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Tanja Meurer – Rauhnacht

RauhnachtTanja Meurer
Rauhnacht
Ein Anabelle-Talleyrand-Roman

Steampunk, Novelle, E-Book, Kindle Edition, Weltenschmiede Verlag, Hamburg, November 2014, 162 Seiten, 4,99 Euro, ISBN: 9783944504278

London, Hyde Park, Winter 1876: Mademoiselle Anabelle Talleyrand und Madame Zaida, zwei – sehr spezielle – Detektivinnen der englischen Krone, werden von Scotland Yard Inspector Arthur Hailey zu einem weiblichen Leichenfund gerufen.

Während der Untersuchung der Toten kommt es zu einem Angriff einer Monstrosität aus Schnee und Eis, einem Winterwesen, dessen sich die beiden Ermittlerinnen nur mit Hilfe von Magie erwehren können.

Es stellt sich die Frage, ob dieser Naturgeist für den enormen Temperatursturz in London verantwortlich ist. Nutzt dieses Wesen eventuell die Besonderheit der Raunächte für seine Zwecke?

Als Anabelle Talleyrand und Madame Zaida in die Leichenhalle des Yards gerufen werden, bietet sich ihnen ein Bild des Grauens. Die vermeintlich Tote ist zum Leben erwacht und hat unter den Ärzten ein Blutbad angerichtet. Die Wiedergängerin kann als Madame Jewa Petrowna identifiziert werden, eine russische Gräfin, die von dem Wintergeist, der sich von menschlicher Wärme nährt, als Wirt benutzt wurde.

Snegurotschka, die Tochter von Väterchen Frost, befindet sich in London und ist auf der Suche nach einem neuen Körper.

Doch wie soll man einem solchen mythischen Wesen beikommen? Die beiden Freundinnen entwickeln einen Plan, bei dem Anabelles besondere Physis sowie Zaidas dunkles Geheimnis ganz entscheidende Rollen spielen werden. Rüstzeug für eine Konfrontation, die am Heiligen Abend ihren Höhepunkt finden wird.

Mit Rauhnacht taucht der Leser in einen ungewöhnlichen, von Autorin Tanja Meurer kreierten Kosmos ein, der Elemente von Steampunk, Krimi, Mystery und Horror auf sehr unterhaltsame und spannende Weise miteinander verwebt.

Der Rezipient lernt Anabelle Talleyrand kennen, die einst von ihrer Schwester ermordet wurde und deren Seele nun in einem 240 Pfund schweren Maschinenkörper existiert.

Ermöglicht hat dies die Jahrhunderte alte angolanische Magierin Madame Zaida, die von ihren beseelten und sprechenden Raben Songa und Manikongo begleitet wird.

Die beiden Frauen sind aber nicht nur Gefährtinnen im Kampf gegen das Übersinnliche, sondern ein Paar, welches sich die bedingungslose Liebe geschworen hat, die sie jenseits jeglicher Konventionen leben.

Der Leser ist hautnah in das Geschehen involviert, lässt die Autorin ihn doch explizit an den Gedanken Anabelles teilhaben. Eine Handlung, die mit einem klassischen Who done it?-Thema beginnt, aber ganz schnell das bekannte Krimi-Terrain verlässt, um sich mit heidnischer Mystik und russischen Mythen zu befassen. Das Steampunk-Element wird in Form des Konstrukts von Anabelles Maschinenkörper bedient.

Das Setting ist stimmig, Queen Victoria regiert das Vereinigte Königreich.

Als titelgebende Rauhnacht oder besser Raunächte (hier findet man unterschiedliche Schreibweisen im Text wie auch in Sachbüchern) werden in der vorliegenden Novelle die 12 Nächte vom 21. Dezember bis 01. Januar bezeichnet. Grundsätzlich eine mythische Zeit, zu der die Schleier zwischen den Welten für andere Ebenen der Wirklichkeit durchlässiger werden. Je nachdem, welcher Quellen bzw. welchen vorchristlichen Kalendern man sich bedient, werden abweichend auch die Nächte vom 25. Dezember bis 06. Januar benannt.

Die Geschichte lebt aber nicht nur vom Mysteriösen und Übernatürlichen, sondern auch von den zwischenmenschlichen Tönen und großen Gefühlen wie eben Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Treue und Lust. Gerade Letztere sorgt für die erotische Komponente des Textes, ohne jedoch dabei voyeuristisch zu wirken.

Die Autorin befleißigt sich eines sehr flüssigen Schreibstils, der gekonnt Spannung aufbaut, konsequent auf das Finale zusteuert und ein kurzweiliges Lesevergnügen bereitet.

Auffällig ist die hohe Literaturaffinität Tanja Meurers, die im Text häufiger auf bemerkenswerte und stilprägende Autoren wie J. F. Cooper, E. A. Poe, Wilkie Collins, Charles Dickens, John Polidori und Sheridan Le Fanu verweist. Dem Kenner klassischer Schauerliteratur werden diese Namen ganz sicher vertraut sein.

Aber auch in den Namen diverser Charaktere finden sich Anspielungen auf Literaturschaffende. So heißt die Schwester von Anabelle mit Vornamen Anais, ebenso wie die amerikanische Schriftstellerin Anais Nin, die durch ihre Tagebücher, Romane und erotischen Erzählungen bekannt wurde. Scotland Yard Inspector Arthur Hailey ist wohl nach dem gleichnamigen britisch-kanadischen Schriftsteller benannt.

Nach der Lektüre von Rauhnacht möchte man unbedingt mehr erfahren von Mademoiselle Anabelle und Madame Zaida, ihrem ersten Zusammentreffen, den beiden Raben und vor allem weiteren Fällen der beiden außergewöhnlichen Detektivinnen. Allein der vorliegende Text birgt in seinen Querverweisen genügend Ideen und Ansatzpunkte für eine Vielzahl von Geschichten aus dem Leben dieser beiden starken Frauenfiguren.

(sb)