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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Totenhand – Teil 13

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand
Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Erster Band
Kapitel 13 – Der vorgebliche Sekretär des Grafen von Monte Christo

Dieser unerwartete Besucher war kein anderer als Peppino, welcher Maestro Pastrini hatte sagen hören, der Sekretär des Grafen von Monte Christo sei in Rom, und der nun in aller Eile zu dem Baron gelaufen kam und von demselben einige neue Nachrichten in dieser Hinsicht einzuziehen. Denn wie wir bereits erwähnten, zollten die Banditen Vampas dem Grafen eine Art von religiöser Verehrung, die sie bis zum Fanatismus trieben.

Danglars befand sich jetzt in der schwierigsten Lage von der Welt und zitterte bei dem Gedanken, sich derselben nicht mit Ehren entziehen zu können.

Peppino kam langsam die Treppe herauf und trat in das Zimmer, aber er geriet in einige Verlegenheit, als er sich einem Fremden gegenüber erblickte.

Danglars warf ihm einen bedeutungsvollen und bittenden Blick zu, der sich etwa so übersetzen ließ: »Seien Sie vorsichtig! Stellen Sie mich nicht bloß!«

Benedetto war über den Anblick Peppinos, dessen Anzug einen Menschen bezeichnete, dem man dreist den Vorschlag machen konnte, Geld zu verdienen, sehr erfreut, denn er dachte sogleich, dass er in ihm einen Boten zur Überbringung seines Briefes gefunden hätte.

Er trat daher ohne Zögern auf ihn zu und sagte: » Amico, wäret Ihr wohl so gut, einen kleinen Auftrag zu übernehmen?«

»Che cosa?«, fragte Peppino, dessen Augen sich wie instinktmäßig auf ihn richteten.

»Einen Brief«, erwiderte Benedetto, indem er mit stoischer Gleichgültigkeit den forschenden Blick des Banditen aushielt. »Einen Brief, der noch heute in dem Hotel Zur Erdkugel, Via del Corso, abgegeben werden muss.«

»An wen, Signor?«

Danglars machte eine hastige Bewegung, aber Benedetto antwortete ohne das geringste Zögern.

»An die Baronin von Danglars. Ihr müsst ihn zu eigenen Händen in dem Hotel übergeben, wo sie die Zimmer Nr. 2, 3 und 4 im ersten Stock bewohnt, und habt nicht eher nachzulassen, als bis sie ihn annimmt.«

»Ich mache nicht die geringste Schwierigkeit, hinzugehen, aber wenn man mich ausfragt, wer mich schickt?«

»Dann antwortet Ihr ganz einfach: der Sekretär des Grafen von Monte Christo.«

Es wäre ganz unmöglich, die tausend verschiedenen Empfindungen zu beschreiben, welche die Physiognomie des Banditen aussprach, als er diese Worte vernahm. Er trat zurück, als würde er durch ein Gefühl unbesieglicher Achtung gestoßen. Aber er zitterte unwillkürlich und wurde blass, als ob der Name, der sein Ohr getroffen hatte, in ihm eine finstere Rückerinnerung erweckte. Dann sah er auf Danglars mit jenem forschenden Blick, der ihn charakterisierte. Endlich richtete er seine Augen wieder auf Benedetto, welcher vollkommen gleichgültig blieb.

»Verzeihung, Signor«, sagte er endlich. »Sie kennen den, von dem Sie sprachen?«

»Den Sekretär oder den Grafen?«, fragte Benedetto.

»Den einen wie den andern.«

»Ich kenne sie beide, denn einer von ihnen bin ich.«

»So sind Sie also der Sekretär des Herrn Grafen?«

»Es scheint mir, als hätte ich Euch schon genug gesagt, um in dieser Beziehung nichts weiter hinzufügen zu müssen. Ein Wort indes noch, Freund. Der Eifer, mit dem ihr diese Fragen an mich richtet, lässt mich vermuten, dass Ihr meinen Herrn kennt?«

Peppino senkte den Kopf.

»Ihr habt ihm vielleicht schon gedient?«

»Ach«, entgegnete der Bandit, »es waren Seine Exzellenz, welche die Gnade hatte, uns zu dienen.«

»Euch zu dienen? Oho! Dieses uns sagt viel, mein Freund, und erweckt in mir das Verlangen, Euch zu gelegenerer Zeit wieder zu sprechen.«

»Ich stehe zu Ihrem Befehl, Signor. Indes scheint es mir, als müssten Sie ein Erkennungszeichen haben.«

»Ich habe es auch.«

»Dann also?«

»Mein lieber Baron«, sagte Benedetto zu Danglars, »erweisen Sie mir die Gefälligkeit, mich mit diesem Menschen allein zu lassen.«

Der Baron ging in das angrenzende Gemach.

»Ihr wisst ohne Zweifel«, sagte Benedetto, »was für eine Art von Mensch der Graf ist?«

»O, er ist ein außergewöhnlicher Mensch.«

»Wie man an dem Zeichen erkennen kann, welches ihm den Weg angibt, den er zu verfolgen hat, und das seine Bestimmung in der Welt dartut, durch die er glänzend wie ein Sonnenstrahl hinschreitet. Seht!« Bei diesen Worten öffnete er das Kästchen, und der Bandit taumelte voll Entsetzen zurück.

Peppino schlug die Hände vor die Augen und murmelte: »Die Hand eines Toten!«

Benedetto verschloss augenblicklich wieder die berühmte Reliquie, indem er mit Freuden bemerkte, welchen Eindruck sie auf Peppino gemacht hatte.

»Dies ist künftig das Losungswort.«

»Welches Losungswort? Es bestehen zwischen uns keine Worte der Art, und es hat nie ein anderes Erkennungswort gegeben als den Namen Seiner Exzellenz! Ich verlangte von Ihnen ein Zeichen, eine Bewegung, irgendein Wort, welches mir die Gewissheit geben sollte, dass Sie ein Abgesandter des Herrn Grafen sind. Indes glaube ich Ihnen, denn dieses sonderbare Ding, das Sie mir gezeigt haben, stimmt ganz mit der Eigentümlichkeit eines Mannes überein, der über das Leben und den Tod so erhaben zu sein scheint wie der Herr Graf.«

»Jetzt ist an mir die Reihe, Euch zu fragen. Wer seid Ihr?«

»Ein Mann, dem Seine Exzellenz das Leben gerettet hat, und der den Eid leistete, ihm überall und in allem zu gehorchen. Das wird genug sagen.«

»Indes scheint Ihr mir einer Verbindung anzugehören, denn Ihr brauchtet vorhin das Wort uns, als Ihr das erste Mal von dem Grafen gesprochen habt?«

Peppino blickte umher, um sich zu überzeugen, dass er nicht belauscht würde, näherte sich dann Benedetto und flüsterte ihm zu: »Ich bin der Freund und der Gefährte Luigi Vampas.«

»Ah, das ist ein Name, den ich seit langer Zeit kenne, weil ich ihn oft von dem Grafen und seinem Intendanten Bertuccio nennen hörte.«

»Bertuccio? Den kenne ich.«

»Das trifft sich übrigens vortrefflich, denn ich habe einige Instruktionen für Luigi Vampa.«

»So, Sie haben Instruktionen für ihn? In diesem Fall können Sie ihn im Kolosseum treffen, wo er Sie erwarten wird, wenn es Ihnen so gefällig wäre.«

»So sei es, und Ihr werdet mich begleiten, um mich ihm vorzustellen, denn ich kenne ihn ebenso wenig, wie er mich kennt. Wir treffen uns hier übermorgen. Für jetzt überbringt diesen Brief an die Baronin Danglars. Auf Antwort brauchen Sie nicht zu warten.«

Peppino verbeugte sich ehrerbietig und verließ dann das Zimmer, um sich ohne Verzug zur Via del Corso zu begeben.

»Baron! Baron!«, rief Benedetto.

»Ei«, sagte Danglars, indem er sich Benedetto gegenüberstellte, als wollte er ihn bewundern, »sind Sie denn der Teufel selbst?«

»Ich würde es sein, wenn es sein müsste, mein Lieber. Aber sagen Sie mir, wer ist der Mensch, der eben hier fortging?«

»Es ist Peppino, der Leutnant von der Bande des Luigi Vampa.«

Benedetto stieß einen Schrei aus.

»Was gibt es?«

»Nichts, Baron, nichts. Ich will nur sagen, dass meine Totenhand bald an das Ziel gelangen wird, das sie sucht. Denn Sie werden begreifen, dass der Tote, dem sie angehörte, auf Erden eine Sendung zu vollbringen hatte. Ja«, fuhr er voll Exaltation fort, »aus dem Grunde deines stillen Marmorgrabes erhebt die Rache deinen Gerechtigkeit übenden Arm vor dem Angesicht der ganzen Erde! Mut, Mut! Du wirst an das Ziel kommen, ja, du wirst es!«

Und indem er so sprach, wie von Entzücken ergriffen, riss er aus dem Kästchen die vertrocknete Totenhand, küsste sie voll Enthusiasmus und Ehrfurcht, und große Tränen rannen dabei über seine Wangen.

Danglars betrachtete ihn voll Staunen und Entsetzen, denn er begriff weder den Sinn dieser Worte noch den wahnsinnigen, überspannten Enthusiasmus Benedettos.

»Herr Baron«, sagte dieser Letztere, nachdem er seine kostbare Reliquie, welche Danglars einen gewaltigen Schrecken einflößte, wieder in das Kästchen verschlossen hatte, »welche Art von Mensch ist dieser Luigi Vampa?«

»O, ich habe Gründe, ihn gut zu kennen, denn wie Sie wissen, ist er es, der mich der sechs Millionen beraubte, die ich in Rom in Sicherheit bringen wollte.«

»Ja, ich weiß, eben die Millionen, welche, wie Monte Christo so unverschämt behauptete, genau genommen nicht die Ihren waren.«

»Das rührte von einem Irrtum in der Rechnung her. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie es kam.«

»Sprechen wir von Luigi Vampa.«

»Er ist ein Mensch, der vor nichts zurückweicht, wenn es gilt, sein Wort zu erfüllen, und der bei dem Befehl über seine Gefährten, wie es mir wenigstens schien, eine Tätigkeit und eine Entschlossenheit zeigt, denen nichts gleichkommt.«

»Ist er von hohem Wuchs?«

»Nein, von Mittelgröße.«

»Kräftig?«

»Nichts verrät bei ihm eine ungewöhnliche Stärke.«

Benedetto schien durch die Antworten, welche Danglars ihm gab, sehr zufriedengestellt zu werden. Er überlegte ohne Zweifel irgendeine wichtige Unternehmung, denn zuweilen runzelte er seine Stirn, und sein Blick nahm jenen finsteren, scheuen Ausdruck an, der sich in seinem Auge zeigte, als er den Entschluss fasste, im Gefängnis von La Force in Paris seinen Schließer zu ermorden.

»Jetzt, mein lieber Herr«, sagte Danglars, sich zu einer beinahe fabelhaften Freigiebigkeit entschließend, indem er aus einem staubigen Schrank eine Flasche Lacryma Christi nahm, welche einen der Hauptgegenstände der Pascherei in Italien bildet, »jetzt haben wir hier etwas, um uns die Kehle anzufeuchten.«

»Ei, Sie sind wirklich ein unbezahlbarer Wirt, und Sie flößen mir durch Ihre Gastfreundschaft das Verlangen ein, meinen Aufenthalt bei Ihnen auszudehnen! Zum Glück werde ich Sie jedoch nicht lange Zeit belästigen, denn es nähert sich der Augenblick Ihrer Aussöhnung mit Ihrer teuren Ehehälfte, und dann …«

»O, mein Lieber, wissen Sie wohl, dass Sie ein ganz charmanter Mensch sind? Ihre Uneigennützigkeit ist wirklich wunderbar – erhaben!«

Und mit einem Zug leerte er sein Glas Wein.

»Ich bin Ihnen sehr verpflichtet, Baron, aber was wollen Sie? Ich bin nun einmal so. Ich liebe diese Art von Aufregungen. Sehen Sie, es scheint mir schon, als genösse ich im Voraus des köstlichen Anblickes dieser Wiedervereinigung. Was für eine pathetische Szene wird es sein, wenn Sie die interessante Baronin wiedersehen! Kommen Sie, ich muss Sie umarmen, denn später würden Sie mich vergeblich suchen. Ich bin dann nach der Art des schönen Vogels verschwunden, welcher durch den Glanz seines Gefieders blendet und durch seinen Gesang bezaubert – jenes Vogels des Juvenal: des Phönix.«

»Und wohin richten Sie Ihren Flug?«

»Ich? Fragen Sie lieber den Blitz, der in dem Sturm zuckt, nach der Spitze, die er zu erreichen strebt, wenn er, die Wolken durchreißend, in die Lüfte seinen feurigen Zickzack zeichnet, unsere Blicke blendend durch seine Schnelligkeit und seine Gewalt! Ich werde dahin gehen, wohin mich jene vertrocknete Hand leitet!«

»Bei meiner Seele«, erwiderte Danglars, »machen wir ein Ende mit Ihren Geschichten. Ich empfinde nicht die geringste Neigung für das Wunderbare! Es würde Ihnen sehr schwerfallen, in mir den Glauben zu erwecken, dass der Weg Ihnen durch die ausgetrocknete Hand einer Leiche vorgezeichnet wird!«

»Das kommt daher, weil Sie nicht wissen, welche Gefühle in mir diese Reliquie erweckt, welche Gedanken sie in diesem Hirn hervorruft, das durch die Leiden und durch das Fieber der Wut entzündet ist! Ach, entschuldigen Sie mich, Herr Baron«, fuhr Benedetto fort, indem er den Ton wechselte und ironisch lächelte. »Das alles hat nichts zu bedeuten. Sprechen wir von anderen Dingen.«

»Das ist es eben, was ich Ihnen sagen wollte.«

»Wie ich sehe, haben Sie Verbindungen mit den Banditen des Vampa, mein lieber Baron. O, beruhigen Sie sich nur, die Kutte macht nicht den Mönch. Was kommt auf die Art des Verkehrs an, der zwischen Ihnen und jenen stattfinden kann? Das hindert Sie durchaus nicht, Baron zu sein und die drei Millionen Ihrer teuren Ehehälfte zu besitzen.«

»Nein, mein Herr, Sie täuschen sich. Ich unterhalte keine Verbindungen mit den Banditen. Indessen, seit dem berüchtigten Abenteuer, das Sie kennen, dem Abenteuer des Raubes, dessen Opfer ich war, kenne ich Peppino, und der Taugenichts kommt von Zeit zu Zeit zu nur, um meinen Lacryma Christi zu kosten.«

Benedetto war überzeugt, dass der Bandit, statt in dieser Absicht zu dem Portier des Theater Argentino zu kommen, vielmehr die Funktion eines Weinlieferanten bei demselben versah. Indes äußerte er diese Meinung nicht.

»Wie finden Sie den Wein?«, fragte Danglars.

»Vortrefflich …«

»Aber apropos. Was den Besuch betrifft, den ich bei der Baronin machen soll – wenn Sie nämlich darauf bestehen – so müssen Sie wissen, dass ich eigentlich mit der Sache nichts zu tun habe. Ich gehe mit geschlossenen Augen hin.«

»Ich werde Sie Ihnen öffnen«, erwiderte Benedetto nach kurzem Besinnen, währenddessen er zum großen Missvergnügen des Barons vier Gläser Wein rasch hintereinander trank. »Morgen Abend um sechs Uhr werden Sie sich pünktlich an der Tür des ersten Stocks im Hotel Zur Erdkugel unter Ihrem Titel als Baron von Danglars einstellen.«

»So! Meine teure Gemahlin bewohnt also dieses Hotel?«, fragte Danglars lebhaft mit einem Ton, der Benedetto nicht entging.

»Ich habe Ihnen nicht gesagt, dass sie dort wohnt, indes ist sie in dem Hotel des Maestro Pastrini abgestiegen. Weiter nichts.«

Der Baron seufzte, als zerstörten diese Worte einen Gedanken, den er bei der ersten Mitteilung gefasst hatte.

»Es ist gut«, sagte er gelassen. »Jetzt setzen Sie unsere Rollen gehörig fest. Ich gehe also hin und lasse mich unter meinem Titel melden. Was dann weiter?«

»Weiter? Ei, haben Sie denn ganz den Verstand verloren? Parbleu! Man wird Sie empfangen.«

»Ich werde also vorgelassen – gut; aber dann?«

»Nun«, rief Benedetto mit lautem Lachen, »das ist denn doch wahrlich zu stark. Zum Teufel, soll ich Ihnen denn genau alles vorschreiben, was ein Mann von Takt zu tun hat, wenn er sich seiner Frau gegenüber befindet, von der er längere Zeit getrennt war, und die ein Vermögen von drei Millionen besitzt? Ich würde mich dann in der traurigen Notwendigkeit befinden, Ihnen gerade heraus erklären zu müssen, dass Sie ein Narr sind, ein Dummkopf, ein vollständiger Kretin.«

Der Baron fragte nicht weiter und leerte den Rest der Flasche.

Benedetto verlangte ein Bett, stellte sein Kästchen unter das Kopfkissen und entwarf alle seine Pläne für die Möglichkeiten des folgenden Tages.