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Der Totenwirt und seine Galgengäste 12

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Ein nächtlicher Gast

In diesem Augenblick ertönte der laute Schlag des Klopfers an dem mit Eisen beschlagenen, inwendig mit zwei eisernen Balken verriegelten Tor des Gehöfts. Gleichzeitig stürzten die vier Bärenfänger mit grässlichem Geheul dem Tor zu.

»Heilige Maria!«, jammerte die Hausfrau, »der böse Feind begehrt Einlass! Beschütze uns!«

»Sei ruhig«, entgegnete Gordian, »und fürchte dich nicht! Wenn der böse Feind Macht über uns hätte, brauchte er gewiss nicht Einlass zu begehren. Ein verirrter Wanderer wird es vielleicht sein, und die christliche Nächstenliebe fordern, dass ich ihn beherberge.« Er zündete eine Holzfackel an, denn finstere Wolken hatten sich wieder vor den Mond geschoben.

Es klopfte wieder und heftiger.

»Nur Geduld!«, sagte Gordian, welchen Trost der Klopfende natürlich nicht hören konnte.

Gefolgt von seinem Sohn und den vier Gesellen, alle zur Vorsicht mit kurzen eisernen Stangen bewaffnet, schritt Gordian durch die Haustür in den Hofraum, gebot den Hunden Ruhe, die sogleich verstummten, und rief am Tor mit lauter Stimme: »Wer klopft?«

»Junker Hildebert!«, antwortete die dem Obermeister wohlbekannte Stimme.

Die eisernen Querbalken wurden hastig zurückgeschoben, das Tor angelweit geöffnet, und der Junker ritt mit den Worten Gott zum Gruß! in den Hofraum und schwang sich aus dem Sattel.

»Welches Glück und welche Freude bereitet Ihr uns durch Eure Einkehr, Herr Junker! He da, Frau, Töchter und Mägde, eilt heraus, der Herr Junker Hildebert ist zu uns gekommen!«

Schnell umgaben die Gerufenen den Junker und fanden nicht Worte genug, ihre Freude über seine Einkehr auszudrücken.

»Ihr habt Euch gewiss verirrt, Herr Junker?«, fragte der Obermeister.

»Nein, Gordian, ich bin mit Absicht zu dir gekommen. Lass meinem Ross Sattel und Zaum abnehmen, eine Decke über ihn breiten, im Hofraum ihn auf- und abführen, damit er sich langsam abkühlt, und ihn dann tränken und gut füttern! Ich weiß wahrhaftig nicht, wer größeren Hunger und Durst hat, ich oder mein lang gehetzter Renner.«

»Auf, schnell in die Küche, Martha und Töchter! Weibsvolk, rühr dich, und decke den Tisch für den Herrn Junker! Christoph, fort in den Keller! Füll den großen Festkrug mit dem alten Nierensteiner aus dem Vaterfässl! Sollst schon wieder zurück sein! Ist das ein Kreuz mit langsamen Leuten!«

»Nur Geduld, Gordian, es hat ja keine so große Eile, und zaubern können sie doch auch nicht.«

»Gottlob, Herr Junker, dass sie nicht zaubern können, ja Gottlob! Aber verzeiht, Herr Junker, dass mir mein Kopf wirbelt vor Freude, Euch beherbergen zu dürfen, und dass ich Euch so lange da stehen lasse, anstatt Euch zu bitten, in meine Kammer zu treten, die freilich nicht danach aussieht, einen so vornehmen Gast zu empfangen.«

»Ohne viele Umstände, Gordian! Ich lege auf alles Äußerliche keinen Wert! Lass uns hineingehen.«

Er hing sich an den Arm seines dadurch hochbeglückten Wirts, und beide gingen in die Kammer, wo der Tisch bereits für den Junker mit blendend weißem Linnen gedeckt war.

Nach einem kurzen Gespräch zwischen beiden über den Gang der Arbeiten in den Hammerwerken brachten Martha und ihre zwei Töchter weiche Eier, kalten Rehbraten und Kuchen. Der Wein, den sich der Junker wacker munden ließ, stand schon lange auf dem Tisch.

»Nehmt einstweilen fürlieb, Herr Junker«, sagte die Hausfrau. »Gebratene Hühner werden später nachfolgen. Sie brauchen einige Zeit, wie ihr wisst.«

»Gib dir keine Mühe mehr, Obermeisterin«, erwiderte Hildebert; »um satt zu werden, brauche ich nicht die Hälfte dessen, was du mir so gastfreundlich da aufgetischt hast, dann …«

»Ja, dann werdet Ihr es Euch bequem machen, Herr Junker«, fuhr sie fort, »und im Kämmerlein neben der Küche, in welchem ich für so vornehme bei mir übernachtende Herren immer ein gutes Lotterbettlein bereithalte, einen erquickenden Schlaf tun bis an den hellen Morgen.«

»Ja, so wird es der Herr Junker machen«, fügte Gordian bei.

»Da irrst du dich, lieber Obermeister Gordian. Ich werde noch einen Becher Wein trinken auf dein und deiner Familie Wohlsein, und dann … zu Fuß tiefer in den Wald hinein gehen.«

»Um Gott, Herr Junker, tut dies nicht, tut es nicht in dieser Gespensternacht, in diesem unheimlichen Wald, der heute wirklich wieder ein Tummelplatz der bösen Geister ist!«

»Sei ohne Sorge, guter Gordian! Es wird mir nichts geschehen, und zum Unterpfand dieser Versicherung lasse ich dir mein Ross zurück, das ich Morgen nach Anbruch des Tages wieder zur Heimkehr besteigen werde.«

»Ist es denn so dringend, dass Ihr noch in dieser Nacht in den Wald aufbrechen müsst, Herr Junker?«

»Ja.«

»So nehmt zwei Gesellen und zwei Bärenfänger mit zu Eurem Schutz!«

»Ich ziehe fort mit Gott, und bedarf keines anderen Schutzes«, versetze der Junker, »doch danke ich dir für dein Anerbieten. Auf das Wohl Gordians und der seinen leere ich diesen Becher.«

»Dann tausend Dank für diese Ehre.«

»Auch ich danke für die gute und freundliche Bewirtung. Lebt wohl, auf baldiges Wiedersehen.«

Gordian zündete wieder eine Holzfackel an. Alle schickten sich an, den Junker bis zum Tor zu geleiten.

Dieser aber sagte: »Gordian allein soll mir hinausleuchten.«

Im Hofraum flüsterte ihm der Junker zu, was ihm der Einsiedler Norbert aufgetragen hatte.

»Soll alles pünktlich geschehen, Herr Junker, verlasst euch darauf! Es zuckt schon lange in meinen Fäusten, die gar gerne wieder einmal auf Stahl und Eisen schlagen möchten, wenn Fleisch und Blut, dahinter stecken.«

»Näheres weiß ich noch nicht. Vielleicht kann ich dir Morgen mehr sagen, wenn ich wiederkomme.«

Mit einem Händedruck schied der Junker von Gordian, zog sein blitzendes Schwert und eilte durch das geöffnete Tor mutig in den schauerlichen finsteren Wald hinaus. Bald verschwand er vor den Augen des Obermeisters, der ihm ängstlich nachstarrte, und als er das Tor wieder verrammelt hatte, seufzte er wehmütig.