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Shane Flannigan 5 – Annabell

Shane-Flannigan-AnnabellShane Flannigan 5
Annabell

Ciril Moreland hätte Victoria lieber heute als morgen geheiratet. Jetzt bereute er, dass er sich nicht längst um etwas gekümmert hatte, doch bislang gab es keine Veranlassung dazu. Ciril war 49 und seit 21 Jahren verheiratet, zumindest auf dem Papier. Als er sich damals in Silverton niederließ und seine Kanzlei aufbaute, begann seine Ehe langsam zu zerbrechen. Er war nicht schuldlos daran gewesen. Statt sich um seine junge Frau zu kümmern, war er ständig unterwegs gewesen, um sich ins Gespräch zu bringen und um Kontakte zu knüpfen. Während seine Frau einen Wohnsitz in großen Städten mit Teepartys vorzog, liebte er das Leben in kleinen Städten, wo sich die Pioniere ihren Platz erkämpften. Eines Tages war sie nicht mehr da gewesen, als er nach Hause kam. Wortlos war sie mit der Postkutsche abgereist. Er war darüber nicht unglücklich gewesen. Nun musste er dafür sorgen, dass er endlich geschieden wurde.

»Habt ihr euch entschieden, wo ihr wohnen werdet?« Shane nickte Cathleen Bishop lächelnd zu, als sie die leeren Teller abräumte. Die Frage war jedoch nicht an Cathleen, sondern an Victoria und Ciril Moreland gerichtet.

Ciril sah seine Braut liebevoll an. »Da Victoria nichts dagegen hat, werden wir in Silverton wohnen. Timothys Haus werde ich verkaufen. Ich hoffe, das andere leidige Thema ist bald erledigt.«

Shane wusste, dass er von seiner Scheidung sprach.

Ciril beglich die Rechnung. Draußen hielt gerade die Postkutsche. Das Eintreffen der Kutsche war stets ein Ereignis, auch wenn der Kutscher keine nennenswerten Nachrichten zu berichten wusste. Man freut sich über jedes Gerücht.

»Walter, was gibt es Neues?«, rief der Sheriff dem Kutscher zu.

»Die Bank in Benton ist ausgeraubt worden.«

»Das weiß ich bereits«, entgegnete Alan Chambers. Ciril hatte ihm das erzählt.

Drei Männer stiegen aus, die auf der Durchreise waren. Chambers hatte einen Blick dafür, wer auf die Weiterfahrt der Kutsche wartete oder wer als Abenteurer jemand suchte, den er ausnehmen konnte. Die Frau, die ausstieg, erregte seine Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick erkannte er in ihr die Abenteurerin. Dass sie alleine reiste, war zwar nicht ganz ungewöhnlich, aber doch nicht alltäglich. Solche Frauen suchten sich immer einen starken Beschützer. Von den männlichen Reisenden gehörte keiner zu ihr. Ihre Blicke kreuzten sich kurz, dann nahm sie ihre beiden Reisetaschen und sah sich suchend nach dem Hotel um. Chambers war ihr nicht behilflich, denn er wollte sehen, ob sie von jemand erwartet wurde.

Auch Ciril Moreland fiel die Frau auf, doch aus einem anderen Grund als Chambers. Er begleitete Victoria zur Double F Ranch und suchte das einzige Hotel in Coldwater auf. An der Rezeption standen zwei staubige, bärtige Männer, die sich nach der Frau erkundigten. Jeder trug eine Satteltasche über der Schulter. Ciril nahm in einem der beiden gepolsterten Stühle Platz, die wohl luxuriöses Ambiente vermitteln sollten, und beobachtete die beiden, die die Treppe hinauf polterten.

Während Ciril scheinbar gelangweilt wartete, warf ihm der Angestellte so manch neugierigen Blick zu. Lange musste Ciril nicht warten. Einige Minuten später kamen die zwei herunter. Er wartete, bis sie draußen waren, dann stieg er die Treppe hoch. Er pochte mehrmals, bis endlich geöffnet wurde.

»Ich hab dich früher erwartet«, begrüßte ihn die Frau.

»So sieht man sich wieder, Annabell«, sagte Ciril statt einer Antwort. Er wartete die Aufforderung nicht ab, sondern nahm auf dem einzigen Stuhl Platz.

»Es gab Zeiten, da warst du höflicher«, rügte sie.

»Es gab Zeiten, da war alles anders«, entgegnete er, indes er sie genau betrachtete.

Selbstbewusst war sie schon immer gewesen. Die Jahre hatten ihre Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen, doch sie sah noch immer gut aus. Wie eine Herrin, die auf ihren Diener herabschaute, stand sie da. Sie zuckte die Schultern und setzte sich aufs Bett.

»Hast du gefunden, was du damals vermisst hast, Annabell?«

Erste feine Silberfäden zeichneten sich in ihrem schwarzen Haar ab. Er rechnete nach. Sie war inzwischen 39 Jahre alt, noch immer eine gute Figur und die herrische Art, die ihr eigen war.

»Zumindest lebe ich kein spießbürgerliches Leben, in das ich mich pressen müsste«, antwortete sie scharf. »Aber da wir beim Thema sind«, sie lächelte süffisant. »Ich komme zu dir zurück. Zumindest für einige Monate lang.«

»Nein das wirst du nicht. Du hast mich damals verlassen, und das soll auch so bleiben. In meinem Leben gibt es keinen Platz mehr für dich. Ich lasse mich scheiden.«

»Das kannst du tun, wenn ich es sage. Lebst du nun hier? Dieses Kaff ist ja noch schlimmer als Silverton.«

»Was soll das, Annabell? Du kannst nicht jahrelang in der Versenkung verschwinden und dann kommen, als wäre nichts geschehen. Uns verbindet nichts mehr miteinander.«

»Ich trage deinen Namen, falls du das vergessen haben solltest. Eine Weile wirst du es schon aushalten. Ich hoffe, du hast eine Haushälterin, denn ich habe nicht vor, deine Wäsche zu waschen oder zu kochen.«

Ciril fragte sich, was er damals an dieser gefühllosen Frau gefunden hatte. War er von ihrer Schönheit so verblendet gewesen? Anfangs war sie sicher nicht so kalt gewesen, doch das spießbürgerliche Leben, wie sie es nannte, hatte sie angeödet und sie war launisch geworden. Er wollte etwas einwenden, doch sie ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen.

»Wir machen es so, wie ich es sage. Nach einigen Monaten oder vielleicht sind es auch nur Wochen, bist du mich los. Dann können wir uns scheiden lassen. Bevor du dagegen sprichst. Nimmst du mein Angebot nicht an, mache ich dich gesellschaftlich fertig.« Ihr hochmütiger Blick begleitet ihre Worte.

Vorerst musste er klein beigeben, auch wenn ihm das nicht behagte. Er musste erst herausfinden, was sie vorhatte, warum sie gerade jetzt bei ihm unterkriechen wollte.

»Ich bleibe einige Tage hier in der Stadt. Ich lass es dich wissen, wann ich nach Silverton zurückkehre.« Er erhob sich und verließ grußlos den Raum.

»Welcher Gaul hat dich getreten?«, fragte Shane, der Ciril mit verkniffenem Gesicht auf der Straße traf.

Ciril schilderte in kurzen Worten.

»Klingt nicht gut. Was hast du vor?«

»Ich reite sofort nach Silverton und spreche mit Richter Walker. Wir sind befreundet. Ich denke, er kann sicher etwas tun.«

»Ich hoffe für euch, dass es klappt, auch wenn ich die beste Haushälterin verliere.« Shane klopfte Ciril kameradschaftlich auf die Schulter. »Ich hab schon lange auf keiner Hochzeit getanzt.« Shane nickte ihm aufmunternd zu. Er wünschte Victoria und Ciril aus ganzem Herzen ihr Glück. Beide hatten sie mit dem anderen einen guten Partner gewonnen. Ciril war ein sympathischer Mann, der Victoria jeden Wunsch von den Augen lesen würde, dessen war sich Shane sicher. Seit es mit den beiden ernst geworden war, machte er sich Gedanken über eine neue Haushälterin. Lange genug hatte er darüber nachgedacht. Er verabschiedete sich und begab sich ins Restaurant. Cathleen Bishop machte die Tische sauber.

»Mrs. Bishop, ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Mein Angebot für eine Ausfahrt gilt noch immer. Ich möchte Ihnen meine Ranch zeigen und Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.« Noch bevor sie antworten konnte, sprach er weiter. »Halten Sie nicht alle Männer für Idioten, nur weil Ihr Ehemann Ihr Eigentum beim Poker verspielt hatte. Mit Ihrer bissigen Art vergraulen Sie jeden Mann. Denken Sie darüber nach«, forderte er mit fester Stimme. »Morgen früh hole ich Sie ab.« Er wartet eine Antwort erst gar nicht ab und ließ die verblüffte Frau stehen. Er ging zwischen zwei Häuser durch, um von rückwärts in den Mietstall zu gelangen. Bevor er um die Hausecke bog, hörte er eine aufgeregte Frauenstimme.

»Ihr Idioten. Weshalb habt ihr eigenmächtig gehandelt? Ihr gefährdet das ganze Unternehmen.«

Da sich die Personen geradewegs in der Richtung befanden, in die er gehen musste, blieb er kurz stehen. Bald würde er wissen, ob er einer Frau zu Hilfe eilen musste.

»Schrei nicht so, Bell. Sonst machst du noch jemand auf uns aufmerksam«, knurrte eine Männerstimme.

»Es gefällt uns schon lange nicht, wie du sich aufspielst«, blaffte ein anderer Mann.

Sehen konnte Shane die Personen nicht, dann hätte er aus der Deckung kommen müssen.

»Pass auf, was du sagst, Gus. Wer war denn so blöd, Bill zum Doktor zu bringen?«

»Sollte ich meinen Bruder irgendwo da draußen verrecken lassen?«, argumentierte der Mann.

»Sieh zu, dass er aus dem Arzthaus verschwindet, bevor der Sheriff aufmerksam wird«, forderte die Frau mit kalter Stimme. »Und zwar noch heute. Durch eure Blödheit ist der Coup in Benton misslungen.«

»Von einem Weib lass ich mir nicht länger Befehle erteilen. Gib uns unseren Anteil und wir verschwinden. Seit Burt erschossen worden ist, geht es bergab.«

»Ich hab nach Burts Tod die Führung übernommen, weil ihr dazu nicht fähig seid. Bringt Bill von hier weg und haltet euch eine Weile versteckt. In einigen Wochen ist Gras über die Sache gewachsen. Dann treffen wir uns und teilen die Beute.«

»Nein.« Die Stimme des Mannes war schneidend. »Wir teilen sofort.«

»Du Idiot«, keifte die Frau. »Du weißt doch, dass die Beute aus den anderen Überfällen versteckt ist. Zurzeit komme ich nicht dran.«

Shane hielt es an der Zeit, einzuschreiten, bevor der Streit eskalierte. Vorsichtig ging er einige Schritte zurück und trat dann bewusst laut auf, als er um die Ecke bog. Sein Erscheinen erschreckte die Frau und die beiden Männer. Die zwei unrasierten, abgerissenen Kerle hatte Shane noch nie gesehen, sehr wohl die Frau. Er tippte grüßend an die Hutkrempe und lief an ihnen vorbei in den Stall. An den Geräuschen erkannte er, dass sie den Platz verließen.

Während er sein Pferd sattelte, überschlugen sich seine Gedanken. Nach dem belauschten Gespräch musste es sich um eine Bande handeln, deren Anführerin die Frau war. Shane war neugierig, aber er musste zurück zur Ranch.

Auf dem Weg aus der Stadt hielt er beim Sheriffsoffice.

»Ist ja interessant, was du erzählst, Shane.« Sheriff Chambers lehnte sich bedächtig in seinem Stuhl zurück. »Ich seh mir den Kerl an, der beim Doc liegt. Vielleicht passt seine Visage zu einem der Steckbriefe. Den anderen fühl ich auf den Zahn.«

Alan Chambers wollte noch etwas sagen, als ihn das Pochen an der Tür davon abhielt.

»Sheriff Chambers, lang nicht gesehen.« Der Mann grinste.«

»Seth Palmer, was führt dich zu mir?«

Palmer war Sheriff in Benton, einer Kleinstadt, die südlich von Coldwater lag. Er war klein und gedrungen, dessen rotblondes Haar stets aussah, als wäre ein Hurrikan darüber gefegt.

»Ich würd gern unter vier Augen mit dir reden.«

»Seth, das ist Shane Flannigan, Besitzer der Double F Ranch.« Chambers wandte sich an Shane und stellte Palmer vor. »Seth und ich kennen uns von früher.«

Shane und Palmer nickten einander zu.

»Ich muss los.« Shane verabschiedete sich und verließ das Office. Draußen standen vier Männer bei ihren staubbedeckten Pferden. Ein langer, scharfer Ritt war Männern wie Tieren anzusehen. Es musste die Posse von Palmer sein. Shane schwang sich in den Sattel. Nach einigen Yards hörte er Alans Stimme. Er zügelte sein Pferd und sah über die Schulter. Alan winkte ihn zu sich. Shane wendete das Pferd und ritt wieder zurück. Ungeduldig deutete Alan, ihm ins Office zu folgen.

 

Nach Alans Aufforderung erzählte er Sheriff Palmer, was er belauscht hatte.

»In allen Städten hielt sich vor den Überfällen eine Frau für einige Tage auf. Eine gutaussehende Abenteurerin. Ich muss die Frau sehen, ohne dass sie mich sieht«, sagte Palmer.

»Das lässt sich sicher einrichten«, murmelte Alan und betrachtete Palmer. »Dein Interesse ist persönlicher Art«, mutmaßte er. »Shane kannst du blind vertrauen«, sagte Alan, der Palmers zu Shane wahrnahm.

Palmer lehnte sich im Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte grübelnd auf Alans Schreibtisch. »Es wäre eine Sache der Regierung und ich habe auch eine entsprechende Meldung gemacht.« Er atmete tief durch. »Seit Monaten gibt es Banküberfälle im County. Auffallend war, dass stets ein Paar gesehen wurde, dass entweder kurz davor oder nach den Überfällen abreiste. Vor sieben Wochen wurde bei einem Überfall auf die Bank in Clearwater einer der Banditen erschossen. Angeblich war es der Begleiter der Frau. Seither gab es zwei Überfälle. Vor einigen Tagen in Benton.« Palmers Miene verdüsterte sich.

»Nachdem was ich belauscht habe, ist der Überfall schiefgelaufen«, meinte Shane.

»Für die Bande war die Beute geringer, als sie dachte«, antwortete Palmer. Eine große Müdigkeit zeichnete sich plötzlich in seinem Gesicht ab. Das lag nicht nur an den Strapazen der Verfolgung. »Nach dem Tod meiner Frau wuchs mein Sohn Mike bei meiner Schwester und ihrem Mann auf«, erzählte Palmer mit brüchiger Stimme. »Meinem Schwager gehört die Bank in Benton. Mike ließ sich mit einer Abenteurerin ein. Ich weiß nicht, was er an der Frau fand, die fast doppelt so alt war wie er. Um die Sache zu verkürzen«, sagte er und machte eine kurze Atempause. »In der Nähe von Benton gibt es ein Kohlebergwerk. Die Löhne werden mit der Postkutsche geliefert und lagern ein bis zwei Tage in der Bank, bis sie ausgezahlt werden. Der Transport von der Bank zur Mine wird von Mitarbeitern der Minengesellschaft durchgeführt, die sich auf Abruf in der Stadt befinden. Den Zeitpunkt stimmt mein Schwager gemeinsam mit meinem Sohn ab und die Kutscher erfahren erst eine Stunde vor Abfahrt den Zeitpunkt. Mein Schwager erzählte mir, dass Mike den Vorschlag einbrachte, den ursprünglichen Zeitplan kurzfristig zu ändern, was sie auch machten. Sie hatten die Abfahrt um zwei Stunden vorverlegt. Als die Banditen die Bank stürmten, waren die Löhne bereits abtransportiert. Mike stellte sich ihnen in den Weg. Die Lage eskalierte. Er wurde erschossen. Auf der Flucht aus der Stadt wurde einer der Banditen erschossen, ein anderer verletzt, doch er konnte fliehen.«

Palmer erhob sich. »Das Schlimme daran, ich fand in Mikes Tasche eine Notiz, die ihn mit dem Überfall in Verbindung bringt.« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Doch er wollte es wiedergutmachen.«

Jetzt verstand Shane Palmers persönliches Interesse an der Bande.

Die Spur der Bande führt hier her. Es sind nur noch drei der Banditen übrig und die Frau«, erklärte Palmer.

»Wir besuchen die schöne Unbekannte«, forderte Alan Chambers und erhob sich.

Ein Schuss erklang.

»Die Bank«, schrie Alan und griff nach seinem Gewehr. Palmer stürzte hinaus, Shane hinterher.

Palmers Männer hatten die Bank gut im Auge. Obwohl müde, waren ihnen die beiden Männer aufgefallen, die in die Bank liefen. Sie stürmten hinterher. Nach einem einzigen Schuss gaben die Banditen auf.

Zum selben Zeitpunkt verließ die Kutsche Coldwater, mit ihr Annabell Moreland. Außerhalb der Stadt hielt Chambers die Kutsche auf. Der Frau, die sich wie eine Furie gebärdete, fesselte er die Hände auf dem Rücken und legte sie quer über sein Pferd. So brachte er sie wieder in die Stadt. Palmer identifizierte Annabell Moreland, als die Frau, mit der sich sein Sohn eingelassen hatte.

Die Ehe von Ciril Moreland wurde noch vor der Gerichtsverhandlung gegen die Banditen geschieden. Der Verletzte, der sich beim Doc in Coldwater befand, erlag seinen Verletzungen vor der Verhandlung, die beiden anderen Banditen wurden zum Tode verurteilt. Annabells Verteidigung übernahm Ciril. Damit tilgte er jegliche Schuld, falls es überhaupt etwas zu tilgen gab. Sie wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Eine zu milde Strafe, wie Palmer fand, doch eine unmittelbare Beteiligung am Mord von Mike Palmer konnte ihr nicht bewiesen werden.

Ciril konnte der gemeinsamen Zukunft mit Victoria entgegensehen.

(Montana)