Schritte hinter dem Gehöft um eine Waldecke bog.

Er schlug diesen Pfad ein, und wenige Minuten nach der Biegung desselben sah er ein ungewöhnlich großes Irrlicht aus dem festen trockenen Boden, nicht aus einem Sumpf, wie sonst, rasch aufflackern, woraus er schloss, dass es ein zauberisches Irrlicht sein müsse, jenes den Weg weisende Irrlicht, von dem ihm Norbert gesagt hatte. Erfreut, anstatt fürchtend, folgte er diesem vorangaukelnden Licht.

Hildeberts eilige Wanderung durch dick und dünn mochte etwa eine Stunde gedauert haben, als das Irrlicht plötzlich haltmachte, nur noch so lange leuchtete, bis der Junker sah, dass er vor einer Tür stand, und dann verlosch.

Er klopfte an.

Schlurfende Schritte wurden hörbar.

»Wer klopft?«

»Ein verirrter Wanderer!«

»Geht nur gleich wieder fort, es ist besser für euch!«, erwiderte eine weibliche Stimme.

»Mach auf, ich bitte dich! Ich kann nicht mehr fort!«

Innerhalb der Tür wurde ein Querbalken zurückgeschoben und die Tür geöffnet. Der Junker stand vor einem kleinen alten Weib von gutmütiger Miene, das mit brennenden Kienspänen ihm ins Gesicht leuchtete.

»Hilf Himmel!«, rief die Alte zurücktaumelnd, »gnädiger Herr Junker Hildebert, wie kommt Ihr in diese Räuber-, Mörder- und Gespensterschenke?«

»Kennst du mich?«

»Recht gut. Aber ihr kennt die alte Eva nicht, die Euch in der Küche zu Auffenbach gar oft ein Stück Braten oder Kuchen heimlich zusteckte, wenn Euch der Vater durch Hunger bestrafen wollte.«

»Ja, du bist’s, gute Eva, ich erkenne dich wieder. Wie bist denn du an diesen furchtbaren Ort gekommen?«

Die Alte horchte ängstlich zur Tür hinaus, verschloss sie, und antwortete leise: »Bei der Zerstörung von Auffenbach wurde ich gefangen und hierher geschleppt, wo ich für die Räuberbande kochen muss, und für die vielen Gefangenen in den unterirdischen Höhlen, in welchen sie bis zur Entrichtung des verlangten Lösegeldes aufbewahrt werden. Darunter befinden sich auch gewiss längst schon vermisste Ritter, Ritterfrauen und Edelfräulein, die von mehreren Raubrittern dem Totenwirt gegen Entrichtung der Verpflegungskosten geliefert wurden, um sie zur Rettung ihres Lebens freizugeben, im Fall sie auf ihren Burgen oder bei Raubzügen sollten gefangen und zum Tode verurteilt werden.«

»Schändliches Treiben! Warum bist du noch nicht entflohen, Eva?«

»Unmöglich! Ich würde den größten Qualen und dem Tod nicht entgehen. Und nun bitte ich Euch, Herr Junker, ohne Zögern wieder fortzuwandern, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Denn gegen dreißig Raubmörder werden in einer halben Stunde heimkehren, und um Mitternacht in der großen Stube oben, da heute die Walpurgisnacht ist, schreckliche Gespenster eine Zusammenkunft halten.«

»Desto besser, Eva! Ich will den verborgenen Zuschauer machen.«

»Um Gottes willen, Herr Junker, tut dies nicht! Ihr wäret verloren!«

»Kümmere dich nicht, Alte, sondern führe mich an einen sicheren Ort, wo ich alles sehen und hören kann. Du wirst eine große Belohnung dafür erhalten.«

»Auch meine Befreiung aus dieser Mörder- und Gespensterhöhle?«

»Ja, ich gelobe sie dir.«

»Wohlan, so folgt mir, Herr Junker! Ich will Euch in eine schmale Kammer führen, zwischen der Gespenster- und der Raubmörderstube, worin ihr hinter aufgetürmten Heu, was in beiden geschieht, deutlich hören, und durch die Ritzen der Bretterwände unbemerkt sehen könnt. Aber sputet Euch, denn jeden Augenblick muss die teuflische Sippschaft eintreffen.«

Wenige Stufen führten dahin empor, und kaum hatte Eva die Tür ins Schloss gezogen, und Hildebert sich ein günstiges Plätzchen zurecht gerichtet, als sich draußen vor der Schenke ein wilder Lärm erhob und an das Tor der Waldschenke mit heftigen Schlägen gedonnert wurde.

Eva schloss eilig auf.

»Ist Essen und Trinken in Bereitschaft?«, fragte eine kreischende Stimme.

»Ja, Herr Totenwirt.«

»Die Gefangenen hinunter in die Höhlen!«, fuhr dieser fort. »Am nächsten Sonntag wird frische Ware kommen. Dann werde ich über die alten Gefangenen, für die kein Lösegeld mehr zu hoffen ist, Musterung halten, und die überflüssigen und entbehrlichen schlachten und einsalzen lassen, damit die Bären und Wölfe des Waldes nicht aus Mangel an Fraß elendig verkümmern müssen.«

Die ganze Rotte, aus 28 Mann bestehend, stürmte in ihre Stube hinauf, wo sie wie gierige Bestien über ihr Futter herfielen.

Hildebert übersah durch die Ritzen der hölzernen Wand die ganze Stube, die durch eine große Lampe erhellt war, an der Decke mit einem Strick befestigt.

»Wie steht’s mit dem großen Fang am nächsten Sonnabend, Totenwirt, den du uns versprochen hast?«, fragte ein wilder, stämmiger Kerl, gegen jenen sich wendend, der oben am Tisch saß.

Die Antwort des Totenwirts, eines überlangen dürren Bösewichts mit kahlem Schädel, grauen, buschigen Augenbrauen, einer langen Habichtsnase, breitem Mund und einwärts gestülpten Ohren, lautete: »Die Braut des Kaisers ist auf dem Weg, um nach Regensburg zur feierlichen Vermählung gebracht zu werden. Sie ist von 20 Rittern und 60 Söldnern begleitet, und ihr überaus reicher Brautschatz wird in vielen Kisten mitgeführt. Als Wegweiser durch den Thüringer Wald ist in Flandern ein stattlicher fremder Ritter ausgenommen worden, der sich mit der Bemerkung dazu erboten hat, dass er dort alle Wege und Stege kennt. Dieser Ritter ist aber kein anderen als unser bester Freund, der Teufel, der dem Raubritter Erhard von Kralleneck eingespien hat, dass sich da für ihn ein recht gutes Geschäft machen lasse.

Ritter Erhard ließ mich kommen. Ich traf dort noch vier andere Raubritter, mit denen er sich zu diesem Fang verbunden hatte. Wir überlegen, wie man die Sache angehen müsse, und ich musste versprechen, gegen eine sehr gute Belohnung mit meinen Leuten daran teilzunehmen. Ich sagte zu, fasste aber sogleich den Vorsatz, dass wir das Beste von der Beute für uns behalten, denn die versprochene Belohnung würde schundig genug ausfallen.«

»Einverstanden!«, sagte der stämmige Kerl mit einem wilden Gelächter. »Aber noch weiß ich nicht, was wir dabei zu tun haben?«

»Der teuflische Wegweiser wird den ganzen Zug am nächsten Sonnabend nachts um 10 Uhr in den Luchsenhohlweg bei Merlstetten führen, wo der Wald am grausigsten ist. Sobald der Zug in der Mitte dieses Weges ist, den rechts und links hohe steile Wände umgeben, wird er von den Raubrittern und ihren Reisigen und Knechten vorn, und von uns, die wir gewiss mehr als 150 Mann zählen, von hinten angegriffen. Während die tapferen Ritter miteinander kämpfen, dringen wir in die Mitte vor, wo die Kaiserbraut mit ihren Schätzen sich befindet, rauben die Braut und die Schätze, und machen uns auf und davon, alles für uns selbst behaltend. Dem Erhard aber sag’ ich jammernd, dass er uns im Stich gelassen habe, und wir alle nach dem hartnäckigsten Widerstand die Flucht ergreifen mussten.«

»Wahrlich, du bist ein schlauer Fuchs, Totenwirt! Aber wenn der Erhard fragt, wohin denn die Schätze kamen und die Kaiserbraut?«

»Ei, dann antworte ich, dass sie ohne Zweifel von seinen Freunden, den anderen Raubrittern gestohlen wurden, die ihn um die Beute betrügen wollten, schwöre ihm auch, und ihr werdet mit mir das Gleiche tun, dass ich einen Raubritter mit geschlossenem Visier davon sprengen sah, der eine kostbar gekleidete und in lange Schleier gehüllte Dame vor sich im Sattel hatte.«

»Ah, es ist für alles gesorgt!«

»So, und nun trinkt aus, und schlaft ein paar Stunden! Dann heißt es auf und fort, um unsere Kameraden überall aufzusuchen und sie von dem einträglichen Raubzug in Kenntnis zu setzen.«

Eine Viertelstunde später wurde die Lampe ausgelöscht, und bald schnarchten die Mordgesellen auf dem an den Wänden aufgeschichteten Stroh.