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Im Goldlande Kalifornien 11

Sophie Wörishöffer
Im Goldlande Kalifornien
Fahrten und Schicksale Gold suchender Auswanderer
Zeitgemäß gekürzt von A. Flügel um 1930

Kapitel 5

Arsa hoffte am anderen Morgen sehnlichst, eine neue »Tasche« zu finden, aber vergebens. Wenn er einen derartigen Fund gemacht hätte, wären alle seine Sorgen auf einen Schlag beendet gewesen. Aber seltsam! Gerade jetzt blieb trotz beharrlichen Fleißes der Erfolg fast gänzlich aus.

Noch immer war das Fehlen der Summe unbemerkt geblieben. Täglich und stündlich gestalteten sich die Dinge in der Stadt besser und besser. Es wurde nie mehr gestohlen, jedes Arbeitsgebiet war abgegrenzt, jedes Zelt verwandelte sich in ein festes Holzgebäude, und anstatt der Hügel und Sümpfe erschienen allmählich gebahnte Straßen. Salomon Marks erteilte schon jetzt den Kindern einen regelmäßigen Schulunterricht. Auch die Geige war von San Francisco gekommen, ein Gesangverein hatte sich gebildet, und es schien alles im besten Zuge. Nur an Pferden fehlte es sehr. König Semen schickte einen Boten in Atafaus Dorf, um von diesem eine Anzahl zugerittener Tiere zu erbitten.

Der alte Davidoff grub kein Gold mehr. Der Kirchenbau und die nächtlichen Versammlungen nahmen seine ganze Zeit in Anspruch. Er war es, der den Altar und die Kanzel mit auserlesenem Schnitzwerk schmücken wollte, der an jedem Tag im Innern des langsam wachsenden Raumes irgendetwas zu messen oder zu untersuchen hatte.

Semen beobachtete ihn in aller Stille. »Davidoff trägt sich mit irgendeinem Geheimnis«, dachte er, »der Alte sieht aus wie ein Schwerkranker, er grämt sich, oder er fürchtet eine Entdeckung.«

Und dann schlich er ihm tagelang ungesehen nach, aber immer vergeblich. Die Zusammenkünfte der Unzufriedenen wurden mitten in der Nacht abgehalten und dermaßen vorsichtig behütet, dass kein Auge die Teilnehmer entdecken konnte. O’Flannagan verfolgte nichts Geringeres, als die Herrschaft des Gesetzes möglichst bald zu stürzen und den früheren Zustand der Dinge wieder herbeizuführen.

Die Hound waren überall, wohin sie kamen, mit bewaffneter Faust empfangen worden. Sie hatten für ihre Räubereien keine Stätte finden können und sehnten sich zurück nach dem Schauplatz ihrer früheren Herrschaft, wo wenigstens geteilte Meinungen miteinander stritten. Es gab in Räuberstadt Leute, die König Semen hassten und ihn stürzen wollten um jeden Preis. Diese waren die natürlichen Verbündeten des Schotten.

»Erst muss der Bau der neuen Häuser vollendet sein«, hatte er mit höhnischem Lächeln gesagt. »Wir können warten.«

Es war nun für die Stadt eine Zeit der Ruhe gekommen. Mit Ausnahme weniger Unzufriedener lebten die Miner friedlich arbeitend, überschüttet vom goldenen Segen. Nur Arsa fand wenig Körner, er war auch im Herzen durchaus nicht zufrieden, besonders, da Felsing ganz plötzlich verschwunden schien. Niemand hatte ihn gesehen oder von ihm gehört, bis endlich ein Mann aus einer benachbarten Stadt erzählte, dass der Hamburger dort angekommen sei.

»Mister Felsing gräbt Gold«, sagte er. »Ich selbst habe ihn gesehen.«

Arsa empfand trotz der Unruhe, in der er lebte, etwas wie eine heimliche Freude. Ob ihm Paul jemals schreiben würde?

Aber es kam kein Lebenszeichen.

Eines Abends, als die Familie plaudernd vor dem Haus saß, kam ein alter Goldgräber gegangen, grüßte und fragte, ob es erlaubt sei, ein wenig vorzusprechen.

Als er Platz genommen hatte, sagte er zu Kinski gewandt: »Hast du kürzlich die Stadtkasse geprüft. Unsere Verhältnisse hier erheischen Vorsicht. Das Gold könnte dir gestohlen sein.«

Kinski erhob sich. »Ich will es dir augenblicklich zeigen, Twain«, antwortete er im gereizten Ton.

Der andere hielt ihn zurück. »Sachte! Sachte! Wir können doch die Geschichte in Ruhe erledigen, denke ich. Sieh einmal meinen Hut an! Kennst du das Ding?«

»Deinen Hut?«

Und Kinski schüttelte den Kopf. »Du musst dich deutlicher erklären, Twain.«

»Hm! Entsinnst du dich nicht mehr, dass ich dir, als wir einen Stadtkassierer wählten, meinen alten Filz zur Aufbewahrung des Goldes übergab?«

Kinski trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Er erschrak auf das Heftigste, seine Stimme hatte allen Klang verloren.

»Das wäre derselbe Hut, Twain? Unmöglich!«

»Das ist er. Ich habe ihn heute in der Nähe des Spielhauses hinter einer Hecke gefunden. Es hingen noch einzelne Goldkörner im Futter.«

Kinski stand wie erstarrt, dann raffte er sich plötzlich auf und ging in das Haus. »Ich werde mich überzeugen«, presste er hervor.

Arsa war zu Sinn, als habe ihn ein Donnerschlag getroffen. Seine Gedanken wirbelten. Was hatte er getan! Fremdes Eigentum entwendet! Ein Dieb war er geworden!

Er rang nach Atem. »Fort von hier!« Das war der einzige klare Gedanke, den er zu fassen vermochte.

Dann kam Kinski aus dem Haus zurück, blass wie der Tod. »Der Hut und das Geld sind gestohlen worden«, würgte er mühsam heraus.

»Siehst du wohl«, entgegnete Twain, »aber wie war das möglich und auf wen könnte man Verdacht haben?«

Kinski legte die Hand an die Stirn. »Ich … werde das Gold ersetzen … ich … aber … eines bitte ich dich … erzähle niemandem von der Sache … Es ist so … Gold … ein Diebstahl …« Er stockte.

»Twain wird über den ganzen Vorfall schweigen«, mischte sich Semen in das Gespräch, »ich bin dessen sicher.« Seine Stimme klang hart und befehlend.

»Gewiss, natürlich! Aber eines möchte ich wissen, Kinski, ist dir von deinem eigenen Eigentum nichts entwendet worden?«

»Nichts – gar nichts.«

Arsa empfand jedes Wort wie einen Dolchstich. Warum erschien der Vater so unsagbar traurig, aber nicht erzürnt? Warum starrte er so beharrlich zu Boden, als gäbe es etwas, das er um keinen Preis zu sehen wünsche?

Arsa wusste es. Sein Vater durchschaute alles. Es war das Gesicht des Schuldigen, des eigenen Sohnes, das er nicht sehen wollte. Unfähig, das länger zu ertragen, eilte er, die Hand auf die schmerzende Stirn gepresst, davon, eilte in seine Kammer und öffnete die enge Luftklappe.

»Da hinaus.« Dann schwang er sich aus der Luke und eilte zu dem Landungsplatz. Hier löste er ein Boot vom Pflock, setzte beide Riemen ein und stieß vom Ufer ab. Einem ungewissen Schicksal entgegen.

Das Boot glitt dahin. Unaufhaltsam. Je weiter Arsa sich von der Heimat entfernte, desto mehr schwand seine anfängliche Aufregung. Es fiel ihm nicht ein, dass er dem Vater Aufklärung und Abbitte schuldig gewesen wäre. Alles war nur eine Verkettung unseliger Zufälle, deren Opfer er geworden ist. Er würde arbeiten, anderswo, später das Geld ersetzen und dann … Seine Gedanken irrten im Kreise. Ersetzen – Zufall – sein Gold daheim, das unangetastet dalag! Er … war nicht eigentlich schuldig.

Es wurde Nacht, wurde wieder Morgen. Der Hunger trieb ihn dazu, gelegentlich Nahrung zu suchen und deswegen am Flussufer anzulegen. Aber zu schlafen wagte er nicht auf dem Land. Sobald die Nacht kam, kroch er wieder in sein Boot. Und dann kam der Schlaf, kam der Traum, und quälte, quälte, quälte.

Drei Tage irrte er schon dahin. Sein Trotz war verschwunden. Selbstanklagen kamen, Reue quälte. Mit großen, leeren Augen starrte er oftmals vor sich hin, der Stadt, der verlassenen Eltern denkend.

Wieder wurde es Morgen. Tief niedergeschlagen erwachte er. Er fühlte sich sehr matt! Der Hunger trieb ihn aufs Neue ans Land, sich kärgliche Nahrung zu suchen.

Als er den Fuß eben auf den festen Boden fetzte, blickte er wie von ungefähr noch einmal auf das Wasser zurück und fühlte sich im tiefsten Innern erschrecken. Ein Boot mit weißen Segeln und einem Wimpel am Topp kam den Fluss herunter.

Wie ein Feuerstrom durchrieselte es ihn. Jede Mattigkeit war verschwunden. Menschen – weiße Menschen. Vielleicht! Gerettet!, klang es in seiner Seele.

Das Boot kam näher. Er wollte winken, aber auf einmal entfiel ihm der Mut dazu. Wer nahte? Feind oder Freund? Unwillkürlich versteckte er sich, fast selbst nicht wissend, warum.

Eine Männerstimme schallte über das Wasser. Arsa unterdrückte mit Mühe einen Schrei. Der da sprach, war Boris! Nun entdeckte er auch den Vater, Jegor und Ossip. Gewiss, sie waren ausgezogen, ihn zu suchen, ihn – zu fangen!

Noch einmal flammte sein Trotz empor. Nein, lieber wollte er in der Wildnis verkommen. Nie, niemals sollte man ihn greifen, ihn zwingen, seine Tat einzugestehen, ihn büßen lassen …

Er raffte sich auf, erreichte das Freie und taumelte aufs Geratewohl vorwärts, einerlei wohin.

Aber er kam nicht weit. Nach ein paar Hundert Schritten brach er zusammen und blieb liegen wie ein gefällter Baum. Er sah nicht mehr, dass dicht neben ihm die Spuren zahlreicher Pferde einen begangenen und häufig benutzten Pfad andeuteten. Sein Schlaf grenzte an Betäubung.

Ein kleiner, schlanker Panther kam mit gekrümmtem Rücken zwischen den Stämmen hervor und spitzte die Ohren.

Ein Dröhnen, wie von schweren Tritten, ging durch die Umgebung. Ob Büffel in der Nähe waren?

Aber nun verstummte es plötzlich, und der Panther zog die Luft ein. Vorsichtig schleichend näherte er sich dem Baum, unter dessen Zweigen Arsa lag, langsam, mit tückisch funkelnden Augen, immer bereit, bei der ersten Bewegung des Gegners zurückzuspringen, aber wenn dieser untätig blieb, ihn anzufallen.

Ein Fauchen, etwa wie das Miauen der Katze, erklang aus der Brust des Tieres. Es setzte zum Sprung an, aber im gleichen Augenblick flog zischend ein Indianerpfeil durch die Luft, und mit einem Schrei brach das Raubtier getroffen zusammen. Arsa fuhr auf. Er sah mit ausdruckslosen Blicken umher, seine Hände tasteten, und von seinen Lippen kam ein unverständliches Murmeln.

Quer über seinen Knien krümmte und wand sich im Todeskampf der Panther. Er bemerkte es nicht.

Vom Himmel flammte ein heller Blitz und sandte das scharfe gelbe Licht in alle Tiefen. Die hohen kriegerischen Gestalten mehrerer Indianer zeichneten sich von der umgebenden grünen Wand auf das Deutlichste ab. Ein lauter Ausruf des einen derselben unterbrach die Stille zwischen Donner und Donner.

»Hugh! Der junge weiße Fremde!«

Pataloc hob ihn auf wie eine Feder. »Atafau«, rief er, »komm zu mir! Was ist es mit dem Fremden?«

Der greise Häuptling näherte sich dem Riesen, und beim Schein der schnell aufeinanderfolgenden Blitze sah er kopfschüttelnd in das verstörte Gesicht unseres Freundes. »Hugh!«, sagte er. »Der weiße Knabe ist krank.«

»Du musst ihn in das Dorf bringen, Pataloc – kannst du es? Bis zur Stadt der weißen Männer wäre es zu weit.«

Der Riese nickte. »Was soll ich den Frauen sagen, Häuptling?«, fragte er im beklommenen Ton.

»Dass sie Wasser auf die Stirn des weißen Knaben legen und ihm nur Wasser mit Fruchtsaft zu genießen geben, sonst nichts. Aber du selbst musst an seinem Lager wachen, Pataloc.«

Und dann rief Pataloc das gehorsame Pferd herbei. Er selbst schwang sich in den Sattel, zwei Männer reichten ihm den völlig Bewusstlosen, und fort ging es in die Gewitternacht hinein, dem nahen Indianerdorf zu.

Nach langem Hin- und Herreiten hatten die Rothäute Kinski und dessen Begleiter im Wald gefunden und ihm berichtet, wo der von ihnen gefundene Arsa sich befinde.

Sofort begab Kinski sich in das Indianerdorf, um selbst nach dem Sohn zu sehen und an seinem Lager zu wachen. Das Fieber schüttelte den Kranken heftig, und in wirren, zusammenhanglosen Reden verriet er dem Vater unbewusst alles, was geschehen war, verriet sein brennendes Verlangen, das, was er genommen hatte, zu ersetzen.

Es waren schwere Tage für den geprüften Mann. Als eine Besserung endlich eintrat, zog der Vater sich aus Vorsicht vom Lager des Kranken zurück, um nicht etwa durch die unvermeidliche Aufregung des Wiedersehens das schwach glimmende FIämmchen des Lebens zum Verlöschen zu bringen.

Von fern her aber überwachten seine Augen alles, was vorging. Er sah endlich, wie Arsa, einem Gesunden gleich, wieder sanft und ruhig schlief und dass er in den Augenblicken des Wachseins allmählich die Indianer und deren Frauen wiedererkannte.

»Wo habt ihr mich denn eigentlich gefunden, Pataloc?«, fragte Arsa eines Tages.

»Im Wald, Fremder. Nicht weit vom Flussufer.«

»So, so – war ich denn ganz allein?«

Arsa unterdrückte einen Seufzer. Es schien, als schwebe ihm auf den Lippen noch eine Frage, aber er war zu schwach, um länger zu grübeln und zu sprechen. Er schlummerte wieder ein. Kinskis Hand glitt sanft über den braunen Scheitel. Da erwachte Arsa und schlug die Augen auf.

»Vater!«

Wie unwillkürlich brach über seine Lippen das eine Wort. Es war, als lösten sich Felsenlasten von seiner Seele. »Vater!«, wiederholte er.

Kinski lächelte mit erzwungener Ruhe! Ihm schlug das Herz gewaltig. »Sei ruhig, Arsa«, sagte er. »Du darfst dich nicht aufregen.«

»Vater«, flüsterte der Knabe, »wie lange bist du schon hier?«

»Seit den ersten Tagen deiner Krankheit, mein Junge. Die treuen Rothäute gaben mir sogleich Nachricht. Sie reiten auch jetzt noch häufig nach Räuberstadt und bringen deiner Mutter Nachricht von dir. Sie und alle Ladriner lassen dich herzlich grüßen.«

Arsa wechselte die Farbe. Er sah mühsam zu seinem Vater empor. »Nimm mich in deinen Arm«, bat er mit versagender Stimme. »Willst du es tun?«

»So, nicht wahr?«

»Ach – ja.«

Arsa schmiegte den trotzigen Kopf heimlich fester an die Brust seines treuesten Freundes. »Vater«, sagte er kaum verständlich, »wir haben seit Monaten nicht miteinander gesprochen.«

»Ach – lass das alles, Kind!«

»Soll es vergessen sein?«, jubelte Arsa. »Glanz vergessen?«

»Ja, mein Junge. Sicherlich wirst du eines Tages voll und ganz erkennen, dass ich dein Bestes wollte.«

»Ich habe es längst erkannt, Vater. Wenn Felsing …«

»Von ihm ist Gutes zu berichten«, fiel Kinski ein, »er arbeitet.«

»In Räuberstadt?«

»Nein, in Höllenfreude. Und mehr noch als das! Er hat offenbar sein Unrecht dir gegenüber eingesehen, denn er fing schon vor meiner Abreise hierher an, kleinere Beträge einzuschicken. ›Als Abschlagszahlung für erhaltene fünftausend Dollar‹ war jedes Mal diesen Sendungen beigefügt.«

»Ach – das freut mich!«

»Mich auch«, entgegnete Kinski. »Wenn die herbe Lehre den leichtsinnigen jungen Menschen gerettet hätte, dann wäre das bei seinen sonstigen liebenswürdigen Eigenschaften ein wahres Glück.«

»Gottlob! Gottlob! – Jetzt bin ich zufrieden«, sagte Arsa.

Kinski streichelte mit der linken Hand das blasse Gesicht seines Sohnes, dann ließ er dessen Kopf sanft auf das Lager zurücksinken.

»Nun schlafe, Arsa, schlafe! Je früher du ein Pferd besteigen kannst, desto besser wird es sein.«

Arsas Besserung machte nach und nach gute Fortschritte, er stand auf, und bald konnte er wieder wandern und reiten.

Als es zum Abschied ging, kam Atafau am Abend vorher im großen Putz der Adlerfedern und der Friedensmalerei in die Hütte der beiden weißen Gäste und begann seine Anrede mit dem gewohnten »Hugh!«

Kinski bot ihm schweigend seine Pfeife an. Als der Häuptling einige Züge getan hatte, sagte er: »Die roten Männer möchten den Weißen eine Frage stellen. Sie haben mich geschickt, um darüber zu sprechen.«

»Ich höre«, antwortete Kinski.

»Hugh! Die roten Männer werfen das Gold, wenn sie es finden, beiseite, die Weißen heben es auf und verschaffen sich durch Tausch solche Dinge, die das Leben leichter und angenehmer machen. Das möchten die Rothäute auch erlangen, besonders die Feuerwaffen.«

Kinski lächelte. »So grabt Gold«, antwortete er. »Ihr könnt von den Händlern so gut eure Lebensbedürfnisse eintauschen wie die weißen Männer.«

»Erlaubst du, dass sie es gestatten?«, fragte zweifelnd der Alte.

»Natürlich, wer sollte euch hindern wollen?«

»Zieh mit uns in die Minenstadt, Häuptling«, fuhr Kinski fort. »Alle Goldgräber werden dich willkommen heißen.«

»Bist du dessen sicher, Fremder? Die roten Männer wollen keinen Krieg.«

»Kommt nur, kommt nur! Niemand denkt an Feindseligkeiten, und überdies ist auch das Goldgebiet meilengroß. Ihr könnt euch Plätze suchen, an die noch kein Weißer gelangt ist.«

»Hugh! Dann werden zwölf Männer euch begleiten. Atafau selbst freilich nicht. Er ist zu alt, um noch ein anderes, neues Leben zu beginnen. Mögen seine jungen Leute die gelben Körner aus dem Boden graben.«

»Wir werden ihnen darin Unterricht erteilen«, rief Arsa. »Für die Arbeit eines Tages könntet ihr schon eine Pistole kaufen.«

Das würdevolle Antlitz des Alten verzog sich wider seinen Willen zu einem Lächeln der Befriedigung.

Eifrig besorgten Atafau und seine Untertanen die Vorbereitungen zur Abreise nach Räuberstadt.

Bis in die späte Nacht hinein schnürten die Frauen Bündel um Bündel, dann wurden ihre eigenen Geschenke denen der Männer hinzugefügt, große Körbe mit Früchten und frischen Wurzeln, Eichelbrot und Gewürz, daneben Nüsse aller Art und geschlachtetes Geflügel.

»Das alles soll König Semen haben.«

Zwölf Krieger im Schmuck ihrer Malereien, ohne Masken, aber mit wallenden Federn, begleiteten die beiden Weißen aus dem Dorf in die Minenstadt. Es war vier Uhr morgens. Vor Abend konnte man auf den schnellen Pferden die Niederlassung der Goldgräber erreicht haben.

Am Tag vorher war schon ein Bote vorausgeritten, um die Ankunft der Reisenden zu melden. Es schien alles so günstig wie möglich. Die Luft glänzte in fast herbstlicher Klarheit, der Wald war durchsichtiger geworden, und die Sonne hatte ihre sengenden Strahlen bedeutend gemildert.

Mit welchem Gefühl des Glücks und der Zufriedenheit Arsa an der Seite seines Vaters dahinritt, das zu beschreiben wäre unmöglich.

Auf einmal ertönte ein Ruf aus dem Wald. Arsa horchte auf und sah den Vater fragend an.

»Hallo ho!« klang es wieder. »Hallo ho!«

»Das ist Boris!«, rief Arsa.

»Ich glaube es auch. Hallo ho!«

»Arsa!«, rief jemand durch die vorgehaltenen Hände. »Arsa!«

»Hier, Jegor, hier!«

Pferde wieherten und Menschenstimmen jubelten. In wenigen Minuten kamen mehrere Reiter aus dem Wald hervor, und Arsa und Kinski begrüßten die kleine Schar der Ladriner, die ihnen entgegengeritten war.

»Alles wohlauf in Räuberstadt?«, fragte Kinski.

»Alles wohlauf! Onkel Semen und deine Mutter lassen grüßen, Arsa. Sieh nur her, die gute Frau hat dir einen Kuchen gebacken.«

Arsa erkundigte sich nach den einzelnen Bekannten, auch nach dem alten Davidoff und dessen Sohn. »Die beiden Geizhälse haben gewiss schon ein hübsches Vermögen zusammengescharrt, nicht wahr?«

»Davidoff ist erkrankt«, antwortete Jegor. »Man sieht ihn fast nie! Es sei denn, dass er zur Kirche geht.«

»Und Nikita?« forschte unser Freund.

»Er scheint sich mit dem Alten überworfen zu haben. Wenigstens wohnen die beiden nicht mehr zusammen. Nikita arbeitet vom Morgen bis zum Abend, er geht nie in die Wirtshäuser und bekümmert sich überhaupt um keinen Menschen.«

Arsa war sehr befriedigt. Gottlob, es ist gut!, dachte er.

Am Abend kam die Reisegesellschaft nach Räuberstadt, und schon von Weitem wunderte sich Arsa über die fast musterhafte Ordnung auf den Straßen. Der stattliche Kirchenbau war vollendet und Haus erhob sich an Haus. Drüben lag der eingefriedigte, wohlgepflegte Gottesacker, und von den Gräbern wehten im leichten Abendwind Blatt und Blüte.

Dann kam die Begrüßung mit Mutter und Onkel. Frau Anna weinte. Sie schien während dieser Prüfungszeit um Jahre gealtert zu sein. »Mein Junge!«, flüsterte sie immer wieder. »Mein Junge!«

Arsa lehnte sein heißes Gesicht gegen das ihre. »Hast du dich in den vielen Wochen so sehr geängstigt, Mutter?«

»Oh Kind – unbeschreiblich!«

Er küsste sie zärtlich. »Ich bin nun kuriert, Mutter. Du sollst sehen, ich begehe keinen leichtsinnigen Streich wieder.«

Sie sah ihn an, mühsam lächelnd unter Tränen. »Deine kleinen Brüder wollen dich begrüßen, Arsa … und Onkel Semen. Nachher setzt du dich auf eine Stunde zu mir und erzählst von deiner Flucht, von allem, was du erlebt hast, nicht wahr?«

Er versprach es ihr, dann küsste er die beiden sonnengebräunten Knaben und die kleine, hausmütterlich sanfte Schwester, bis ihn der Vater in das Nebenhaus rief.

Lächelnd streckte Semen Arsa die Hand entgegen. Er schien sich der letzten Vorgänge wegen weder geängstigt noch geärgert zu haben. »Na, da bist du ja, junger Ausreißer«, sagte er. »Etwas mager und blass zwar, aber doch hoffentlich um eine gewichtige Lehre bereichert?«

Dann klopfte er seinem Neffen auf die Schulter. »Ich denke, wir sprechen über die Sache nie wieder«, setzte er hinzu. »Nebenbei ist auch so viel Neues zu berichten – zum Beispiel, dass dieser interessante Herr Felsing ratenweise fünftaufend Dollar eingeschickt hat. Was sagst du dazu?«

Arsa war dunkelrot geworden. »Fünftausend Dollar?« wiederholte er beinahe stammelnd.

»Ja. Außerdem schreibt er dir heute persönlich, Arsa. Hier ist der Brief.«

Arsa erbrach mit bebenden Fingern den Umschlag und las.

»Mein lieber Arsa!

Was erwartest du von diesen Zeilen, Junge? Dass sie Zerknirschung atmen sollen, Tugendschwüre, Eseleien aller Art? – Nichts von dem, Kleiner! Ein Philister war ich nicht, bin ich nicht und werde es niemals sein, aber ein Gewissen habe ich trotzdem, und zwar ein recht empfindliches. Menschenkind, welche Angst musste ich deinetwegen erleiden! Wie habe ich wochenlang auf der Folter gelegen und mich selbst einen ruchlosen Mörder genannt! Ach, ein katzenjämmerlicher Zustand! Die Angst um dich brachte das alles hervor, die Furcht, du möchtest sterben und mich mit dem Kainszeichen zurücklassen. Da griff ich denn zur Hacke und arbeitete wie ein Besessener, immer im Gedanken, dass dich der Tod verschonen werde, wenn nur erst jene Summe abgetragen sei. Aber nun bist du wieder da, Söhnchen, und ich frage: ›Was kostet die Welt?‹ Den Betrag habe ich in der Westentasche. Doch eins im engsten Vertrauen! Ich danke dem lieben Gott auf den Knien, dass du junge Kröte ohne Schaden davongekommen bist.

Dein Paul.«

Arsas Freude über diesen Brief war groß, und er beantwortete ihn noch am selben Abend.

Am folgenden Morgen arbeitete Arsa schon wieder in der Mine. Es hatte sich alles verändert und besser gestaltet. Die steinernen Herde waren von den Straßen verschwunden, und statt ihrer besaß jede Familie ein kleines, regensicheres Kochhaus mit eisernem Ofen und ebensolchem Schornstein. Zwischen San Francisco und Räuberstadt fuhren Frachtwagen mit frischem Fleisch und Gemüse hin und her. Es war eine Mischwirtschaft angelegt worden, eine Bäckerei und ein Schlachthaus. Kein Goldwäscher kochte mehr selbst seine Mahlzeit, sondern es gab Speisewirtschaften, in deren bescheidenen, aber sauberen Räumen niemand mehr mit den Fingern und dem Dolchmesser aß. Man hatte lange Tische und sogar Leinentücher darüber, ebenso ein anständiges Tischgerät. Das alles bewog die Miner, nun auch mit gewaschenen Händen zu erscheinen und wenigstens die schlimmsten Flüche draußen zu lassen.

Arsa suchte so lange, bis er in dem Treiben auf den Straßen den Sohn des alten Davidoff erblickt hatte. Dann redete er ihn an: »Nun, Nikita, wie geht es dir?«

»Ich sammle Schätze«, entgegnete lächelnd der andere.

»Du gehst nach Ladrin zurück?«

»Nach Riga. Weshalb soll man in beständiger Unruhe leben, nur um mehr Gold zusammenzuscharren? Wer auskommt, hat genug.«

»Und dein Vater?«, fragte Arsa.

Nikita zuckte die Achseln. »Er denkt darüber ganz anders. Ich habe mich von ihm getrennt. Doch wo haben die Indianer ihr Lager aufgeschlagen?« fragte er nach längerer Pause.

»Wollen wir die braven Kerle einmal aufsuchen?«

»Ich bin dabei!«, rief Nikita. »Komm!«

Die jungen Leute wanderten bis an das Ende der Straße, wo Pataloc mit seinen Gefährten ein großes Zelt aus grünen Zweigen mit einem Grasdach aufgeschlagen hatte.

Arsa und Nikita unterhielten sich bis zu später Stunde mit den Rothäuten, und dann erst gingen sie langsam zur Stadt zurück. Ihr Weg führte an der Kirche vorüber, hart neben der Tür, die das Innere des Baus abschloss. Da bewegte sich plötzlich ein Schatten und verschwand ebenso schnell. Ein Mensch glitt im Dunkel quer über die Straße.

»Nikita«, sagte ganz erstaunt unser Freund, »ich bin überzeugt, das war dein Vater!«

»Er ist wunderlich«, versetzte Nikita. »Man muss ihn ganz seinen Grillen überlassen.«

»Wäre ich nur erst wieder in Europa«, setzte er dann nach einer Pause hinzu. »Wer weiß, was wir hier noch alles erleben müssen.«

Dann trennten sie sich, und jeder suchte seine Schlafstätte auf. Arsa hatte noch nicht lange geschlummert, als ihn etwas jäh aus seinen Träumen aufweckte. Was war das? Ein heller, unbestimmter Schein erfüllte die Luft, es flackerte auf und schlug wieder nieder mit knisternder Lohe. Holzrauch erhob sich in Wolken zum Himmel.

Taumelnd vor Schreck sprang Arsa auf die Füße. »Jegor!«, rief er. »Ossip! Wo seid ihr?«

Niemand antwortete ihm. Arsa stürzte in das Zimmer seiner Eltern. Er weckte diese und die übrigen Bewohner des Hauses, dann eilte er auf die Straße hinaus.

Barmherziger Himmel! Welch ein Anblick! Rechts und links schlugen die Flammen haushoch empor, ganze Feuersäulen erhoben sich an mehreren Punkten, und der dichte Rauch verhüllte gleich einem Schleier die Luft. Noch wachte, wie es schien, kein Mensch. Die Straßen waren leer. Bis auf eine Stimme hörte man keinen Laut, diese eine aber rief Arsas Namen.

»Wo bist du, Arsa? Wo bist du?«

Wie angewurzelt blieb der Knabe stehen. Das war doch sicher Felsing! Er hätte unter Tausenden gerade diese Stimme erkannt.

»Arsa! Arsa!«

»Hier bin ich, Paul!«

Es wurde lebendig in den Straßen. Erschreckte Menschen flüchteten aus den Häusern. Hier und da ertönte ein Schreckensschrei. Und in solchen Augenblicken glaubte Arsa zu verstehen, was die Leute riefen.

»Verrat! Verrat!«

Dunkle Gestalten huschten über den Weg, Feuerbrände in den Händen. Es klang herüber wie Hohngelächter.

Kinski und Semen brachten den Kasten mit dem Gold auf einen sicheren Platz. Dann eilten beide davon, um anderen Bedrängten zu helfen, ebenso Arsa.

»Felsing ist hier!«, rief er seinem Vater zu.

Kinski stutzte. »Hast du ihn gesehen, mein Junge?«

»Das nicht, aber er rief meinen Namen.«

Dann stand plötzlich Dubois vor den laufenden Männern.

»Nicht dahin!«, bat er mit erhobenen Händen. »Die Hound sind hier!«

»Was – die Hound?«

»Ja, ja! Auch O’Flannagan ist dabei. Sie tragen gerade jetzt Feuer in die Kirche.«

Semen legte beide Hände an den Mund. »Auf!«, rief er mit weithin schallender Stimme. »Auf! Verrat! Verrat!«

Wie die Teufel eilten die Mordbrenner von Straße zu Straße, von Gebäude zu Gebäude, um überall Angst und Schrecken zu verbreiten, um hinter sich Leichen zurückzulassen und vor sich die Verzweiflung in die Herzen zu tragen.

O’Flannagan schleuderte die Brandfackel in das Wohnhaus des Pfarrers, zu dessen Schutz sich eine starke Anzahl von Goldgräbern eingefunden hatte. Mehrere derselben waren schon auf das Dach gestiegen, und von hier aus flogen schwere Wurfgeschosse den Angreifern entgegen, ohne aber zu verhindern, dass die ausgetrockneten Bretter Feuer fingen und in Brand gerieten.

»Wasser! Wasser!«

Plötzlich rauschten Wasserstrahlen herab auf die Köpfe der Angreifer. Ein lautes »Hurra!« erdröhnte vom Dach des Holzbaus, emsige Hände reichten den oben Sitzenden immer neue gefüllte Eimer. Bis zum Fluss hinaus hatte sich eine lange Kette von Helfern gebildet, und blitzschnell flogen von Hand zu Hand die klirrenden, mit dem wohltätigen Element gefüllten Blechgefäße.

Noch saßen die Retter auf dem Dach. Wo eine Fackel dasselbe erreichte, wurde sie gelöscht und mit voller Kraft auf die Köpfe der Angreifer zurückgeschleudert. Aber trotz dieses scheinbaren Erfolges wurde doch die Stellung der braven Leute von Augenblick zu Augenblick unhaltbarer. In dichtem Rauch und Dampf ließ sich nichts Bestimmtes erkennen. Büchsenkugeln und Fackeln schlugen wie Hagelkörner in die Reihen der Verteidiger. Immer mehr und mehr Hound kamen hinzu, bis die Kirche aufgegeben werden musste.

Hineingeschossen hatte niemand, aber Salomon Marks war genötigt, durch die Hintertür zu fliehen, und der Bau ging in Flammen auf. Arsa, Dubois und Boris hatten zu den Verteidigern gehört. Zähneknirschend mussten sie weichen, geschwärzt, versengt und blutend – wie es schien, durch die wachsende Anzahl der Hound abgeschnitten von den ihren.

Dubois taumelte. Er hatte einen Streifschuss gegen den Fuß erhalten, und rote Spuren bezeichneten seinen Weg. Matt hob er die Hand. »Ich glaube, sämtliche Häuser brennen«, sagte er.

Arsa seufzte. »Jetzt ist die Stadt zugrunde gerichtet. In unserer Mitte müssen zahlreiche Verräter gelebt haben.«

»Weshalb glaubst du das?«

Arsa hob die Hand. »Sieh da hinüber, Boris. Erkennst du den windschiefen Bau, halb Baracke, halb Zelt?«

»Das ist Davidoffs Wohnhaus.«

»Ich weiß es. Weshalb wurde gerade dies eine Gebäude inmitten aller übrigen von den Schurken allein verschont?«

Boris nickte. »Das gibt zu denken, ich habe übrigens dem alten Schleicher nie so recht getraut.«

In diesem Augenblick stürzte das brennende Kirchendach in sich zusammen.

»Wo mögen die Rothäute stecken?«, flüsterte Arsa.

Boris horchte. »Sie schießen und schreien!«, sagte er seufzend. »Die Indianer kämpfen natürlich wie Verzweifelte, aber gegen eine gewaltige Übermacht.«

»Wie der Boden dröhnt!«, fügte eine Stimme hinzu.

»Als ob Pferde stampften.«

»Vielleicht brennen auch sämtliche Ställe und die Tiere sind frei geworden und rasen umher.«

Boris horchte. »Der Schall kommt aus dem Wald!«, rief er nach einer kurzen Pause. »Nicht aus der Stadt.«

Arsa schlug die Hände zusammen. »Oh, mein Gott, wenn Hilfe käme!«, rief er fast schluchzend.

Dann kamen die Pferde in Sicht. Fünfzig an der Zahl und mehr noch. Ein weißer Mann saß auf einem der beiden vordersten, eine Rothaut auf dem anderen. Allen voran jagten diese zwei.

»Das war Felsing!«, rief Arsa. »Ich kann mich nicht täuschen.«

»Und der andere war Pataloc! Einen zweiten solchen Riesen sah man nie.«

Arsa frohlockte. »Gott sei gelobt, jetzt kommt die Hilfe! Wo sich Pataloc befindet, da ist kein Verrat denkbar!«

Links ab verschwanden zwischen den brennenden oder schon ganz verkohlten Gebäuden die letzten Pferde, dem Schauplatz des erbitterten Kampfes gerade entgegen. Es schien, als wisse der Anführer, wo er am leichtesten die Reihen des Feindes durchbrechen könne und wo die Hilfe am nötigsten sei.

»Er will die Hound im Rücken überfallen«, rief Arsa, während alle liefen, so schnell es ihnen möglich war. »Ach, gebe Gott nur, dass es nicht für die Hilfe überhaupt schon zu spät ist!«

In diesem Augenblick ertönte der gellende, markerschütternde Kampfruf der Rothäute. Sie hatten die Feinde erreicht, ihre Pfeile mit der schwarzen, todbringenden Feder begannen das Vernichtungswerk.

Und nun sahen die Näherkommenden auch schon eine dunkle, zum Knäuel geballte Masse. Man rang um den Sieg. Brust an Brust wurde mit der Erbitterung des persönlichen Hasses gefochten.

Jetzt mussten O’Flannagans Scharen nach zwei Seiten kämpfen. Hinter ihnen waren die Rothäute aufgetaucht und eine stattliche Anzahl weißer Männer außerdem. Wer hatte sie herbeigeholt, und woher kamen sie?

Aber Zeit zum Nachdenken gab es nicht. Wo tätowierte Gestalten erschienen, wichen die Gegner, aber nicht, indem sie die Reihen der Wilden durchbrachen, sondern indem sie sich von ihnen in die Massen der unter Semens Führung kämpfenden Goldgräber hineindrängen ließen.

Vor Felsing tauchte in diesem Augenblick aus dem Gewühl O’Flannagans rotes Gesicht auf. Der riesige Schotte, derselbe, der das Mordmesser in Henneckes Brust gesenkt hatte, der freche Verräter allen Rechts hob drohend den Arm.

»Habe ich dich, Verräter!«

Felsing lachte. »Ein Verräter bist du selbst!«, rief er. »Schurke – da hast du es!«

Die Kugel aus seinem Gewehr streifte des Schotten Ohr, dass rote Blutstropfen umherspritzten. »Noch habe ich es nicht!«, schrie dieser zurück. »Pass auf, Bürschchen!«

Der Schuss krachte, aber er traf nicht. Felsings lautes Hurra wurde erstickt in dem allgemeinen Toben, dann ging wieder das minutenlange Duell zwischen den beiden erbitterten Männern im Kampfe alle gegen alle unter.

»Mut! Mut!« rief Felsing in das Getümmel hinein. »Hurra für Räuberstadt! Der Sieg gehört uns!«

Semen sah ihn und lächelte wohlgefällig. Er winkte seinem Bruder. »Da ist Felsing – er kämpft wie ein Löwe.«

Die beiden Männer stürzten sich wieder in das Kampfgewühl, dessen Ende jetzt nahe schien. Die Hound waren so zusammengehauen worden, dass sie um Gnade bitten mussten. Überall lagen Tote und Verwundete aus ihren Reihen am Boden, überall flüchteten Einzelne in den Wald hinaus.

Die beiden Kinski und Arsa hatten sich gefunden, alle unverletzt – aber Felsing fehlte noch. Wo konnte er sein?

»Wenn ihm ein Leid geschehen wäre?«

»Wir wollen ihn suchen, Arsa!«

Da kam Jegor gelaufen, und schon von Weitem winkte er den Freunden. »Hierher! Hierher!«

»Ist Felsing da?«

»Ja, ja – kommt nur!«

»Paul! Paul!« rief Arsa.

»Sei ruhig, Kleiner, noch sterbe ich nicht!«

Felsing war blass wie Kalk, er lag in Ossips Schoß, und das sickernde Blut überströmte sie beide. »Wo sitzt denn die Kugel?«

»In der Schulter. Da!«

Jetzt kam auch Semen hinzu. »Nun, Mister Felsing«, sagte er im leichten Ton, »Sie wissen, vor achtzehn Jahren hatte ich die Absicht, Arzt zu werden. Danach scheint es, als sei ich der Mann, um Ihre Wunde zu verbinden, nicht wahr?«

Felsing nickte nur stumm. Er hatte die Zähne zusammengebissen. Mit geschlossenen Augen ließ er alles über sich ergehen, was Semen anordnete.

Minuten vergingen, während sich Semen über den Verwundeten herabneigte und die nötigen Untersuchungen vornahm. Dann sagte er: »In acht Tagen sind Sie wieder hergestellt, Mister Felsing. Unsere Frauen werden Ihnen dafür, dass Sie sie in Sicherheit brachten, durch die zarteste Pflege danken.«

Die beiden Kinski und Dubois wanderten über das Trümmerfeld. Gottlob, nur wenige Einwohner der Stadt waren gefallen oder schwer verwundet. Der Sieg war ja vollständig, die Hound konnten sich zu vereinten Unternehmungen nie wieder aufraffen.

Mitten im Weg lag die Leiche eines Mannes mit dem Dolchmesser im Herzen.

»O ‘Flannagan!« rief Semen. »Unser ärgster Feind ist für immer unschädlich gemacht.«

»Ach, aber um teuren Preis! Alle Häuser, alle Vorräte sind dahin. Der Schaden ist beträchtlich.«

Unsere Freunde wandten sich zu der Stelle, an der zuvor der Kasten mit dem Familienbesitz geborgen worden war. Es fehlte kein Cent. Die Hound hatten wahrscheinlich an keinerlei Beutezüge denken können.

In ihrer Hütte aus Gras und Baumzweigen saßen die Rothäute und frühstückten so gelassen, als sei nichts geschehen. Einer aus der tapferen Schar hatte eine Verwundung davongetragen, der Zweite einen Armbruch, aber das kümmerte die Söhne des Urwaldes wenig, denn sämtliches Blechgerät, das kostbarste Besitztum, war gerettet. Teekessel und Pfannen, Teller und Löffel hingen im Kranz an den Wänden, Spiegel und bunte Bilder steckten dazwischen – man hatte also nichts Nennenswertes verloren.

Pataloc baute in wenigen Stunden über Felsings Kopf eine Hütte, die gegen Sonnenschein und Regen Schutz gewährte. Die übrigen Verwundeten wurden mit hereingebracht und dann für die Frauen ein zweiter Bau errichtet. Man stand nun wieder so ziemlich am Anfang der Dinge. Es erforderte viel Mut, nochmals neu zu beginnen.

Dubois hatte seine Schätze wieder aus dem Boden gegraben, und näherte sich den beiden Brüdern Kinski.

»Meine Herren«, sagte er, »hier ist alles, was ich besitze. Es gehört der Gemeinde.«

Semen reichte ihm herzlich die Hand. »Und Sie geben Ihr Erspartes hin für die Armen unserer Stadt, obgleich Sie doch selbst in Monserrat noch soviel Gutes vorhatten, Herr Dubois?«

»Ja, gewiss, Monserrat muss nach solchem Unglück, das uns hier betroffen hat, warten. Ich habe den alten Leuten dort erst vor Kurzem ein hübsches Sümmchen hinübergeschickt, es geht ihnen gut.«

Semen sah hinüber zu seinem Bruder. »Ach, hätte ich mein gestohlenes Gold, wäre es mir möglich, tief hineinzugreifen und in diesem Augenblick allen Bedrängten zu helfen!«